Elke Herrmann

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Last Statements

Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Es geht um die Demenzdiagnosen in Sachsen.
Fragen an die Staatsregierung:
1. Wie viele Personen sind seit 2003 in welche psychiatrischen Kliniken in Sachsen wegen zugrunde liegender demenzieller Erkrankungen aufgenommen worden (bitte auflisten nach Jahr und Klinik)?
2. Wie viele Plätze hält das Sächsische Krankenhaus Großschweidnitz für Personen mit Demenzdiagnosen seit 2003 vor (bitte nach Jahren auflisten)?
Frau Staatsministerin, wenn es sehr viele Angaben sind, können Sie mir es auch schriftlich geben und jetzt nur eine Kurzfassung abliefern, falls es eine lange Liste werden sollte.
Das habe ich nicht gehört. Na gut, dann wird es nicht so lang.
Können Sie mir das vielleicht schriftlich geben? Ich habe es jetzt nicht mitgeschrieben.
Danke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es zum letzten Antrag überhaupt noch etwas zu sagen gibt, dann dies, dass wir alle die begründete Hoffnung haben, dass das in der Tat der allerletzte Antrag gewesen ist, mit dem die NPD den Sächsischen Landtag belästigt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu unserem Antrag: Seit über vier Wochen – Sie wissen es – werden Hunderte von Kitas in Deutschland und in Sachsen bestreikt, und ein Ende ist bisher nicht in Sicht. Gegenstand der Auseinandersetzung sind die unzureichenden Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Erzieher und der sozialen Berufe überhaupt. Die Streikenden verlangen einen besseren Gesundheitsschutz, eine bessere Personalausstattung und vor allem eine bessere Vergütung.
Geht man von dem gesellschaftlichen Echo auf diesen Streik aus, dann dürfte es ihn eigentlich überhaupt nicht geben, denn es scheinen ja alle auf der Seite der Streikenden zu stehen. Die allermeisten Eltern reagieren verständnisvoll und organisieren Auffanglösungen zur Betreuung
ihrer Kinder. Auch von allen Seiten der Politik scheint es Unterstützung zu geben.
Nirgendwo, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde dies deutlicher als in der letzten Woche bei der zentralen ver.di-Kundgebung in Köln. Ursula von der Leyen solidarisierte sich mit den Erzieherinnen und Erziehern, als sei sie nicht die Familienministerin und als solche maßgeblich mitverantwortlich, sondern als kämpfe sie seit Jahren in der Opposition. Selbstverständlich solidarisieren sich auch die Landesminister, wie die bayerische Sozialministerin Haderthauer, und auch kein Bürgermeister verschließt sich vom Prinzip her den Forderungen.
Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird dann eigentlich immer noch gestreikt, warum gibt es bisher keine Einigung, obwohl doch jeder die Forderungen unterstützt? Wir haben das doch auch hier vor dem Sächsischen Landtag erlebt. Warum will es offensichtlich keiner gewesen sein?
Die Antwort wird deutlich, wenn man sich das komplizierte Verantwortungsgefüge für Kitas in Deutschland anschaut. Es geht eben um mehr als nur um eine Einigung zwischen Gewerkschaften und kommunalen Arbeitgebern. Jedem ist klar, dass eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die den Forderungen der Streikenden entspricht, erheblich Geld kosten wird.
Die Kommunen verweigern sich einer Einigung, weil sie die Forderungen angesichts klammer Kassen schlicht nicht erfüllen können, und verweisen auf Bund und Land.
Diese wiederum heben die Hände und verweisen auf die Tarifautonomie und auf die zusätzlichen Mittel, die längst an die Kommunen fließen. Weil alle drei Ebenen recht wie unrecht haben, führt das Schwarze-Peter-Spiel zu keinem Gewinner, wohl aber zu drei Verlierern: den Erzieherinnen und Erziehern, den Eltern und natürlich den Kindern.
Eine verantwortliche Politik für die Zukunft unserer Kinder sieht anders aus, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das habe ich gestern schon betont.
Rein formal ist die Sache natürlich klar. Der Kita-Streik ist eine Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaften und kommunalen Arbeitgebern, in die sich aus gutem Grund weder Land noch Bund einzumischen haben. Es stimmt ja auch, dass die Kommunen Spielräume haben, um die Arbeitsbedingungen für die Sozial- und Erziehungsberufe selbst zu verbessern. Aber es ist eben auch richtig, dass die Erfüllung der Forderungen in allen drei Bereichen – Gesundheitsschutz, Personalschlüssel und Vergütung – Gemeinden und Städte bei Weitem überfordert.
Der Hinweis vom Bund, den Kommunen stünden zusätzliche Mittel nicht nur für Investitionen, sondern auch für Betriebskosten zur Verfügung, ist natürlich scheinheilig; denn jeder weiß, dass diese Mittel für den quantitativen Ausbau der Plätze, nicht aber für die Qualitätsanhebung fließen.
Die Staatsregierung und insbesondere Kultusminister Wöller halten sich erstaunlicherweise zurück. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie ganz genau wissen, dass die mit dem laufenden Haushalt fließenden Mittel für das kostenfreie letzte Kita-Jahr jedenfalls bisher nicht dazu taugen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Nun werden sicher vor allem die Vertreter der Koalitionsfraktionen sagen, dass wir uns mit dem Antrag unzulässig in die laufenden Tarifverhandlungen einmischen, dass dem Freistaat die Hände gebunden sind und unser Anliegen mithin vergebliche Liebesmüh ist. Genau das Gegenteil ist der Fall, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. Wir wollen mit diesem Antrag dazu beitragen, dass sich gerade nach dem neuesten Scheitern in diesem Tarifkonflikt endlich etwa bewegt; denn allen Beteiligten – Kommunen, Bund und Land – muss klar sein, dass die Verbesserung der Arbeit in den Sozial- und Erziehungsberufen eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, aus der sich auch wirklich niemand herausreden kann. Genau deshalb muss sich auch im Freistaat etwas bewegen.
Lassen Sie mich nach dieser allgemeinen Begründung, warum der Antrag das richtige Instrument zur richtigen Zeit ist, noch zu den konkreten inhaltlichen Forderungen kommen. Wir haben nicht ohne Grund die Verbesserung der Personalsituation an die erste Stelle gesetzt. Sie ist der Schlüssel für jede Verbesserung von Arbeitsbedingungen wie Qualität.
Gerade beim Personalschlüssel liegen gesetzlicher Anspruch und Realität bei den sächsischen Kitas weit aus
einander. Derzeit betreut eine Erzieherin oder ein Erzieher in den Kitas 9,2 statt sechs Kinder in der Krippe, wie im Kita-Gesetz vorgeschrieben. Im Kindergarten sind es 20 statt 13.
Die Gründe hierfür sind vielfältig, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber die Folgen sind eindeutig. Die personelle Situation in den Kitas trägt maßgeblich zu den problematischen Arbeitsbedingungen bei. Zu große Gruppen erhöhen Stress und Lärmpegel, lassen kaum Zeit für Dokumentation und individuelle Betreuung und demotivieren zusätzlich. Wir haben das von den Erzieherinnen und Erziehern immer wieder gehört. Hinzu kommt, dass viele Kommunen aufgrund der gewachsenen Nachfrage die Gruppen noch weiter vergrößern. Das alles geht nicht nur zulasten der Kinder, sondern eben auch zulasten der Erzieherinnen und Erzieher. Sie kennen die Forderung der LIGA, die schon seit dem letzten Jahr einen anderen Betreuungsschlüssel fordert.
Der zweite Punkt unseres Antrags betrifft die Vergütung. Die 2005 in Kraft getretene Veränderung des Tarifsystems vom Bundesangestelltentarifvertrag zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst benachteiligt Sozial- und Erziehungsberufe maßgeblich. Diese Berufe werden im Vergleich zu den alten BAT-Regelungen deutlich abgewertet. Sie kennen die Zahlen. Ich möchte hier nur noch erwähnen, dass vollbeschäftigte Erzieherinnen und Erzieher in Sachsen mit einem Einstiegsgehalt von 1 750 Euro brutto ins Berufsleben starten.
Die Berufsgruppe, liebe Kolleginnen und Kollegen, die mittlerweile nach übereinstimmender pädagogischer Sichtweise am wichtigsten für den Bildungs- und Lebensweg eines jungen Menschen ist, bekommt also nur die Hälfte der Vergütung eines Lehrers und ein Drittel der Vergütung eines Professors. Die weiteren Aufstiegswege sind auch relativ unverbindlich.
Ich denke, die Vergütung muss dringend geändert werden, wenn wir auch Männer für diesen Beruf gewinnen wollen
nicht nur deswegen, natürlich nicht! – und wenn wir nicht riskieren wollen, dass ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher in andere Länder abwandern.
Um der Aufwertung des gesamten frühpädagogischen Bereichs und dem damit einhergehenden Bildungsauftrag der Bildungsberufe gerecht zu werden, ist entsprechend der Arbeitnehmerforderung eine Eingruppierung der Erzieherinnen und Erzieher in Entgeltgruppe 9 und Entgeltgruppe 10 sinnvoll und notwendig. Darüber hinaus muss klar sein, unter welchen Bedingungen der Aufstieg in höhere Entgeltgruppen möglich ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss will ich noch zum letzten Punkt, zur Gesundheitsförderung, kommen. Die derzeitigen Regelungen zur Gesundheitsförderung in Sozial- und Erziehungsberufen benachteili
gen die Beschäftigten, weil sie Gesundheitsförderung in erster Linie als deren berufliche Eigenverantwortung definieren, statt über individuelle Rechte eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Das heißt in der Realität, dass der Arbeitgeber am längeren Hebel sitzt und sich letztlich bei ganz konkreten Fragen des Gesundheitsschutzes gar nichts bewegt.
Wir sind uns sicher einig, dass in diesem Bereich vielleicht am ehesten eine tarifvertragliche Einigung gelingt, nicht zuletzt, weil es hier bestenfalls indirekt um Geld geht.
Die von den Gewerkschaften geforderten individuellen Beschäftigungsrechte, die regelmäßige Überprüfung der tatsächlichen Arbeitsbedingungen und die Einrichtung paritätisch besetzter Gremien zur Verbesserung der Gesundheitsförderung sind deshalb zu unterstützen. Sollte eine Einigung nicht zustande kommen, dann muss der Freistaat prüfen, ob nicht eine Verbesserung der Gesundheitsförderung durch geeignete rechtliche Möglichkeiten zu erreichen ist.
Ich kündige an, dass wir eine punktweise Abstimmung erreichen möchten.
Danke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegt natürlich nahe, dass der Antrag etwas mit dem Streik zu tun hat, aber als der Antrag eingereicht wurde, war noch nicht abzusehen, dass wir in dieser Woche die Streikenden vor dem Plenarsaal begrüßen durften. Deshalb finden Sie in dem Antrag auch die Forderungen wieder, die wir schon die ganze Zeit aufgemacht haben. Das betrifft die Änderung des Betreuungsschlüssels, der dann automatisch zu einer besseren Gesundheitsprävention bei den Erzieherinnen und Erziehern führt. Auch im Zusammenhang mit der Erzieherinnenausbildung haben wir immer wieder darauf hingewiesen, dass die Vergütung dieses Berufes einfach zu niedrig ist. Insofern, Frau Dr. Schwarz, ist Ihr Vorwurf nicht berechtigt. Es ist natürlich klar, dass bei der Finanzierung Step by Step wichtig ist. Sie haben aber auf ein kostenloses Vorschuljahr gesetzt. Wir haben damals schon gesagt, dass das nicht den Effekt bringt, den wir brauchen. Genau das erleben wir jetzt.
Es ist natürlich klar, dass es ausgerechnet beim letzten Antrag der Opposition schwerfallen wird, uns zuzustimmen. Aber mit Ihrer Zustimmung könnten Sie Erzieherinnen und Erziehern, Eltern und Kindern ein Signal geben, dass Sie sich nicht nur in den Reden hier draußen, wie das diese Woche der Fall war, auf ihre Seite stellen, sondern auch, wenn es im Plenum zur Sache geht. Mit einer breiten Zustimmung zu diesem Antrag könnten wir alle auf einer gemeinsamen Grundlage in die nächste Legislaturperiode starten. Das wäre für Kindern, Eltern, Erzieherinnen und Erzieher gleicherweise gut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gesagt worden, dass ich heute hier das letzte Wort habe. Das stimmt natürlich nicht, weil der Präsident nach mir das letzte Wort hat. Aber ich bin zumindest die letzte der Abgeordneten, die hier spricht. Ich werde das hier nicht ausnutzen, aber ich möchte doch ein paar Worte sagen.
Wir haben in den letzten Jahren gemeinsam gestritten, haben politische Entscheidungen gefällt. Wir haben uns manchmal angenähert, auch wenn ich denke, dass das zu selten war. Insofern hoffe ich, dass sich alle diejenigen, die es vorhaben, sich hier weiterzustreiten, in der nächsten Legislaturperiode wiedersehen und uns vielleicht der eine oder andere größere Wurf gelingt, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Eines ist das Parlament allerdings nicht, nämlich eine Schwatzbude.
Bestenfalls sagen die Debatten hier im Hohen Haus etwas über die politische Kultur in unserem Land aus. Hier sollten wir uns alle bemühen, dass dieses Aushängeschild, das wir nach außen bieten, positiv wahrgenommen wird.
Danke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kindertageseinrichtungen sind Bildungsorte. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass das unter uns nach der Diskussion in dieser Legislaturperiode Konsens ist – bis ich das Wahlprogramm der CDU gelesen habe. Darin ist in erster Linie von Betreuungseinrichtungen die Rede. Deshalb meine ich, man muss die Forderung hier immer wieder aufmachen, dass Kindertageseinrichtungen Bildungsorte sind und als solche auch entwickelt werden müssen. Deshalb fordern wir, dass die Kindertageseinrichtungen für alle Kinder offenstehen. Sie benötigen gut ausgebildetes Fachpersonal und die entsprechenden Rahmenbedingungen.
Von der Situation in Sachsen können wir uns ein Bild machen, wenn wir die Große Anfrage der FDP lesen. Auf den ersten Blick steht Sachsen bei dem Ausbau der Betreuungsplätze ganz gut da. Die durchschnittliche Besuchsquote der Ein- bis Dreijährigen in den Kindertageseinrichtungen liegt bei fast 50 %, also ein ganzes Stück über den vom Bund vorgegebenen Zielvorgaben für 2013. Aber im Vergleich mit den anderen neuen Bundes
ländern steht Sachsen nicht mehr so gut da. Im „Länderreport frühkindliche Bildungssysteme 2008“ der Bertelsmann Stiftung reicht es für Sachsen bei der Betreuung der unter 3-Jährigen nur für den letzten Platz. Das bedeutet, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Kitas in Sachsen nicht allen Kindern offenstehen. Oder anders gesagt: Die Plätze reichen nicht.
Dazu kommt, dass auch die Wachstumsraten für KitaPlätze bei den unter Dreijährigen eher gering sind. Der Bereich, welcher rasant wächst und allzu gern vergessen wird, ist die Kindertagespflege. Allein in Leipzig stieg die Anzahl der Plätze von 2007 auf 2008 von 1 007 auf 1 264. Das entspricht immerhin einem Viertel der Betreuungsplätze für die unter Dreijährigen in Leipzig. Aber bisher, liebe Kolleginnen und Kollegen, vernachlässigt die Staatsregierung die Kindertagespflege sträflich. Das ist bei dem Umfang der Plätze wirklich nicht mehr zu verantworten.
Noch etwas wird deutlich: Es gibt in Sachsen ein großes Gefälle in puncto Bildungsangebote. Es haben eben nicht alle Kinder die gleichen Chancen, einen Platz zu bekommen. Hoyerswerda mit einer Besuchsquote von 81 % bei den Ein- bis Dreijährigen ist die absolute Ausnahme. In Annaberg oder Stollberg besuchen gerade einmal 32 % bzw. reichlich 39 % die Einrichtung.
Sicher werden Sie sagen, dass der Bedarf nicht in allen Regionen gleich sei. Das stimmt auch. Aber dieses Gefälle hat wohl eher etwas mit dem tatsächlichen Angebot an Betreuungsplätzen zu tun. Und dann können wir nicht behaupten, dass die Bildungschancen von Kindern in allen Regionen in Sachsen gleich seien. Die Zahlen sprechen dagegen.
Nun zum pädagogischen Fachpersonal in Sachsen. Bereits vor etwas mehr als einem Jahr diskutierten wir hier zum Thema „Bedarf an pädagogischen Fachkräften in sächsischen Kindertageseinrichtungen“. Schon damals forderten wir GRÜNEN ein Konzept. Wir brauchen doch jetzt die Investitionen in die Ausbildung an Fachschulen und an Hochschulen. Jetzt! Schauen wir auf die Zahlen der Großen Anfrage, stellen wir fest, dass die Anzahl der Absolventen an sächsischen Fachschulen zur Erzieherausbildung weiterhin zu wünschen übrig lässt. Deutliche Steigerungen gibt es nur in den Fachschulen in Zwickau und Wildenfels. An allen anderen Standorten sehen wir nur minimale Zuwächse, wenn nicht sogar Rückgänge zu verzeichnen sind. Auch hier hat der Länderreport „Frühkindliche Bildungssysteme 2008“ auf einen in Sachsen – und hier zitiere ich – „auffällig niedrigen Anteil der im Praktikum bzw. in der Ausbildung befindlichen Beschäftigten“ hingewiesen.
Die Frage bleibt also: Wo sollen die gut ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher herkommen? Wir freuen uns über steigende Geburtenzahlen. Wir sehen, dass immer mehr Eltern Elterngeld beziehen. Aber dass diese Kinder auch einmal in die Kita kommen, scheint bei uns noch nicht angekommen zu sein.
Wie soll der vorhandene Platzbedarf denn ausgeglichen werden? Wir wissen um den hohen Altersdurchschnitt der Erzieherinnen in den Kindertageseinrichtungen. In den Zahlen hier finden wir es schwarz auf weiß. Die größte Gruppe bei der Altersstruktur der Erzieherinnen und Erzieher sind die 50- bis 55-Jährigen. 4 429 Erzieher und Erzieherinnen sind hier zum Stichtag 15. März 2008 erfasst worden.
Kommen Sie, Frau Dr. Schwarz, mir dann nicht mit genau diesem Gegenargument beim Streit um einen niedrigeren Betreuungsschlüssel! Immerhin hat ihn Ministerpräsident Tillich in seiner Regierungserklärung gestern für den nächsten Doppelhaushalt schon einmal ins Auge gefasst – wenn denn den Wählern diese vage Aussicht reicht. Jedenfalls müssen wir erst einmal Erzieherinnen und Erzieher ausbilden, ehe wir sie in unseren Kitas einsetzen können.
Die wird uns wirklich kein Bundesland schenken. Im Gegenteil, wenn wir nicht die Rahmenbedingungen verbessern, werden die Erzieherinnen und Erzieher abwandern. Denken Sie an die Situation bei Lehrern und Ärzten, dann wissen Sie, was uns da erwartet. Nur wer ein attraktives Berufsbild schafft – und dazu gehören auch eine faire Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen –, der wird das entsprechende Personal bekommen. Ihren Forderungen haben die Streikenden gestern vor dem Landtag Nachdruck verliehen.
Wie wichtig ist Ihnen denn frühkindliche Bildung wirklich, wenn Fachpersonal und Pädagogen für dieses Alter Mangelware sind? Bei den Kindern bis zu drei Jahren sind sie kaum zu finden. Bitte erklären Sie uns das doch einmal. Es kann nicht sein, dass gut ausgebildetes Fachpersonal erst im Hortbereich zu finden ist.
Da sind wir schon wieder bei den Rahmenbedingungen. Warum erscheint der Bereich der frühkindlichen Bildung wohl so wenig attraktiv für Fachpersonal? Auch diese Frage hätten Ihnen die Kolleginnen und Kollegen gestern vor dem Landtag beantworten können. „Allen Kindern gleiche Bildungschancen“ – das ist das Credo, das alle Fraktionen vertreten. „Allen Kindern gleiche Bildungschancen“ heißt aber auch, die Eltern in ihrer Entscheidung, welche Einrichtung und welche Betreuungsform sie für ihr Kind wählen, zu unterstützen und ihnen keine Steine in den Weg zu legen. Von einer echten Wunsch- und Wahlfreiheit sind wir in Sachsen noch weit entfernt. Wenn in Dresden zum Beispiel die durchschnittliche Wartezeit auf einen Krippenplatz ein Jahr beträgt, sind Eltern unter Umständen für jeden Betreuungsplatz dankbar, ganz egal welcher Qualität.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um Investitionen kommen also weder das Land noch die Kommunen herum. Wir GRÜNEN sagen: Gerade am Anfang ist gute Bildung wichtig. Dies muss sich bei dem entsprechenden Personal, bei den Rahmenbedingungen für Kindertageseinrichtungen und natürlich auch in der Kindertagespflege niederschlagen. Nur dort, wo Eltern für ihre Kinder
eine echte Auswahl an Betreuungsplätzen haben, kann sich auch ein qualitativ hohes Angebot durchsetzen.
Bildung und insbesondere die frühkindliche Bildung dürfen keine Sparbüchse sein – leider wird vor allem die Kindertagespflege in einigen Städten als solche verwendet –, sondern frühkindliche Bildung muss als das gesehen werden, was sie ist: eine Investition in die Zukunft, und zwar eine, die sich lohnt. Sie lohnt sich für die Kinder, für die Eltern, für die Kommunen und auch für das Land.
Danke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wäre schon interessant, genauer zu wissen, warum die Koalition nicht wenigstens dem Punkt 1 zustimmen kann. Ich kann im Punkt 1 nichts finden, was nicht durch die Große Anfrage bestätigt wäre, keinen einzigen Punkt.
Wir werden dem Antrag zustimmen, auch dem Punkt 2, obwohl wir an zwei Stellen Anmerkungen hätten; aber die Begründung ist ja nicht Bestandteil unserer Abstimmung.
Uns ist jedenfalls 1 : 12 im Kita-Bereich eindeutig zu wenig, wir wollen mehr Verbesserung; und die Fort- und Weiterbildung ist nicht nur zu sichern, sondern auszubauen. Die Diskussion hat, denke ich, gezeigt, dass wir, wenn wir so weitermachen, das Angebot bald nicht mehr aufrechterhalten, geschweige denn ausbauen können. Aber es sind nur die beiden kleinen Kritikpunkte, wie Herr Neubert schon sagte. Es geht in die richtige Richtung, und deshalb können wir zustimmen.
Danke.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach deutschem Recht sind alle Menschen von Geburt an Träger aller Rechte. Sie genießen den vollen Schutz des Grundgesetzes. Müssen also die Rechte von Kindern noch einmal explizit in der Verfassung hervorgehoben werden?
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, sie müssen noch einmal explizit hervorgehoben werden, weil die Praxis zeigt: Die Mitumfassung reicht nicht. – Es geht eben nicht nur darum, unsere Kinder zu schützen, sondern auch darum, sie zu fördern, ihnen die Möglichkeit zu geben, selbst aktiv zu werden, sich zu beteiligen und anerkannt zu werden. Kinder haben Rechte, und diese müssen sie auch einfordern können.
Mitumfassung – also, bei Familie sind Kinder immer mit gemeint, liebe Kolleginnen und Kollegen –, reicht nicht. Das zeigt sich im Übrigen auch in der politischen Praxis. Wir haben uns mal die Mühe gemacht und einen Blick in die Wahlprogramme 2009 bis 2014 der Sächsischen Union, der SPD und auch der FDP geworfen.
So finden wir bei der Union, Sachsen solle zum familienfreundlichsten Bundesland werden, und das heißt dann: Wir werden die Möglichkeiten prüfen, wie die Betreuungsangebote für Kinder von Berufstätigen verbessert werden können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Union ist offenbar trotz aller Diskussionen hier im Hohen Haus noch nicht angekommen, dass es sich um frühkindliche Bildungsangebote handelt. Da hat offenbar auch die Übernahme des Kita-Bereichs in das Kultusministerium nicht
den Aha-Effekt ausgelöst. Noch schlimmer, Sie sagen, sie wollen Betreuungsangebote für Kinder von Berufstätigen ausbauen. Und was ist mit den Kindern, deren Eltern keine Arbeit haben? – Da sind Sie offenbar mit der derzeitigen Situation zufrieden – trotz Zugangsbeschränkungen in den Kommunen. Landeserziehungsgeld und Kita-Besuch sollen sich offenbar auch weiterhin ausschließen, obwohl damit Kinder benachteiligt werden, weil sie eben keinen eigenen Anspruch auf frühkindliche Bildung haben, sondern der Anspruch von der Familiensituation abhängig ist. Kinder als eigenständige Individuen mit eigenen Rechten und Interessen, die nicht immer deckungsgleich mit denen der Erwachsenen sind, die gibt es im Regierungsprogramm – im Regierungsprogramm! – der CDU nicht, auch nicht bei der Stadtentwicklung und nicht unter dem Stichwort „Entwicklung des ländlichen Raumes“.
Und die FDP, die sich als Bürgerrechtspartei versteht?
Kinderrechte sind auch Bürgerrechte. Aber alles, was der FDP einfällt, ist auch in ihrem Wahlprogramm die Kinderkommission. Auch hier befinden allein Erwachsene, nämlich Landtagsabgeordnete, darüber, was für Kinder gut ist. Kinder selbst können sich nicht äußern. Immerhin sind kurze Schulwege und zeitlich flexible Betreuungseinrichtungen sicher auch im Interesse der Kinder. Aber dass diese Kinder auch eigene Ansprüche, Wünsche und Interessen haben und dass sie das Recht haben sollten, ihre Umwelt, zum Beispiel das Dorf oder den Stadtteil, mitzugestalten, das kommt auch bei der FDP mit keinem Wort vor.
Allein im Programm der SPD wird die Frage gestellt, wie Kinder Demokratie erfahren und auch selbst gestalten können. Bildungseinrichtungen – Kita, Schule, Hochschule – werden als die Lernorte der Demokratie beschrieben. Das ist gut, aber vielleicht nicht genug, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
Zurück zu unserem Gesetzentwurf, der drei Kernpunkte umfasst:
Die Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen wird hervorgehoben – Punkt 1. Das heißt, der eigene Anspruch der Kinder wird damit anerkannt.
Zweitens leitet sich daraus das Recht der Kinder und Jugendlichen ab, an allen Entscheidungen, die ihr Leben unmittelbar betreffen, auch beteiligt zu werden.
Drittens. Bei allen politischen und staatlichen Entscheidungen sind deren Folgen für Kinder und Jugendliche mit zu bedenken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese drei Punkte sind gedeckt von der UN-Kinderrechtskonvention, die in Deutschland vor 20 Jahren unterzeichnet wurde. Dazu gehören nun einmal Prävention, also Kinderschutz, Protektion, ihre Stärkung und ihre Förderung, und Partizipation, ihre Beteiligung, und es ist unser aller Auftrag, alle drei Punkte umzusetzen.
Um das hier noch einmal ganz deutlich zu sagen: Es ist ein Unterschied, ob jemand für mich entscheidet oder ob ich selbst mitentscheiden kann. Unter uns Erwachsenen unterscheiden wir diese Dinge gemeinhin mit Selbst- und Fremdbestimmung. Wie Kollege Krauß von der CDU im Ausschuss so schön sagte: Wir haben doch schon 120 Erwachsene im Landtag als Abgeordnete sitzen. Wozu brauchen wir da noch spezielle Interessenvertretung für Kinder? – Aber wie findet sich das im Wahlprogramm wieder – das habe ich Ihnen gerade geschildert – und wie sieht es dann aus, wenn wir einen Interessenkonflikt zwischen Kindern und Erwachsenen haben? Was, wenn Kinder einen Freizeitort brauchen oder wünschen, aber Erwachsene dort baulich etwas ganz anderes vorhaben? Wie sieht es denn in der Stadtentwicklung aus, wo werden da die Kinder gefragt? Ich kann es Ihnen sagen: zum Beispiel in Rheinland-Pfalz oder in Schleswig-Holstein, dort nämlich, wo dieses Recht in den Gemeinde- und Landkreisordnungen den Kindern zugestanden wird.
In der Anhörung im Ausschuss antwortete Prof. Lenz auf die Frage, ab wann Kinder geistig reif seien für die Entscheidung, zum Beispiel in der Wahlkabine. Er sagte: Mit zwölf Jahren sind Kinder kognitiv voll entwickelt. Entwicklungsphysiologisch und sozialtheoretisch spräche also nichts gegen die Einbeziehung von Kindern und nichts gegen die Herabsetzung des Wahlalters.
Dazu noch ein Zitat aus der Anhörung im Sozialausschuss. Herr Neumann vom Sächsischen Landkreistag wehrte alle Ansätze der Absenkung des Wahlalters mit der Aussage ab, dass nur durch eine bloße Veränderung des Wahlalters noch lange keine wesentliche Voraussetzung für das Erleben einer funktionierenden Demokratie geschaffen ist. Recht hat er. Eben deshalb haben wir nicht die einfache Lösung der Absenkung des Wahlalters gewählt. Wir sagen gerade deshalb:
Erstens. Wir wollen, dass Kinder von früh an lernen, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, und gemeinsam konstruktive Problemlösungen finden. Das stärkt das Selbstwertgefühl der Kinder, und sie stellen dabei fest, dass sie
Verantwortung übernehmen können und dass wir als Erwachsene ihnen das auch zutrauen.
Zweitens wollen wir keine plakativen Lösungen, sondern kindgerechte. Das heißt, wir wollen eine altersgemäße Vielfalt an Beteiligungsmöglichkeiten.
Drittens. Wir wollen Mitbestimmungsverfahren und -möglichkeiten, die nicht nur bei den interessierten Mittelschichtkindern ankommen, sondern auch Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen erreichen. Gerade diese Kinder brauchen neue, andere, positive und selbstwertsteigernde Erfahrungen. Auch deshalb brauchen wir also vielfältige Formen der Beteiligung.
Damit Beteiligung von Kindern gelingt, damit Kinder Erfolg haben, brauchen sie natürlich die Unterstützung Erwachsener, sie brauchen sozusagen Coaching. Die Methoden müssen sowohl zum Alter der Kinder als auch zu den zu lösenden Problemen passen. Für Jugendliche gehört dazu eben auch zunehmend das Recht bei kommunalen Fragen, sich aktiv an der Wahl zu beteiligen. Sie müssen das Recht erhalten, ihre Erfahrungen mit demokratischen Wahlen zu machen, und in diese Verantwortung hineinwachsen.
Haben Sie den Gesetzentwurf gelesen oder nicht? Dann sehen Sie doch das Alter. Es ist gegenüber dem, was Sie gerade genannt haben, ein anderes. – Deswegen legen wir Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen vor.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sohn meiner Mitarbeiterin liebte seine Lehrerin in der Grundschule sehr. Er erklärte das seiner Mutter mit den Worten: Weißt du, die Frau M. sagt immer, sie lernt auch ganz viel von uns. – Bisher scheint diese Haltung noch nicht in der sächsischen Politik, zumindest nicht in der Koalition, angekommen zu sein. Sie können heute das Gegenteil beweisen, indem Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen.
Danke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sandig, ich weiß nicht, ob das die einzige Möglichkeit ist. Aber nun zu der anderen Möglichkeit, die Sie erwähnt haben, nämlich dass sich die Ministerin für dieses Thema stark macht: Das hätte sie in der Vergangenheit tun können und das hat offenbar nicht den gewünschten Effekt gehabt.
Demzufolge macht es durchaus Sinn, einen Beauftragten zu benennen und ihn in seinem Amt so zu stärken, dass er die Rechte für Menschen mit Behinderungen tatkräftig
unterstützen kann. Es gibt verschiedene Gründe, warum wir genau das tun sollten.
Unsere Fraktion hat in der Vergangenheit versucht, mit der Politik der kleinen Schritte immer wieder Verbesserungen für die Situation von Menschen mit Behinderungen zu erreichen. Manchmal hat uns die Linksfraktion dafür gescholten, dass wir sozusagen nicht den großen Wurf hier vorgelegt haben. Wir haben immer gesagt, dass wir erst einmal das Integrationsgesetz, wie wir es bisher haben, umsetzen wollen, und danach werden wir sehen, was ein neues Integrationsgesetz enthalten müsste. Das ist noch nicht in Gänze passiert. Im Gegenteil:
Wir haben einen Rückschritt erlebt, indem mit der Verwaltungs- und Funktionalreform Aufgaben von Landesebene auf die Ebene der Kommunen gegeben wurden, die aber laut Integrationsgesetz nicht verpflichtet sind, ihre Aufgaben barrierefrei anzubieten. Wir haben also versucht, mit kleinen Schritten Barrierefreiheit zu erreichen und auch die Kommunen dem Integrationsgesetz zu unterwerfen bzw. hauptamtliche Behindertenbeauftragte in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten einzurichten.
Wenn ein Behindertenbeauftragter auf Landesebene bestellt werden soll, werden wir uns dem nicht verschließen. Wir halten das für sehr sinnvoll und zumindest für die nächsten Jahre für geboten. Man kann darüber nachdenken, ob diese Position nach einem bestimmten Zeitraum nicht mehr gebraucht wird, wenn die Rechte von Behinderten dann stark in unser aller Denken verankert sind, dass es nicht mehr notwendig ist, explizit darauf hinzuweisen und hinzuarbeiten.
Wir haben in der nächsten Legislatur die Aufgabe vor uns, die UN-Konvention umzusetzen. Gerade für die Begleitung der Umsetzung der Konvention brauchen wir nicht nur ein Konzept, einen Aktionsplan, sondern wir brauchen jemanden, der mit seiner ganzen Person genau für diese Umsetzung steht, sie vorantreibt, begleitet und immer wieder den Prozess anstößt.
Es gibt einen Punkt in Ihrem Gesetzentwurf, mit dem wir nicht ganz einverstanden sind. Für sinnvoller halten wir, dass der Landesbehindertenbeirat ein Vorschlagsrecht für den Beauftragten hat; denn für eine starke Position brauchen wir eine Fachfrau oder einen Fachmann, gerade im Hinblick auf die vielfältigen Aufgaben, die in der nächsten Legislatur auf uns zukommen werden.
Nichtsdestotrotz stimmen wir dem Gesetz zu. Wir halten das für eine ganz entscheidende, wichtige Maßnahme, um der UN-Konvention in Sachsen Geltung zu verschaffen.
Danke.
Tierversuche an Katzen interjection: (Frage Nr. 17)
In meiner Kleinen Anfrage Drs 4/15039 zu Tierversuchen in Sachsen antwortete die Staatsregierung, dass im Jahr 2007 an 34 Katzen Tierversuche durchgeführt wurden.
Fragen an die Staatsregierung:
1. An wie vielen Katzen wurden in den Jahren 2002 bis 2006 jeweils Tierversuche durchgeführt?
2. Woher erhalten die Einrichtungen, die diese Tierversuche durchführen, die Katzen?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linksfraktion hat die heute vorliegende Große Anfrage zu Lebenslagen und Perspektiven älterer Menschen in Sachsen zusammen mit den Antworten der Staatsregierung gleich verwendet, um ein eigenes Papier „Altersarmut auf dem Vormarsch“ zu formulieren. Das kann man sicher so machen, aber dann sind die Fragen doch sehr an dem zukünftigen Ziel ausgerichtet, und das merkt man auch beim Lesen der Anfrage.
Was mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, an Ihrer Analyse stört, ist, dass sich die Fragen so völlig im Hier und Heute bewegen. Ich gebe zu, dass es genau das ist, was mich beim Lesen lähmt. Ich vermisse in den Fragen über die Analysen hinausweisende Visionen. Können Sie sich vorstellen, dass Menschen diesen Blick aufs Alter als grundsätzliche Einschränkung verstehen? Auch die Lebensentwürfe von Senioren sind vielfältig und werden es immer mehr. Mein Kollege Johannes Gerlach hat darauf schon hingewiesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion! Wo ist Ihr gestalterischer Ansatz, wo ist Ihre Vision? Ihre Fragen sind so begrenzt, dass Sie die einsilbigen und gewohnten Antworten der Staatsregierung geradezu provozieren. So fragen Sie nach der Gesamtsituation der älteren Menschen, nach den demografischen Daten, nach dem, was die Staatsregierung getan hat und in Bezug auf Altersarmut zu tun gedenkt. Sie erfragen die Einkommenssituation, die Wohnverhältnisse, die gesundheitliche Versorgung, die Freizeitangebote, das bürgerschaftliche Engagement. Erstens wissen wir vieles davon, es steht im Lebenslagenbericht, und zweitens: Warum fragen Sie zum Beispiel nur nach Begegnungsstätten? Warum beschränken sich die Fragen auf betreutes Wohnen, was ist mit neuen Wohnformen? Wir müssen doch fragen, wie wir die Verhältnisse gestalten können, sodass auch im Alter vielfältige Begegnungsräume da sind, und was eine Gesellschaft für alle Lebensalter eigentlich lebenswert macht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir GRÜNE haben andere Vorstellungen. Grüne Sozialpolitik will nicht bevormunden, und Fürsorge geht uns nicht über alles. Wir wollen, dass alle Menschen die Chance haben, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Dazu gehören finanzielle Leistungen, die vor Armut schützen, genauso wie Angebote, die ein eigenständiges Leben erst möglich machen, und das reicht von der Bushaltestelle und dem Einkaufsmarkt um die Ecke bis zu Nachbarschaftstreffs, Begegnungsstätten, ärztlicher Versorgung und eben auch Unterstützung bei Hilfe- und Pflegebedarf.
Dazu gehört aber auch der Wunsch, das Leben in den eigenen vier Wänden zu leben. Dazu gehört auch das Bedürfnis, am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu können. Teilhabe, das heißt Bildungs- und Kulturangebote zu besuchen, das heißt Möglichkeiten der Partizipation und Beteiligung wahrnehmen zu können, und zwar nach eigenem Gusto und nicht in vorgeschriebener Form. Deshalb haben wir damals Ihr Gesetz zur Seniorenmitwirkung abgelehnt.
Das ist das Themenspektrum, um das es hier geht. Da reicht es nicht zu fragen, was es schon gibt, sondern Sie müssen auch fragen, ob die Angebote die Menschen erreichen und ob diese den Vorstellungen der Menschen nahekommen. Das ist nicht nur ein Auftrag an die Staatsregierung, an die Politiker, sondern an uns alle.
Ja, ich gestatte eine Zwischenfrage.
Herr Pellmann, ich habe nichts gegen den wissenschaftlich untersetzten Lebenslagenreport. Man kann sich sicher darauf einigen, dass so etwas sinnvoll ist. Aber ich vermisse in Ihrer Anfrage tatsächlich Visionen, die über das, was wir alles schon wissen, und über das, was in so vielen Papieren steht, hinausreichen. Gegen den wissenschaftlich fundierten Report habe ich auch nichts.
Ich will noch einige Beispiele anfügen, die das untermalen können, was ich gerade gesagt habe. Im Eingangska
pitel erkennt die Staatsregierung, verglichen mit der Lebenssituation älterer Menschen in den anderen Bundesländern, generell keine wesentlichen Unterschiede mehr. Wie Sie zu dieser Einschätzung kommen, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, zumal Sie bei der weiteren Beantwortung der Fragen sehr wohl Unterschiede bekennen. Das ist zum Beispiel die zentrale Rolle der gesetzlichen Rentenversicherung für das Alterseinkommen. Auf die Prozentzahlen gehe ich jetzt einmal nicht ein. Das ist die wesentlich niedrigere Wohneigentumsquote in Sachsen – dazu ist hier schon etwas gesagt worden –, und das ist auch die Sparrate. Das sind wesentliche Unterschiede, jedenfalls nach meiner Meinung. Deshalb verstehe ich nicht, wie die Staatsregierung diese Frage so beantwortet.
Oder, gefragt nach dem Konzept der Staatsregierung zur aktiven Bekämpfung zunehmender Altersarmut – ich bin immer noch im Eingangskapitel –, bestätigt die Staatsregierung, dass sie es auch als ihre Aufgabe ansieht, Vorstellungen zu entwickeln. Sehr schön. Darüber bin ich ja erfreut. Aber weiß die Staatsregierung nicht mehr, dass sie als Anhang zum Sozialbericht 2006 eine Konzeption der Staatsregierung zur Vermeidung von Armutsrisiken und zur Förderung von Teilhabechancen in Sachsen, immerhin 44 Seiten, veröffentlicht hat?
Offenbar ist von den dort genannten Maßnahmen im Arbeitsalltag des Ministeriums, im praktischen Regierungshandeln nicht viel angekommen. Dann frage ich mich schon, welche Umsetzungschancen Konzepte überhaupt haben. Vielleicht dient die Debatte ja dazu, dass der Bereich Altenhilfe und Senioren im SMS mehr Bedeutung bekommt. Dann hätten wir schon etwas erreicht.
Weiter nachgefragt, was getan werden könnte, fällt der Staatsregierung nur ein, darauf zu verweisen, dass Menschen mehr Eigenverantwortlichkeit für die eigene Altersabsicherung aufbringen sollen. Ja, wie denn angesichts der oben zitierten Ergebnisse? Das Problem ist doch nicht, dass die Menschen nicht wissen, dass sie Eigenvorsorge betreiben sollen. Viele haben dafür einfach kein Geld übrig.
Frage II.22: Auf die Frage nach den von Altersarmut betroffenen oder bedrohten Personengruppen antwortet die Staatsregierung, es seien gering entlohnte Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte, Langzeitarbeitslose und Menschen, die nicht in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben. Aber wo ist Ihr Konzept, was bieten Sie für ein Szenario an, das nicht mehr allzu weit in der Zukunft liegt? Den gesetzlichen Mindestlohn lehnen Sie ja als nicht tauglich ab. Aber was dann? Was wollen Sie tun, damit Menschen, die lebenslang gearbeitet haben, im Alter nicht arm sind?
Wie wir wissen, erreicht ein Beschäftigter nach 45 Beitragsjahren nur mit mindestens 8,50 Euro Stundenlohn künftig eine Rente oberhalb der Grundsicherung. Deutschland ist ein Niedriglohnland. Sie wissen auch um die Zahl der Aufstocker, die ergänzend ALG II bekommen. Da müsste Ihnen eigentlich klar sein, welches
Problem Sie den Kommunen in Zukunft zuschieben. In jedem Jahr wächst die Gruppe der Menschen in Sachsen, die Grundsicherung im Alter beziehen. Bereits jetzt wächst diese Gruppe um tausend Menschen im Jahr. Malen Sie sich einmal aus, was passiert, wenn diese Menschen auf Hilfe und Pflege angewiesen sind! Im Übrigen blockieren Sie – die Koalition und namentlich die CDU – die Einrichtung von Pflegestützpunkten in Sachsen.
Noch einmal zur Frage II.22: Eine wahrlich eindimensionale Antwort auf die Frage nach Risikogruppen zukünftiger Altersarmut ist die Aufzählung der Staatsregierung. Weshalb ist denn ein Mensch langzeitarbeitslos? Warum sagen Sie nichts zu Menschen mit Behinderung, die geringere Chancen auf einen Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt haben; zu Menschen mit Suchterkrankungen usw.? Sie kommen über das Feststellen nicht hinaus. Damit brauchen Sie sich natürlich an dieser Stelle auch keine Gedanken über Prävention zu machen.
Leider provozieren die Fragen auch diese platten Antworten; aber damit will ich die Staatsregierung nicht in Schutz nehmen.
Danke.
Frau Präsidentin! Wir werden dem Antrag aus verschiedenen Gründen nicht zustimmen. Im Mai sollte, wenn auch zu spät, der Seniorenbericht vorgelegt werden. Den sollten wir abwarten, bevor wir weitere Dinge einleiten. Meine Skepsis gegenüber Konzepten habe ich vorhin im Übrigen schon erläutert. Das heißt aber nicht, dass keine mehr gemacht werden sollen.
Zu Punkt II.3 haben wir andere Auffassungen, die ich verschiedentlich schon dargelegt habe. Ich verzichte jetzt darauf. Wir als GRÜNE haben einfach ein anderes Rentenmodell. Zu den Feststellungen ist zu sagen, dass wir die Zahlen alle kennen. Sie standen im Bericht der Enquete-Kommission Demografie und verschiedentlich an anderen Stellen, zum Beispiel im Lebenslagenbericht. Man kann darauf verzichten, das erneut festzustellen. In Punkt IV steht mir das verfügbare Einkommen zu sehr im Vordergrund. Ich habe versucht, in meiner Rede darauf hinzuweisen, dass das ein wesentlicher Faktor ist, aber eben nicht der Alleinige. Das möchte ich nicht als zentralen Punkt stehen haben.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einmal im Jahr haben wir im Hohen Haus die Gelegenheit, jeweils über den Bericht des Petitionsausschusses des Vorjahres öffentlich zu sprechen und die Arbeit zu würdigen. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, mich zuerst bei den Mitarbeitern des Petitionsdienstes, dem Team von Frau Nolting, für ihre tatkräftige Unterstützung in allen Fragen und Anliegen und auch für ihre Geduld mit den Petenten und sicher auch manchmal mit uns zu bedanken.
Im vergangenen Jahr hat der Petitionsausschuss wieder eine Vielzahl von Petitionen beraten. Alle organisatorischen Angelegenheiten und der Kontakt zu den Petenten liegen in den Händen der Mitarbeiter des Petitionsdienstes. Sie schaffen somit überhaupt erst die Voraussetzungen dafür, dass wir so viele Petitionen bearbeiten können. Sie schaffen für uns eine produktive Arbeitsatmosphäre. Das ist ein Grund, weshalb ich gern im Petitionsausschuss arbeite.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vergangenen Jahr haben wir es endlich geschafft, dass Petitionen auch per Internet eingereicht werden können. Dadurch haben wir den Petitionsausschuss und auch das Parlament leichter zugänglich und transparenter gemacht. Es ist gut, dass uns das in dieser Legislatur noch gelungen ist. Ich hoffe, dass diese Möglichkeit auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsdienstes die Arbeit erleichtert, aber darin bin ich mir nicht so ganz sicher.
Die Arbeit im Petitionsausschuss bringt es mit sich, dass ich mich auch mit Themen beschäftige, die sonst eher nicht zu meinen Themenbereichen gehören. Ich persönlich erfahre das als Bereicherung. Auch die anderen Mitglieder des Ausschusses, die vor mir gesprochen haben, haben bereits darauf hingewiesen, wie wichtig Bürgernähe für sie ist und dass der Ausschuss eine Möglichkeit ist, den Kontakt zu Bürgern zu halten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Bericht können Sie nachlesen, mit welchen Themen sich die Menschen im vergangenen Jahr an uns gewandt haben. Fast 11 000 äußerten den Wunsch, einen Fonds einzurichten, aus dem die Schulmaterialien der Schülerinnen und Schüler finanziert werden sollen, deren Eltern über wenig Einkommen verfügen. Im Haushalt hat die Staatsregierung Geld vorgesehen – ob das ausreichend ist, ist eine andere Frage.
Auch die sächsischen Studierenden waren aktiv: Sie sammelten fast 8 000 Unterschriften zur Novellierung des Sächsischen Hochschulgesetzes und noch einmal 10 000 gegen die Unterfinanzierung der Studentenwerke.
4 000 Menschen haben sich für ein Klagerecht für Tierschutzvereine eingesetzt. – Wenn Sie sich darüber wundern, dass Frau Simon eine andere Zahl genannt hat, dann hat sie einfach anders sortiert. Die Zahl, die ich nenne, ist die Summe aus Sammel- und Massenpetitionen.
Es gab auch 1 000 Menschen, die sich für ein Mobilitätsticket für Geringverdienende ausgesprochen haben.
Einige dieser Themen haben hier im Landtag in der einen oder anderen Form eine Rolle gespielt. Was dabei deutlich wird: Bürgerinnen und Bürger interessieren sich für landespolitische Anliegen und sind bereit, sich für ihre Überzeugungen starkzumachen. Der Petitionsbericht beweist, dass die Menschen in Sachsen an Politik interessiert sind. Es ist an uns Abgeordneten, die Politik so zu gestalten, dass wir die Verbindung zu den Menschen und zu ihren Anliegen nicht verlieren.
Auch lokale Themen mobilisierten mitunter viele Menschen. So unterstützten 772 Bürgerinnen und Bürger einen geplanten Gemeindezusammenschluss im Landkreis Leipzig und über 800 Unterschriften gingen zum Thema Kiesabbau in der Nähe von Zwickau ein. Hier zeigt sich also ein ähnliches Bild: Die Menschen haben Lust und Interesse daran, ihre Umgebung mitzugestalten; aber sie vermissen es manchmal, dass sie dabei ernst genommen werden.
Diese Legislatur ist nun bald zu Ende und oft werden gerade in Wahlkämpfen die Bürgerin und der Bürger wieder entdeckt. Der Petitionsbericht zeigt, dass es uns ein Anliegen sein muss, die Menschen auch zwischen den Wahlen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Denn die Briefe der Menschen zeigen auch ihre Enttäuschung und ihren Frust – darüber, dass sie sich nicht ernst genommen fühlen, dass ihre Stimme nicht zählt, egal, wie viele sich hinter einem Thema versammeln, dass Entscheidungen nicht verständlich formuliert werden.
Hier stellt sich natürlich auch die Frage an uns Mitglieder des Petitionsausschusses, wie es mit unseren Entscheidungen aussieht. Herr Günther hat bereits darauf hingewiesen, dass die Antworten manchmal schwer verständlich sind. Das ist eine Form von Barriere und es ist deshalb ein Auftrag an uns alle, zu versuchen, bessere Formulierungen zu finden.
Auch das Problem, dass man an manchen Stellen doch nicht weiterhelfen kann, ist mir sehr bewusst und auch ich reibe mich daran. Kompromisse könnten manchmal konkret vor Ort gefunden werden. Aber genau dort hat der Petitionsausschuss auch seine Grenzen. Deshalb wünsche ich mir für solche Situationen zusätzliche Obleute, die vermittelnd eingreifen können.
Die Mitglieder des Petitionsausschusses, die mit in der Schweiz waren, wissen aus der Vorstellung des Systems in der Schweiz, dass dort andere Möglichkeiten bestehen.
Das wäre eine Idee, über die man nachdenken muss. Wir müssen auf alle Fälle verhindern, dass Menschen politikverdrossen werden.
Bedanken möchte ich mich zum Abschluss meiner Rede auch bei Bettina Simon, die als Ausschussvorsitzende unser „Schiff Ausschuss“ gesteuert hat, die das souverän und klug getan hat und dabei immer locker und freundlich geblieben ist.
Danke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Punkte gleich vorweg: Zum einen könnte ich den Beitrag meiner Kollegin Frau Schwarz hier wiederholen, denn wir sind uns in dieser Sache sehr einig. Zum anderen: Auch wir setzen uns für die Kindergrundsicherung ein, und das seit 2001. Wir haben uns die Arbeit gemacht, ein eigenes Modell zu entwerfen, zu berechnen und Finanzierungsvorschläge zu machen.
Außerdem haben wir unser Modell der Kindergrundsicherung in eine Vielzahl von Maßnahmen eingebettet, die die strukturelle Benachteiligung von armen Kindern beenden soll.
Unsere Überlegungen sind natürlich auch in der Diskussion mit einigen der Protagonisten des Bündnisses Grundsicherung bzw. in der Auseinandersetzung mit ihren Ideen entstanden. Auch wir wollen eine eigenständige Kindergrundsicherung, denn wir sind der Ansicht, dass Kinder Träger eines eigenen Rechtsanspruches sind. Das ergibt sich für uns auch klar aus der UN-Konvention. Damit haben sie natürlich auch Anspruch auf eine eigene Bedarfssicherung. Diese ist in Zeiten hoher Kinderarmut, wie schon geschildert, auch dringend nötig.
Wir fordern für jedes Kind bis zur Volljährigkeit einen monatlichen Betrag von 330 Euro. Damit unterscheiden wir uns etwas von den Forderungen des Bündnisses. Auch sie legen das Existenzminimum für Kinder in dieser Höhe fest; auch ihre Forderungen, den Betrag aller Kinder unabhängig vom Einkommen der Eltern auszuzahlen, deckt sich mit unserem Modell.
Gemeinsamkeiten gibt es auch bei der Idee, die ausgezahlte Summe zu besteuern und so sicherzustellen, dass das Geld besonders bei einkommensschwachen Familien ankommt.
Dann aber gehen die Meinungen auseinander. Statt noch einen Geldbetrag draufzulegen, wollen wir sofort in Infrastruktur investieren und Benachteiligungen, die
durch Strukturen entstehen, wie zum Beispiel fehlende Betreuungsmöglichkeiten oder Einschränkungen der Betreuungszeiten, abbauen; denn Geld allein reicht uns nicht. Es geht nicht darum, dass wir Eltern nicht zutrauen, verantwortungsvoll mit den Transferleistungen umzugehen; sondern wir sehen den Staat in der Pflicht, gerechte Bildungs- und Lebenschancen zu schaffen. Mehr Geld zu geben wird eben oft als Alibi genommen, um den Staat aus der Verantwortung zu entlassen. Damit werden Problemlagen privatisiert – frei nach dem Motto: Jetzt habt ihr das Geld, also müsst ihr selbst schauen, wie ihr euch zu Kinderbetreuung, Klassenfahrten und außerschulischen Bildungsangeboten organisiert.
Ich erinnere nur an die Pauschalierung von Leistungen. Wir wollen die Herausforderungen, denen sich Familien heute gegenübersehen, nicht jeder einzelnen Familie selbst überlassen, sondern verlässliche Angebote schaffen, die ihnen bei der erfolgreichen Bewältigung des Alltags auch wirklich zur Verfügung stehen, wenn sie diese benötigen.
Auch der Vorschlag des Bündnisses Grundsicherung erkennt genau dieses Problem an, nur kommen wir hier eben zu unterschiedlichen Lösungen. Wir wollen das Existenzminimum aller Kinder absichern und den Rest sofort in bessere Bildung, Erziehung und Betreuung sowie in Hilfs- und Unterstützungsangebote für Kinder und Eltern investieren. In Zeiten knapper Kassen, denken wir, ist das eine seriösere Lösung, als immer nur Geld zu versprechen, wohl wissend, dass nicht alles zu finanzieren ist.
Zum Ehegattensplitting könnte ich das wiederholen, was Frau Dr. Schwarz gesagt hat. Es ist ein längerer und ganz komplizierter Vorgang. Das Bundesverfassungsgericht würde es nicht durchgehen lassen, das Ehegattensplitting mit einem Federstrich abzuschaffen. Man muss sich ein Modell überlegen, das das Ehegattensplitting in einer anderen Form wieder aufgreift, zum Beispiel dem verdienenden Ehegatten einen Freibetrag zuzugestehen. Man muss das Ehegattensplitting ändern, weil es nicht mehr zeitgemäß und nicht mehr gerecht ist.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich in meinem Redebeitrag ausschließlich auf den Vollzug in freien Formen, der im Resozialisierungsgesetzentwurf der Linken beschrieben ist, beziehen.
Herr Bartl, unsere Fraktion gibt Ihren hier vorgetragenen Bedenken recht. Wir haben die gleichen Bedenken. Es ist eine der vielen Schwachstellen des Jugendstrafvollzugsgesetzes, den Vollzug in freien Formen nur unzureichend geregelt zu haben. Das versuchen Sie in Ihrem Gesetzentwurf zu ändern.
Allerdings gelingt Ihnen das nach unserer Auffassung nur unzureichend. Nach wie vor kann keine Jugendstrafgefangene und kein Jugendstrafgefangener erkennen, ob und unter welchen Bedingungen sie oder er die Jugendstrafe in freien Formen absolvieren kann. Das ist weder aus dem Jugendstrafvollzugsgesetz, das zurzeit gilt, noch aus dem uns heute vorliegenden Entwurf ersichtlich. Genau das wurde auch in der Anhörung kritisiert.
Die Staatsregierung selbst kann auf eine Nachfrage nicht sagen, wer einen Vollzug in freien Formen absolvieren soll, aber sie hat das Projekt „Vollzug in freien Formen“ schon einmal ausgeschrieben.
Auch im Gesetzentwurf der Linksfraktion ist der jugendliche Gefangene „geeignet“, wenn er den besonderen Anforderungen des freien Vollzugs genügt. Was diese besonderen Anforderungen sind und was den Jugendstrafgefangenen erwartet, steht in Ihrem Gesetzentwurf nicht drin. Die Fragen, die sich Jugendstrafgefangene stellen, werden nicht beantwortet: Wann komme ich in den Vollzug in freien Formen? Welche Voraussetzungen muss ich dafür erfüllen? Unter welchen Bedingungen habe ich dort meinen Vollzug zu absolvieren?
Gerade dann, wenn DIE LINKE und die Staatsregierung den Vollzug in freien Formen als gute Lösung im Hinblick auf das Ziel des Jugendstrafvollzuges Resozialisierung und Erziehung sehen, sollten Jugendliche motiviert werden, sich um diese Form zu bemühen und zu „bewer
ben“. Ohne Kriterien aber wird der Eindruck der Willkürlichkeit von Maßnahmen im Vollzug hervorgerufen.
Zudem stellt sich für mich die Frage, ob der Strafvollzug überhaupt durch Freie Träger durchgeführt werden darf. Eine hoheitliche Aufgabe in die Hände von Freien Trägern zu geben ist zumindest verfassungsrechtlich bedenklich. Neben den geschilderten Bedenken halten wir als Fraktion den Vollzug in freien Formen grundsätzlich für problematisch, und das ganz besonders in der von der Staatsregierung ausgelobten Form.
Zu unseren fachlichen Bedenken in dieser Hinsicht. Wir wollen regelmäßig die Unterbringung der Jugendstrafgefangenen im offenen Vollzug. Nur wenn das bei einzelnen Jugendstrafgefangenen nicht möglich ist, soll die Unterbringung im geschlossenen Vollzug vorgesehen sein. Das haben wir schon in unserem eigenen Jugendstrafvollzugsgesetzentwurf deutlich gemacht. Insoweit stimmen wir auch mit dem Gesetzentwurf der Linksfraktion überein. Ein neues Leuchtturmprojekt „Freie Formen“, das den Freistaat allein im Jahre 2009 1,4 Millionen Euro kosten soll und nur 20 Jugendstrafgefangenen zugute kommt, löst, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht die allseits bekannten strukturellen Probleme. Diese liegen nun einmal – ich werde an dieser Stelle nicht müde, Ihnen das immer wieder zu sagen – bei der Vorhaltung ambulanter Maßnahmen der Jugendgerichtshilfe. Das Geld und die Energie, die Sie hier auf den Vollzug in freien Formen verwenden, sollten Sie besser in ambulante Maßnahmen stecken.
Ihr Ministerium, Herr Staatsminister Mackenroth, sollte ambulante Maßnahmen, wie von uns vorgeschlagen, mitfinanzieren. Falls Sie dazu, Herr Bandmann, noch Argumentationshilfe brauchen – meine Kleinen Anfragen haben ergeben, dass in der JVA Regis-Breitingen nur halb so viele Jugendstrafgefangene aus Dresden einsitzen im Vergleich zu den Städten Leipzig und Chemnitz. Liebe Kollegen, halb so viel! Das müssen Sie sich bitte einmal vor Augen halten. Die Dresdner Justiz sendet nur halb so viele Jugendliche in Haft, wie es die anderen beiden großen Städte tun. Ergeben sich da für Sie nicht die Fragen, warum das so ist? Dresden hat eine bundesweit bekannte, sehr gut funktionierende Jugendgerichtshilfe. Deshalb können Richter in Dresden auf diese vielfältigen und passgenauen Angebote der Dresdner Jugendgerichtshilfe zurückgreifen. Das ist der Grund dafür. In den allermeisten anderen sächsischen Kommunen besteht genau bei der Jugendgerichtshilfe Handlungsbedarf. Herr Mackenroth, wie lange wollen Sie das noch ignorieren? Dort können Sie das Geld viel sinnvoller einsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur noch zwei Zahlen aus der Großen Anfrage. Die Stadt Dresden hatte von 2001 bis 2006 zwischen 75 und 140 Teilnehmer an sozialen Trainingskursen. Das ist eine Maßnahme der
Jugendgerichtshilfe. Die Stadt Leipzig hatte im selben Zeitraum nach eigenen Angaben schwankende Teilnehmerzahlen, aber immer rund zehn, also 75 bis 140 in Dresden und rund zehn in Leipzig. Es spricht im Übrigen Bände, dass keine aktuelleren Zahlen vorliegen.
Unser erstes Ziel sollte es deshalb sein, durch den Ausbau von sozialen Trainingskursen, von Täter-Opfer-Ausgleich, Betreuungsweisung, also Maßnahmen der Jugendgerichtshilfe, zu vermeiden, dass Jugendliche überhaupt in den Strafvollzug kommen. Dresden kann hier Vorbild sein. Anschließend können wir uns von mir aus auch mit dem Vollzug in freien Formen beschäftigen, und dazu sollte sich die Staatsregierung aber ausführlich mit der wissenschaftlichen Evaluation der in anderen Ländern bereits bestehenden Projekte vertraut machen. Aus den genannten Gründen können wir Ihrem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen.
Danke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Das erste und entscheidende Wort“ – mal sehen, ob es so kommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sachsen ist familienfreundlich. Das meint zumindest die Staatsregierung. Was aber bedeutet das? Meint die Staatsregierung damit, dass es tatsächlich bedarfsgerechte Betreuungsplätze für Kinder gibt und damit deren Eltern schnell in den Beruf zurückkehren können? Oder meint die Staatsregierung, dass es mit dem Landeserziehungsgeld eine zusätzliche Transferleistung für Eltern gibt, wie Herr Staatsminister Jurk heute früh gesagt hat? Nur können Kinder in dem Fall nicht in die Kita, und das hat der Staatsminister nicht gesagt. Oder meint die Staatsregierung mit „familienfreundlich“, dass das Sozialministerium inzwischen als familienfreundlicher Arbeitgeber zertifiziert ist? Und was, liebe Kolleginnen und Kollegen, sagen Kinder zu solchen Wünschen und Vorstellungen von Erwachsenen?
Wir wollen, dass Sachsen kinderfreundlich wird. Familienfreundlichkeit ist ohne Zweifel wichtig, aber regelmäßig wird einseitig auf Eltern und manchmal noch Wirtschaft geblickt. Die Begründung für diese Einseitigkeit: Mehr Geld und mehr Zeit für Eltern sollen auch mehr Geld und mehr Zeit für Kinder bedeuten. Das ist auch nicht immer falsch, aber es ist uns einfach zu wenig. Kinder und Jugendliche sind eigenständige Personen mit eigenen Wünschen an die Gesellschaft und natürlich auch an die Eltern.
Die UN-Konvention gibt uns nicht nur auf, Kinder zu schützen, sondern auch, sie zu fördern und zu beteiligen. Genau dafür müssen wir geeignete Formen schaffen. Wie können Kinder in die politische Meinungsbildung einbezogen werden? Unsere Fraktion sagt ausdrücklich nicht: über die Eltern. Kinder können und wollen sich selbst äußern, auch gegenüber Politik und Verwaltung.
Wir, unsere Fraktion, haben dazu einige mögliche Wege geprüft. Der Bundestag zum Beispiel macht es Kindern möglich, Petitionen zu schreiben. Das ist im Prinzip in Sachsen auch möglich, aber wenn Sie das Prozedere und die Sprache bei Petitionen kennen, dann wissen Sie, dass
das für Kinder nicht gerade einladend ist. Außerdem hat der Petitionsausschuss den Nachteil, dass er nicht selbst initiativ werden kann.
Eine Kinderkommission als Unterausschuss des Sozialausschusses, wie von der FDP vorgeschlagen, ist auch keine ausreichende Lösung. Der Unterausschuss sollte allein die Beschlüsse des Landtages auf die Folgen für Kinder überprüfen. Kinder und Jugendliche könnten dabei nicht aktiv mitwirken und ihre Ideen einbringen.
Unser Vorschlag lautet deshalb: Wir wollen einen Kinder- und Jugendrechtsbeauftragten ähnlich der Ausländerbeauftragten oder dem Datenschutzbeauftragten, an den sich Kinder und Jugendliche mit ihren Anliegen und Beschwerden wenden können. Er oder sie soll am Landtag angebunden sein und von ihm auch gewählt werden. Der Landesjugendhilfeausschuss erhält das Recht, eine geeignete Person vorzuschlagen. Damit wird sichergestellt, dass der oder die Beauftragte über die nötige Qualifikation verfügt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum einen wollen wir mit dem Gesetzentwurf erreichen, dass Kinder und Jugendliche in allen Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, mit entscheiden können, und zum anderen hat ein Kinder- und Jugendrechtsbeauftragter oder eine -beauftragte die klar festgelegte Aufgabe, die Kinderrechte, wie sie in der UN-Konvention beschrieben sind, umzusetzen. Damit ist er oder sie Partner der Landesebene für das von der UN geforderte Monitoring. Das heißt, er ist zuständig für den Bericht über die Umsetzung der UN-Kinderrechte auf Landesebene.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch etwas zur Argumentation der CDU im Ausschuss sagen. Dort wurde behauptet, wir bräuchten keine neuen Beauftragten, das Parlament bestehe ja aus 112 Kinderrechtsbeauftragten. Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie professionell und engagiert erledigen Sie denn Ihre Aufgaben? Was wissen Sie über Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder? Welche Kinderrechte des Übereinkommens über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen sind Ihnen hier sofort präsent? Wann haben Sie das letzte Mal mit Kindern und Jugendlichen diskutiert? Ich befürchte, die Antworten von einigen Kollegen – die im Übrigen nicht zuhören – wären blamabel. Sie haben nicht verstanden, dass man nicht automatisch Kinderpolitik machen kann, nur weil man Kinder oder Enkel hat. Niemand macht ja auch automatisch Finanzpolitik, weil er Geld in der Hosentasche hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Kinderpolitik gehören Fachwissen und Methodenkenntnisse. Daher wollen wir eine Expertin oder einen Experten, dessen Hauptaufgabe es ist, sich für die Kinderrechte in Sachsen starkzumachen.
Ich danke Ihnen.
Herr Kollege, dass es in Dresden so gut klappt, mag ja sein. Aber sind Sie nicht auch der Meinung, dass wir gerade dazu da sind, um auf Landesebene zu regeln, dass die Lebensverhältnisse von Kindern in allen Landesteilen gleich sind? Das heißt also, dass wir dafür sorgen müssen, dass es nicht nur in Dresden, sondern auch in kleinen Orten so ist, dass Kinderrechte beachtet werden, dass Kinder an Entscheidungen beteiligt werden usw.
Herr Kollege, ich kann Ihren Ausführungen nicht ganz folgen. Sie sagen, ein niedriger Sozialstatus hänge damit zusammen bzw. die Folge davon sei, dass Eltern mit ihren Kinder nicht zu Früherkennungsuntersuchungen gehen.
Ja, jetzt kommt die Frage. – Sie führen das noch weiter aus.
Das bedeutet, dass Sie der Meinung sind, dass Kinder, die in Familien mit einem niedrigen Sozialstatus aufwachsen, eher vernachlässigt werden als andere Kinder. Warum vertreten Sie nicht die Auffassung, die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder so weit anzuheben, damit der Sozialstatus automatisch ein anderer ist?
Frau Kollegin, Sie haben gesagt, wir hatten lange genug Zeit. Hatte der mitberatende Innenausschuss nach der Anhörung Zeit, im regulären Verfahren über das Gesetz zu beraten?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie haben im Ausschuss einen Gesetzentwurf beschlossen, der zahlreiche grundrechtsintensive Maßnahmen vorsieht, die gegen Kindesvernachlässigung und -missbrauch wirken sollen und nicht, wie die Überschrift suggeriert, lediglich die Förderung der Teilnahme von Kindern an Früherkennungsuntersuchungen sicherstellen sollen.
Der Juristische Dienst des Landtages hat in einem von uns im Februar beauftragten Gutachten festgestellt, dass Ihr Entwurf gegen Artikel 6 Grundgesetz und Artikel 22 Sächsische Verfassung verstößt. Sie waren nicht bereit, die Beratungen zum Gesetzentwurf zurückzustellen, um gemeinsam einen Weg zu finden, wie sich Elternrecht und Kinderrecht vereinbaren lassen, ohne gegen die höchsten Rechtsdokumente unseres Landes zu verstoßen.
Im Gegenteil, das Verfahren im Landtag war gar nicht geeignet, diese Bedenken im entsprechenden Ausschuss, dem Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss, noch zu diskutieren. Diese Bedenken sind erst mit dem Gutachten offensichtlich geworden und danach gab es keine Gelegenheit, das Gesetz in diesem Ausschuss zu beraten. Das haben Sie verhindert, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition.
Natürlich ist klar: Das Wohlergehen unserer Kinder ist ein hohes Gut und die immer neuen Fälle von Vernachlässigung, Misshandlung und Kindstötungen fordern uns auf zu handeln. Darin sind wir uns alle einig. Nur, die Antwort, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, darauf geben, ist schlicht falsch, und auch darüber sind sich fast alle Fachleute einig.
Sie stellen mit dem Gesetz alle Eltern unter Generalverdacht, und zwar deshalb, weil Sie nicht nur reagieren, wenn der Arzt Anzeichen von Vernachlässigung usw. feststellt, sondern weil Sie auch dann das Jugendamt als Letztes in der Kette tätig werden lassen, wenn Eltern –
aus welchen Gründen auch immer – ihr Kind nicht zu den U-Untersuchungen schicken. Das ist für Sie ausreichend Beleg dafür, dass Eltern ihre Kinder vernachlässigen und dass damit dieser Eingriff in das Grundrecht gerechtfertigt wäre.
Aber: Weil Sie das genauso machen und weil es überhaupt keinen Beleg für einen Zusammenhang zwischen Teilnahme an U-Untersuchungen und Kindesvernachlässigung gibt, wuseln Sie hier aktionistisch herum und nehmen ganz nebenbei eine empfindliche Störung des Arzt-Patienten-Verhältnisses in Kauf. Damit genau halten Sie Eltern davon ab, sich in Fällen von Überforderung dem Arzt anzuvertrauen.
Es muss zuerst die Frage beantwortet werden, die sich hier aufdrängt: Ist dieser Gesetzentwurf überhaupt geeignet, das angestrebte Ziel – und das ist nicht, wie im Titel genannt, eine Erhöhung der Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen, sondern das Erkennen von Vernachlässigung in bestimmten Familien – zu erreichen? Nur dann, wenn dieser Gesetzentwurf dazu geeignet wäre, wäre ein Eingriff in die Grundrechte überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, welchen Nutzen haben Vorsorgeuntersuchungen zur Aufdeckung von Fällen der Kindesvernachlässigung? Diese Frage habe ich in einer Kleinen Anfrage gestellt und in der Antwort schreibt die Staatsregierung, dass ihr „keine dezidierten Expertisen, Studien oder Evaluationen vorliegen, die belegen, dass Kinder, die nicht an den Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen, einem höheren Risiko ausgesetzt sind, misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt zu werden“. Das ist die Antwort der Staatsregierung.
Sie wollen jetzt jährlich über 2 Millionen Euro ausgeben, um ein System aufzubauen, das die Vorsorgeuntersuchung aller Kinder in Sachsen bis vier Jahren erfasst – ein System, von dem Sie überhaupt nicht wissen, ob es zu den gewünschten Ergebnissen führt. Das ist doch absurd, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eltern, die auch nach Aufforderung ihr Kind nicht zur Früherkennungsuntersuchung bringen, sollen vom Gesundheitsamt dem Jugendamt gemeldet werden. Das Jugendamt soll dann prüfen und eventuell aktiv werden. Dafür investieren Sie in die Ärzte, die Kassenärztliche Vereinigung und die Gesundheitsämter. Aber, bitte schön: Wo bleibt das Geld für die Jugendämter? Sie hören mit dem Geldverteilen genau da auf, wo die eigentliche Arbeit erst anfängt.
Ja, natürlich.
Ja, Herr Kollege, da haben Sie natürlich recht, dass das unter Umständen auch in diesen Untersuchungen erkannt wird. Es ist ganz klar, dass, wenn beispielsweise ein Kind nicht so richtig sehen kann, es dann ganz gut wäre, das Kind mit einer Brille zu versorgen oder eine Behandlung zu beginnen, damit es später einmal nicht schielt. Das ist sicher richtig. Auch dazu dienen die zwei Millionen.
Ja, er kann weiterfragen.
Ich bin dieser Meinung, weil – darauf gehe ich noch ein – diese Erkenntnisse durchaus auf anderem Wege und mit weniger Restriktion auch erreicht werden können.
Die ehemalige Ministerin Orosz hat hier bei geeigneter Gelegenheit darauf hingewiesen, dass es durchaus verschiedene Möglichkeiten gibt. Die wurden in Sachsen in der Vergangenheit auch genutzt, beispielsweise die Teilnahme an den U-Untersuchungen zu erhöhen. In Europa gibt es Länder, die verpflichtende U-Untersuchungen haben, und Länder, die das nicht haben. Es gibt Studien darüber, ob in den die U-Untersuchungen verpflichtenden Ländern die Teilnahme an diesen Untersuchungen höher ist als in den anderen. Das ist einfach nicht der Fall. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Damit ist Ihr Vorgehen ungeeignet.