Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Herr Winkler, Herr Dr. Friedrich, Herr Gerlach, Frau Schütz, Frau Klinger und Herr Schön.
Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat folgende Redezeiten für die Tagesordnungspunkte 1 und 3 bis 7 – Tagesordnungspunkt 2 müssen Sie erst einmal ausklammern – festgelegt: CDU 96 Minuten, Linksfrakti
on.PDS 72 Minuten, SPD 42 Minuten, NPD, FDP und GRÜNE je 30 Minuten, fraktionslose MdL je 5 Minuten und die Staatsregierung 72 Minuten. Die Redezeiten können wie immer von den Fraktionen auf die jeweiligen Tagesordnungspunkte entsprechend ihrem Redebedarf verteilt werden.
Ich bitte Sie, folgende Änderungen in der Ihnen vorliegenden Tagesordnung vorzunehmen. Der Tagesordnungspunkt 16, Kleine Anfragen, ist zu streichen. Ich frage, ob es zu der Ihnen vorliegenden Tagesordnung Ihrerseits noch Anträge gibt. – Das ist nicht der Fall. Dann gilt die vorliegende Tagesordnung von Ihnen als bestätigt.
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses „Klärung der Verantwortung des sächsischen Innenministeriums und des sächsischen Justizministeriums für Mängel und nicht nachvollziehbare Nachlässigkeit bei der Aufklärung von Strukturen Organisierter Kriminalität im Freistaat Sachsen sowie der Verantwortung der Sächsischen Staatsregierung für die jahrelange Nichtverfolgung der ermittelten Korruptions- und Straftatbestände“
Dieser Dringliche Antrag wurde entsprechend Artikel 54 der Verfassung des Freistaates Sachsen in Verbindung mit § 2 Abs. 1 des Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Sächsischen Landtages eingereicht.
Ich gehe davon aus, dass die Antragstellerin ihr Begehren begründen will. Wird dazu das Wort gewünscht? – Herr Gansel, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon am 12. Mai dieses Jahres, als die „Leipziger Volkszeitung“ zum ersten Mal über ein bis in höchste Kreise reichendes kriminelles Netzwerk berichtete, sprach das Blatt von Geheimdienstmaterial, das eine mittlere Staatskrise in Sachsen auslösen könne. Damals war die Brisanz der Informationen, die in dem 15 600 Seiten umfassenden Dossier zu Strukturen Organisierter Kriminalität enthalten sind, nur zu erahnen; inzwischen aber weiß man, dass sich die „Volkszeitung“ in einem Punkt geirrt hat: Wir steuern in Sachsen nicht auf eine mittlere, sondern auf eine große Staats- und vor allem Vertrauenskrise zu.
Schon die ersten Nachrichten über das, was in dem geheimen Material enthalten ist, klangen so, als ob sie nicht aus Sachsen, sondern aus Sizilien stammen würden. Führende Landespolitiker, darunter auch solche, die heute bundespolitische Bedeutung haben, leitende Staatsanwälte, hohe Polizeibeamte und Größen aus dem Rotlichtmilieu sollen ein kriminelles Beziehungsgeflecht eingegangen sein. Der Korruptionsexperte Jürgen Roth zählt zu
diesem Geflecht, das in der unmittelbaren Nachwendezeit entstand, „Beamte, die im Westen nichts mehr werden konnten, gut vernetzte ehemalige Stasi-Leute, dazu die osteuropäische organisierte Kriminalität, die kalabrische Mafiaorganisation Ndrangetha und die gewöhnliche einheimische Kriminalität.“
Die Medien berichten von gewichtigen Hinweisen auf Korruption, Amtsmissbrauch, Strafvereitelung, Verrat von Dienstgeheimnissen, Immobilienschiebereien, Erpressung, ja sogar Kinderprostitution. Selbst ungeklärte Todes- und Vermisstenfälle gehören zu diesem sicherlich dunkelsten Kapitel der Nachwendegeschichte Sachsens. So verschwand im Juli 1996 die Justizsekretärin Barbara Beer spurlos. Erst vier Jahre später entdeckte man in der Elsteraue bei Raßnitz Schädel und Skelettteile der Frau. Die 49-Jährige war vorher im Amtsgericht tätig. In einem vertraulichen Bericht des Landeskriminalamtes sollen sich Hinweise befinden, dass sie illegalen Immobilienschiebereien auf die Spur kam. Ein halbes Jahr vor der Beamtin verschwand bereits der 24-jährige Immobilienmakler Michael Mielke auf rätselhafte Weise. Von ihm fehlt bislang jede Spur.
Beide Fälle könnten dem Landeskriminalamt zufolge auch mit einem Mordanschlag zu tun haben, der im Oktober 1994 in Leipzig auf den städtischen Immobilienmanager Martin Klockzin verübt worden war. Dieser entkam nur knapp dem Tode. Von den vier Kleinkriminellen, die als Täter ermittelt wurden, erhielten drei lebens
länglich und einer zwölf Jahre Haft. Die mutmaßlichen Drahtzieher der Tat kamen Jahre später dagegen mit Geldstrafen davon. Beobachter wundern sich noch heute, dass die Leipziger Justiz bei den Kleinkriminellen über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausging, bei den Drahtziehern aber eine erstaunliche Milde walten ließ. Gegen mindestens zwei Personen aus dem Leipziger Sumpf hatte die OK-Abteilung des Verfassungsschutzes so viele Hinweise, dass eine Abgabe des Falles an die Staatsanwaltschaft vorgesehen war. Doch dazu kam es nie. Warum nicht?
Hier liegt neben den unaufgeklärten Todesfällen eine andere beunruhigende Dimension des sächsischen Mafiaskandals. Es geht nämlich nicht nur um das eine oder andere vereinzelte schwarze Schaf im sächsischen Justizapparat, wie uns das Justizminister Mackenroth stets treuherzig versichert, dessen Beschwichtigungsstrategie genauso fahrlässig wie unerträglich ist. Es geht vielmehr darum, dass sich in Teilen der sächsischen Justiz ein Geflecht aus Richtern und Staatsanwälten breitgemacht hat, das Prozesse ganz nach eigenem Gutdünken und nach politischer Opportunität steuerte. Der Skandalprozess gegen den früheren Chef des Leipziger Betriebes für Beschäftigungsförderung, Matthias von Hermanni ist ein Beispiel für diese Art von Justiz, die Unschuldige in ihren Mühlen zermahlt.
Doch wie wurde in Sachsen mit solchen sprichwörtlich furchtbaren Juristen, die Ermittlungsarbeiten blockierten, rechtsbeugerisch agierten und Prozesse manipulierten, umgegangen? Die Herren fielen die Karrieretreppe nicht etwa nach unten, sondern sie stolperten herauf. Erst im April dieses Jahres ernannte Justizminister Mackenroth Norbert Röger, eine der mutmaßlichen Schlüsselfiguren des Mafiasumpfes, zum Präsidenten des Amtsgerichtes Chemnitz. Anstatt diesen Mann, gegen den Verdachtsmomente schon vorher vorlagen, einfach vom Dienst zu suspendieren, gab es zur Beförderung noch ein paar warme Ministerworte. Um mit dem österreichischen Satiriker Karl Kraus zu sprechen: Da kann man gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.
In diesem Komplex hat man es mittlerweile mit fünf ungeklärten Todesfällen zu tun. Neben den Todesfällen von Barbara Beer und Michael Mielke, die in der Leipziger Immobilienbranche tätig waren, sind auch der fragwürdige Selbstmord des früheren Leipziger CDUSchatzmeisters und Bankiers Walter Bullinger zu nennen sowie der zweifelhafte Selbstmord des früheren Plauener Kripochefs Karl-Heinz Sporer sowie der Mord an dem Plauener Autohändler Andrej Kraft. Zudem ist an zwei nur knapp gescheiterte Auftragsmorde, nämlich an dem Leipziger Immobilienmakler Klockzin und an einer verdeckten Ermittlerin, die beinahe mit einem Drogencocktail ermordet wurde, zu erinnern.
Das alles soll sich nicht in Sizilien abgespielt haben, sondern hier in unserem Freistaat. Zudem gibt es den
abscheulichen Verdacht, dass hohe Beamte, Juristen, Polizisten und Politiker in dem 1993 ausgehobenen Leipziger Kinderbordell „Jasmin“ verkehrten und sich dadurch erpressbar machten. Überdies berichtet die Presse ziemlich aktuell, dass im Leipziger Rathaus regelmäßig tschechische Nutten ein- und ausgegangen sein sollen und dort hohen Kommunalpolitikern ihre Dienste angedeihen ließen, darunter womöglich einem, der heute als Bundesverkehrsminister in Berlin residiert. Gestützt auf die Akten kam auch der Verdacht auf, dass ein früherer sächsischer Innenminister sich bei Drogendealern mit „erfrischendem“ Kokain versorgt haben soll.
Wenn dieser zum Himmel stinkende Sumpf aus Organisierter Kriminalität und pseudodemokratischen Politikern noch kein Grund für die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses sein sollte, dann kann man dieses Instrument auch gleich ganz aus der Geschäftsordnung des Landtags und aus der Landesverfassung streichen.
Die NPD wird in jedem Fall das ihr politisch Mögliche tun, um diesen Sumpf auszutrocknen. Die Verharmlosungsstrategie ist angesichts der schwerwiegenden Verdachtsmomente eine Provokation gegenüber der sächsischen Öffentlichkeit. Wer die Aufklärung durch einen Untersuchungsausschuss verweigert, begibt sich in moralische Komplizenschaft mit dem korrupten Gesindel in Politik, Justiz und Polizei.
Das scheinen mittlerweile auch die PDS und die FDP so verstanden zu haben, worüber die Systempresse ja breit berichtet, während die NPD, die den Untersuchungsausschuss – jeder in diesem Hause weiß es doch – zuerst forderte, von der Systempresse wieder einmal totgeschwiegen wurde, wie ein Blick in den heutigen „Pressespiegel“ zeigt. Dass wir Nationaldemokraten aber die Ersten waren, die diesen bitternötigen Untersuchungsausschuss gefordert haben, davon sollten zumindest die Mithörer des MDR-Mittelwellensenders erfahren.
Meine Damen und Herren! Die Reihenfolge der Fraktionen, so sie dazu reden wollen: CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, FDP, GRÜNE; Staatsregierung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 2 Abs. 3 Satz 1 des Sächsischen Untersuchungsausschussgesetzes legt fest, dass ein Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor anderen Beratungsgegenständen auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Landtages gesetzt wird.
Wenn auch die Damen und Herren von der NPD-Fraktion im Hohen Hause zumeist Beiträge liefern, die bei den
Betrachtern Zweifel darüber aufkommen lassen, ob sie wirklich in der Lage sind, die geltenden Gesetze zu lesen und zu verstehen, so scheint zumindest die von mir eben zitierte Vorschrift von der NPD-Fraktion nicht nur gelesen, sondern auch verstanden worden zu sein. Die NPDFraktion hat erkannt, dass man einen Antrag nur mit dem Thema „Einsetzung eines Untersuchungsausschusses“ versehen muss, um an prominentester Stelle der Tagesordnung vertreten zu sein. So ganz sicher scheinen sich die Damen und Herren vom äußersten rechten Rand dann doch nicht gewesen zu sein. Zur Sicherheit fügen sie ihrem Antrag ganz unten auf der Seite die Wendung hinzu: „Es wird beantragt, den Antrag für dringlich zu erklären.“ Hier zeigt sich dann doch wieder, dass es schwierig ist, die Bedeutung der geltenden rechtsstaatlichen Vorschriften wirklich vollständig zu erfassen.
Die von mir zitierte Vorschrift macht einen Antrag mit dem Thema der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu einem durch Gesetz vorgeschriebenen Dringlichen Antrag. Einer Erklärung des Antrages zur Dringlichkeit bedarf es nicht, sondern sie wäre Unfug.
Eine ähnliche Bezeichnung verdient aber auch, was uns dann von der NPD-Fraktion als Untersetzung des Themas präsentiert wird. Da taucht ein wolkiger Bandwurmsatz über „nicht nachvollziehbare Nachlässigkeiten“ und Ähnliches auf, der auch nicht annähernd den Anforderungen des § 2 Abs. 3 und des § 3 Abs. 1 des Untersuchungsausschussgesetzes entspricht. Ein nach § 2 Abs. 2 bestimmter Untersuchungsauftrag ist aus ihren in der Tat nicht nachvollziehbaren Formulierungen nicht herauszulesen.
Nicht umsonst bestimmt § 3 Abs. 1, dass der Gegenstand der Untersuchung in dem Beschluss über die Einsetzung genau festzulegen ist. Dies bedeutet, dass man sich jedenfalls so lange mit der Stellung eines Antrages auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zurückhalten sollte, bis man ungefähr weiß, was man eigentlich will.
Das, was hier zusammengeschrieben wurde, ist letztlich nur der Ausdruck von Hilflosigkeit und der Unfähigkeit zu wirklicher parlamentarischer Arbeit. Wir werden diesen Antrag selbstverständlich ablehnen.
Meine Damen und Herren! Ich kann allerdings eine Sorge nicht verhehlen: Bereits gestern habe ich an dieser Stelle sehr deutlich gemacht, dass jene Vorgänge, die offenbar dem populistischen Vorpreschen der NPD zugrunde liegen, eine Herausforderung und eine Bewährungsprobe zugleich für den Rechtsstaat und seine Mechanismen im Freistaat Sachsen darstellten.
Herr Staatsminister der Justiz hat in der gestrigen Debatte hervorgehoben, dass auch gerade eine zügige, zielgerichtete, umfassende und vor allem rechtsstaatlich konforme Aufklärung aller im Raum stehenden Vorwürfe vor allem eines erfordert: die von Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Funktionsfähigkeit getragene Geduld.
Zurzeit wird eine völlig unrealistische Erwartungshaltung erzeugt, die Erwartungshaltung nämlich, dass auf den öffentlich geäußerten Vorwurf hin in wenigen Tagen die strafende Reaktion der Justiz erfolgt. Diese Erwartung kann im Rechtsstaat nicht erfüllt werden.
Meine Damen und Herren, sie wird aber auch nicht deshalb erzeugt, damit sie erfüllt wird, sondern sie wird – das ist das Perfide – gerade deswegen erzeugt, weil ganz gewiss ist, dass der Rechtsstaat und seine Institutionen diese unrealistische, unsinnige Erwartungshaltung nicht erfüllen können. Sie wird deswegen erzeugt, um den Rechtsstaat insgesamt zu diskreditieren, ihn schlechtzumachen,
seine Wirksamkeit anzuzweifeln, seine Institutionen und Funktionsweisen der Verdächtigung auszusetzen und damit das Vertrauen in eine ganz entscheidende wirkliche Errungenschaft der vergangenen 17 Jahre zu erschüttern. Das, meine Damen und Herren, müssen sich alle, die in dieser Weise mit dem populistischen Feuer spielen, deutlich gesagt sein lassen. Gewinnen wird bei einem solchen Vorgehen nur die Extreme.
Meine Damen und Herren! Ich fasse zusammen: Der uns vorliegende Antrag ist stümperhaft gemacht, und er ist das falsche Mittel mit der falschen Zielrichtung in der falschen Zeit. Er ist daher abzulehnen.