Protocol of the Session on January 25, 2008

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 100. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Brangs, Herr Wehner, Herr Clemen, Herr Pietzsch, Herr Schiemann, Herr Schön, Herr Prof. Weiss, Herr Dr. Müller und Frau Schüßler.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 bis 10 und 13 bis 18 folgende Redezeiten festgelegt: CDU 101 Minuten, Linksfraktion 77 Minuten, SPD 47 Minuten, NPD, FDP, GRÜNE je 35 Minuten, fraktionslose MdL je 6 Minuten und die Staatsregierung 77 Minuten.

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, aus der Ihnen vorliegenden Tagesordnung die Punkte 3 bis 7 und 10,

3. Lesungen, zu streichen, weil wir sie bereits behandelt haben.

Gibt es zu der Ihnen vorliegenden Tagesordnung Ergänzungswünsche? – Herr Lehmann, bitte.

Herr Präsident! Namens der Koalition bitte ich um Absetzung des Antrags „Nachhaltige Finanzierung sächsischer Förderprogramme“ in der Drucksache 4/9448. Wir möchten diesen Antrag zu einem späteren Zeitpunkt diskutieren. Ich bitte auch um Anpassung der Redezeiten.

Danke schön. – Gibt es weitere Anträge auf Veränderung der Tagesordnung? – Das ist nicht der Fall. Dann gilt die vorliegende Tagesordnung mit der beantragten Absetzung des Tagesordnungspunktes 15 als von Ihnen für unsere heutige Beratung bestätigt.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Erneute Blamage Sachsens verhindern – Gedenkstättengesetz endlich novellieren

Antrag der Linksfraktion

2. Aktuelle Debatte: Industriekultur in Sachsen: Potenziale ausschöpfen – Technikbegeisterung und Forscherdrang fördern

Antrag der Fraktion der FDP

Die Verteilung der Gesamtredezeit hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 36 Minuten, Linksfraktion 31 Minuten, SPD 12 Minuten, NPD 12 Minuten,

FDP 17 Minuten, GRÜNE 12 Minuten, Staatsregierung 20 Minuten.

Wir kommen zu

1. Aktuelle Debatte

Erneute Blamage Sachsens verhindern – Gedenkstättengesetz endlich novellieren

Antrag der Linksfraktion

Als Antragstellerin hat zunächst die Linksfraktion das Wort, danach CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung.

Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte die Fraktion DIE LINKE, das Wort zu nehmen. Herr Dr. Hahn, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Übermorgen werden wir hier in diesem Hause auf Einladung des Präsidenten des Landtages sowie des Ministerpräsidenten ganz sicher in würdiger und angemessener Art und Weise der Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Nach einer Ansprache von Georg Milbradt, so ist in der Einladung zu lesen, wird

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, die offizielle Gedenkrede halten.

Dieser Auftritt von Romani Rose, den wir sehr begrüßen, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit; denn bekanntlich gehört die von ihm geführte Organisation zu jenen NS-Opferverbänden, die in einer spektakulären Austrittswelle Anfang 2004 ihre Mitwirkung in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten aufkündigten.

Dieser Schritt kam damals keinesfalls überraschend; denn sofort nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Errichtung der Stiftung zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft im Herbst 2003 hatten die NSOpferverbände unisono ihre scharfe Kritik vorgetragen,

die von der Staatsregierung, insbesondere vom Ministerpräsidenten, zunächst ignoriert und später als angeblich „unglückliche Vorgänge“ bagatellisiert wurde.

Die massiven Vorbehalte der Opfer der Nazidiktatur hatte seinerzeit der Zentralrat der Juden in Deutschland prägnant auf den Punkt gebracht, als er am 21. Januar 2004 erklärte: „Durch die Konzeption der sächsischen Landesregierung, die auch bundespolitische Signalwirkung in der Gedenkstättenförderung hinsichtlich einer Re-Nationalisierung des Gedenkens entfaltet, wird geschichtspolitisch die Zeit nach 1945 unter dem Stichwort ‚doppelte Vergangenheit’ einer ‚Waagschalen-Mentalität’ ausgesetzt – mit den nationalsozialistischen Verbrechen in der einen und den kommunistischen Verbrechen in der anderen Waagschale.“

Mit dem Bild von der Waagschale verdeutlichte der Zentralrat der Juden den Kern des Problems. Es wird ein vermeintliches geschichtliches Kontinuum von 1933 bis 1989 suggeriert, bei dem die fundamentalen Unterschiede zwischen dem NS-Terrorregime und der DDR-Zeit und dem dort begangenen Unrecht eingeebnet und nivelliert werden.

Mit dem Austritt der NS-Opferverbände aus den Stiftungsstrukturen begann vor vier Jahren aus der Sicht der Linksfraktion eine geschichtspolitische Blamage für den Freistaat, die bedauerlicherweise bis heute andauert. Diese scheinbar unendliche Geschichte hat mehrere Ursachen, deren wichtigste ich hier klar benennen will: In Sachsen dominiert seit vielen Jahren ein staatlich verordneter Revisionismus in der offiziellen Erinnerungskultur und in der Geschichtspolitik, der bundesweit einmalig ist. Zwar wird nicht zuletzt auf Druck der SPD selbst in der Koalitionsvereinbarung die Singularität des Holocaust eingeräumt; aber diese Feststellung ist leider oftmals ein rituelles Lippenbekenntnis, wenn man sich die Praxis im Freistaat etwas genauer anschaut.

Damit will ich keinesfalls die redlichen Bemühungen der zuständigen Ministerin und ihrer Vorgängerin in Abrede stellen. Aber weder Frau Stange noch Frau Ludwig waren bzw. sind offenkundig in der Lage, sich in Bezug auf die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aus der geschichtspolitischen Umklammerung der sächsischen CDU zu lösen, die jede Korrektur verweigert.

Prof. Salomon Korn stellte in einer gemeinsamen Erklärung der Vertreter der Opfer- und Betroffenenverbände der nationalsozialistischen Verfolgung im Oktober 2007 mit gewisser Bitterkeit fest: „Unsere vielfältigen Bemühungen über Jahre hinweg und gegenüber wechselnden Ministerien haben zu keiner grundsätzlichen Änderung der Lage geführt.“

Vor wenigen Tagen nun ist die von den NSOpferverbänden und der Landtagsopposition seit Jahren angemahnte Änderung des Gesetzes von Frau Stange in einem Zeitungsinterview offiziell angekündigt worden. Für dieses wichtige Vorhaben, das angesichts der abtretenden Generation der Überlebenden des Holocaust umso dringlicher erscheint, ist ihr vor allem politische Durch

setzungskraft und viel Stehvermögen gegenüber dem Koalitionspartner zu wünschen. Auch die CDU sollte endlich begreifen, dass die demokratischen Parteien dieses Hauses bei aller Unterschiedlichkeit auch eine gemeinsame Verantwortung für eine demokratische Erinnerungskultur in Sachsen haben.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich habe eingangs auf die bevorstehende Rede von Romani Rose am kommenden Sonntag hingewiesen. Wir alle sollten ihn hier im Landtag herzlich willkommen heißen. Zugleich sollten wir seinen Beitrag als Geste guten Willens verstehen und anschließend als Parlament unseren Anteil für eine den geschichtlichen Ereignissen angemessene Gedenkstättenkultur in Sachsen leisten. Die scheinbar unendliche Geschichte des Streits mit den NSOpferverbänden muss möglichst bald ein Ende haben.

Wir brauchen – damit komme ich zum Schluss – endlich ein neues Gedenkstättengesetz, das die Singularität der Naziverbrechen auch in den Gremien der Stiftung eindeutig klarstellt. Denn bei aller berechtigten Kritik an der DDR und dem unbestrittenen Anspruch von Opfern des Stalinismus auf die Darstellung ihrer Verfolgung darf es bezüglich der Einzigartigkeit des Holocaust keinerlei Relativierung geben.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Hermsdorfer, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Hahn, bevor ich auf den Geist des Gedenkstättengesetzes, das in Sachsen zugrunde liegt, eingehe, noch ein Wort zu Ihrem Beitrag.

Ich finde es schon schlimm, wenn Sie in einer Aktuellen Debatte versuchen, Unrecht von Diktaturen gegeneinander aufzuwiegen, um hier Ihr eigenes Süppchen zu kochen.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linksfraktion)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir über die rechtliche Ausgestaltung des Umgangs mit den in Sachsen vorhandenen Gedenkstätten sprechen, so ist dies der Diskurs über einen ganz entscheidenden, im wahrsten Sinne des Wortes fassbaren Teil einer demokratischen Erinnerungskultur an das historische Erbe von Gewaltherrschaft.

Dieser Diskurs vollzieht sich in einer seit der Epochenwende Ende der Achtzigerjahre dynamischen und rasanten Veränderung der Diktaturrezeption in ganz Europa. Während bis zum Ende der Achtzigerjahre im westlichen, freien Teil Europas im Zentrum der Erinnerung an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, die mit ihren verheerenden Folgen in Deutschland und den im Zweiten Weltkrieg von deutschen besetzten Teilen Europas stand, beschränkte sich die Diktaturbetrachtung unter dem kommunistischen Regime ausschließlich auf die dienende

Funktion antifaschistischer Rhetorik als Mittel der Legitimation einer neuen, nunmehr kommunistischen Gewaltherrschaft.

Mit der Epochenwende von 1989 war die Verfassung mit dem Erbe der Diktaturen in Gesamteuropa eine nunmehr nicht mehr staatlich verordnete Aufarbeitung der Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft, sondern wurde gerade auch wegen der zeitlichen und unmittelbaren Erfahrungsnähe die kommunistische Gewaltherrschaft zum Gegenstand erhoben. Insbesondere in Deutschland, das Ursprung und Ausgang nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und im östlichen Teil zugleich und unmittelbar folgend Gegenstand der kommunistischen Diktatur war, machten und machen sich diese Epochenbrüche der Diktaturbetrachtung in besonderer Weise deutlich. So stand von Beginn an die Arbeit einer demokratischen Erinnerungskultur hier im Freistaat Sachsen im Spannungsfeld der historischen Spuren und der Erlebniswelten der in den Diktaturen unterworfenen Menschen. Ein Teil der spezifischen sächsischen Aufarbeitung wird manifest im wahrsten Sinne des Wortes im Umgang mit und an den Stätten des Wirkens der Unrechtssysteme.

Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten und das ihre Arbeit dann später regelnde Gesetz hat nicht mehr, aber auch nicht weniger zum Gegenstand als jene in Sachsen vorhandenen Stätten, die in besonderer Weise das Wirken der Diktatur in Deutschland dokumentieren. Sie soll die Orte in angemessener Weise bewahren. Dabei ist es unumgänglich, dass die persönlichen Erlebniswelten der der Diktatur Unterworfenen in die tägliche Arbeit der Stiftung stets aus deren jeweiliger Perspektive einbezogen werden.

Wichtig war und ist bei der Abfassung des Gesetzes über die Arbeit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, dass dieses in seinen Regelungen von einer breiten Mehrheit getragen wurde und weiterhin wird. Diesen besonderen Aspekt haben auch die Koalitionspartner bereits in der Abfassung des Koalitionsvertrages dokumentiert. Sie haben ausgeführt: „Deutsche Politikgeschichte ist immer auch deutsche Kulturgeschichte mit ihrem Glanz, ihren Brüchen in dunklen Epochen. Alle Kulturpolitik handelt indirekt und direkt vom Erinnern. Die weitere Ausgestaltung einer demokratischen Erinnerungskultur ist für die Koalitionspartner von herausragender Bedeutung. Nach Auffassung der Koalitionspartner leistet die umfassende und wichtige Arbeit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten einen maßgeblichen Beitrag zur Festigung und Fortentwicklung einer demokratischen Erinnerungskultur auf der Grundlage der bereits in der Präambel der Verfassung des Freistaates Sachsen niedergelegten leidvollen Erfahrungen mit nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft. Die Singularität des Holocaust während der Nazidiktatur steht für die Koalitionspartner außer Frage. Eine wichtige Grundlage der gedeihlichen Arbeit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten ist die Mitwirkung der Vertreter nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft in den Stiftungsgremien“. So die Koalitionsvereinbarung.

Die Koalitionspartner haben hier bewusst an den Auftrag der Sächsischen Verfassung angeknüpft, die in ihrer Präambel von den leidvollen Erfahrungen nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft, eingedenk eigener Schuld unserer Vergangenheit, ausgeht. Der Koalitionsvertrag hat bereits die herausragende Bedeutung der Arbeit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten hervorgehoben. Es ist dies der Ort, einmal ausdrücklich Herrn Dr. Haase und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre verantwortungsvolle Arbeit in der Stiftung zu danken.

Klar ist und bleibt beiden Koalitionspartnern aber auch, dass das sächsische Gesetz über die Stiftung unserer Gedenkstätten hier im Lande nur ein rein spezifisch auf unsere im Freistaat vorhandenen Erinnerungsorte zugeschnittenes Gesetz und damit nur ein Teil der demokratischen Erinnerungskultur sein kann. Dort unterscheiden wir uns, Kollege Hahn. Keinesfalls kann das Gesetz ausstrahlen oder als Schablone wirkender Regelungen in anderen Ländern oder sogar auf Bundesebene gesehen werden.