Protocol of the Session on May 29, 2008

Meine Damen und Herren! Ich darf Sie ganz herzlich begrüßen. Ich stelle fest, der Alltag hat uns wieder. Ich eröffne die 108. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Frau Orosz, Frau Simon, Herr Dr. Pellmann, Herr Teubner, Herr Hamburger und Herr Tillich.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Folgende Redezeiten hat das Präsidium für die Tagesordnungspunkte 2 bis 8 festgelegt: CDU 122 Minuten, Linksfraktion 94 Minuten,

SPD 59 Minuten, NPD, FDP und GRÜNE je 40 Minuten, Fraktionslose je 7 Minuten und die Staatsregierung 96 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können wie immer entsprechend dem Redebedarf auf die Tagesordnungspunkte aufgeteilt werden.

Meine Damen und Herren! Gibt es Ihrerseits Änderungen oder Ergänzungen für die heutige Tagesordnung? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Tagesordnung, so wie sie Ihnen vorliegt, für die heutige Beratung von Ihnen bestätigt.

Wir kommen damit zur Tagesordnung selbst. Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Berufsausbildung in Sachsen – vom Nachfrage- zum Bedarfsüberschuss

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

2. Aktuelle Debatte: Die inszenierte „rechte Gewalt“ – Rebecca K. und die Folgen

Antrag der Fraktion der NPD

Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 39 Minuten, Linksfraktion 26 Minuten, SPD 14 Minuten, NPD 17 Mi

nuten, FDP und GRÜNE je 12 Minuten und die Staatsregierung 20 Minuten.

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu

1. Aktuelle Debatte

Berufsausbildung in Sachsen – vom Nachfrage- zum Bedarfsüberschuss

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen der CDU und der SPD das Wort, die weitere Reihenfolge in der ersten Runde: Linksfraktion, NPD, FDP, GRÜNE, Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Ich erteile der CDUFraktion das Wort; Herr Petzold, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die positiven Meldungen zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt scheinen sich in den letzten Wochen regelrecht zu überschlagen: „Arbeitsmarktentwicklung mehr als positiv“ oder „Jeder Jugendliche soll eine Ausbildung bekommen“. Erstmals seit vielen Jahren wird der Ausbildungsmarkt in Sachsen für das Schuljahr 2008/2009 mehr Ausbildungsplätze anbieten, als Schulabgänger und damit Bewerber zur Verfügung stehen.

Das stimmt zunächst positiv. Wie oft haben wir in den letzten Jahren in diesem Hohen Haus besorgt über die

vielen Jugendlichen debattiert, die keinen Ausbildungsplatz erhalten und eine „Ehrenrunde“ drehen durften, um sich im darauffolgenden Jahr wieder um die Möglichkeit einer guten und zukunftsfähigen Berufsausbildung zu bemühen. Die Zahl der Altbewerber ging zwar in den letzten Jahren kontinuierlich zurück; trotzdem kann uns eine Zahl von über 11 000 jungen Menschen, die bereits ein Jahr auf einen Ausbildungsplatz warten, und weiteren fast 15 000, die sogar länger als ein Jahr um eine berufliche Ausbildungs- und damit Zukunftschance kämpfen, nicht befriedigen.

Der Umbruch am sächsischen Ausbildungsmarkt wird gravierend sein und er ist es bereits. Dort, wo in den vergangenen Jahren noch ausreichend Bewerber für Ausbildungsplätze zur Verfügung standen und die Unternehmen Chancen hatten, sich den besten auszusuchen, stehen potenzielle Bewerber kaum noch zur Verfügung.

Bereits im vergangenen Jahr konnten 15 % der sächsischen Betriebe ihre Ausbildungsplätze nicht mit geeigneten Schulabgängern besetzen. Diese Zahl, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird sich in den nächsten Jahren noch vergrößern. Sinkende Schülerzahlen auf der einen Seite und die überaus positive Entwicklung unserer sächsischen Wirtschaft auf der anderen Seite werden dazu führen, dass sich die Schere zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt noch rasanter öffnen wird, als bisher angenommen.

Das stellt uns, meine sehr geehrten Damen und Herren, vor neue Herausforderungen. Nicht mehr jeder Jugendliche soll nur eine Ausbildung bekommen, sondern jeder Jugendliche soll eine zukunftsfähige und bedarfsgerechte Ausbildung bekommen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Was heißt das konkret? Mit zurückgehenden Schülerzahlen und einem erhöhten Bedarf unserer sächsischen Wirtschaft wird sich der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften weiter verschärfen. Unser Ziel muss es daher sein, nicht jedem irgendeine Ausbildung um der Statistik willen zu vermitteln; es muss uns darum gehen, Ausbildungsplätze anzubieten, die in der sächsischen Wirtschaft und Verwaltung tatsächlich nachgefragt werden und für die zukunftssichere und attraktive Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Was nützt es uns, den tausendsten KfzMechaniker oder die hundertste Bürokauffrau auszubilden, wenn ein Bedarf nach derartigen Fachkräften in Sachsen nicht besteht.

(Caren Lay, Linksfraktion: Warum haben Sie es dann jahrelang gemacht?)

Wir müssen umsteuern, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist schon sehr viel passiert, aber wir müssen uns diesem Fokus noch mehr widmen.

Erstens. Die positive wirtschaftliche Entwicklung animiert größere Unternehmen, aber auch kleine und mittlere Unternehmen und das Handwerk, zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze bereitzustellen. Diesem Trend müssen wir folgen. Unsere Forderung nach dem Vorrang dualer Ausbildung ist aktueller denn je. Wir müssen bei unserer Förderung gezielt auf diesen Trend eingehen. Nicht die Förderung vollzeitschulischer Angebote – vielleicht noch in Berufen, die niemand in Sachsen nachfragt – muss im Fokus stehen, sondern praxisnahe Ausbildung.

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Zweitens. Wir brauchen eine noch bessere und realitätsnahe Berufsorientierung, die verbindlich gestaltet ist und Perspektiven vermittelt, die auch tatsächlich vorhanden sind. Diese muss noch frühzeitiger als bisher ansetzen und unmittelbarer Bestandteil des Unterrichts sein. Der Berufswunsch eines Kindes in der 1. Klasse ist sicher noch vom Elternhaus und aktuellen Einflüssen geprägt, ob es nun der Feuerwehrmann, der Busfahrer oder der Lokführer ist. Ab Klasse 5 bestehen jedoch schon gute Voraussetzungen, die Kinder mit einer sinnvollen Berufs

orientierung an ihren zukünftigen Beruf heranzuführen, und nicht erst in Klasse 8 oder 9, wo altersbedingt andere Schwerpunkte im Fokus der pubertierenden Jugend stehen, die zudem von medialen Schönwetterkampagnen beeinflusst werden. Lehrer müssen dabei noch stärker die Möglichkeit erhalten, den Dialog mit der Wirtschaft – auch im eigenen Interesse – zu führen und somit zu erkennen, wo die Schwerpunkte der beruflichen Erstausbildung liegen. Es darf uns nicht darum gehen, einen Lehrplanbestandteil abzurechnen. Wir tragen an dieser Stelle eine besondere Verantwortung für unsere Kinder und Jugendlichen.

Drittens. Es muss uns gleichzeitig gelingen, die Ausbildungsfähigkeit unserer jungen Menschen zu verbessern und die Zahl der Geringqualifizierten zu verringern. Noch heute verlassen – hier die aktuelle Zahl – 5,5 % unserer Mittelschüler die Schule ohne Abschluss. Das waren vor einigen Jahren noch 10 %, aber auch 5,5 % sind noch zu viel.

(Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Petzold?

20 bis 25 % der Schulabgänger – –

Ja, bitte. Entschuldigung, ich möchte den Satz noch zu Ende führen dürfen.

20 bis 25 % der Schulabgänger sind nur bedingt ausbildungsfähig und müssen mit hohem Aufwand nachqualifiziert werden. – Bitte schön.

Herr Kollege, darf ich Ihre Forderung, die Zahl gering qualifizierter Schulabschlüsse zu verringern, so verstehen, dass auch Sie den Hauptschulabschluss abschaffen wollen?

Nein, natürlich nicht. Unser Schulsystem ist gut aufgestellt und kann diese Aufgabe, die ich jetzt formuliert habe und die vor uns gemeinsam steht, meistern. Das ist überhaupt keine Frage.

(Widerspruch des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Gehen Sie bitte ans Mikrofon, wenn Sie eine Frage stellen wollen.

Wir müssen aber über das normale Maß der schulischen Bildung hinausgehen, wenn wir die Zahl der Schüler ohne Abschluss und mit bedingter Ausbildungsfähigkeit minimieren wollen. Wir müssen leistungsschwache Schüler noch individueller fördern, Teamarbeit in den Schulen noch stärker zum Bestandteil des Unterrichts machen und Sozialkompetenzen, wie Leistungsorientierung und Lernmotivation, entwickeln.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sachsen befindet sich beim Thema Berufsausbildung im Umbruch. Wir

müssen uns von alten Rezepten und dem Willen, jedem Schulabgänger irgendeinen Ausbildungsplatz zu vermitteln, lösen. Nur so wird es uns gelingen, den Zwiespalt zwischen Demografie und Entwicklung unserer Wirtschaft im Hinblick auf den Bedarf –

Bitte zum Schluss kommen.

– an gut ausgebildeten Fachkräften zu überwinden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung, vereinzelt Beifall bei der SPD)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort.