Protocol of the Session on March 17, 2006

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 44. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Herr Tillich, Frau Klinger, Herr Neubert, Herr Hamburger, Frau Clauß, Herr Nolle, Herr Baier und Herr Schön.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung unserer heutigen Beratung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 2 bis 8 folgende Redezeiten festgelegt: CDU-Fraktion 80 Minuten, Linksfraktion.PDS 60 Minuten, SPD-Fraktion 35 Minuten, NPD-Fraktion, FDP-Fraktion und GRÜNE-Fraktion je 25 Minuten, fraktionslose MdL je 4 Minuten, Staatsregierung 60 Minuten. Die Redezeiten können wie immer entsprechend dem Bedarf auf die Tagesordnungspunkte verteilt werden.

Meine Damen und Herren! Ich bitte, in der Ihnen vorliegenden Tagesordnung die Punkte 2 bis 4, 3. Lesungen, zu streichen, da wir sie bereits gestern abgearbeitet haben.

Gibt es zu der Ihnen vorliegenden Tagesordnung Ihrerseits noch Änderungs- oder Ergänzungswünsche? – Das ist nicht der Fall. Dann gilt die hier vorliegende Tagesordnung mit den entsprechenden Veränderungen als beschlossen.

Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung selbst eintreten, möchte ich auf ein Vorkommnis zurückkommen, das am Mittwoch hier im Plenarsaal stattgefunden hat, das allerdings nicht in der Weise öffentlich wurde, dass es Abgeordnete gehört haben,

zumindest nicht in Größenordnungen. Mir liegt ein Protokollauszug der 42. Sitzung von Mittwoch, dem 15. März 2006, betreffend Tagesordnungspunkt 14, vor. Nach dem Redebeitrag des Abg. Bräunig ist der Zwischenruf „Kinderschänderparteien!“ des Abg. Gansel verzeichnet. Für diesen für die anderen Fraktionen verleumderischen Zwischenruf erteile ich nachträglich einen Ordnungsruf.

Den Mitgliedern des Hauses steht es frei, wegen dieser Äußerung weitergehende Schritte zu prüfen.

Ich möchte das begründen. Zwar dürfen Abgeordnete zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie im Landtag oder sonst in Ausübung ihres Mandats getan haben, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder außerhalb des Landtages zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt aber nicht für verleumderische Beleidigungen. Solche unwahren, ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen, zum Beispiel „Kinderschänderparteien“, sind strafbar.

So steht es im Protokoll. Sie können es nachlesen. Es ist von Ihnen auch nicht widersprochen worden. Damit ist dieser Ordnungsruf wirksam und auch begründet.

(Holger Apfel, NDP: Stellen Sie Strafanzeige! – Jürgen Gansel, NPD: Dann kommt es wenigstens in die Medien!)

Sie sollten sich durch qualifizierte Äußerungen im Parlament auszeichnen und nicht durch unqualifizierte Zwischenrufe.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Schwindende Wirtschaftsdynamik in Sachsen als Gefahr für den Arbeitsmarkt im Freistaat

Antrag der Fraktion der FDP

2. Aktuelle Debatte: Stand und Perspektiven der Gemeinschaftsschule in Sachsen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Verteilung der Gesamtredezeit hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU-Fraktion 36 Minuten, Linksfraktion.PDS 26 Minuten, SPD-Fraktion und NDPFraktion jeweils 17 Minuten, FDP-Fraktion und GRÜNE

Fraktion jeweils 12 Minuten; Staatsregierung, wenn gewünscht, 20 Minuten.

Wir kommen zu

1. Aktuelle Debatte

Schwindende Wirtschaftsdynamik in Sachsen als Gefahr für den Arbeitsmarkt im Freistaat

Antrag der Fraktion der FDP

Zunächst hat die antragstellende Fraktion der FDP das Wort. Die Reihenfolge in der ersten Runde: CDUFraktion, Linksfraktion.PDS, SPD-Fraktion, NPDFraktion, GRÜNE-Fraktion; Staatsregierung, wenn gewünscht.

Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Fraktion der FDP das Wort nimmt. Herr Morlok, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Bayern und Sachsen sind im Wachstum Spitze“ – das war die Schlagzeile der „FAZ“, allerdings im Februar 2005.

(Heinz Lehmann, CDU: Das gilt aber noch heute!)

Ein Jahr später titelt die gleiche Zeitung: „Das Saarland ist Spitzenreiter – der Osten verliert an Boden“. Die heimische Presse, zum Beispiel die „Sächsische Zeitung“, titelt: „Sachsens Wirtschaft schrumpft“. In der „Freien Presse“ können wir nachlesen: „Sachsens Wirtschaft geht die Puste aus.“

Man muss feststellen: Leider liegen diesen Presseschlagzeilen konkrete Zahlen zugrunde. Wenn wir uns das Bruttoinlandsprodukt anschauen, stellen wir fest, dass es in Deutschland insgesamt im Jahr 2005 um 0,9 % gewachsen, in Sachsen aber um 0,1 % gesunken ist. Nur Brandenburg steht schlechter da. 2004 im Vergleich mit Bayern genannt, 2005 im Vergleich mit Brandenburg genannt – ich weiß nicht, ob das eine große Auszeichnung für die Wirtschaftspolitik ist.

Natürlich hat diese negative wirtschaftliche Entwicklung Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote in Sachsen betrug 2004 noch durchschnittlich 19,6 % und ist 2005 auf 20 % angestiegen. Besonders Besorgnis erregend sieht es im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit aus. Hatten wir 2004 noch eine Arbeitslosigkeit von 15,1 %, beträgt sie 2005 im Jahresdurchschnitt 18,5 %. Das ist ein Anstieg um 3,4 Prozentpunkte oder 23 %. Das ist eine Besorgnis erregende Entwicklung, die ihre Ursache in der fehlenden Wirtschaftsdynamik in Sachsen hat.

Selbst wenn man bei der Arbeitslosenquote aktuelle Zahlen zugrunde legt, zum Beispiel die Entwicklung von Februar 2005 auf Februar 2006, kommt man zu dem Ergebnis, dass wir in Sachsen zwar einen Rückgang von 20,2 % auf 19,5 %, also um 0,7 Prozentpunkte, haben; aber in den ostdeutschen Bundesländern ist die Arbeitslosenquote von 20,8 % auf 19,5 %, also um 1,3 Prozentpunkte, gesunken. Daran wird deutlich, dass Sachsen nicht mehr Spitzenreiter ist. Wir stehen hintan. Die anderen ostdeutschen Länder sind inzwischen erfolg

reicher als wir in Sachsen. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir das ändern können.

Wir nehmen sehr wohl zur Kenntnis, dass wir im verarbeitenden Gewerbe eine andere Entwicklung verzeichnen können. Hier hatten wir im Jahre 2005 noch eine Bruttowertschöpfung von 6,4 % zusätzlich. Allerdings war der Anstieg – das bitte ich Sie alle zu beachten – in 2004 noch 13 % gewesen. Auch hier ist die Dynamik erheblich zurückgegangen. 6,4 % allein sind kein schlechtes Ergebnis; wenn man sie aber mit den 13 % des Vorjahres vergleicht, muss man feststellen: Von Dynamik gibt es keine Spur mehr. Die relativ hohen Wachstumsraten gehören der Vergangenheit an: 2003 1,8 %, 2004 2,1 %, 2005 minus 0,8 % – Sachsen ist abgestürzt!

Wir haben über das Thema „Flut-Sonderkonjunktur“ in diesem Hause schon diskutiert. Als ich das im letzten Jahr angesprochen habe, hat man die Vermutung weit von sich gewiesen, dass es so etwas überhaupt geben würde. In einer jetzt, im Februar 2006, herausgegebenen Mitteilung des Wirtschaftsministeriums heißt es: „Für diese ungünstige Entwicklung dürfte dabei vor allem das Auslaufen der Flut-Sonderkonjunktur verantwortlich gewesen sein.“ Vollkommen richtig!

Nur wer sich in der Vergangenheit die hohen Wachstumszahlen als persönlichen Erfolg auf die Fahne geschrieben hat, wer sich in der Vergangenheit wider besseres Wissen als Sieger des Jahres mit den hohen Wachstumsraten feiern lassen hat, der muss auch die Verantwortung für diesen Absturz und für wesentlich niedrigere Wachstumsraten übernehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Petzold, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Von nachlassender Wirtschaftsdynamik in Sachsen kann keine Rede sein.

(Beifall bei der CDU)

Überhaupt halten wir die Behandlung dieses komplexen Themas für eine Aktuelle Debatte als höchst ungeeignet. Die Antragstellerin denkt, entgegen ihren sonstigen wirtschaftspolitischen Ansprüchen, in kleinen Karos. Zunächst einmal muss für eine seriöse Aussage zur wirtschaftlichen Entwicklung von einem längeren Zeitraum ausgegangen werden.

Es ist unbestreitbar – Herr Morlok, Sie selbst haben es gesagt –, dass Sachsen in den Jahren 2002 bis 2004 als

Bundesland mit der größten Wirtschaftsdynamik ausgewiesen wurde. Ich verweise auf das bekannte Ranking der „Wirtschaftswoche“: „Im Betrachtungszeitraum hat der Freistaat Sachsen mit 3,3 % Zuwachsrate das stärkste Wirtschaftswachstum.“ Zugleich waren wir das einzige Bundesland, in dem die Arbeitslosenquote nicht stieg. Besonders von den übrigen neuen Bundesländern haben wir uns deutlich abgehoben. Stärkster Anstieg der Arbeitsproduktivität, das geringste Plus bei der Pro-KopfVerschuldung sind dafür Zeugnis. Sachsen ist dabei mit dem Prädikat versehen, in der Politik die richtigen Prioritäten bei Wirtschaft, Bildung und Ansiedlung von Unternehmen zu setzen. Hier von verfehlter Wirtschaftspolitik zu sprechen ist schlicht und einfach falsch.

(Beifall bei der CDU)

Auch im insgesamt schlechteren Jahr 2005 muss man sich schon der Mühe unterziehen zu differenzieren. Im verarbeitenden Gewerbe hatten wir mit plus 7,6 % Bruttowertschöpfung wieder solide Zuwachsraten und deutschlandweite Spitzenwerte.

Auch die produktionsnahen Dienstleistungen legten zu. Selbst Handel und Gastgewerbe entwickelten sich positiv.

Das verhaltene Konjunkturergebnis des Jahres 2005 begründet sich hauptsächlich mit einem drastischen Rückgang der Umsätze im Baubereich und im Tagesgeschäft in ganz normalen Absatzschwächen im ersten Quartal 2005. Ein nach wie vor nicht abgeschlossener Konsolidierungsprozess und der Wegfall der flutbedingten Sonderaufträge sind Ursachen beim Bau.

Mit einer nach wie vor hohen Investitionsquote und höchstmöglichen Vergaben der öffentlichen Hand an die einheimischen Bauunternehmen hat das Land das ihm Mögliche getan. Schon im zweiten Halbjahr 2005 hat sich die konjunkturelle Dynamik wieder merklich verstärkt, angetrieben von industrie- und wirtschaftsnahen Dienstleistungen. Alle Prognosen sprechen dafür, dass sich dieser positive Trend auch in diesem Jahr fortsetzt. 17 % der Unternehmen planen, ihre Investitionsausgaben aufzustocken. Die Auftragslage der Industriebetriebe stimmt positiv. Unternehmensnahe Dienstleistungen profitieren davon. Ich zitiere den Konjunkturexperten Gerit Vogt im heutigen Interview mit der ddp: „Sachsens rückläufiges Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr bleibt eine Ausnahme.“ Es werde die Wirtschaft im Freistaat in diesem Jahr wieder überdurchschnittlich stark wachsen. Aufgrund anhaltend starker Exporte und der steigenden Binnennachfrage werde für das Jahr 2006 ein Zuwachs von 2,1 % erwartet. Der Freistaat liegt damit deutlich über dem erwarteten Bundesdurchschnitt von 1,7 %. – Alles klar?