Protocol of the Session on May 30, 2008

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 109. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Heidan, Herr Teubner, Herr Hamburger, Herr Baier, Frau Köditz, Frau Mattern, Herr Tillich und Herr Petzold, Winfried.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 bis 9 folgende Redezeiten festgelegt: CDU 85 Minuten, Linksfraktion 65 Minuten, SPD 40 Minuten, NPD, FDP, GRÜNE je 30 Minuten, fraktionslose MdL je 5 Minuten und die Staatsregierung 65 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können wie immer auf die Tagesordnungspunkte entsprechend dem Redebedarf aufgeschlüsselt werden.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnungspunkte 3 und 4, 3. Lesungen, sind von der Tagesordnung zu streichen.

Des Weiteren ist mir mitgeteilt worden, dass auch Tagesordnungspunkt 7, gemeinsamer Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD, Drucksache 4/12240, und Tagesordnungspunkt 9, Drucksache 4/12258, Antrag der Fraktion der FDP, abgesetzt werden sollen.

Meine Damen und Herren! Aufgrund der veränderten Tagesordnung frage ich an, ob es dann noch eine Mittagspause geben sollte.

(Zurufe: Nein!)

Wer dafür ist, dass wir durcharbeiten, den bitte ich um das Handzeichen. – Gut, dann verfahren wir so; danke schön.

So weit zu den Änderungen unserer heutigen Tagesordnung.

Es ist mir angezeigt worden, dass Frau Abg. Schmidt eine Erklärung abgeben möchte; bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte daran erinnern, dass genau zu dieser Stunde vor 40 Jahren in Leipzig die Universitätskirche Sankt Pauli gesprengt worden ist – eine mich als Leipziger Abgeordnete bewegende Sache. Ich möchte dem nichts weiter hinzufügen.

(Beifall bei der CDU, der NPD, der FDP, den GRÜNEN, den Abg. Martin Dulig und Dr. Gisela Schwarz, SPD, sowie der Staatsregierung)

Frau Schmidt, wir verstehen Ihre innere Bewegtheit. Es ist wichtig, dass wir an diesen Tag erinnern. Damals wurde ein mittelalterliches Zeugnis christlicher Kultur zerstört und für eine Idee geopfert, die von den Menschen nicht nachvollziehbar war. Ich danke Ihnen, dass Sie daran erinnert haben.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der NPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren, gibt es zu der Ihnen vorliegenden Tagesordnung weitere Änderungsanträge? – Wenn das nicht der Fall ist, dann werden wir die Tagesordnung entsprechend abarbeiten.

Ich bitte auch unsere Stenografen um Verständnis, dass wir beschlossen haben, heute durchzuarbeiten.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und die wachsende Armut in Sachsen

Antrag der Linksfraktion

2. Aktuelle Debatte: Gesunde Ernährung kann man lernen

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Die Verteilung der Gesamtredezeit hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 39 Minuten, Linksfraktion 31 Minuten, SPD 14 Minuten, NPD 12 Minuten, FDP 12 Mi

nuten, GRÜNE 12 Minuten und die Staatsregierung 20 Minuten.

Wir kommen zu

1. Aktuelle Debatte

Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und die wachsende Armut in Sachsen

Antrag der Linksfraktion

Zunächst spricht die Linksfraktion, danach CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung.

Die Debatte ist eröffnet. Ich erteile der Linksfraktion das Wort. Herr Dr. Hahn, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das erst dieser Tage wieder offiziell dokumentierte Ausmaß von Armut ist eine Schande für ein so reiches Land wie die Bundesrepublik.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Alexander Delle, NPD)

Der Dritte Armuts- und Reichtumsbericht, der eigentlich schon Ende vergangenen Jahres hätte veröffentlicht werden müssen, hat zu völlig unterschiedlichen Reaktionen von Politikern geführt. Besonders dramatisch waren die Aussagen einiger Sozialdemokraten, die wohl vergessen machen wollten, dass die SPD als Regierungspartei vor allem mit der berüchtigten Agenda 2010 ein erhebliches Maß an Mitverantwortung für das Anwachsen von Armut trägt. Für meinen Geschmack werden hier doch allzu große Krokodilstränen vergossen.

Von den Vertretern der bisherigen Sächsischen Staatsregierung unter Georg Milbradt gab es überhaupt keine offiziellen Reaktionen, obwohl doch gerade in Sachsen ausreichend Grund – leider! – für einen Aufschrei vorhanden wäre. Sachsen ist trauriger Vorreiter beim sozialen Niedergang der Gesellschaft.

(Oh! bei der CDU)

Mit den deutschlandweit niedrigsten Tariflöhnen und dem höchsten Anteil armer Kinder in manchen sächsischen Städten macht der Freistaat unrühmliche Schlagzeilen. Das Schlimmste aber: Sozial ist eben nicht, was Arbeit schafft, wie die CDU immer glauben machen will. Die Hälfte der ohnehin zu wenigen neuen Arbeitsplätze in Sachsen sind Ein-Euro-Jobs und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. In Sachsen macht oft nicht nur Arbeitslosigkeit, sondern auch Arbeit arm. Wir fordern daher die Staatsregierung auf, im Bundesrat für einen gesetzlichen Mindestlohn Druck zu machen und gegen die missbräuchliche Ausweitung von Leiharbeitsverhältnissen einzutreten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Auch wenn es an der im Armutsbericht für Deutschland ausgewiesenen Armutsquote von nunmehr 13 % erhebliche Zweifel gibt, weil mindestens weitere 13 % unmittelbar von Armut bedroht sind, ist es müßig, hier in einen Wettstreit um die höheren Zahlen einzutreten. In Sachsen jedenfalls liegt die Armutsquote in jedem Fall bei über

einem Fünftel, wenn schon die vergleichsweise reiche Landeshauptstadt jüngst durch ihren Sozialdezernenten 20 % vermeldete.

Was mich an den aktuellen Diskussionen besonders ärgert, ist jeglicher Versuch von Relativierung der tatsächlichen Situation. So wurde mehrfach darauf verwiesen, dass die Zahlen im Armutsbericht von 2005 stammten und wir seitdem einen Aufschwung hätten. Das ist zwar richtig; aber den wirklich Armen hat es nichts gebracht. Im Gegenteil, durch die Hartz-Gesetze wurden in den vergangenen drei Jahren Hunderttausende Menschen zusätzlich in Armut gedrängt; bei Alleinerziehenden liegt die Armutsquote bei über 35 %. Ein solcher Zustand ist völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Nach Überzeugung der Linken gibt es wirksame Gegenmaßnahmen. Unerlässlich ist dabei die Einführung einer am Bedarf orientierten Grundsicherung. Erforderlich ist ein gesetzlicher Mindestlohn, der armutsfest sein muss. Von Sachsen müsste ein beschäftigungspolitisches Signal ausgehen und insbesondere ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor sollte entstehen. Hier ist nicht zuletzt der Wirtschaftsminister gefordert. Das soziokulturelle Existenzminimum muss aufgestockt werden, damit echte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich wird. Für bedürftige Kinder und Jugendliche ist endlich Chancengleichheit zu sichern. Unsere Vorschläge dazu – von einer Abschaffung der Elternbeiträge in Kindertagesstätten bis hin zum kostenlosen Mittagessen – sind bekannt. Nicht zuletzt haben auch ältere Menschen ein Recht auf einen Lebensabend ohne Armut.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Grundsicherung muss für Ältere so angehoben werden, dass sie über der Armutsgrenze liegt. Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre ist rückgängig zu machen und der aktuelle Rentenwert Ost endlich an den Rentenwert West anzupassen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir wissen alle, dass Herr Tillich als neuer Ministerpräsident nur ein Übergangskabinett führen wird, und er wird nicht alle Probleme der Armut bekämpfen können; aber er muss trotzdem handeln. Das erwarten wir. Staatsregierung und Koalition müssen sich endlich des wirklichen Ausmaßes der Armut in Sachsen bewusst werden. Verdrängen hilft nicht weiter.

Wer behauptet, dass jemand, der Sozialleistungen im Arbeitslosengeld II erhält, nicht arm sei, der verkennt bewusst, dass diese Zuwendungen in keiner Weise auch

nur eine annähernd gleichberechtigte Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen. Deshalb muss Schluss sein mit einer statistischen Festlegung des Existenzminimums, die sich als völlig lebensfremd erweist.

Bitte zum Schluss kommen.

Es muss auch bei der Regierung endlich die Einsicht greifen, dass Hartz IV nicht nur gescheitert ist, sondern zu einem explosionsartigen Anwachsen von Armut geführt hat. Deshalb bleibt es bei unserer Forderung: Hartz IV muss weg!