Protocol of the Session on November 8, 2007

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 92. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Herr Tillich, Herr Prof. Dr. Wöller, Herr Lichdi, Frau Kagelmann, Herr Hatzsch und Frau Bonk.

Die Tagesordnung zu unserer heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat folgende Redezeiten für die Tagesordnungspunkte 3 bis 8 festgelegt: CDU 101 Minuten, Linksfraktion 77 Minuten, SPD 47 Minuten, NPD,

FDP und GRÜNE je 35 Minuten, fraktionslose MdL je 6 Minuten und die Staatsregierung 77 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und auch der Staatsregierung können wie immer auf die Tagesordnungspunkte entsprechend dem Bedarf verteilt werden.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie, ob es zu der Ihnen vorliegenden Tagesordnung noch Ergänzungen oder Veränderungswünsche gibt? – Das ist nicht der Fall. Dann gilt die vorliegende Tagesordnung als von Ihnen bestätigt.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Erzieher- und Erzieherinnenausbildung im Freistaat Sachsen

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

2. Aktuelle Debatte: Kinderarmut in Sachsen

Antrag der Linksfraktion

Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 39 Minuten, Linksfraktion 31 Minuten, SPD 14 Minuten, NPD, FDP

und GRÜNE je 12 Minuten, Staatsregierung 20 Minuten.

Wir kommen nun zu

1. Aktuelle Debatte

Erzieher- und Erzieherinnenausbildung im Freistaat Sachsen

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen der CDU und der SPD das Wort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde lautet: Linksfraktion, NPD, FDP, GRÜNE, Staatsregierung. Meine Damen und Herren, die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Fraktion der CDU das Wort nimmt. Frau Schöne-Firmenich, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut zwei Jahre her, dass wir in diesem Haus über Hochschulausbildung für Erzieher und Erzieherinnen debattiert haben. Wir waren uns schon damals darüber einig, dass lebenslanges Lernen seinen Anfang im frühen Kindesalter nimmt. In der Novelle des Sächsischen Kindertagesstättengesetzes hatten wir kurz vorher den Schwerpunkt auf Bildung gelegt.

Der Sächsische Bildungsplan ist inzwischen längst verbindliche Arbeitsgrundlage für Erzieher und Erzieherinnen in den Kindertageseinrichtungen unseres Landes. Mit seiner Einführung haben sich die Anforderungen an

die Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten ganz wesentlich erhöht. Um diesen gewachsenen Ansprüchen gerecht werden zu können, haben sie sich neben ihrer eigentlichen Arbeit nach Feierabend und an Wochenenden viele, viele Stunden auf die Schulbank gesetzt und das notwendige Wissen angeeignet. Erlauben Sie mir an dieser Stelle, von hier aus herzlich Dank und Anerkennung all denjenigen zu sagen, die sich wie selbstverständlich dieser großen zusätzlichen Aufgabe stellen.

(Beifall bei der CDU und der Linksfraktion)

Aber nicht nur der wachsende Anspruch an die Bildung im frühen Kindesalter, sondern auch die zunehmend uneinheitlichen Lernvoraussetzungen der Kinder verlangen den Fachkräften in den Kindertageseinrichtungen immer mehr ab. Dafür brauchen sie das notwendige Rüstzeug. Eine Professionalisierung der Ausbildung ist deshalb dringend geboten. Ein Weg, diese Professionalisierung zu erreichen, ist die Steigerung des Anteils der Fachkräfte mit akademischer Ausbildung. Wir wissen,

dass in fast allen europäischen Ländern die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher auf Hochschulniveau erfolgt. Es macht also Sinn, beim Nachbarn über den Gartenzaun zu schauen. Dort kann man sich Anregungen holen, aber es taugt nichts, andere Systeme einfach unseren Bedingungen überzustülpen. Eine Änderung der Struktur der Ausbildung will mit Augenmaß und Weitblick angegangen werden.

Es war deshalb vor zwei Jahren eine sehr gute Entscheidung, einen Arbeitskreis zur Neustrukturierung der ErzieherInnenausbildung zu gründen mit dem Ziel, ein hochschulübergreifendes Zukunftskonzept für Sachsen zu entwickeln. In diesem Arbeitskreis fanden sich Fachleute aus allen Ebenen zusammen, den Ministerien für Soziales, Kultus sowie Wissenschaft und Kunst, die ihrerseits für die Träger von Kitas, für die Fachschulen und für den Bereich der Hochschulen und der Forschung verantwortlich sind. Auf der Seite der Wissenschaft brachten Vertreter der TU Dresden, der Evangelischen Hochschule Dresden, der HTWK Leipzig und der Hochschule Zittau/Görlitz ihre Kompetenzen ein. Im Ergebnis ihrer Arbeit entstand das sächsische Modell zur Hochschulausbildung für Erzieherinnen und Erzieher. Frau Staatsministerin Orosz und Frau Staatsministerin Dr. Stange haben es am 23. Oktober der Öffentlichkeit vorgestellt.

Was ist nun das Besondere an diesem Modell? Wo liegt der Unterschied zu anderen Ländern? Wegweisend ist das Herangehen an die Problemlösung. Unter Beteiligung aller Ebenen wurde eine gründliche Analyse der Ausgangssituation erstellt, das Ziel definiert und die Verfügbarkeit der Ressourcen geprüft. Hinter dem, was hier so simpel klingt, steckt eine ganze Menge Arbeit, zum Beispiel bei der Ermittlung des Bedarfs an ausgebildeten Fachkräften in den kommenden Jahren. Der Arbeitskreis schlägt vor, eine Struktur zu schaffen, die die Erfahrungen einer 150-jährigen Fachschulausbildung aufgreift und bewahrt, aber deren undurchlässige und hierarchisch gegliederte Struktur mit viel zu langen Ausbildungszeiten überwindet, die Berufserfahrungen in Aus- und Weiterbildung und erworbenes Wissen anerkennt und anrechnet, die die Entwicklung von speziellen Studiengängen für den Bereich der Frühpädagogik vorantreibt und die für Durchlässigkeit im System der Ausbildung sorgt und den direkten Zugang zu einem grundständigen Hochschulstudium für Abiturienten schafft.

Das wird zum einen erreicht durch die Installierung völlig neuer grundständiger Bachelorstudiengänge im Bereich Elementarpädagogik, die neben den bereits vorhandenen berufsbegleitenden Studiengängen auch Abiturienten und Abiturientinnen Zugang zum Hochschulstudium ermöglichen. Das übernehmen die Fachhochschulen, die besonderes Augenmerk auf eine praxisnahe Ausbildung legen müssen. Wer dann seinen Weg noch weiter gehen will, kann sich entscheiden, an der TU Dresden den speziellen Master Childhood Research oder einen verwandten Master an einer anderen sächsischen Hochschule zu belegen.

Auch der Weg zur Promotion ist danach grundsätzlich offen. Die TU Dresden verfügt über die notwendigen Kapazitäten. Für Fachhochschulen besteht die Möglichkeit, für die neuen Bachelorstudiengänge Mittel aus dem Hochschulpakt 2020 zu beantragen. Für die Erzieherinnen und Erzieher mit Fachschulabschluss soll erreicht werden, dass erworbene Qualifikationen und Berufserfahrungen entweder direkt den Zugang zu einer akademischen Ausbildung ermöglichen oder partiell bei einem Hochschulstudium anerkannt werden. Letzteres gilt auch für die Fort- und Weiterbildung. Damit erreichen wir eine möglichst flexible Durchlässigkeit des Systems.

Meine Damen und Herren, dieser Vorschlag hat Charme. Er zeigt nämlich sehr deutlich, dass es möglich ist, auf der Basis des guten Ausbildungsniveaus an den sächsischen Fachschulen ein Modell mit Augenmaß für die Akademisierung der ErzieherInnenausbildung aufzubauen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der SPD-Fraktion das Wort. Frau Dr. Schwarz, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kaum ein Bereich war in den letzten Jahren so im Fokus der Wissenschaft als auch der Politik wie die frühkindliche Bildung. Ich bin sehr froh, dass sich die Koalitionsfraktionen geeinigt haben, schon im Koalitionsvertrag eine Qualitätsoffensive in den Kindertagesstätten gemeinsam voranzubringen. Ich denke, wir sind hier auch ein großes Stück weitergekommen.

Nun steht im Mittelpunkt die Ausbildung unserer Erzieherinnen und Erzieher und ich hoffe, dass es vielleicht auch dazu beiträgt, dass wir mehr Männer in diesen Beruf bekommen, wenn wir uns um die Ausbildung kümmern.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Linksfraktion)

Zu dieser Qualitätsoffensive gehört diese Ausbildung. Meine Kollegin Schöne-Firmenich ist schon darauf eingegangen.

Wir haben den Bildungsplan jetzt in allen sächsischen Kindertageseinrichtungen als pädagogischen Leitfaden und gesetzlich verankert. Wir haben unseren Erzieherinnen in den letzten Jahren viel zugemutet. Geduldig sind sie mit uns den manchmal steinigen Weg der Veränderung gegangen. Den Dank, den Frau Schöne-Firmenich ausgesprochen hat, möchte auch ich hier noch einmal ausdrücken. Ohne dieses Engagement Tausender sächsischer Erzieherinnen und Erzieher wäre dieser Weg kaum zurückzulegen gewesen.

Wir haben neue Anregungen bekommen und wir konnten auch ein bisschen unsere Dankbarkeit ausdrücken. Seit Anfang dieses Jahres steht den Erzieherinnen und Erziehern im Kindergarten eine zusätzliche Stunde pro Woche zur Verfügung, um den beschriebenen gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Wir wissen natürlich, dass

dies nur ein Anfang sein kann. Aber um einen längeren Weg zurückzulegen, ist aus der Sicht unserer Fraktion jeder einzelne Schritt richtig und wichtig.

Neben den zeitlichen Anforderungen haben wir in den vergangenen Jahren zunehmend auch die inhaltlichen Anforderungen in den Einrichtungen verändert. Den veränderten inhaltlichen Anforderungen in den Einrichtungen wollen wir durch eine veränderte Ausbildung der Erzieherinnen Rechnung tragen, denn entscheidend für eine professionelle Moderierung der Bildungsprozesse in den Einrichtungen ist die Fachkompetenz des Personals. Hier haben wir auch die Entwicklungen in anderen europäischen Ländern als Vorbild.

Bislang erfolgte die Ausbildung in Sachsen an Fachschulen, und nur für die Leitung einer Kindertageseinrichtung ab zehn Plätzen ist derzeit schon als Voraussetzung ein Hochschulstudium vorgesehen.

Doch allein auf Fachschulniveau kann den gewachsenen Anforderungen nicht mehr entsprochen werden. Meine Kollegin hat es schon gesagt und hat den Arbeitskreis beschrieben, der hier vorbereitend gewirkt hat, und wir haben jetzt durch die beiden Ministerinnen ein Konzept vorgestellt bekommen. Meines Wissens hat bis dato noch kein anderes Bundesland ein solches Konzept vorgelegt. Dieses Konzept sieht vor, 50 bis 60 Studienplätze für Fachkräfte im Leitungsbereich sowie 25 Studienplätze im Master für Nachwuchsforschung und -wissenschaftler sowie 50 bis 60 Studienplätze für Fachkräfte in der pädagogischen Gruppenarbeit zur Verfügung zu stellen.

Bei derzeit 21 158 Erzieherinnen in Sachsen – so der gegenwärtige Stand – besteht in den nächsten fünf Jahren allein durch altersbedingtes Ausscheiden ein Bedarf von circa 450 bis 600 neu zu qualifizierenden Fachkräften. Nach den vorliegenden Vorschlägen könnten die Hochschulen 10 bis 20 % dieses Bedarfes abdecken. Die Bedarfe darüber hinaus würden weiterhin durch die Fachschulen gedeckt, die – das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen – eine wichtige Aufgabe bei der Ausbildung der Erzieherinnen behalten werden.

Besonders hervorheben möchte ich, dass das sächsische Konzept die Durchlässigkeit ermöglicht – Frau SchöneFirmenich hat es genauer erläutert –, dass Voraussetzungen für ein Hochschulstudium sowohl der Abschluss der Fachschulausbildung als auch das Abitur sein können. Diese Durchlässigkeit ist besonders wichtig.

Wir können diesen Weg nicht allein beschreiten. Wir brauchen die Unterstützung aller Träger – auch der Kommunen – von Kindertageseinrichtungen. Ich weiß, dass auch die Kommunen dieses Konzept sehr wohlwollend aufgenommen haben, wobei es natürlich nicht umsonst zu haben ist. Nur so kommen wir unserem gemeinsamen Ziel, unseren Kindern noch bessere Bildungschancen zu bieten und gleichzeitig die gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit unserer Erzieherinnen und Erzieher langfristig und nachhaltig zu stärken, einen Schritt näher.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion; Frau Werner, bitte.

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Da beantragt die Koalition eine kleine Jubeldebatte und ist nicht einmal zu überreden, das Konzept zur Hochschulausbildung irgendwie ins Internet zu stellen, damit man sich vorher damit beschäftigen kann. Es wäre sonst auch aufgefallen, dass die Konzeption noch recht dünn ist und daher nur ein Anfang sein kann. Arbeiten wir das also nun an der mündlichen Tischvorlage bzw. an der Presseerklärung ab.

Mit dem Loben muss ich mich kurz fassen und nicht, weil die Opposition immer das Haar in der Suppe sucht, sondern weil das Anliegen dieser Konzeption schon von uns eingebracht wurde, als beide Ministerinnen noch gar nicht im Amt waren. Wenn man dann die Zeitspanne bedenkt, die sie benötigen, um die dringend zu lösenden Probleme in überschaubarer Zeit anzugehen, müssen diese immer wieder zuvörderst von uns benannt werden.

Doch zuerst des Lobes: Ja, die ersten Jahre im Leben eines Menschen sind die wichtigsten Bildungsjahre. Dem muss die Gesellschaft mehr Beachtung schenken und wir stimmen Ihnen zu, für die Sicherung innovativer frühkindlicher Bildungsprozesse benötigen wir daher wissenschaftlich qualifiziertes Fachpersonal. Aber damit erschöpft es sich zunächst für mich.