Protocol of the Session on May 13, 2009

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 135. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Prof. Dr. Milbradt, Herr Schön, Frau Bonk, Herr Hamburger, Frau Nicolaus, Frau Pfeiffer, Herr Nolle und Herr Petzold.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat folgende Redezeiten für die Tagesordnungspunkte 3 bis 19 festgelegt: CDU 176 Minuten, Linksfraktion 132 Minuten, SPD 77 Minuten, NPD, FDP und GRÜNE je 55 Minuten, fraktionslose MdL je 9 Minuten und Staatsregierung 132 Minuten.

Meine Damen und Herren! Gibt es Anträge zur Tagesordnung? – Das ist der Fall. Bitte schön.

Ich bedanke mich, Herr Präsident. In Bezugnahme auf § 81 Abs. 4 der Geschäftsordnung beantragen wir, den Beratungsgegenstand des Tagesordnungspunktes 14, Gesetzentwurf zur Förderung der Teilnahme von Kindern an Früherkennungsuntersuchungen, heute von der Tagesordnung abzusetzen und diesen zur Beratung an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. Der federführende Ausschuss hat trotz verfassungsrechtlicher Bedenken des Datenschutzbeauftragten, des Juristischen Dienstes und der Oppositionsparteien beraten. Es wird aber für dringend erforderlich gehalten, zu den Verfas

sungsfragen den zuständigen Fachausschuss noch einmal mit der Befassung des Gesetzentwurfes zu beauftragen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wird dazu das Wort gewünscht? – Bitte, Herr Lehmann.

Herr Präsident! Ich möchte namens der Koalition gegen diesen Antrag sprechen. Der federführende Ausschuss hat sich mit der Thematik befasst und dem Plenum eine Beschlussempfehlung übermittelt. Ich sehe überhaupt keinen Grund, dass im Lichte dieser Vorarbeiten heute der Gesetzentwurf nicht endgültig beraten werden soll.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Gibt es dazu weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über den Antrag der Linksfraktion auf Absetzung des Tagesordnungspunktes 14 abstimmen. Wer der Absetzung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer Anzahl von Stimmen dafür und Stimmenthaltungen ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Anträge zur Tagesordnung? – Wenn das nicht der Fall ist, dann gilt die vorliegende Tagesordnung für die heutige Beratung von Ihnen als bestätigt. Wir kommen damit gleich zum

Tagesordnungspunkt 1

Einspruch gemäß § 96 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages

Drucksache 4/15016, Einspruch des Abg. Jürgen Gansel, NPD

Ihnen liegt der Einspruch des Abg. Jürgen Gansel, NPDFraktion, gegen die Ordnungsrufe in der 123. Sitzung vom 13. März 2009, Tagesordnungspunkt 2, vor. Über den Einspruch entscheidet der Landtag gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung in der nächsten Sitzung – demnach heute – ohne Beratung.

Meine Damen und Herren! Wir stimmen gleich über den Einspruch ab. Wer dem Einspruch stattgeben möchte, den bitte ich um das Handzeichen – Danke. Wer ist dagegen?

Wer enthält sich der Stimme? – Bei einigen Stimmen dafür ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt worden.

Meine Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt 1 beendet. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 2

Fachregierungserklärung zum Thema „Antworten auf die Konjunkturkrise – Innovation als Motor für Wachstum und gute Arbeitsplätze“

Ich übergebe das Wort an den Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit, Herrn Jurk. Bitte schön.

Thomas Jurk, Staatminister für Wirtschaft und Arbeit: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Als ich im April dieses Jahres im Schienenfahrzeugwerk in Delitzsch zu Gast war, habe ich mich daran erinnert, wie wir fraktionsübergreifend in der vergangenen Legislaturperiode eben hier im Sächsischen Landtag für den Erhalt der sächsischen Bahnwerke gekämpft haben. Kollege Gillo war damals Wirtschaftsminister, ich Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Opposition. Die Deutsche Bahn hatte 2003 entschieden, sich wegen Überkapazitäten von vier Instandhaltungswerken in Sachsen zu trennen, darunter auch Delitzsch. Am Ende haben engagierte Betriebsräte mit Unterstützung der Gewerkschaften und weitblickenden Unternehmern gemeinsam mit uns, mit der Politik, die Schließung verhindert.

Damals konnten wir noch nicht wissen, ob der Erfolg von Dauer sein wird. Aber wir haben dafür gekämpft, weil es eine begründete und begründbare Perspektive für Unternehmen und Beschäftigte an den Standorten gab. Allein in Delitzsch sind derzeit rund 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Die Geschäftsführung plant gerade, in Delitzsch eine alte Werkhalle zu sanieren und mit Solarzellen auszurüsten. Ich habe gern zugesichert, dass das Wirtschaftsministerium bereitsteht, wenn es um die Förderung dieser Investitionen geht.

Ich will damit zwei Dinge deutlich machen.

Erstens. Es gibt auch in der jetzigen Situation Unternehmen, die investieren und die wir nach Kräften unterstützen. Es geht mir nicht darum, nur die guten Nachrichten herauszusuchen, sondern darum, die Chancen zu benennen und sie zu nutzen.

Zweitens. Für die Zukunft einer Region ist es von entscheidender Bedeutung, dass die industriellen Kompetenzen erhalten bleiben. Denn wir haben nach der Wende gelernt, dass ohne wirtschaftliche Kerne eine selbsttragende Wirtschaftsstruktur kaum oder – genauer – gar nicht entstehen kann. Viele konnten nur gelingen, weil Wirtschaft, Betriebsräte, Gewerkschaften und die Politik gemeinsam angepackt haben.

Auch wenn sich die aktuelle Krise von der damaligen Situation deutlich unterscheidet, muss es auch jetzt darum gehen, die industriellen Kompetenzen für die Zukunft zu erhalten und darum, gemeinsam anzupacken und die Chancen zu nutzen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch vor einem Dreivierteljahr sah es so aus, als stünde Deutsch

land in einer normalen zyklischen Abschwungphase. Nun befindet sich die Welt mitten in der größten wirtschaftlichen Rezession seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Auslöser war eine Immobilien- und Bankenkrise, die sich von den USA mit atemberaubender Dynamik auf die gesamte Weltwirtschaft ausgeweitet hat. Die importierte Rezession hat auch die deutsche und sächsische Wirtschaft mit voller Wucht erfasst.

Die Gemeinschaftsdiagnose der Forschungsinstitute geht aktuell von einer Schrumpfung der deutschen Wirtschaft allein in diesem Jahr von 6 % aus. Auch im kommenden Jahr werden wir noch nicht wieder über Wirtschaftswachstum jubeln können. Sachsen ist aufgrund seiner auf Export orientierten Investitionsgüterindustrie stärker betroffen. Wir dürfen und wollen dies nicht verschweigen. Die Wachstumslokomotive verarbeitendes Gewerbe hat erheblich an Fahrt verloren. Im Februar lagen die Umsätze um 29 % und die Auftragseingänge um 43 % unter deen des Vorjahresmonates. Im Maschinen- und Automobilbau haben sich die Auftragseingänge gegenüber dem Vorjahr glatt halbiert. Auf dem Arbeitsmarkt kommt die Finanz- und Wirtschaftskrise mit Verzögerung an. Das liegt auch daran, dass wir auf Jahre mit deutlich sinkender Arbeitslosigkeit und deutlich steigender Beschäftigung zurückblicken können. 2008 war in Sachsen das Jahr mit der geringsten Arbeitslosenzahl seit 1991. Die strukturelle Arbeitslosigkeit hatte deutlich abgenommen. Die sächsischen Unternehmen haben in der aktuellen Krisensituation erkannt, worum es geht: qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter solange wie möglich im Unternehmen zu halten.

Deshalb wird die neue Möglichkeit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über das Instrument der Kurzarbeit nicht zu verlieren, rege genutzt. Aktuelle Zahlen belegen dies. Allein im März 2009 gingen bei den sächsischen Arbeitsagenturen 1 855 Anzeigen über Kurzarbeit ein, die insgesamt 35 155 Arbeitnehmer betrafen. Im Vergleich: Im gleichen Vorjahresmonat gab es 1 384 Kurzarbeiter.

Mittlerweile aber kommt der Abschwung auf dem Arbeitsmarkt an. Im April ist die Zahl der Arbeitslosen in Sachsen gegenüber dem Vorjahr um 1,5 % auf knapp 300 000 gestiegen. Die Zahl der offenen Stellen sank um 10,8 %.

Besser sieht es auf dem Ausbildungsmarkt aus. Den derzeit 18 700 Bewerbern stehen 13 800 Ausbildungsplätze gegenüber. Dieses Verhältnis zum heutigen Tage lässt darauf hoffen, dass letztlich zum Jahresende erneut allen Bewerbern um einen Ausbildungsplatz ein Angebot gemacht werden kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abwärtstrend ist noch nicht gebrochen, aber es mehren sich

Anzeichen, dass sich das Tempo des Abschwungs verlangsamt. Der Ifo-Geschäftsklimaindex für Deutschland ist im April erstmals gestiegen. Für Sachsen tendiert er seit einem Tiefpunkt im Dezember 2008 bereits zum vierten Mal in Folge nach oben, wenn auch noch auf niedrigem Niveau. Die befragten Unternehmen beurteilen im April die Lage schon zum zweiten Mal weniger negativ. Die Geschäftserwartungen zeigen den vierten Monat in Folge wieder nach oben.

Die Konjunkturerwartungen in der Eurozone haben sich ebenfalls leicht aufgehellt. Es ist aber noch zu früh, daraus eine Trendwende abzuleiten.

Angesichts dieser Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Abwarten keine echte Option. Abwarten hieße, das mühevoll Aufgebaute aufs Spiel zu setzen. Die Stabilisierung der Konjunkturentwicklung ist derzeit die vordringlichste wirtschafts- und finanzpolitische Aufgabe.

Wir werden von Sachsen aus weder die internationalen Finanzmärkte in Gang bringen; noch können wir die weltweite Konjunktur maßgeblich beeinflussen. Aber wir können und werden unseren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten. Wir haben den Ehrgeiz, den begrenzten Spielraum eines Bundeslandes so gut wie möglich zu nutzen. Das gilt für die Maßnahmen, mit denen wir unsere Unternehmen in der Krise unterstützen genauso wie für unsere langfristig angelegte Politik für Wachstum und gute Arbeitsplätze.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe vor viereinhalb Jahren das Amt des Sächsischen Staatsministers für Wirtschaft und Arbeit mit dem Ziel angetreten, unsere Wirtschaft voranzubringen und möglichst viele zukunftsfähige Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen. Darunter – das ist mir besonders wichtig – verstehe ich reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, von deren Lohn die Menschen, die sie ausfüllen, mit ihren Familien auch wirklich leben können.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Für mich ist nicht sozial, was Arbeit schafft, sondern das, was gute Arbeit schafft. Für manche mag das nach Spitzfindigkeit klingen. Denen rate ich, einmal mit den Menschen zu sprechen, die für fünf Euro die Stunde ein Parkhaus bewachen, Gebäude reinigen oder hinter einer Ladentheke stehen. Der soziale Zusammenhalt ist kein Luxus, sondern zugleich Grundlage einer demokratischen Gesellschaft und einer starken Wirtschaft. Erlauben Sie mir, dies für die Marktliberalen zu wiederholen: Der soziale Zusammenhang ist Grundlage einer demokratischen Gesellschaft und einer starken Wirtschaft.

(Beifall bei der SPD)

Die gegenwärtige Krise zeigt doch, wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit sind kein Gegensatz, sondern sie bedingen einander und umgekehrt: Profitmaximierung ohne Rücksicht auf Verluste hat nichts mit

wirtschaftlicher Vernunft zu tun, sondern führt am Ende in eine Sackgasse.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Wohlstand und ein hohes Niveau der sozialen Sicherung kann es nur auf der Basis einer leistungsstarken Realwirtschaft geben. Die Strategie, durch Tarnen, Tricksen und Täuschen langfristig Traumrenditen erwirtschaften zu können, hat sich als nicht haltbar erwiesen.

Neue Ideen, neue Technologien, neue Verfahren – kurz Innovationen – bilden die wichtigste Voraussetzung, um die weltweiten Herausforderungen der Menschheit zu meistern und einen starken Wirtschaftsstandort Sachsen zu erreichen. So sind mittlerweile neue Antriebstechnologien im Automobilbau, umweltfreundliche Entsorgungstechniken und der Ausbau erneuerbarer Energien wichtige Wachstumsmärkte für die sächsische Wirtschaft überhaupt. Besonders in einem Land, dessen Wirtschaft von Ideen und Know-how angetrieben wird, müssen wirtschaftliche Leistungskraft und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen. Dazu brauchen wir alle Begabungen und deren Chance auf eine freie Entfaltung.

Spitzenleistungen entstehen nicht in ausreichendem Maße, wenn wir eine kleine privilegierte Elite fördern, sondern nur auf einer breiten Basis echter Chancengerechtigkeit. Das ist wie im Sport, wie mir Kollege Wöller sicher zustimmen wird: Spitzensport braucht Breitensport, damit eben keine Begabung unentdeckt bleibt.

(Beifall bei der SPD und der CDU)