Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 83. Sitzung des 4. Sächsischen Landtags. Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Herr Winkler, Frau Schütz und Frau Klinger.
Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Folgende Redezeiten hat das Präsidium für die Tagesordnungspunkte 1 und 4 bis 9 festgelegt: CDU 96 Minuten, Linksfraktion 72 Minuten, SPD 42 Minuten, NPD 30 Minuten, FDP 30 Minuten, GRÜNE 30 Minuten, fraktionslose MdL je 5 Minuten und die Staatsregierung 72 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen können wie immer auf die Tagesordnungspunkte entsprechend dem Redebedarf verteilt werden.
Meine Damen und Herren! Mir liegen keine Ergänzungs- oder Änderungsvorschläge zu der Ihnen vorliegenden Tagesordnung vor. Damit gilt die jetzt vorliegende Tages
ordnung für die heutige Beratung als verbindlich. – Es gibt eine Wortmeldung. Bitte schön, Herr Lehmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wegen der Vielzahl der heute auf der Tagesordnung stehenden Punkte und der dadurch zu erwartenden erheblichen Sitzungsdauer hat sich die Koalition entschieden, um die Absetzung unserer Aktuellen Debatte zur Pflegeversicherung zu bitten.
Gut. Dann bitte ich, das zur Kenntnis zu nehmen und in der Tagesordnung zu streichen. Gibt es weitere Änderungsanträge zur Tagesordnung? – Wenn das nicht der Fall ist, dann gilt die vorliegende Tagesordnung für unsere heutige Sitzung von Ihnen als bestätigt.
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses „Verantwortung der Staatsregierung für schwerwiegende Mängel bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke unter Beteiligung von Vertretern aus Politik und Wirtschaft, von Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Bediensteten der sächsischen Justiz, Polizei, von Landes- und kommunalen Behörden sowie für das Versagen rechtsstaatlicher Informations-, Kontroll- und Vorbeugungsmechanismen in Sachsen (Kriminelle und korruptive Netzwerke in Sachsen)“
Mir liegt entsprechend Artikel 54 der Verfassung des Freistaates Sachsen in Verbindung mit Abs. 2 § 2 Abs. 2 des Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Sächsischen Landtages ein Antrag der Abgeordneten der Linksfraktion, von Abgeordneten der FDP-Fraktion und von Abgeordneten der Fraktion GRÜNE vor. Ich gehe davon aus, dass die Antragsteller ihr Begehren begründen wollen, und erteile zunächst der Linksfraktion das Wort, danach CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Meine Damen und Herren! Die Aussprache ist eröffnet. Ich bitte, dass die Linksfraktion das Wort nimmt. Herr Dr. Hahn, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit mehr als sechs Wochen schwelt in Sachsen eine Justiz-, Politik- und Korruptionsaffäre, deren tatsächliche Ausmaße sich bisher nur erahnen lassen. Schon bei dem, was bisher bekannt geworden ist, handelt es sich aber wohl um einen der größten Skandale nach der Wende, und die nächsten Monate werden mit
Sicherheit noch einiges Brisantes zutage fördern. Wenn man bedenkt, dass bis zum heutigen Tag nach Angaben der Staatsanwaltschaft wohl nicht einmal 5 % der Akten, die beim Landesamt für Verfassungsschutz zusammengetragen wurden, an die Strafverfolgungsbehörden übergeben worden sind, dann bekommt man vielleicht ein Gefühl dafür, was uns allen noch bevorsteht. Zur möglichst umfassenden und vollständigen Aufklärung gibt es aus unserer Sicht keine Alternative.
Diejenigen, die mittlere bis schwerste Straftaten begangen haben, von denen der Datenschutzbeauftragte sprach, müssen angeklagt und verurteilt werden, sofern die Beweislage dafür ausreicht. Diejenigen, die sich dienstrechtlicher Vergehen schuldig gemacht haben, müssen disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen und notfalls aus ihren Ämtern entfernt werden. Und nicht zu vergessen – das kommt bisher in der öffentlichen Diskussion viel zu kurz –: Diejenigen, die politische Verantwortung für die Vorgänge und deren bislang völlig unzurei
Denn, meine Damen und Herren, mit ein paar Bauernopfern ist es nicht getan, damit werden sich weder die Bürgerinnen und Bürger noch die Opposition in diesem Land abspeisen lassen.
Dazu sind die Vorwürfe, die im Raum stehen, viel zu gravierend. Ich darf mich auch heute nur auf die Medienberichte beziehen. Es geht um Amtsmissbrauch, Bestechlichkeit und Begünstigung, es geht um Rechtsbeugung und Geheimnisverrat, um Strafvereitelung im Amt, um Missbrauch Minderjähriger, um Drogendelikte, um Immobilienschiebereien sowie um schwere Körperverletzung bis hin zum Mord.
Bei den Beschuldigten geht es nach den bisherigen Veröffentlichungen neben diversen Figuren aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität oder dem sogenannten Rotlichtmilieu leider auch um Staatsanwälte und Richter sowie um Polizeibeamte und Politiker. Manche der Straftatvorwürfe sind verschiedenen Institutionen in Sachsen offenbar seit Jahren bekannt, ohne dass ernsthaft dagegen vorgegangen wurde. Die bisherige Vertuschungstaktik ist gescheitert, und das ist gut so.
Bereits zur Landtagssondersitzung habe ich darauf hingewiesen, dass es angesichts der Schwere der im Raum stehenden Vorwürfe dringend geboten ist, dass sich auch das Parlament der Angelegenheit annimmt und von der Staatsregierung Rechenschaft darüber fordert, was bisher getan wurde, und die notwendigen Voraussetzungen dafür schafft, dass die Vorgänge möglichst lückenlos und ohne Ansehen der Person aufgeklärt werden.
Die Realität sieht leider anders aus. Was bislang geboten wurde, ist – Zitat – „ein katastrophales Krisenmanagement, angefangen vom Ministerpräsidenten bis hin zu den betroffenen Ressortchefs, das heißt Justiz- und Innenressort. Das wirft kein gutes Licht auf Sachsen. Das hat dem Freistaat im Ansehen sehr geschadet. Das hat die Menschen im Land verunsichert.“ Ich wundere mich, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, dass Sie diese Aussage nicht unterstützen, denn gesagt hat das Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Stefan Brangs in der MDR-Sendung „Hier ab Vier“. Klarer geht es kaum. Ich wiederhole es noch mal, insbesondere für Sie: Herr Brangs spricht von einem katastrophalen Krisenmanagement, angefangen vom Ministerpräsidenten bis hin zum Innen- und Justizminister. Dann allerdings müssten die Sozialdemokraten heute sowohl unserem Antrag auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses als auch morgen unserem Antrag auf Missbilligung beider Minister ihre Zustimmung geben.
Für mich ist völlig klar: Herr Brangs hat recht. Herr Brangs hat absolut recht. Die bisherige Bilanz der Staatsregierung im Umgang mit der Affäre kann nur als verhee
rend bezeichnet werden. Da werden während der laufenden Prüfung der Parlamentarischen Kontrollkommission beim Verfassungsschutz gleich mehrfach ganze Aktenberge vernichtet, wobei es sich angeblich nur um Kopien von Gerichtsunterlagen handele, die schnell zu rekonstruieren seien. Dann aber plötzlich waren auch einige der Originalakten verschwunden.
Die zuständigen Minister agieren nach dem Motto: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen und geben häppchenweise nur das zu, was ohnehin nicht länger zu leugnen ist. Der Ministerpräsident hat zu alledem gar nichts zu sagen, außer dass er natürlich hinter seinem Innenminister stehe, komme, was da wolle, und anstatt zu Hause aufzuräumen, verdrückt er sich lieber ins ferne China.
Die gewählten Abgeordneten werden in den Ausschüssen und durch diverse Pressekonferenzen von der Regierung bisweilen regelrecht vorgeführt. Selbst die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission erfahren die wesentlichen Fakten häufig zuerst aus den Medien. Dieser Zustand – Herr Kupfer, da müssen Sie mir eigentlich recht geben – ist unhaltbar.
(Beifall bei der Linksfraktion – Frank Kupfer, CDU: Sie haben keine Ahnung von der Argumentation. Es wird alles zusammenfallen wie ein Kartenhaus, und das von Anfang an!)
Wie groß die Not der Regierenden sein muss, zeigte nicht zuletzt die gestrige Kabinettspressekonferenz mit dem Auftritt des amtierenden Staatssekretärs Fleischmann und des LfV-Präsidenten Boos. Herr Buttolo war gleich gar nicht erst erschienen.
Inzwischen ist nicht einmal der Quellenschutz mehr wichtig. Inzwischen stellt man sogar plötzlich die Ermittlungs- und Beobachtungsergebnisse der eigenen Behörde infrage. Bislang gibt es nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass irgendwelche Vorwürfe erfunden wären.
Wichtig ist auch nicht, Herr Hähle, von wem bestimmte Informationen stammen. Entscheidend ist, ob die Fakten zutreffen oder nicht.
Überhaupt vermag ich die gekünstelte Aufregung Verantwortlicher im Innenministerium nicht nachzuvollziehen. Wenn der Verfassungsschutz schon nach Gesetz für die Beobachtung der Organisierten Kriminalität zuständig war – was wir immer für falsch gehalten haben – und es um die Aufklärung von OK-Strukturen im Polizeibereich geht, dann ist es doch wohl auch selbstverständlich, dass man mit Polizisten sprechen muss. Wie sonst soll man die Dinge aufdecken?
Eines will ich auch noch sagen, und auch das ist ein Punkt, der das Parlament, denke ich, interessieren sollte: Wenn die sächsischen Behörden auch nur halb so viel Energie in die Verfolgung der wirklichen Straftaten
investiert hätten, wie derzeit in die Suche nach einem Leck in den Reihen, durch das die Medien und der offenkundig überaus gut präparierte Jürgen Roth an ihre Informationen kommen, dann wären wir in Sachsen mit Sicherheit schon ein ganzes Stück weiter.
Davon jedoch kann keine Rede sein. Die sächsischen Sozialdemokraten berufen eine Sondersitzung des Parteipräsidiums ein, betonen, dass sie sich für die CDU nicht in Mithaftung nehmen lassen, drohen bei der nächsten Panne mit einem Ausstieg aus der Koalition, um dann, wenn, wie vorhersehbar, die nächste Panne kommt, zu erklären, dass man selbstverständlich an der Regierung und damit der Macht bleiben wolle, koste es, was es wolle. Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren von der SPD, sieht anders aus. Mit Ihrem Verhalten sorgen Sie nicht für mehr Klarheit, sondern eher für noch mehr Politikverdrossenheit.
Die Sächsische Staatsregierung – dazu gehören auch Sie, Herr Jurk – hat wirklich alles dafür getan, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss unumgänglich wird. Ja, meine Damen und Herren, Sie haben durch Ihr Handeln und durch Ihr Unterlassen die Einsetzung eines solchen Ausschusses quasi zwingend erforderlich gemacht. Sie werden ihn nun auch bekommen.
Linksfraktion, FDP und GRÜNE haben sich auf einen gemeinsamen Antrag zur Einsetzung eines solchen Gremiums geeinigt. Schon allein dieser Fakt sollte den Koalitionsfraktionen doch einmal zu denken geben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich noch einige Ausführungen zum konkreten Text des Einsetzungsbeschlusses mache, will ich aus gegebenem Anlass auch heute noch einmal festhalten: Niemand behauptet, die gesamte sächsische Justiz oder die gesamte Polizei des Landes seien korrupt oder in Verbrechen verstrickt.
Dies wäre nicht nur die Unwahrheit, es wäre auch hoch fahrlässig und eine Beleidigung der sicher übergroßen Mehrheit jener Beamten, die ihre Arbeit ordentlich und engagiert leisten. – Herr Kollege Kupfer, diesen Satz habe ich auch in der letzten Debatte gesagt. Dazu stehen wir.
Ich bleibe aber auch bei dem Folgenden: Gerade jener Mehrheit der ordentlich arbeitenden Polizisten, Staatsanwälte und Richter sind wir es schuldig, die existierenden kriminellen Netzwerke in Sachsen zu zerschlagen und die Schuldigen straf- und/oder dienstrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Wir haben als Parlament die Aufgabe, die Voraussetzungen dazu zu schaffen. Wenn Sie das nicht wollen – wir wollen das, Herr Kupfer.
Darüber hinaus wird es dann natürlich auch im Untersuchungsausschuss darum gehen, welche politischen Fehlentscheidungen dazu beigetragen haben, dass derartige Netzwerke in Sachsen überhaupt entstehen konnten. Es geht um die Frage, warum nahezu sämtliche Kontrollmechanismen in diesem Land versagt haben, warum trotz vorhandener Informationen über Jahre hinweg keine entschiedene Strafverfolgung stattfand und warum selbst die wenigen Versuche engagierter Polizisten, Licht ins Dunkel zu bringen, offenbar durch übergeordnete Dienststellen rigoros unterbunden wurden.
Gegenstand der Untersuchung des Ausschusses sollen aus unserer Sicht dabei folgende Punkte sein: Zunächst einmal geht es natürlich um die Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz, der jetzt langsam tätig werdenden Strafverfolgungsbehörden und der öffentlichen Berichterstattung bezüglich der offenbar sehr komplexen Sachverhalte zu kriminellen und korruptiven Netzwerken in Sachsen sowie deren Zustandekommen bzw. Begünstigung infolge von Versäumnissen, Fehlentscheidungen, direkten oder indirekten Einflussnahmen der Staatsregierung bzw. nachgeordneter Behörden.