Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 20. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages. Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Frau Nicolaus, Frau Roth, Frau Kagelmann, Frau Mattern, Herr Kosel, Herr Schmidt und Herr Baier. Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 2 bis 6 sowie 9 bis 13 folgende Redezeiten festgelegt: CDU-Fraktion 148 Minuten, PDS-Fraktion 116 Minu
ten, SPD-Fraktion 76 Minuten, desgleichen NPDFraktion, FDP-Fraktion 60 Minuten, GRÜNE-Fraktion 60 Minuten, Staatsregierung 116 Minuten. Die Fraktionen und die Staatsregierung können die Redezeiten je nach Bedarf auf die Tagesordnungspunkte aufteilen.
Meine Damen und Herren! Änderungs- oder Ergänzungsanträge zur Tagesordnung liegen mir nicht vor. Erheben sich gegen die Ihnen vorliegende Tagesordnung irgendwelche Einwände? – Wenn das nicht der Fall ist, dann gilt die vorliegende Tagesordnung für unsere heutige Beratung als beschlossen.
1. Aktuelle Debatte: Verschleuderung von Steuergeldern im Bereich des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit
Meine Damen und Herren! Das Präsidium hat die Verteilung der Gesamtredezeit wie folgt vorgenommen: CDU-Fraktion 36 Minuten, PDS-Fraktion 31 Minuten, SPD-Fraktion 17 Minuten, NPD-Fraktion 17 Minuten,
Verschleuderung von Steuergeldern im Bereich des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit
Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion der PDS das Wort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde lautet: CDU-Fraktion, SPD-Fraktion, NPD-Fraktion, FDPFraktion, GRÜNE-Fraktion, Staatsregierung.
Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Fraktion der PDS das Wort nimmt. Herr Dr. Hahn, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fast parallel zu unserer heutigen Landtagssitzung findet gut hundert Kilometer entfernt, vor der Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht in Leipzig, eine andere, nicht minder wichtige Sitzung statt. Ich spreche vom inzwischen 16. Verhandlungstag im Prozess wegen angeblichen Subventionsbetrugs im Zusammenhang mit der Insolvenz der Werkstoffunion Lippendorf. Die juristische Aufarbeitung des LippendorfSkandals soll und muss den Justizbehörden vorbehalten bleiben; die Frage nach politischer Mitverantwortung und politischer Schuld gehört jedoch ohne Zweifel hierher, in das Parlament.
Dabei geht es mir nicht darum, den gesamten Vorgang um die im März 1996 in Konkurs gegangene Werkstoffunion, bei der einmal 180 Menschen beschäftigt waren, hier noch einmal in allen Einzelheiten aufzurollen; dies ist im Rahmen einer Aktuellen Debatte auch gar nicht machbar. Allerdings gab es durch die jüngsten Veröffentlichungen der „Sächsischen Zeitung“ neue und höchst brisante Informationen, nach denen der Freistaat Sachsen nicht nur ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung an der Firmenpleite hatte, sondern zudem ohne Not, ohne rechtliche Grundlage und ohne vorherige Zustimmung des Parlaments noch im Jahre 1998 einen umstrittenen Vergleich mit den früheren Hausbanken der Werkstoffunion einging, der den Steuerzahler mehr als 40 Millionen DM oder 21,1 Millionen Euro kostete, und dies, obwohl eine förmliche Bürgschaftsurkunde des Landes überhaupt nicht existierte. Darüber hinaus hatten Land und Bund das nach wenigen Monaten gescheiterte Vorzeigeprojekt schon in der Bauphase mit fast 30 Millionen Euro an Fördermitteln bezuschusst.
Doch statt dem Unternehmen zu helfen, versäumte es der Freistaat Sachsen, rechtzeitig die erforderlichen EUGenehmigungen für die vorübergehend notwendige Mehrproduktion an Stahl zu beantragen, was die EUKommission auf den Plan rief. Aus Prestigegründen wurden geltende und auch bekannte Regularien bezüglich der Stahlquoten verletzt und der Betrieb ins Verderben gestürzt.
Hinzu kamen bezüglich des vermeintlichen Eigenkapitals millionenschwere Luftbuchungen mit angeblich werthaltigen Patenten, wie wir sie auch aus der SachsenringAffäre – Stichwort „Mobile Emissionsschutzmessanlage (MEM) “ – kennen.
Nahezu alle sächsischen Politgrößen der CDU waren in die Vorgänge um Lippendorf involviert, angefangen beim damaligen Ministerpräsidenten Biedenkopf über den früheren Wirtschaftsminister Kajo Schommer bis hin zum Ex-Finanzminister und jetzigen Regierungschef Georg Milbradt.
Die neuen Erkenntnisse werfen zahlreiche Fragen auf, die sicherlich noch an anderer Stelle ausführlich zu klären sind. Ich will deshalb heute nur einen einzigen Aspekt ansprechen. Ich frage mich: Warum ging Sachsen ohne Not einen Vergleich in zweistelliger Millionenhöhe ein, obwohl die Hintergründe der Insolvenz noch gar nicht geklärt waren und das Strafverfahren wegen vermeintlichen Subventionsbetrugs noch lief? Warum wurde gerade mit jenen Banken ein Vergleich geschlossen, ohne deren Zutun oder zumindest Wissen der behauptete Subventionsbetrug gar nicht stattgefunden haben kann? Darauf erwartet nicht nur die PDS-Fraktion, sondern sicherlich auch die Öffentlichkeit eine Antwort.
In meinem zweiten Redebeitrag werde ich weitere konkrete Fälle ansprechen, bei denen für den Freistaat Sachsen ein Schaden in dreistelliger Millionenhöhe entstanden ist. Es geht um die Sachsenring-Spendenaffäre. Es geht um die bewusst an der EU-Kommission vorbei erfolgte Bezuschussung des Dresdner Zentrums für Mikroelektronik. Der 2. Untersuchungsausschuss der vergangenen Wahlperiode hat zutage gefördert, dass mindestens 350 Millionen DM Fördergelder in Brüssel nicht ordnungsgemäß deklariert worden sind. Weitere Beihilfen für Forschung und Entwicklung in zweistelliger Millionenhöhe wurden nachweisbar zweckentfremdet. Und dann gab es noch den so genannten QMF-Skandal, bei dem mit Wissen und Duldung des Wirtschaftsministeriums Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds de facto veruntreut worden sind. Hier laufen inzwischen zahlreiche staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren.
Für all diese Vorgänge – darauf lege ich großen Wert – trägt der jetzige Wirtschaftsminister persönlich keinerlei Verantwortung. Im Gegenteil, er hat als Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Opposition all diese Punkte gemeinsam mit uns zu Recht angeprangert. Nun aber ist Thomas Jurk selbst Wirtschaftsminister, und nicht nur wir von der PDS, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen erwarten, dass er die zurückliegenden Vorgänge rückhaltlos aufklärt und die für die offenkundigen Verfehlungen unmittelbar Zuständigen zur Verantwortung zieht.
Wir erwarten von Ihnen, Herr Minister, in der heutigen Debatte detaillierte Auskunft darüber, welche Ergebnisse
die Innenrevision zur ESF-Förderung im SMWA erbracht hat. Wir erwarten Auskunft darüber, welche konkreten sachlichen und personellen Konsequenzen in Ihrem Ministerium gezogen wurden und wie sich der Sachstand der juristischen Aufarbeitung darstellt. Wir wollen wissen, welche Maßnahmen der Minister angeordnet hat, damit sich das, was in Lippendorf, bei Sachsenring, bei ZMD, bei QMF und anderswo geschehen ist, möglichst nie mehr wiederholen kann. Darauf erwarten wir von Ihnen heute eine klare Antwort. Das ist der Sinn unserer Aktuellen Debatte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Es ist das gute Recht der Opposition, die Staatsregierung zu kritisieren und auf tatsächliche oder vermeintliche Fehler hinzuweisen.
Dass sich viele der Vorwürfe nach genauem Hinsehen in einem anderen Licht darstellen, ist eine alte Erfahrung. Ich denke, sie wird sich auch heute einstellen, wenn Staatsminister Thomas Jurk Gelegenheit hatte, zu Ihren Behauptungen zur Werkstoffunion und den anderen Vorgängen im Einzelnen Stellung zu nehmen. Der alte juristische Grundsatz der Sachverhaltsaufklärung audiatur et altera pars – zu Deutsch: man sollte auch die andere Seite anhören – hat nirgendwo größere Berechtigung als bei der jetzigen Debatte.
Die heutige Debatte wird von Ihnen ja offensichtlich nicht geführt, um legitime parlamentarische Kontrollrechte auszuüben, nein, sie soll den Eindruck erwecken, das SMWA würde öffentliche Mittel flächendeckend so einmal eben ausgeben, ohne Sorgfalt, nach Gutdünken, zumindest fahrlässig. Wildwest in Oberbayern – dieses Stimmungsbild wollen Sie in der Öffentlichkeit vermitteln. Dieser Stimmungsmache werden wir entschieden entgegentreten.
Sachsen ist auch wirtschaftspolitisch auf einem guten Kurs und Spitze in den neuen Bundesländern. Wir haben zweistellige Zuwachsraten in der Industrie. Forschung, Technologie und Innovation haben im Freistaat Vorfahrt. Wenn die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen endlich stimmen, werden wir auch den selbsttragenden Wirtschaftsaufschwung schaffen.
Auch wenn Sie, Kolleginnen und Kollegen von der PDS, das nicht wahrhaben wollen, daran haben die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im SMWA ein gerüttelt Maß Anteil.
Das ist nicht nur unsere Sicht, sondern das Ergebnis vieler Studien. „Die positive Entwicklung des Freistaates
Sachsen ist mit den historischen Gegebenheiten auch auf die konsequente angebotsorientierte Wirtschaftspolitik der Landesregierung zurückzuführen. Sie hat die wesentlichen Probleme erkannt und versucht, durch solide Politik das Land zu langfristigem Wohlstand zu führen. Vor allem die starke Vernetzung von Wissenschaft und Industrie sowie die Kooperation einzelner Unternehmen und Branchen sind sehr viel versprechende Wege des Freistaates.“ Das ist das Zitat der sicherlich unverdächtigen Bertelsmann-Stiftung in ihrem aktuellen Länderranking. Nach wie vor nehmen wir Platz 11 bei den Flächenländern ein und haben in bestimmten Kennziffern Flächenländer aus den alten Bundesländern überholt. Darauf sind wir mit Recht auch stolz.
Die Vorstandsvorsitzende der Weidmanngruppe, Frau Tschudy, hat kürzlich bei der Eröffnung ihres Automobilzulieferwerkes in Treuen erklärt: „Neben aktuellen und attraktiven Förderkonditionen und den nahen Märkten waren die Aufgeschlossenheit und Flexibilität der Leute im SMWA und in der Region ausschlaggebend für unser Engagement in der Region und unsere Ansiedlung.“
Meine Damen und Herren! Diese Aussage – das ist kein Einzelfall – spricht sicher für sich. Ich bin mir sicher, hätten wir auf die Ratschläge der PDS gehört,
die Sie uns in den letzten 16 Jahren hier und an anderer Stelle mit auf den Weg gaben, die Wirklichkeit hätte sicher anders und schlechter ausgesehen.
Herr Kollege Hahn, damit wir uns nicht falsch verstehen: Mit Steuermitteln ist sorgsam umzugehen. Fehler und Fehlentwicklungen müssen diskutiert und abgestellt werden, aber bitte dort, wo sie hingehören, nämlich in den Ausschuss, und mit dem notwendigen Augenmaß. Ihr Versuch, den Standort Sachsen an einer maßgeblichen Stelle kaputt zu reden, ist zum Scheitern verurteilt.
Ich lade Sie deshalb ein, dem Aufruf der „FAZ“ vom Montag dieser Woche zu folgen: Helfen Sie mit, dass Sachsen seine Erfolge deutschlandweit und international besser vermitteln kann.