Protocol of the Session on September 23, 2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 29. Sitzung des Sächsischen Landtags. Wir haben wieder ein Geburtstagskind unter uns. Herr Bartl hat Geburtstag. Ihnen, Herr Bartl, herzlichen Glückwunsch und alles Gute für die weiteren Jahre!

(Beifall des ganzen Hauses)

Meine Damen und Herren! Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: – –

Also, wenn ich das hier so betrachte, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass wir schon begonnen haben. Ich würde wirklich einmal die Parlamentarischen Geschäftsführer bitten, darauf hinzuweisen, dass 10:00 Uhr Beginn unserer Sitzung ist. – Ja, es gibt Fraktionen, die sind vollständig, das muss ich feststellen.

Meine Damen und Herren! Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Herr Jurk, Frau Nicolaus, Frau Dr. Höll, Frau Kipping, Herr Albrecht, Herr Wehner, Herr Nolle und Herr Hilker.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt für die Tagesordnungspunkte 1 bis 5: CDU 80 Minuten, Linksfraktion.PDS 60 Minuten, SPD und NPD 35 Minuten, FDP und GRÜNE 25 Minuten, Staatsregierung 60 Minuten. Die Redezeiten können wie immer entsprechend den Redebedürfnissen auf die einzelnen Tagesordnungspunkte selbsttätig verteilt werden.

Meine Damen und Herren! Mir ist angekündigt worden, dass die Fraktionen CDU, SPD, FDP und GRÜNE beabsichtigen, gemäß § 81 Abs. 4 die Tagesordnung um einen Punkt, Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage, Drucksache 4/2941, erweitern zu lassen. Gemäß § 81 Abs. 4 der Geschäftsordnung können Anträge auf die Tagesordnung der Sitzung gesetzt werden. Ich bitte den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung zu begründen. Die Zulässigkeit dieses Antrags, und das möchte ich gleich vorab sagen, ergibt sich aus dem § 73 unserer Geschäftsordnung.

Möchte jetzt jemand den Antrag einbringen? – Herr Lehmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Erweiterung der Tagesordnung um einen weiteren Punkt 1, wie Sie bereits angekündigt haben, beantragen und begründen.

Der Landtag hat in seiner gestrigen nichtöffentlichen Sitzung den Bericht und die Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses zustimmend zur Kenntnis genommen. Im Ergebnis dessen haben 65 Abgeordnete von vier Fraktionen den Antrag Drucksache 4/2941 auf Erhebung der Abgeordnetenanklage eingereicht. Im Hinblick auf die knappen Terminvorgaben des Verfassungsgerichts muss der Antrag dann zügig behandelt werden. Wir bitten dem dazu notwendigen Geschäftsordnungsantrag zuzustimmen und die Tagesordnung im Sinne des § 81 Abs. 4, da es sich ja in diesem Falle um Anträge von Abgeordneten handelt, zu erweitern.

Wird dazu weiter das Wort gewünscht? – Herr Bartl, bitte.

Danke, Herr Präsident. – Ich spreche gegen den Antrag. Wir hatten gestern in geschlossener Sitzung dargelegt, dass die Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses, die letzten Endes auch dieser jetzt durch Unterschriften unterstützten Antragsfassung zugrunde liegt, eindeutig nicht § 1 Ziffer 1h des entsprechenden Beschlusses „Richtlinien für die Tätigkeit des Bewertungsausschusses“ in § 1 Abgeordnetengesetz entspricht, da diese entsprechenden Richtlinien vorschreiben, dass die Beschlussempfehlung den Gang des Verfahrens darstellen muss und danach die Erwägungen, die zur Beschlussempfehlung führen.

In der Beschlussempfehlung fehlt die Darstellung des Ganges des Verfahrens. Sie ist damit nicht rechtsförmig und kann deshalb auch nicht Grundlage des Antrags sein.

Wird weiter das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, dann bringe ich den Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage, Drucksache 4/2941, zur Abstimmung. Wer der Erweiterung der Tagesordnung um diesen Punkt zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist das mit Mehrheit – bei einer ganzen Anzahl von Gegenstimmen – so beschlossen worden.

Außerdem ist beantragt worden, diesen Antrag als Punkt 1 auf die Tagesordnung zu setzen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Wenn das nicht der Fall ist, dann behandeln wir diesen Antrag als Tagesordnungspunkt 1 unserer heutigen Sitzung.

Meine Damen und Herren, gibt es weitere Anträge zur Tagesordnung? – Das ist nicht der Fall. Dann gilt die vorliegende Tagesordnung mit der entsprechenden Erweiterung als beschlossen. Wir kommen deshalb zur Tagesordnung selbst.

Ich rufe auf

Tagungsordnungspunkt 1

Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage

Drucksache 4/2941, Antrag der Abgeordneten Johannes Gerlach, Uta Windisch, Dr. Gisela Schwarz, Christian Steinbach, Tino Günther, Dr. Jürgen Martens, Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, Johannes Lichdi u. a.

Gemäß § 73 der Geschäftsordnung ist der Antrag in zwei Beratungen zu behandeln. Der Antrag ist am Schluss der ersten Beratung, also heute, an den Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten zu überweisen.

Wir kommen jetzt zur Aussprache. Da es ein Antrag von Abgeordneten ist, frage ich: Möchten die Antragsteller zu ihrem Antrag sprechen? – Herr Gerlach, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen der Antragsteller dieses heutigen Antrags möchte ich einige wenige Worte zu diesem Antrag sagen. Wir haben gestern in nichtöffentlicher Sitzung die Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses, dessen Sprecher ich bin, mit Mehrheit beschlossen.

Die Beschlussempfehlung lautet: „Der Landtag möge beschließen: Es wird empfohlen, gegen Herrn Prof. Dr. Peter Porsch, MdL, Antrag auf Erhebung der Anklage mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats gemäß Artikel 118 der Verfassung des Freistaats Sachsen zu stellen.“

Dieser Beschlussempfehlung wurde mehrheitlich gefolgt. Wie der Präsident in seiner Einleitung bereits gesagt hat, erfordert das Verfahren, das sich der Landtag selbst gegeben hat bzw. das ihm durch die Verfassung auferlegt ist, dass am heutigen Tag noch einmal ein entsprechender Antrag gestellt werden muss, dessen Einreichung viele Abgeordnete durch ihre Unterschrift gefolgt sind. Dieser Antrag lautet, ich wiederhole es noch einmal: „Gegen Prof. Dr. Peter Porsch, MdL, wird gemäß Artikel 118 der Sächsischen Verfassung beim Verfassungsgericht des Freistaats Sachsen Anklage mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats erhoben.“

Die Begründung liegt diesem Antrag bei. Sie können das alles nachlesen. Ich werde mich im Rahmen der Debatte dieses Landtags in die weitere Diskussion einbringen und möchte hiermit die Einbringung dieses Antrags erst einmal vorgenommen haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Wird weiter das Wort gewünscht? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. – Herr Dr. Hahn wünscht das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist etwas schwierig, da es die Vorwürfe, um die es geht, hier überhaupt nicht genannt worden sind, sodass man darauf eingehen könnte.

(Zurufe von der CDU: Das hatten wir gestern!)

Wir haben heute eine öffentliche Sitzung, meine Damen und Herren.

Ich möchte trotzdem für meine Fraktion zu Beginn eines festhalten: Es ist völlig unbestritten, dass in der DDR, insbesondere gegen jene, die nicht systemkonform waren, viel Unrecht geschehen ist, und auch wir wissen, dass die Staatssicherheit dabei das wichtigste Repressionsinstrument war.

Seitdem ich hier im Landtag bin – zunächst als Mitarbeiter der Fraktion, seit 1994 als Abgeordneter –, habe ich in unterschiedlichen Gremien, in denen ich tätig war, Dinge erfahren und Schicksale kennen gelernt, für die es keinerlei Rechtfertigung und in den meisten Fällen auch keinerlei Entschuldigung geben kann. Doch wir sprechen heute nicht allgemein über Unrecht in der DDR, sondern wir sprechen über einen ganz konkreten Vorgang und wir sprechen über einen ganz konkreten Menschen.

Peter Porsch hat sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen schon mehrfach geäußert und Stellung genommen. Der Landtag soll nun die Angelegenheit bewerten und die Fraktionen in diesem Haus bewerten sie naturgemäß sehr unterschiedlich. Ich will Ihnen die Position der Linksfraktion.PDS vortragen, und die ist nicht zuletzt nach der gestrigen geschlossenen Sitzung eindeutig.

Wir sind es gewohnt, kollektiv für alles verantwortlich gemacht zu werden, was in der DDR geschehen ist. Eine Differenzierung wird nicht vorgenommen. Das, was heute hier stattfinden soll, ist ein politischer Willkürakt, ist eine Verfälschung des demokratischen Wählervotums und ist darüber hinaus noch eindeutig verfassungswidrig.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Zur rechtlichen Seite, insbesondere zur fehlenden gesetzlichen Grundlage sowie zu den zahlreichen Verstößen und Fehlern im Verfahren, wird mein Fraktionskollege Klaus Bartl dann noch sprechen. Ich will mich vorrangig mit der politischen Dimension des Verfahrens befassen.

Das Ganze begann bekanntlich vor mehr als einem Jahr. Rechtzeitig zur Landtagswahl wurden via CDU-FDP

Zentralorgan „Focus“ dubiose Stasivorwürfe gegen den Spitzenkandidaten der sächsischen PDS, Prof. Peter Porsch, in die Öffentlichkeit lanciert, weil die PDS zu stark und den Regierenden damit zu gefährlich zu werden drohte. Unter Bruch jedweder rechtsstaatlichen Grundsätze wurde ihm vom damaligen CDU-Wissenschaftsminister punktgenau am Tag des Wahlkampfauftaktes fristlos gekündigt und er verlor die Professur an der Leipziger Universität – auch das ein einmaliger Vorgang in Deutschland. In der Öffentlichkeit erging man sich in Vorverurteilungen. Eine große sächsische Tageszeitung verweigerte dem Oppositionsführer sogar die übliche Dokumentation eines Leserforums zur Wahl. Der Text war fertig, auch schon autorisiert, ist aber nie erschienen. Ein eklatanter Verstoß gegen die Chancengleichheit. Genutzt haben all diese Aktionen zum Glück nichts. Die CDU verlor ihre absolute Mehrheit. Die PDS errang so viele Mandate wie nie zuvor.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Doch man wollte keine Ruhe geben, egal, wie viele Gerichte inzwischen auch zugunsten von Peter Porsch entschieden hatten. Zunehmend wurde deutlich, es geht nicht um Aufklärung, es ging und geht leider vielen in diesem Haus um die Abrechnung mit einem unbequemen Oppositionspolitiker, dem sie auf faire Art und Weise und auch bei den Wahlen niemals beikommen konnten. Nun versucht man es mit einer Abgeordnetenanklage. Leider ist es mir verwehrt, hier in öffentlicher Sitzung über Einzelheiten aus dem Bewertungsausschuss zu sprechen.

(Zuruf des Abg. Heinz Eggert, CDU)

Im Gegensatz zu anderen, Herr Eggert, halten wir uns an die Geheimhaltungsbestimmungen.

Aber es war schon bezeichnend, wie wenig im Verfahren von Rechtsstaatlichkeit die Rede war. Stattdessen wurde immer wieder der so genannte gesunde Menschenverstand bemüht, wurde von fehlender Reue geredet, ging es um eine imaginäre politische Hygiene, wegen der Herr Porsch aus dem Landtag geworfen werden müsste.

Abgesehen von der Substanzlosigkeit der Vorwürfe sind dies schon sehr eigenartige Kriterien für einen derart gravierenden Eingriff in das Mandat eines frei gewählten Abgeordneten.

Ich gebe zu, auch uns sind einige Abgeordnete, die in diesem Haus sitzen, durchaus ein Dorn im Auge und auch wir wünschten sie uns lieber draußen. Aber wir respektieren das Wählervotum und ich denke, das sollten alle in diesem Landtag tun.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Heinz Eggert, CDU: Unerhört!)

In den letzten Tagen waren bemerkenswerte Dinge in den Zeitungen zu lesen. Von Herrn Prof. Weiss sind wir es ja inzwischen gewohnt, dass er meint, die oberste moralische Instanz in diesem Haus zu sein. Dazu äußere ich mich jetzt nicht weiter.

Herr Eggert erklärte gestern in der „DNN“, dass das von der Birthler-Behörde übersandte Material zu Herrn Porsch nach seinem Eindruck stark belastend sei. Ich frage: Woher kennt der CDU-Abgeordnete Eggert dieses Material? Im Bericht des Bewertungsausschusses ist es jedenfalls nicht enthalten. Herr Bräunig von der SPD schließlich erklärte in der gleichen Zeitung, er werde die Abgeordnetenanklage unterschreiben, weil er gegen einen Schlussstrich sei.

Ich will hier noch einmal in aller Deutlichkeit festhalten: Auch die Linksfraktion.PDS ist weder für einen Schlussstrich, noch verweigert sie sich einer Debatte über die Vergangenheit. Wissenschaftliche, politische und auch moralische Diskussionen müssen geführt werden und sie sind in den letzten 16 Jahren auch in erheblichem Maße geführt worden, im Übrigen wesentlich häufiger und intensiver in den Reihen der PDS als bei der CDU, die ja bekanntlich zu DDR-Zeiten auch anerkanntes Mitglied der Nationalen Front gewesen ist.