Protocol of the Session on July 21, 2006

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 57. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages. Wir haben wieder ein Geburtstagskind unter uns, dem ich ganz herzlich im Namen der Abgeordneten gratuliere. Herr Clemen hat Geburtstag.

(Beifall bei allen Fraktionen und Oh-Rufe von der CDU)

Ihnen alles Gute, Gesundheit, Wohlergehen und weiterhin gute Zusammenarbeit.

Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Frau Roth, Herr Schön, Herr Pecher und Frau Schmidt.

Meine Damen und Herren, die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Folgende Redezeiten hat das Präsidium für die Tagesordnungspunkte 1 bis 5 sowie 7 bis 9 festgelegt: CDU 85 Minuten, Linksfraktion.PDS 65 Minuten, SPD 40 Minuten, NPD, FDP, GRÜNE je

30 Minuten, Fraktionslose je 5 Minuten und die Staatsregierung 65 Minuten.

Meine Damen und Herren, ich bitte, folgende Änderungen in der Ihnen vorliegenden Tagesordnung vorzunehmen: Die Tagesordnungspunkte 1 bis 3, 3. Lesungen, sind zu streichen, da wir sie bereits gestern behandelt haben.

Noch ein Hinweis: Nach der Fragestunde bitte ich die Mitglieder des Präsidiums zu einer Sondersitzung in den Raum 3. Die entsprechende Einladung ist den Mitgliedern zugegangen.

Meine Damen und Herren, ich frage, ob es zu der vorliegenden Tagesordnung noch Änderungswünsche gibt. – Es gibt keine. Das ist schön. Damit ist die vorliegende Tagesordnung von Ihnen bestätigt und wir treten in die Abarbeitung ein.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 1

Suchthilfe in Sachsen ausbauen

Drucksache 4/4268, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Drogen und Suchtbericht

Drucksache 4/5258, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Die Fraktionen können dazu wie immer Stellung nehmen. Es beginnt die Fraktion der CDU, danach SPD, Linksfraktion.PDS, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte die Fraktion der CDU, das Wort zu nehmen. Frau Nicolaus, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie kennen alle die Geschichte der Christiane F. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Diese Geschichte wiederholt sich heute immer wieder. Klaus, 14 Jahre, fühlte sich zu Hause missverstanden und suchte neue Freunde. Diese hatte er auch in der Szene gefunden. Seitdem war es für ihn immer cool gewesen, Ecstasy zu nehmen. Cool war es bis vorige Woche, seitdem ruht er auf dem Friedhof. Diese Situation ist ein Beispiel von vielen.

Ich habe diesen Einstieg deshalb so gewählt, um Sie für dieses Thema zu sensibilisieren. Der weiterhin zunehmende Missbrauch von Drogen, das Abdriften junger Menschen in immer neue Süchte zwingt uns jeden Tag aufs Neue, durch zielgerichtete Prävention dem entgegenzuwirken. Sucht ist keine Frage des Alters oder der sozialen Herkunft. Jugendliche und Kinder sind dennoch besonders gefährdet, da sie eine besonders ausgeprägte Neugier haben. Schon allein diese Erkenntnis birgt ein Selbstverständnis in sich. Das macht viele Dinge unver

antwortlich, wenn von Mitgliedern dieses Hohen Hauses propagiert wird, illegale Drogen freizugeben oder zu verharmlosen.

Wir wollen dies mit aller Entschiedenheit verneinen und dem entgegenwirken. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Nikotinsucht darf hier nicht unerwähnt bleiben.

(Oh-Rufe und Beifall bei der CDU, Beifall bei der NPD und der FDP)

Schön, dass ich hier Beifall bekomme. Wir haben ja viele Raucher unter uns.

(Bewegung im Saal)

Oftmals nehmen wir diese Sucht und ihre Folgen nicht ernst genug. Dabei stellt sich gerade der Zigarettenkonsum in Deutschland sehr drastisch dar. Er birgt ein hohes Gesundheitsrisiko. Rund 35 % der Erwachsenen und 38 % der Jugendlichen und jungen Erwachsenen rauchen. Über 110 000 Menschen sterben jährlich an den Folgen des Rauchens. Besonders Besorgnis erregend ist dabei der kontinuierliche Anstieg von Rauchern in den neuen Bundesländern in der Altersgruppe von zwölf bis 17 Jahren und in der Altersgruppe von 18 bis 25 Jahren. Es wurde nachgewiesen: Je früher der Einstieg in den

Zigarettenkonsum erfolgt, desto länger und schwerer sind die Folgeschäden.

Ebenso beunruhigend sind die Zahlen beim Alkoholkonsum. Bundesweit haben nur 8 % der Zwölf- bis 25Jährigen keine Erfahrungen mit Alkohol. Der Anteil der regelmäßig Konsumierenden steigt in der Altersgruppe der 14- bis 25-Jährigen auf sage und schreibe 44 %. Besonders alarmierend ist die Bereitschaft zum riskanten Trinken, auch bekannt als Koma-Saufen. Das ist ein umgangssprachlicher Begriff, der nicht gerade fein, aber in der Szene bekannt ist. Die Zahl der Krankenhausaufenthalte aufgrund dieses risikobehafteten Trinkens steigt bei den 15- bis 35-Jährigen alarmierend. Das übersteigt die Krankenhausaufenthalte von Abhängigen von illegalen Drogen oder Medikamentensüchtigen um ein Vielfaches.

Das Suchtmittel als solches gibt es in der Praxis auch nicht. Viele Betroffene haben mehrere Abhängigkeiten. Rauchen und Trinken erleichtern den Einstieg in weitere Suchtmittel, zum Beispiel Tabletten, Cannabis oder synthetische Drogen. Junge Menschen sprechen oft von dem Hochgefühl, welches sie Drogen verdanken. Sie denken dabei aber nicht an die vielen damit verbundenen Tiefpunkte, die eintreten, wenn die Wirkung der Droge nachlässt. Die negativen Auswirkungen des Drogenkonsums hängen von der Art der Drogen, der Dosierung und der Art der Abhängigkeit ab. In vielen Fällen führt der Drogenkonsum zu schweren Depressionen, Panikattacken, Herz-Rhythmus-Störungen, Atembeschwerden oder sogar zum plötzlichen Tod.

Im Bereich der illegalen Drogen ist auch die Beschaffungskriminalität zu benennen. Sucht und Kriminalität sind zwei Seiten, aber leider von der gleichen Medaille. Die Sucht führt in den meisten Fällen zum Verlassen des gesellschaftlichen Kernkonsenses. Der Unterschied zwischen Recht und Unrecht verschwimmt leider, und das spielend und unaufhaltsam. Dies zwingt uns dazu, immer auf ein Miteinander von Sucht- und Kriminalitätsprävention zu achten; denn wir brauchen hier einen Ansatz, der die Sucht mit den ihr zugrunde liegenden gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen in das Blickfeld der Gesellschaft rückt.

Ebenfalls nicht zu unterschätzen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind natürlich die nicht stoffgebundenen Süchte, mit denen sich die Gesellschaft ganz wenig auseinander setzt. Da sind zum Beispiel Spielsüchte, die oftmals die Familien unaufhaltsam ins finanzielle Chaos stürzen.

Aber das betrifft natürlich auch diejenigen jungen Mädchen, die an Magersucht leiden – Bulimie –, wir denken hier an 1,70 Meter große junge Frauen, die nur noch 35 kg wiegen und trotzdem denken, sie sind noch viel zu dick, weil sie einem Schönheitsideal nachjagen, das durch Medien propagiert und somit befördert wird. Oftmals ist es so – das muss man beklagen –, dass es die jungen Menschen sind, die letztlich im Tod enden, weil man diese Suchtgefahr nicht mehr durch Therapien beeinflus

sen kann. Das ist sehr tragisch, aber leider auf dem Vormarsch.

Die Gefährdung der Gesellschaft durch den Missbrauch von Drogen geht natürlich auch am Freistaat Sachsen nicht vorbei. Das ist ganz klar. Wir haben rund 130 000 Alkoholabhängige, 74 000 Medikamentenabhängige und 15 000 von illegalen Drogen Abhängige zu verzeichnen. Das ist bei einer Bevölkerung von 4,3 Millionen Einwohnern natürlich schon beängstigend.

Der Freistaat verfügt bereits über ein flächendeckendes Netz von sowohl ambulanten als auch stationären Suchtberatungsstellen oder in bestimmten Fällen auch stationären Einrichtungen. Ich möchte sie einmal benennen. Wir haben ein flächendeckendes Netz von Suchtberatungsstellen im Freistaat. Wir verfügen über sehr engagierte Selbsthilfegruppen. In diesen Selbsthilfegruppen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird die Arbeit ehrenamtlich geleistet. Diesen möchte ich hier vom Hohen Hause aus ganz herzlich für ihre sehr engagierte Arbeit danken.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dies ist natürlich einhergehend mit stationären Einrichtungen, entweder Fachkliniken oder den jeweiligen Abteilungen an den Krankenhäusern, in denen die Entgiftung durchgeführt wird. Danach gibt es zumeist die Entwöhnungsbehandlungen im Reha-Bereich und anschließend sozialtherapeutische Wohnstätten, die im Freistaat Sachsen flächendeckend vorhanden sind.

Das alles bringt natürlich die jeweiligen Süchte nicht weg oder die Menschen wieder in Arbeit. Der so genannte Drehtüreffekt stellt sich nicht gleich wieder ein. Aber wir können dem mit bestimmten Sachen entgegenwirken, damit das nicht eintritt.

Aber wir haben auch Rückfallquoten zu verzeichnen. Doch wenn wir dem mit gezielten Mitteln, mit diesem Hilfenetz entgegentreten können, dann können wir für diese Menschen im Sucht- und Drogenbereich viel tun, um sie wieder in eine Tagesstruktur zu bringen. Hier möchte ich einfach ein Projekt benennen. Es ist die Suchtberatungsstelle in Zwickau, die ADU. Dort gibt es ein Projekt „Zweite Chance“. Inhalt dieses Projektes ist es im Speziellen, Hartz-IV-Empfänger wieder in eine Tagesstruktur zu bringen, Angebote für diese Menschen zu machen, um praktisch durch Abstinenz – es sind häufig Alkoholabhängige, die in diesem Projekt angesiedelt sind – wieder Kompetenz erlangen zu lassen, Normen zu zeigen, aber zuvörderst wieder einen Eintritt in das Arbeitsleben zu ermöglichen.

Hier ist auch der Illegale-Drogenabhängigen-Bereich in Großrückerswalde zu benennen, eine große Therapieeinrichtung, die auch jungen Menschen die Möglichkeit gibt, wieder in das normale Leben eintreten zu können. Dort gibt es eine Berufsausbildung. Diese Einrichtung kooperiert mit den dort ansässigen Schulen, damit die Betroffenen einen Hauptschulabschluss erlangen oder darauf

vorbereitet werden, eine Ausbildung wahrnehmen zu können.

Ebensolche Projekte sind es, die unsere Unterstützung brauchen, denn sie setzen an den für erwachsene Suchtkranke kritischen Punkten der Wiedereingliederung in die Gesellschaft an.

Darüber hinaus haben sich die Koalitionsfraktionen des Sächsischen Landtags das Motto „Vorbeugen ist besser als Heilen“ zur Handlungsmaxime gemacht. Neben der umfangreichen Beratung und Betreuung von Suchtgefährdeten bzw. Suchtkranken und deren Angehörigen haben die Koalitionsfraktionen ihr Augenmerk verstärkt auf die primäre Präventionsarbeit gerichtet. In der Praxis bedeutet das, dass wir besonders die Belastungsfähigkeit und das Selbstvertrauen unserer Kinder fördern müssen. Nur so stärken wir die Persönlichkeit und verringern die Suchtanfälligkeit.

Das bedeutet aber auch, dass wir die Eltern stärken müssen, da sie über die Vorbildfunktion natürlich maßgeblichen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung unserer Kinder haben. Ich möchte hier einfach ein Beispiel benennen. Wenn Eltern aus verschiedenen Lebenslagen heraus einen sehr hohen Konsum an alkoholischen Getränken haben, ist das nicht gerade eine positive Vorbildwirkung für die Kinder. Das spiegelt sich in den Lebensläufen der Kinder wider. Genau an dieser Stelle setzt die Primärprävention an. Primärprävention bedeutet in erster Linie Verhaltensprävention, das heißt, sie setzt weit vor einer erkennbaren Gefährdung an und wendet sich demzufolge vorrangig an junge Menschen. Wir wissen, dass junge Menschen besonders anfällig für Suchtgefahren sind. Das zeigt sich – wie anfangs schon erwähnt – deutlich am steigenden Nikotinkonsum.

Mit der Einführung des Rauchverbotes an Schulen, an dem sich bereits 622 örtliche Schulen in Sachsen beteiligen – das ist der Stand von 2006 und entspricht 39 % –, sind wir auf dem richtigen Weg.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten noch einen Schritt weitergehen. Warum setzen wir uns nicht mit Nachdruck für ein generelles Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen ein, zum Beispiel auch im Sächsischen Landtag?

(Beifall bei allen Fraktionen)

Nach meiner Ansicht können wir dabei nur gewinnen. Ich weiß natürlich, dass das sehr umstritten ist. Aber man kann das ja in den Raum stellen und darüber diskutieren. In Kindertagesstätten haben wir es schon durchgesetzt. Andere Länder machen uns das ja vor.

Aus meiner Sicht ist es auch nicht richtig, wenn die Raucher die Nichtraucher einfach mitrauchen lassen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Da rauchen wir die Friedenspfeife!)

Die Friedenspfeife rauchen wir immer, aber wahrscheinlich dann ohne Nikotin.

Bereits zu Beginn des Jahres 2001 erschien der erste Landesplan für primäre Suchtprävention. Ziel war neben den langfristigen Förderstrukturen und Angeboten der primären Prävention auch die Vernetzung und Qualifikation bereits vorhandener Elemente. Damit sollten die ohnehin zur Verfügung stehenden Ressourcen effizienter nutzbar gemacht werden. Mit dem primären Suchtpräventionsplan hat der Freistaat Sachsen sehr gute Erfolge erzielt. Nun geht es darum, sich nicht auf diesen auszuruhen. Es liegt in der Natur der Sache begründet, dass uns das Thema Sucht auch in Zukunft beschäftigen und herausfordern wird.

Um eine kontinuierliche Bekämpfung der drogen- und suchtbedingten Probleme unserer Gesellschaft zu ermöglichen, fordert die Koalition, wie schon in Vorbereitung des ersten Landesplanes zur Suchtprävention, einen aktuellen und umfassenden sächsischen Sucht- und Drogenbericht. Auf dessen Grundlage können die jeweiligen Schlussfolgerungen gezogen werden, wie in dieser Frage weiter vorangegangen werden kann und soll.