Meine Damen und Herren! Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Prof. Dr. Milbradt, Herr Schön, Herr Tillich, Frau Hermenau, Herr Hilker, Herr Prof. Bolick, Frau Pfeiffer, Herr Schimpff, Herr Hamburger, Frau Nicolaus, Herr Nolle und Herr Dr. Martens.
Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Folgende Redezeiten hat das Präsidium für die Tagesordnungspunkte 4 bis 25 festgelegt: CDU 85 Minuten, Linksfraktion 65 Minuten, SPD 40 Minuten, NPD, FDP und GRÜNE je 30 Minuten, fraktionslose MdL je 5 Minuten und die Staatsregierung 65 Minuten. Die Redezeiten können wie immer von den Fraktionen und der Staatsregierung entsprechend dem Bedarf auf die einzelnen Tagesordnungspunkte verteilt werden.
Meine Damen und Herren! Ich bitte, folgende Änderungen in der Tagesordnung vorzunehmen. Die Tagesord
nungspunkte 4 bis 14 und 16 bis 20, 3. Lesungen, sind zu streichen, da wir sie bereits vorgestern behandelt haben.
Ich frage Sie, ob es weitere Anträge zur Tagesordnung gibt. – Das ist der Fall; Herr Lehmann, bitte.
Herr Präsident! Ich beantrage namens der Koalition die Erweiterung der Tagesordnung um den Punkt „Bericht der Staatsregierung zu den Steuerschätzungen 2009“ und bitte um Einordnung als neuen Tagesordnungspunkt 2.
Danke schön. – Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann werden wir das so tun.
Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Anträge zur Tagesordnung? – Das ist nicht der Fall. Dann gilt die vorliegende Tagesordnung mit den Streichungen und mit der Aufnahme eines Berichtes zur Steuerschätzung 2009 als Tagesordnungspunkt 2.
Fachregierungserklärung zum Thema: „Das ‚Land’ hat Zukunft – ein starker ländlicher Raum für alle Sachsen“
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch eine Fachregierungserklärung und dann noch eine zum ländlichen Raum? Ja, genau! Gerade weil wir in einer Zeit leben, in der der ländliche Raum und die Menschen aus dem ländlichen Raum immer weniger im Fokus der öffentlichen Berichterstattung sind. Ich stelle mich gegen diesen Trend, und das ganz bewusst. Ich verstehe mich als Anwalt für den ländlichen Raum, als Anwalt der Menschen, die in ihrer Heimat verwurzelt sind und die Kraft daraus schöpfen, die kulturellen Werte und die natürlichen Schönheiten ihrer Heimat zu erhalten.
Die Mehrheit der Menschen lebt nicht in den großen Städten, die Mehrheit der Menschen lebt im ländlichen Raum. Sie schätzen eine gesunde Umwelt, attraktive Landschaften, die schönen Dörfer, die ländlichen Traditionen, preisgünstige größere und individuellere Wohnmöglichkeiten. Sie schätzen die dörfliche Gemeinschaft, diese Vertrautheit, die den ländlichen Raum so unverwechselbar gegenüber der Stadt macht. Genau daran knüpfe ich an.
Diese Vorteile, diese Stärken möchte ich, möchte die Staatsregierung erhalten und ausbauen. Aber wenn ich mir
so manche Parteiprogramme anschaue, ist dort der ländliche Raum oft mehr oder weniger ein Anhängsel. Bei uns nicht! Für die Staatsregierung war die Entwicklung der ländlichen Regionen schon immer eine wichtige Aufgabe. Vielleicht, meine Damen und Herren, können Sie sich noch an die Zeit um 1990 erinnern. Große Löcher in den Straßen, graue, triste Fassaden, verfallene Höfe, eben die Folgen sozialistischer Gleichmacherei. Fahren Sie jetzt durch die Dörfer, meine Damen und Herren. Es gibt gute Ortsstraßen, helle, freundliche Häuser mit bunten Vorgärten, – –
modernisierte Vereinshäuser und eine geordnete Wasserver- und Abwasserentsorgung. Bei allem Aber, das es auch jetzt noch gibt, können wir auf das, was getan wurde, stolz sein.
Zwischen 1991 und 2007 wurden insgesamt 4,5 Milliarden Euro investiert. Unsere Förderung war und ist ein bedeutsames Konjunkturprogramm für kleine und mittlere Betriebe im ländlichen Raum. Rund 2 000 Arbeitsplätze wurden neu geschaffen. Das ist ungefähr viermal so viel, wie es derzeit am zweitgrößten deutschen Standort des Fraunhofer-Instituts in Dresden gibt. Nur dass die Dörfer keine so großen Einrichtungen besitzen. Ihre Arbeitsplätze entstehen beim Bäcker, beim Tischler, beim Fuhrunter
nehmer, alles kleine und mittlere Unternehmen, die sich oft ohne große Lobby am Markt behaupten müssen und die oft auch nur mithilfe unserer Unterstützung auf die Beine gekommen sind. Hier bleiben wir weiter am Ball, denn vor allem mit Arbeitsplätzen können wir Menschen zum Bleiben bewegen.
Private und Kommunen haben über 40 000 ortsbildtypische Gebäude mit unserer Förderung renoviert. Viele leer stehende Gebäude wurden für wirtschaftliche und private Zwecke umgenutzt. Damit entfiel in diesem Umfang das Bauen auf der grünen Wiese. Das, meine Damen und Herren, ist mir besonders wichtig. 3,4 Millionen Quadratmeter Bauland wurden so nicht in Anspruch genommen. Das entspricht der Größe von 476 Fußballfeldern. Auch wenn wir damit den Flächenverbrauch noch nicht gestoppt haben, so sind wir doch auf dem richtigen Weg.
Hilfreich dabei ist das Ökokonto. Je mehr freiwillige Maßnahmen zur Verfügung stehen, desto geringer ist der Druck auf die Landwirte, Flächen im Nachhinein für die Kompensation zur Verfügung zu stellen. Die sächsische Ökoflächenagentur vermittelt seit einem Jahr gerade für überregionale Projekte Ökokonto-Maßnahmen an Investoren und baut einen Pool an geeigneten Kompensationsflächen auf. Flächeneigentümer oder -nutzer können Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einbuchen. Investoren können Ausgleichsflächen bei Bedarf abbuchen. Nutznießer dieser Kontoführung sind Naturschutz und Landnutzer. Weiterhin wurden 1 560 Kilometer kommunale Straßen aus Mitteln der ländlichen Entwicklung saniert. Das ist eine Strecke von Dresden nach Bordeaux.
Meine Damen und Herren! Arbeitsplätze, schöne Häuser, sanierte Straßen, weniger versiegelte Flächen – die Bilanz ist sowohl in ökonomischer, sozialer als auch ökologischer Hinsicht ein Erfolg.
Mit den 2,2 Milliarden Euro an eingesetzten Fördermitteln wurde mehr als das Doppelte an Investitionen ausgelöst, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich. Wir schreiben diese Erfolgsbilanz auch in den kommenden Jahren und der laufenden Förderperiode fort. Bis Ende April 2009 konnten dank des großen Engagements der regionalen Akteure, insbesondere auch der Landkreise, 1 468 Förderanträge über die integrierte ländliche Entwicklung bewilligt werden. Dahinter stehen 103 Millionen Euro. Meine Damen und Herren, 103 Millionen Euro, mit denen zum Beispiel aus einer ehemaligen Berufsschule in Laubusch Gewerberäume entstehen können und damit 18 Arbeitsplätze geschaffen werden. Hiervon dürfte es ruhig noch ein wenig mehr an Maßnahmen geben.
Attraktiv, besonders für junge Leute, werden die ländlichen Regionen vor allem durch Arbeitsplätze. Hier setzt auch die Staatsregierung an. Die wichtigsten Arbeitgeber in ländlichen Regionen sind kleine und mittlere Betriebe. Was Solarworld in Freiberg ist, ist der Treppenbauer in Niedercunnersdorf oder der Dachdeckermeister für
Radibor. Sie sind die Leuchttürme für unsere Dörfer, die wir auch künftig brauchen, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Für die regionale Wertschöpfung im ländlichen Raum leisten auch innovative Unternehmen in der Umwelttechnik einen wichtigen Beitrag. Wir unterstützen diese Unternehmen und schaffen damit Chancen für Handwerk und Beratung zur Verbesserung der Energieeffizienz und zum Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien.
In den letzten Jahren gab es im ländlichen Raum fast immer mehr Gewerbeanmeldungen als -abmeldungen. Kleinere und flexiblere Unternehmen bewältigen einen Wandel oft besser als große Unternehmen. Das ist vielleicht gerade jetzt eine Chance für die Unternehmen im ländlichen Raum. Auch dazu gibt die Staatsregierung umfangreiche Unterstützungen. So werden beispielsweise Investitionen kleinerer Unternehmen über das Förderprogramm „Regionales Wachstum“ unterstützt. Nach der Richtlinie „Chancengleichheit“ fördert der Freistaat Existenzgründungen und Unternehmenssicherungen von Frauen im ländlichen Raum. Ebenso unterstützend für Unternehmen wirkt die ländliche Neuordnung. Sie ist ein wirksames Instrument, wenn es darum geht, einen Ausgleich unterschiedlicher Interessen schnell, sachgerecht und wirtschaftlich herbeizuführen. Wir praktizieren das mit gutem Erfolg schon dort, wo etwa für Hochwasserschutz oder den Straßenbau landwirtschaftliche Fläche überplant oder in Anspruch genommen wird.
So konnte zum Beispiel dank der ländlichen Neuordnung der Müglitzdamm bei Lauenstein, Deichbau- und Deichverlegung im Bereich der Mulde bei Zschadraß, Großbothen und Altleisnig oder der Bau der B 187 Löbau–Zittau viel schneller angegangen werden. Auch das ist Wirtschaftsförderung, meine Damen und Herren!
Indirekt hilft auch der Ausbau neuer Straßen unserer Wirtschaft. Gerade in weniger dicht besiedelten ländlichen Regionen sind Straßen die Verbindung zu den Zentren. Sie sind nicht nur Zubringer für die Wirtschaft, zu Arbeit, Bildung, Kultur und Versorgung, sondern sie sind neben dem ÖPNV unverzichtbare Voraussetzung, um auf dem Land leben und in der Stadt arbeiten zu können. Ein bedarfsgerechter und der demografischen Entwicklung angepasster Ausbau unserer Straßen bleibt auch künftig eine wichtige Aufgabe der ländlichen Entwicklung. Wir haben dazu ein Schwarzdeckenprogramm aufgelegt. Allein im letzten Jahr konnten damit 167 kommunale Straßen saniert werden. 9,5 Millionen Euro haben wir dafür ausgegeben, Geld, das gut angelegt ist und das auch einem anderen wichtigen Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum zugute kommt: der Land- und Forstwirtschaft.
Land- und Forstwirte pflegen unsere Kulturlandschaft und bieten trotz augenblicklichen Preisverfalls bei Milch und schwieriger Absatzlage beim Holz wichtige Arbeitsplätze. Allein der Bereich Forst und Holz gibt Lohn und Brot für mehr als 33 000 Beschäftigte im Freistaat Sachsen. Weitere 42 300 Beschäftigte arbeiten in der Landwirtschaft und noch einmal 800 in der Fischereiwirtschaft. Dazu kommen 24 000 Beschäftigte in Unternehmen der Ernährungswirtschaft und den angeschlossenen Verkaufsfilialen. Die umfangreiche Unterstützung dieser Branchen durch die Staatsregierung stärkt damit auch den ländlichen Raum.
Der Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum. Auch ihn wollen wir weiter fördern. Schließlich sind unsere Kleinstädte und Dörfer in den ländlichen Regionen jede Reise wert. Nicht umsonst konnten sächsische Dörfer hohe Auszeichnungen bei verschiedenen Wettbewerben auf nationaler und europäischer Ebene erringen, zuletzt der Ort Nebelschütz als Preisträger im europäischen Dorferneuerungswettbewerb.
Unsere Gemeinden haben ein wertvolles und oft unverfälschtes bauliches Kulturerbe, auf das wir stolz sein können. Hinzu kommen ein reichhaltiges Kulturleben und unverwechselbare Bräuche. Besuchen Sie einmal das Landeserntedankfest in diesem Jahr in Bischofswerda! Erfreuen Sie sich an den kunstvoll geflochtenen Erntekronen und Kränzen. Die Sächsische Staatsregierung unterstützt dieses ländliche Brauchtum schon seit vielen Jahren.
Die Wort „Bräuche“ und „Traditionen“ kommt in jüngst veröffentlichten Positionspapieren zum ländlichen Raum nicht vor. Ich sehe das nicht als Zeichen der Fortschrittlichkeit, sondern eher als Geringschätzung.
Auch unsere Wettbewerbe zum ländlichen Bauen sowie die neue touristische Initiative „Sachsens Erlebnisdörfer“ helfen den Dörfern, sich noch besser zu vermarkten und damit mehr Touristen anzuziehen. Um unseren kulturellen Reichtum in der Stadt und vor allen Dingen auf dem Land zu erhalten und weiterzugeben, hat der Landtag in dieser Legislaturperiode das Kulturraumgesetz entfristet. Es sichert das vielfältige Angebot an Kultur im Freistaat, und es ist deutschlandweit einzigartig. Ob Schmalspurbahnmuseum, Kulturfabrik, Musiksommer, Schalmeienkapelle oder Klöppelschule – das Gesetz hilft schon seit mehreren Jahren, unser kulturelles Spektrum besonders im ländlichen Raum zu erhalten.
Meine Damen und Herren! Neben den traditionellen Wirtschaftsbereichen strebt die Staatsregierung einen stärkeren Dienstleistungssektor im ländlichen Raum an. Dazu ist der Zugang zu leistungsfähigen Kommunikationsstrukturen wie Breitbandinternet das A und O. Breitbandinternet ist im ländlichen Raum zu einem ebenso wichtigen Standortfaktor geworden wie Straßen oder Kindergärten. Die Staatsregierung setzt daher alles daran, die Breitbandkluft zwischen Stadt und Land zu verrin
gern. Sachsen schöpft alle Möglichkeiten der bundesdeutschen Breitbandstrategie aus. Sächsische Dörfer, die sich um einen schnellen Internetzugang bemühen, werden unterstützt. Zusätzlich zu den Wirtschaftlichkeitslücken können zukünftig Leerrohrsysteme für Kommunen gefördert werden. Sachsen hat hierfür die Fördersätze auf 90 % erhöht.
Der Freistaat stellt außerdem Mittel für eine zentrale Beratungsstelle zur Verfügung. Ich hoffe, die Gemeinden nutzen diese Angebote und werden dabei tatkräftig von den Landkreisen unterstützt. Letztlich sind sie der Schlüssel dafür, um ihre Dörfer über Breitband an die Außenwelt anzuschließen und damit gerade für junge Familien attraktiver zu machen.
Meine Damen und Herren! Andere wichtige Standortfaktoren sind Kindergarten und Schule. Wir haben schon jetzt ein weitgehend bedarfsgerechtes Angebot an Plätzen in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen im ländlichen Raum. In dünn besiedelten Regionen Sachsens kann es notwendig werden, ergänzend alternative Angebote wie Tagespflege, Familienzentren oder betriebsnahe Kindertagesbetreuung zu etablieren.
Bei den Schulen haben wir eine schmerzliche, aber angesichts der Schülerzahlentwicklung notwendige Anpassung an das Schulnetz hinter uns. Nun kommt es darauf an, das bestehende Schulnetz auch für die Zukunft zu stabilisieren. Das gilt natürlich insbesondere für den ländlichen Raum, nicht zuletzt, um die Schulwege in erträglichen Grenzen zu halten. Hier wird in dem einen oder anderen Fall mehr Flexibilität gefragt sein. Die Staatsregierung wird diese Flexibilität gerade bei der kommenden Schuljahresvorbereitung im ländlichen Raum nutzen, aber auch einfordern.
Meine Damen und Herren! Neue Wege müssen wir auch bei der medizinischen Versorgung gehen. Im Sozialministerium wird hart daran gearbeitet, eine bedarfsgerechte ambulante und stationäre medizinische Versorgung auch in ländlichen und peripheren Räumen zu gewährleisten. Dazu werden Ärzte, die sich in unterversorgten oder von der Unterversorgung bedrohten Gebieten niederlassen, finanziell unterstützt.
Über die integrierte ländliche Entwicklung können auch Dorfgemeinschaftshäuser oder andere gemeinschaftliche Einrichtungen gefördert werden, die die Kommunen dann zu günstigen Konditionen für Arztpraxen bzw. Schwesternstationen und Gesundheitsdienste öffnen.
Ab diesem Jahr gibt es in unterversorgten Regionen moderne Gemeindeschwestern. Die Schwestern erbringen den Arzt entlastende Dienste in den Dörfern, wobei sie über Internet mit dem Hausarzt verbunden sind. Hier schließt sich wieder der Kreis. Für diese Internetkommunikation mit dem Arzt braucht man natürlich auch schnelle Internetverbindungen im ländlichen Raum.