Protocol of the Session on May 10, 2007

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 77. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Herr Winkler, Herr Dr. Friedrich, Herr Patt, Frau Schütz, Frau Windisch, Herr Teubner, Herr Prof. Dr. Wöller, Frau Weihnert, Frau Hermenau und Frau Schmidt.

Meine Damen und Herren, die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat folgende Redezeiten für die Tagesordnungspunkte 2 bis 7 festgelegt: CDU 106 Minuten, Linksfraktion.PDS 82 Minuten, SPD 52 Minuten, NPD, FDP und GRÜNE je 40 Minuten,

fraktionslose MdL je 7 Minuten und die Staatsregierung 82 Minuten. Die Redezeiten können von den Fraktionen entsprechend dem Redebedarf nach eigenem Ermessen auf die Tagesordnungspunkte verteilt werden.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, in der Ihnen vorliegenden Tagesordnung den Tagesordnungspunkt 12, Kleine Anfragen, zu streichen.

Gibt es zu der Ihnen vorliegenden Tagesordnung Ihrerseits noch Ergänzungs- oder Änderungswünsche? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die vorliegende Tagesordnung von Ihnen bestätigt und wir können in die Tagesordnung selbst einsteigen.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Altenhilfe in Sachsen – Herausforderungen und Perspektiven

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

2. Aktuelle Debatte: Den Orwell-Staat stoppen – Nein zu Online-Überwachung und Rundum-Kontrolle

Antrag der Fraktion der NPD

Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 39 Minuten, Linksfraktion.PDS 26 Minuten, SPD 14 Minuten, NPD

17 Minuten, FDP und GRÜNE je 12 Minuten, Staatsregierung 20 Minuten, wenn gewünscht. Wir kommen damit zu

1. Aktuelle Debatte

Altenhilfe in Sachsen – Herausforderungen und Perspektiven

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen der CDU und der SPD das Wort, die weitere Reihenfolge in der ersten Runde lautet: Linksfraktion.PDS, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung. Meine Damen und Herren, die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Fraktion der CDU das Wort nimmt. Frau Nicolaus, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aktuelle Debatte zur Altenhilfe in Sachsen – Herausforderung und Perspektiven. Wir alle im Freistaat Sachsen sind uns der Tatsache bewusst, dass wir mit 45 Jahren das höchste Durchschnittsalter aller Bundesländer der Bundesrepublik haben. Das ist eine Zahl, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch steigen wird. Dieser Situation müssen wir uns stellen und heute schon die Grundlagen dafür

schaffen, dass wir mit der Entwicklung Schritt halten können.

Die Altenhilfe steht dabei im Mittelpunkt unserer Debatte. Die gesellschaftlichen Strukturen sind im Wandel, bei uns besonders im Wandel der demografischen Entwicklung. Die Herausforderungen werden nicht weniger, es wird immer deutlicher, dass wir diesen Herausforderungen standhalten und die entsprechenden politischen Grundlagen schaffen müssen. Wir müssen das Alter – das möchte ich in diesem Hause betonen – neu definieren. Alter ist eben nicht Gebrechlichkeit, Pflegebedürftigkeit und Fremdbestimmung. Veränderte Lebensbedingungen und der medizinische Fortschritt haben es möglich gemacht, dass ein Großteil der Generation der 60- bis 80-Jährigen als agil zu betrachten ist und über Ressourcen verfügt, über die wir etwas Jüngeren manchmal staunen können und dürfen. Wer hätte gedacht, dass die 60-jährige Tochter

die 85-jährige Mutter pflegen kann und dabei keine Hindernisse, sowohl im physiologischen als auch psychologischen Bereich, sieht?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Entwicklung wollen wir in der Altenhilfe Rechnung tragen. Wir müssen den Hilfe- und Pflegebedarf neu definieren, die vielfältigen vernetzten Angebote und Leistungen besser aufeinander abstimmen und die älteren Menschen zunehmend mehr in diesen Bereich einbeziehen und sie es zum Teil auch selbst organisieren lassen. Die Altersvorstellungen im Bereich der 60- bis 80-Jährigen und darüber hinaus sind durchaus differenziert zu betrachten. Wir müssen diesen Dingen auch in der Zukunft Rechnung tragen.

Mit dem Altenhilferahmenplan, der unlängst auf dem Pflegekongress in Dresden durch die Ministerin vorgestellt wurde, werden neue Akzente gesetzt, zum Beispiel der aktive Beitrag der Bürgergesellschaft, das Einbeziehen der älteren Generation – was ich bereits angeführt habe –, die Förderung und Vernetzung der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Bereich der Seniorenpolitik und der Altenhilfe auf Landesebene, aber auch die Entwicklung von Strategien, die unter Beachtung von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung dem zunehmenden Hilfebedarf älterer und alter Menschen dienen.

Nehmen wir den Wohnbereich. Die städtebaulichen Akzente werden sich verändern und haben sich bereits verändert. Man muss dem Rechnung tragen, dass ältere und alte Menschen im Zentrum des Geschehens leben und wohnen wollen. Es gibt eine neue Richtlinie für betreutes Wohnen, die bereits sehr großen Anklang gefunden hat und den Dingen Rechnung trägt, die ich eben vorgetragen habe. Aber das ist nur ein kleiner Aspekt, an dem wir sehen können und konstatieren müssen, dass die „jungen Alten“ nicht nur pflegebedürftig sind, sondern auch Lebensqualität von uns Jüngeren einfordern.

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zur Pflegeversicherung sagen, weil diese die größte Herausforderung für die Zukunft sein wird. Auch hier müssen wir den Dingen Rechnung tragen. In der Pflegestufe 1 haben wir weit auseinanderklaffende Bedingungen im ambulanten und stationären Bereich. Die ambulante Pflege ist im Gegensatz zur stationären Pflege um ein Vielfaches geringer. Wir müssen aktiv darauf hinwirken, dass es zu einer Angleichung kommt.

Bitte zum Schluss kommen.

Dazu wird mein Kollege Johannes Gerlach referieren. – Danke.

(Beifall bei der CDU, der SPD und des Staatsministers Dr. Horst Metz)

Ich erteile das Wort der Fraktion der SPD. Herr Gerlach, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie sich in

Dresden umschauen und sehen, wer die Dampferflotte bevölkert und wer durch die Stadt pilgert, dann fällt Ihnen auf, dass das oft Menschen im Ruhestand sind, die aber sicher sehr böse wären, wenn wir sie als „altes Eisen“ bezeichnen würden. Es sind Menschen, die in ihrer sogenannten dritten Lebensphase angekommen sind, wie man das heute nennt, in der sie sich noch eine Menge vorgenommen haben und sich Dinge anschauen können, die sie in ihrem Arbeitsleben nicht geschafft haben.

Trotzdem bleibt es dabei, dass Alter auch mit Pflege, mit Leiden zu tun hat, wie das Leben generell auch.

Ich möchte mich etwas mehr auf die Pflege konzentrieren. Wir als SPD stehen für die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, indem wir die Beibehaltung des solidarischen Finanzsystems einfordern und uns dafür einsetzen wollen. Die Absicherung im Pflegefall gehört in unserer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen älter werden, zu einer normalen Vorsorge. Sie erfüllt demzufolge ganz klar die Kriterien für eine solidarische Absicherung der sozialen Sicherungssysteme.

Obwohl immer mehr Menschen davon betroffen sind, ist dieses Thema nach wie vor ein sogenanntes Schattenthema. Wir entwickeln uns immer mehr zu einer Gesellschaft, in der wir die Fähigkeit verlieren, die uns umgebenden Risiken überhaupt noch richtig wahrzunehmen. Noch bis vor wenigen Generationen gehörten der Tod und die zum Tode führenden Leiden zur selbstverständlichen Lebenserfahrung eines jeden Menschen. Aber so, wie wir die natürliche Umwelt immer mehr aus unserem täglichen Lebensumfeld herausgedrängt haben, wurden auch der Tod und die Leiden zunehmend verdrängt. Deshalb ist die organisierte Vorsorge für die Pflegebedürftigkeit so schwierig. Ich denke, das war auch eine der Ursachen, warum man ursprünglich die Demenz ausgeklammert hatte. Das war nicht nur eine finanzielle Geschichte. Die Erfahrungen ändern sich nun rasant, weil die betroffene Bevölkerungsgruppe immer größer wird.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die zunehmende Pflege außerhalb der Familie. Wir haben das hier schon mehrfach angesprochen. Immer mehr Menschen betreiben Pflege professionell. Immerhin werden 30 % der Pflegebedürftigen in Sachsen nicht mehr zu Hause, sondern in stationären oder auch in teilambulanten Bereichen gepflegt. Hier entstehen neue Bedarfe schneller als im häuslichen Bereich. Während die Familien mehr bestehende Bedarfe ausgleichen können, kann das in den stationären Einrichtungen nicht so der Fall sein. Meine erste Botschaft ist deshalb: Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. So wie Krankheit kann Pflege jeden von uns treffen. Wir haben die Pflicht, uns um die Schwächsten – dazu gehören auch Pflegebedürftige – zu kümmern und ihnen vor allem ein menschenwürdiges und lebenswertes Leben bis zum Tode zu ermöglichen.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion.PDS)

Aber – das ist meine zweite Botschaft – die Pflege wird nur so gut sein, wie es unser gesamtgesellschaftliches

Gewissen ist, nicht mehr, aber bitte schön auch nicht weniger.

Unsere Arbeit als Politiker – egal, ob im Bund, im Land oder in den Kommunen – muss so vorbildlich sein, dass nicht noch mehr Menschen das Gefühl bekommen, Solidarität lohne sich nicht.

Meine dritte Botschaft lautet: Menschen, die gepflegt werden, sind etwas ganz Normales in unserer Gesellschaft, keinesfalls Außenseiter oder gar Schmarotzer, was ich auch schon gehört habe. So etwas zu sagen ist natürlich ganz schlimm. Sie haben Anspruch auf unsere Solidarität.

Ich möchte einige zentrale Punkte der SPD benennen, für die wir uns im Bund einsetzen: Bessere Pflege bedeutet auch mehr Geld im System, das vor allem solidarisch aufgebracht werden muss. Die Beitragserhöhung ist aus meiner Sicht unumgänglich, und zwar für alle. Wir stehen dabei für die solidarische Bürgerversicherung, die auch eine Demografiereserve enthalten sollte. Wir stellen uns eine Dynamisierung der Leistungen vor. In den Leistungsbegriff sollten auch Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, also mit Demenzerkrankungen, einbezogen werden. Man muss den Anspruch auf Pflegezeiten festschreiben und die selbstbestimmten Wohnformen ermöglichen.

Für einen Landespolitiker bleiben genügend kleine und große Baustellen, die ich Ihnen in meinem zweiten Beitrag erläutern möchte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion.PDS. Herr Dr. Pellmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, das Thema, das heute zu behandeln ist, ist wichtig. Aber – diese Überlegung kam ja im Vorfeld – eignet es sich für eine Aktuelle Debatte? Ich denke, die Frage muss ich zumindest mit Zurückhaltung beantworten.

Ich bin schon der Auffassung, dass es sich um eine viel zu komplexe Thematik handelt, die man nur schwer in einer Debatte, wie wir sie hier führen, bewältigen kann. Lassen Sie mich auch deutlich machen, dass wir uns selbstverständlich trotz dieses Vorbehaltes an der Debatte angemessen mit mehreren Beiträgen beteiligen werden. Wir wollen der Frage nachgehen: Wie stellt sich die Lage der älteren Menschen in Sachsen dar? Weiter: Wie gestaltet sich die Lage in Zukunft? Worum muss es künftig gehen und welche Herausforderungen – da sind wir direkt in diesem Hause – haben wir als Politiker zu erfüllen? Lassen Sie mich aber eine Bemerkung zum Begriff „Altenhilfe“ machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sowohl Frau Nicolaus als auch Herr Gerlach haben eine ganze Reihe wichtiger Botschaften hier genannt, die ich auch teile.

Aber das verträgt sich nicht mit einem Begriff, der im 19. Jahrhundert entstanden ist. Ich meine, wenn wir einen neuen Blick aufs Älterwerden und auf die künftige ältere Generation werfen wollen und müssen, dann müssen wir das auch begrifflich anders formulieren.