Dorothea Marx

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Last Statements

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben es gehört, die AfD stellt hier einen Antrag und in Ihrem zur Ablösung
des Präsidenten des Amts für Verfassungsschutz gerichteten Antrag beanstanden Sie vor allem eine angeblich unrechtmäßige und fehlerhafte Einstufung der Thüringer AfD zu einem Prüffall des Amts.
Hier möchte ich noch mal zunächst voranstellen, dass im Gegensatz zum Bundesverfassungsschutzgesetz das Thüringer Verfassungsschutzgesetz durchaus einen solchen Prüffall auch kennt und vorsieht. Also es ist nicht rechtswidrig, Prüffälle vorzunehmen bzw. Fälle zu prüfen,
denn § 4 Abs. 1 Satz 4 und 5 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes geht über das Bundesgesetz insofern hinaus, als nach dem ersten Satz „Voraussetzung für [die Sammlung und Auswertung von] Informationen [...] das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte“ ist. Ein zweiter Satz folgt: „Zur Prüfung, ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, darf das Amt für Verfassungsschutz aus allgemein zugänglichen Quellen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben.“ Lesen Sie mal das Gesetz!
Aber etwas anderes ist eigentlich noch empörender. Sie tun in Ihrer Empörung so, als ob Ihr Verhältnis zur Verfassung willkürlich auf die Agenda des Amts gelangt wäre und Ihnen daraus ein Schaden entstünde. Ich frage Sie: Welcher Schaden soll das denn sein, wenn Sie – jawohl, Sie! – selbst das Amt doch schon vor zwei Jahren aufgefordert haben, eine Unterwanderung Ihrer Partei – jawohl, Ihrer Partei! – durch verfassungswidrige Kräfte zu überprüfen?
Sie erinnern sich nicht? Dann darf ich heute aus den Meldungen von „Thüringen 24“ zitieren, dort hieß es 2017: „Laut einer Mitteilung der Thüringer AfD-Landtagsfraktion habe die Partei bereits Unterwanderungsversuche seitens der [...] Thügida verhindert. Um weitere Versuche der Neonazis zu unterbinden, habe die Fraktion eine Anfrage an das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz gerichtet. [...] Dieses war aber laut AfD nicht gewillt, der Partei über mögliche Verbindungen zu Rechtsextremisten Auskunft zu geben. Der Verfassungsschutz verwies auf die Geheimhaltung. ‚Wenn es also tatsächlich weitere extremistische Absichten einer Unterwanderung der AfD in Thüringen gibt, wäre es ein Gebot der Prävention, dies der Partei umgehend mitzuteilen‘, appelliert der Thüringer AfDSprecher Stefan Möller an den Verfassungsschutzpräsidenten Stephan Kramer.“ Schon vergessen?
Zweifel an Ihrer Verfassungstreue, namentlich gegenüber Ihnen, dem Flügel-Führer Herrn Höcke, wird seit Jahren ständig aus den Reihen Ihrer Partei, Ihrer eigenen Partei geäußert.
Den Höhepunkt in diesem Jahr markierte laut Berichterstattung vom 5. Juli 2019 der Co-Chef des AfD-Landesverbands Nordrhein-Westfalen, der bebildert mit Ihrem Konterfei und dem des Herrn Goebbels das Wolf-Zitat von Goebbels dem WolfZitat aus Ihrem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ gegenübergestellt hat. Ich nenne die beiden Zitate noch einmal: „Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir“ und „Wir müssen uns entscheiden, ob wir Schafe oder Wölfe sein wollen, und wir entscheiden uns dafür, Wölfe zu sein“. Und es ist ja nicht nur unser Verfassungsschutzpräsident, der Ihren Landesverband zunächst nur zum Prüffall erklärt hat. Beim Bundesamt befinden Sie sich mit Ihrem Flügel mittlerweile schon auf der nächsten Stufe, sozusagen dem Level zwei, da sind Sie seit diesem Frühjahr bereits ein Verdachtsfall.
Ihr Name, Herr Höcke, kommt im Gutachten des Amts zu verfassungswidrigen Bestrebungen der AfD vom 15. Januar 2019 über 60 Mal vor. Einen eigenen Abschnitt hat das Bundesamtsgutachten der Frage gewidmet, ob Sie mit dem Autor Landolf Ladig identisch sind, und es ist zu dem Schluss gekommen, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei. Viel früher schon hat das auch Ihre eigene Partei interessiert. Wir lasen schon im April 2017, ich zitiere: „Ist Björn Höcke Landolf Ladig?“ Das geht aus dem Anwaltsgutachten hervor, das im Auftrag des AfD-Bundesvorstands für das Parteiausschlussverfahren erstellt wurde. Das Gutachten unterstellt dem umstrittenen Thüringer Landeschef Björn Höcke, unter dem Pseudonym die NPD gelobt zu haben, und beruft sich dabei auf wissenschaftliche Analysen. Und warum interessiert das bis heute nicht nur Ihren Bundesverband, sondern auch den Verfassungsschutz und uns hier? Dazu möchte ich Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, und Ihnen, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, zwei Zitate aus Landolf Ladigs Texten in Erinnerung rufen. Das erste: „Eine Ahnung schleicht sich dabei vielleicht bei immer mehr gebildeten Angelsachsen ein, dass eben nicht die Aggressivität der Deutschen ursächlich für zwei Weltkriege war, sondern letztlich ihr Fleiß, ihre Formliebe und ihr Ideenreichtum. Das europäische Kraftzentrum entwickelte sich so prächtig, dass die eta
blierten Machtzentren sich gezwungen sahen, zwei ökonomische Präventivkriege gegen das Deutsche Reich zu führen. Der zweite Krieg war allerdings nicht nur ökonomisch motiviert, sondern darf auch als ideologischer Präventivkrieg angesprochen werden, hatte sich im nationalsozialistischen Deutschland doch eine erste Antiglobalisierungsbewegung staatlich etabliert, die, wären ihr mehr Friedensjahre zur Erprobung vergönnt gewesen, wahrscheinlich allerorten Nachahmung gefunden hätte.“
Das schrieb Landolf Ladig unter dem Titel „Deutsche Impulse überwinden den Kapitalismus – Krisen, Chancen und Auftrag“ in „Volk in Bewegung“, Nummer 5/2011, Seite 6. Und ein zweites Zitat: „Seit 1964 ist die NPD die einzige politische Kraft, die sich gegen alle Widerstände für das Lebensrecht unseres Volkes eingesetzt und immer wieder auf die verhängnisvolle Kombination von Massenzuwanderung und deutschem Geburtenschwund hingewiesen hat.“ – Ladig Landolf, „Was wird aus unserer Heimat? – Der demografische Wandel ist kein Naturgesetz“ in „Eichsfeldstimme“, Jahrgang 4, Ausgabe 8, Seite 1. 2017 hat Ihre Partei – ja, Ihre Partei –, Sie aufgefordert, eidesstattlich zu erklären, dass Sie nicht Landolf Ladig sind. Das haben Sie abgelehnt, dazu sei alles gesagt, Sie würden sich dazu nicht mehr äußern, schon seit 2017. Was bitte schön soll das heißen? „Ich bin es nicht gewesen, aber beschwören möchte ich es nicht“? Und auch heute werden Sie sich vermutlich wieder nicht dazu äußern. Im Rahmen der Ihnen von Ihrem, wie Sie ihn nennen, geistigen Manna-Lieferanten, Herrn Kubitschek, empfohlenen Selbstverharmlosungsstrategie wollen Sie ja bis zum Wahltag auch keine Interviews mehr geben. Der Wolf ist also derzeit verschnupft und hat sich mit der Mütze der Großmutter ins Bett verzogen, damit Sie, liebe Wählerinnen und Wähler, Ihre Stimmen für die Thüringer AfD dem Rotkäppchen unbelastet von Zweifeln ins Körbchen legen können, die ihm dann zum Verzehr angereicht werden.
Aber, Herr Höcke, wissen Sie was: Die Frage, ob Sie Landolf Ladig sind, müssen Sie heute hier vorne am Rednerpult auch nicht beantworten. Es reicht dafür ein Stift. Ich habe da nämlich etwas für Sie und uns alle hier vorbereitet, und zwar eine eidesstattliche Erklärung, die Sie, ohne ein einziges Wort dazu sagen zu müssen, einfach nur unterschreiben brauchen. Dann wäre das endlich erledigt, ohne dass Sie weiter als Drückeberger dastehen. Ich lese das hier mal vor: „Eidesstattliche Er
klärung: In Kenntnis der Bedeutung einer eidesstattlichen Erklärung und der Strafbarkeit der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung erkläre ich, Björn Höcke, geboren am 1. April 1972 in Lünen, wohnhaft in Bornhagen, hiermit Folgendes an Eides statt: Ich, Björn Höcke, habe zu keinem Zeitpunkt unter dem Pseudonym ‚Landolf Ladig‘ Texte verfasst, die in den Zeitschriften ‚Volk in Bewegung‘ und ‚Eichsfeldstimme‘ veröffentlicht wurden. Ort, Datum, Unterschrift.“ Ich lege es Ihnen gleich hin, Sie können es unterschreiben.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat allerdings noch viele weitere Zitate von Ihnen aufgegriffen. Ich nehme nur eine Äußerung heraus, die auch schon hier im Thüringer Landtag gefallen ist, und die lautet so: „Die AfD ist die letzte evolutionäre, sie ist die letzte friedliche Chance für unser Vaterland.“
Das haben Sie 2017 gesagt und Herr Möller klatscht dazu.
Diese Äußerung, Herr Möller, beurteilt das Bundesamtsgutachten wie folgt: „Demokratische Entscheidungen werden nur akzeptiert, wenn diese zu einer [Macht]übernahme durch die AfD führen. Im Falle des Scheiterns der AfD gelte: ‚Danach nur noch: Helm auf.‘“ – Er nickt.
Und wenn sich vor acht Tagen in Halle jemand einen Helm aufgesetzt und bewaffnet auf den Weg gemacht hat, der dann Feminismus, Juden und Muslime beschimpfend durch die Straßen marodiert ist, müssen Sie sich doch wirklich nicht darüber wundern, in die Reihen der geistigen Brandstifter eingeordnet zu werden.
Wir trauern um die Opfer, sind erschüttert von dem geplanten Blutbad unter jüdischen Mitbürgern und müssen Verhöhnungen derer erleben und abwehren, die durch glückliche Umstände nicht ermordet wurden. Neben dem blanken Zynismus offenbaren sich bei Mitgliedern Ihrer Partei tiefe Abgründe im jeweiligen Weltbild. Was heißt es denn, zu fragen –
wie es der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Roland Ulbrich getan hat –, Zitat: „Was ist schlimmer, eine beschädigte Synagogentür oder zwei getötete Deutsche?“ Oder der vom AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner weiter verbreitete Tweet – Zitat: „Die Opfer des Amokläufers von Halle waren: Jana, eine Deutsche, die gerne Volksmusik hörte, Kevin S., ein Bio-Deutscher. Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ Was heißt das denn? Das bedeutet beide Male, dass Jüdinnen und Juden, die seit Jahrhunderten in Deutschland verwurzelt sind, abgesprochen wird, deutsche Mitbürger zu sein. Das ist nichts anderes als eins zu eins der völkische Rassenbegriff des Nationalsozialismus, der in Ihren Reihen vertreten wird.
Deshalb nehmen wir von Ihnen keine Belehrung darüber entgegen, wie und von wem die Verfassung zu schützen ist. Ihr „Haltet-den-Dieb“-Geschrei ist durchsichtig und verlogen. Sie bezichtigen unseren Verfassungsschutzpräsidenten mangelnder Neutralität. Das ist genauso wie bei Ihren ständigen Einforderungen von angeblich fehlender Toleranz Ihnen gegenüber. Damit meinen Sie schlicht und einfach, dass Ihnen nicht widersprochen werden soll. Zusätzlich erinnert mich das an Debattenbeiträge von Ihrer Seite hier im Parlament, die besonders moralische Tiefpunkte markierten. Unvergessen ist Ihr Ansinnen, die Kirchen aus der Härtefallkommission für Flüchtende zu entfernen, weil die Kirchen mit ihrem Nächstenliebe-Ansinnen nicht neutral wären. Mit der gleichen Logik gehört der Kinderschutzbund nicht mehr zum Kinderanliegen gefragt und das Rote Kreuz nicht mehr zur Organisation von Rettungsdiensten. Diese sind nämlich auch nicht neutral: Sie wollen Kinder schützen und Menschen retten. Jetzt müssen Sie ganz stark sein. Unsere Verfassung ist auch nicht neutral. Sie schützt die Menschenwürde und freie, gleiche und geheime Wahlen,
weshalb sich eine Partei, die androht: „Wenn ihr uns nicht wählt, gibt’s einen Umsturz und eins auf die Fresse“, klar vom Boden der Verfassung entfernt.
Gleich werden Sie sagen: „So haben wir das doch niemals gemeint.“ Herr Höcke, Sie haben es doch aber aufgeschrieben, nämlich – ich zitiere aus seinem Buch –: „Ich bin sicher, dass – egal wie schlimm die Verhältnisse sich auch entwickeln mö
gen – am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können. Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“ – Teile des Volkes werden wir verlieren!
Ach, ein Aufruf dazu. Wozu? – Unsere Verfassung erlaubt nicht nur die Abwehr von Angriffen auf ihre Werte und Grundsätze, sie schreibt diese Abwehr verpflichtend vor. Das nennt sich wehrhafte Demokratie. Artikel 97 unserer Thüringer Verfassung fordert hierzu eine besondere Landesbehörde. Auf diesem Verfassungsauftrag fußt unser Amt für Verfassungsschutz und zu diesem Amt stehen wir.
Ich bedanke mich im Namen meiner Fraktion ausdrücklich und mit Hochachtung bei dem Präsidenten des Thüringer Amts für Verfassungsschutz, Stephan Kramer, dafür, dass er mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konsequent seiner Arbeit nachgeht und Sie dabei – wie auch die letzten Tage wieder bewiesen haben – völlig zu Recht schon früh auf den Schirm genommen hat. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne, liebe Gäste aus dem Bereich der Opfer und der Hinterbliebenen, auch Sie möchte ich noch mal besonders hier willkommen heißen! Es ist uns eine Ehre, dass Sie unserer Arbeit so viel Vertrauen entgegenbringen, dass Sie es für wert erachten, heute auch hier persönlich anwesend zu sein.
Artikel 1 Grundgesetz kennen viele, den ersten Satz, er liegt uns allen am Herzen, jeder kann ihn – denke ich – auch auswendig hersagen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Schwieriger ist es schon mit dem zweiten Satz, er lautet: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieses Versprechen ist gegenüber den Opfern des NSU gebrochen worden. Dieser Bruch dieses Versprechens betrifft uns alle. Was uns schon in der letzten Legislaturperiode umgetrieben hat, war auch jetzt Maßstab unseres Handelns, unserer Untersuchungen – endlich die wahren Täter kennen, endlich die Helfershelfer entlarven können und vor allen Dingen auch Vorsorge treffen, dass sich das nicht wiederholen möge.
Die Arbeit beider Untersuchungsausschüsse, die man im Zusammenhang sehen muss, hat sieben Jahre gedauert. Unser Abschlussbericht aus dieser Legislaturperiode liegt Ihnen heute vor. Er umfasst 2.204 Seiten und das ist vom Umfang her schon ein Hinweis darauf, dass wir uns viel Arbeit und Mühe
gemacht haben. Drei Hauptkomplexe haben uns dabei bewegt: Einmal noch mal am Ende anzufangen, an dem Tag, an dem der NSU enttarnt wurde, zu schauen, wie ist das Netzwerk, was steht hinter dem NSU. Dann natürlich auch noch einmal: Wie sind andere Strukturen der OK verknüpft und was haben Behörden wissen müssen, wissen können und möglicherweise gewusst, was wir heute nicht wissen, und wie wird der Einsatz menschlicher Quellen dieser schlimmen Verbrechensserie gerecht?
Komplex Eisenach: Wir haben damit begonnen, dass zwei tote Bankräuber in einem Wohnmobil in Eisenach-Stregda aufgefunden wurden. Wir haben uns im Wortsinn ein Bild gemacht. An dieser Stelle auch schon Dank an Journalisten und Journalistinnen, die uns Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben, das, bis wir es uns angeschaut haben, Ermittlungsbehörden nicht interessiert hatte. Wir haben uns im Wortsinn ein Bild gemacht. Im Untersuchungsausschussbericht finden Sie deswegen auch Bilder – nicht nur von Journalisten, auch aus Ermittlungsakten –, die wir verwendet haben, um das Geschehen dort besser verstehen zu können. Wir haben in diesem Zusammenhang erfahren, dass auch Baden-Württemberger Beamtinnen und Beamte an den ersten Tagen sehr intensiv mitgearbeitet haben. Und wir haben festgestellt, dass wir dort teilweise ausführlichere Darstellungen des Hergangs und der ersten Fahndungserfolge gefunden haben als in Unterlagen aus unserem eigenen Land.
Am Ende unserer Betrachtungen, in denen wir wirklich versucht haben, jeden Tag der Anfangsermittlungen auseinanderzuziselieren, stehen Dinge, die unerfreulich sind. Es wurden am Fundort zunächst Bilder der Feuerwehr konfisziert, verspätet eine leere Speicherkarte zurückgegeben. Es wurde mit einer Feuerwehrharke nicht von der Tatortgruppe, sondern vom Ermittlungsleiter vor Ort nach Waffen im Wohnmobil gesucht. Die Tatortgruppe, die auch bei uns zu Gast war, hat sich sehr unwohl gefühlt und hat in unserem Ausschuss dem Befremden darüber Ausdruck verliehen, dass es nicht in Ordnung war, dass sie beim ersten Zugriff auf dieses Wohnmobil übergangen wurde. Das Wohnmobil mit Leichen, aber nicht nur mit Leichen, sondern auch mit scharfen Waffen, wurde in eine nahegelegene Halle des Abschleppunternehmens verbracht, dort am Wochenende auch noch mal ausführlich, wie es hieß, betrachtet und dann angeblich besenrein übergeben. Es fanden sich allerdings später gefüllte Schränke.
Dieser Vorgang insgesamt, den Sie ausführlich in unserem Bericht nachlesen können, ist kein Ruhmesblatt. Der Start für die Ermittlungen ist nicht
schön gewesen. Man hatte das Gefühl, hier ist eine Beutesicherung statt einer Tatortsicherung erfolgt. Eine Trophäe wurde irgendwo an einen anderen Ort verbracht, und zwar unter Umständen, bei denen alle Zeugen, die wir vernommen haben, gesagt haben, sie seien einmalig gewesen, sie erinnerten sich an nichts Vergleichbares.
Dieses – ich nenne es mal vorsichtig – unkonventionelle oder besser unangebrachte Vorgehen hat natürlich auch zahllose Verdächte hervorgerufen, was man dort hätte eventuell verbergen wollen. Dennoch sind wir auch diesen Verdachtsmomenten oder diesen Fragestellungen nachgegangen, die auch medial und in der Öffentlichkeit immer wieder aufgetaucht sind. Wir haben keinen Beweis oder keine Belege dafür gefunden, dass ein dritter Mann vor Ort gewesen ist. Wir haben keine Belege dafür gefunden, dass es sich hier etwa um einen Mord an den beiden bis dato als Bankräuber geführten Leichen im Wohnmobil gehandelt hätte, aber wir haben eine Spurengefährdung und einen sehr nachlässigen Umgang mit Beweismitteln festgestellt, und das – ich sagte es bereits – war kein guter Start. Näheres lesen Sie bebildert in unserem Bericht.
Das Netzwerk – eine wichtige bis heute nicht hinreichend geklärte Frage und hier, verehrte Kolleginnen und Kollegen, geht es nicht um Einzelpersonen. In diesem Kontext sind nach unserer Auffassung die dem NSU nahestehenden und dessen mörderische Ideologie und Umsetzung befördernden Neonazinetzwerke wie vor allem „Blood & Honour“ und deren militant agierender Arm „Combat 18“ mit zu erfassen. Ebenso relevant für das Verständnis des NSU sind weitere Strukturen der militanten Neonaziszene wie Hammerskins, Artgemeinschaft, die seit 2010 verbotene Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene bzw. deren faktische Nachfolge- und Ersatzorganisation Gefangenenhilfe, der Ku-Klux-Klan, aber ebenso auch diverse regional agierende Neonazigruppen.
Alle diese Organisationen oder Gruppen standen in einem mehr oder weniger losen oder festeren Zusammenhang mit vielen Mitgliedern des NSU, des Kerntrios oder des NSU-Umfelds. Das möchte ich heute in dieser Vorstellung des Berichts am Beispiel von „Blood & Honour“ näher verdeutlichen. Ohne die von „Blood & Honour“ vertretenen Konzepte und die konkrete Unterstützung aus diesem Neonazinetzwerk hätte der Nationalsozialistische Untergrund niemals bestehen können. Der Untersuchungsausschuss schließt sich im Hinblick auf die Bewertung von „Blood & Honour“ den Ausführungen der Sachverständigen an, die wir auch zu Beginn unserer Arbeit angehört haben, dass es sich
bei dem seit den 1980er-Jahren von England aus expandierenden internationalen neonazistischen und militanten „Blood-&-Honour“-Netzwerk nicht nur etwa um eine subkulturelle Erscheinungsform der rechten Musikszene, die Rechtsrock erfolgreich als Propagandainstrument einsetzt, handelte, sondern dass „Blood & Honour“ terroristische Strategien und vor allen Dingen das Konzept des Leaderless Resistance – des führerlosen Widerstands – propagierte und die ideologieprägende Wirkung von „Blood & Honour“ beleuchtet werden muss, um den NSU-Terror verstehen zu können.
In den 90er-Jahren wurden sowohl in diversen „Blood-&-Honour“-Magazinen als auch von „Combat 18“ Anschläge auf Migrantinnen und Migranten propagiert und gefordert. In den „Blood-&-Honour“Terroranleitungen stand zu lesen, man solle keine Bekennerschreiben hinterlassen, in kleinen Zellen arbeiten, Nagelbomben einsetzen und Listen von möglichen Opfern erstellen. Insbesondere ist es notwendig, die diversen Veröffentlichungen beispielsweise des „Blood-&-Honour“-Netzwerks oder von diesem verbreitete Schriften näher zu betrachten, die nahelegen, als Vorbild für die mörderischen Taten des NSU gedient zu haben. Das ist hier nicht nur eine theoretische Unterstellung, sondern wir müssen beachten und bedenken, dass bei der Garagendurchsuchung am 26. Januar 1998 mehrere Zeitschriften und sonstige Veröffentlichungen der Neonaziszene festgestellt wurden, darunter Ausgaben von „United Skins“, „Sonnenbanner“ sowie auch eine Ausgabe des „Blood-&-Honour“-Magazins Nummer 2 aus dem Jahr 1996. In dieser Ausgabe wird bereits die Strategie des Leaderless Resistance dargestellt und beworben.
Wir haben in einer Fußnote aus diesem Blatt zitiert. Diese Fußnote spielt eine besondere Rolle, wenn wir heute rückblickend betrachten, was den NSU angetrieben hat und Nachfolger und Mitglieder, die noch nicht entdeckt sind, möglicherweise bis heute antreibt. In dem Artikel „Politik“ in diesem Magazin heißt es unter anderem – ich zitiere –: „Die alten Formen des politischen Aktivismus, wie zum Beispiel der Weg über Wahlen in das Parlament, das medienwirksame Auftreten von fahnenschwenkenden Parteien oder das auf legaler Basis angestrebte Kaderprinzip sind überholt. Man muss sich nicht jeden Tag in Uniform schmeißen, ‚Sieg heil‘ brüllend und Flugblätter um sich werfend durch die Gegend ziehen. Das nutzt natürlich unseren Gegnern. Man braucht auch nicht in seinen vier Wänden hocken und bei Kerzenschein auf den Umsturz warten. Gelingt es uns, mit […] der nötigen Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit eine nicht angreifbare, gut vernetzte Bewegung von unabhängig agierenden Gruppen zu werden, so wird uns das Schicksal
den Sieg nicht versagen. Nur: Wir dürfen nicht auf einen eventuell irgendwann mal auftauchenden Führer warten, darauf, dass immer jemand kommt und sagt, was zu tun ist. Nein! Jeder ist dazu aufgerufen, etwas zu tun! Leaderless Resistance ist die Devise!“
Es läuft einem regelrecht kalt den Rücken herunter, wenn man das heute rückschauend liest – wie gesagt, die Veröffentlichung ist von 1996, sie war in den Garagen auffindbar, die damals durchsucht wurden. Ebenso ist in dieser Ausgabe, die ich eben zitiert habe, auch ein Liedtext abgedruckt, der offen zu Gewalt und Mord aufgerufen hat.
Spätestens ab Mitte der 90er-Jahre hatten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Kontakt zu führenden Akteuren des „Blood-&-Honour“-Netzwerks. So stammte beispielsweise der Sprengstoff für die am 26. Januar 1998 in der Garage aufgefundenen Rohrbomben aus deren Strukturen. Ebenfalls sind auf der in der Garage aufgefundenen sogenannten Mundlos-Telefonliste diverse Führungspersonen des „Blood-&-Honour“-Netzwerks bezeichnet gewesen.
Wie wir schon im letzten Untersuchungsausschuss festgestellt haben, wurden diese Listen und diese Materialien fahrlässigerweise nicht ausgewertet. Man kam zur Einschätzung, sie hätten mit dem Fall nichts zu tun. Es hieß dann, es sei ein Missverständnis gewesen, man habe sich auf die aktuelle Fahndung nach den drei bezogen, aber nicht auf die weitere Erklärung. Hätte man diese Veröffentlichungen schon damals so intensiv ausgewertet, wie sie uns heute kalt erwischen – so möchte ich es mal sagen –, dann hätte man sofort begriffen: Die wollen nicht nur spielen. Bombenbastler, die verschwinden und nicht mehr auftauchen, liegen nicht irgendwo am Strand, sondern die bereiten möglicherweise genau das vor, was sich dann auch als wahr herausgestellt hat, nämlich in kleinen militanten Gruppen Terrorangriffe auszuführen.
Der Untersuchungsausschuss rechnet mehrere Personen des „Blood-&-Honour“-Netzwerks dem Unterstützungsnetzwerk des NSU zu. Es ist auch festzustellen, dass sich an allen Orten, an denen der NSU Taten beging, personelle Verflechtungen zwischen dem Kerntrio des NSU oder dessen Unterstützern und Unterstützerinnen sowie örtlichen Neonazis nachweisen lassen, welche teils bis in die frühen 1990er-Jahre zurückreichen. Wir gehen deshalb davon aus, dass es sich bei den unzähligen einstigen Unterstützungshandlungen aus dem „Blood-&-Honour“-Netzwerk nicht nur um Dienste unter Freunden, sondern um eine organisatorische und ideologische Unterstützung der Tatvorbereitungen und vielleicht auch der Taten selbst für den Na
tionalsozialistischen Untergrund gehandelt haben muss. Dafür sprechen die verbreiteten und beworbenen Terrorkonzepte, die offenkundig als Vorlage für die NSU-Taten gedient haben, das konspirative Verhalten bei der Unterbringung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach ihrer Flucht oder dem Untertauchen und die politische Einbindung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in die „Blood-&Honour“-Szene in Sachsen, das Wissen um die von ihnen vertretene Ideologie, die dann folgende finanzielle und strukturelle Unterstützung aus mehreren „Blood-&-Honour“-Sektionen, der Versuch, Waffen für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu beschaffen. Das bundesweite „Blood-&-Honour“-Netzwerk bestand zeitweise aus 17 Sektionen bundesweit und es bietet nach Auffassung unseres Ausschusses einen weiterzuverfolgenden Ansatz im Hinblick auf die ausgewählten Tatorte, aber vor allem auch die Waffenbeschaffung des NSU.
Nicht nachvollziehbar ist, warum diese Strukturen nach dem Untertauchen des Kerntrios – ich sagte es schon – nicht näher beleuchtet wurden. Dies war ein fataler Fehler.
Die vorhandenen frühzeitigen Hinweise auf die Bewaffnung des Kerntrios haben uns weiter beschäftigt. Hier ist der Komplex der fehlenden S-Records beispielhaft hervorzuheben. Im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen fällt auf, dass bei zwei Personen-Protokollen der Telekommunikationsüberwachungen im gleichen Zeitraum Belege in den Akten fehlen. So fehlen bei einer TKÜ-Maßnahme zwischen dem 24.08.1998, 18.05 Uhr, und dem 27.08.1998, 15.18 Uhr, mit den fortlaufenden Nummern 125 bis 129 die Einträge. Also bei diesen Einträgen handelt es sich bei den sogenannten SRecords um Einträge, die Sender, Empfänger und Inhalte versandter SMS dokumentieren. Und bei einem anderen Beobachtungsvorgang, hier handelt es sich um Jan Werner, bestehen im gleichen Zeitraum erfolgte SMS-Kontakte mit den fortlaufenden Nummern 1.748 bis 1.863. Die Koinzidenz des Zeitraums beider Fehlstellen lässt nach unserer Überzeugung ein Versehen oder einen zufälligen Untergang als sehr unwahrscheinlich, de facto ausgeschlossen erscheinen.
Wichtig ist, dass direkt im Vorfeld dieser fehlenden Einträge am 25.08.1998 um 19.21 Uhr durch den überwachten Jan Werner die berühmt gewordene SMS „Hallo, was ist mit den Bums?“, versandt wurde, die damals Carsten Szczepanski, damals VMann des LfV Brandenburg, empfangen hat und die heute allgemein als Indiz für die versuchten Waffenbeschaffungen durch Werner für das untergetauchte Kerntrio angesehen wird.
Fraglich ist, wer wann diese Einträge aus den SRecords-Akten entfernt hat. Ein Zeuge hat in seiner Zeugenvernehmung glaubhaft bekundet, dass diese S-Records im Jahr 1998 noch vollständig gewesen wären. 1998 hat es allerdings auch hier keine vollständige Auswertung dieser Materialien gegeben. Die Akten wurden bis 2011 und der Übergabe dann an das Bundeskriminalamt im Zuge der Enttarnung des NSU im Landeskriminalamt gelagert. Wir können heute nicht mehr feststellen, wann und durch wen diese Einträge entfernt worden sind, aber wir haben den Verdacht, dass, wenn zufällig – oder eben nicht zufällig – aus diesen beiden Teilen genau diese Aktenteile fehlen, sich dort möglicherweise konkrete Kenntnisse über Waffenbeschaffung, Informationen zum Aufenthaltsort, möglicherweise gar zur Existenz der rechtsterroristischen Gruppierung NSU ergeben haben und dann diese Einträge entsorgt worden sind.
Wir haben den Auftrag gehabt, Überschneidungen mit OK-Strukturen zu untersuchen. Hier sind uns die Ehrhardt-Brüder in den Fokus geraten. Bei der Ehrhardt-Bande, die in den 1990er-Jahren mit umfangreichen Strafverfahren überzogen wurde, hat es sich nicht primär um in der rechten Szene verortete Personen gehandelt, insbesondere auf eine Zugehörigkeit der namensgebenden Zwillingsbrüder zur Jenaer Neonaziszene gibt es keinerlei Hinweise. Ebenso wie bei Rockern gibt es aber eine starke Personenüberschneidung zur rechten Szene – und dort scheint es auch keine Berührungsängste seitens der Führer dieser Bande gegeben zu haben – und auch eine gezielte Nutzung des rechten Milieus für eigene kriminelle Aktivitäten. Genauere Nachweise finden Sie in unserem Bericht.
Sowohl Sachverständige als auch andere Zeugen haben gegenüber dem Untersuchungsausschuss ein enges Netz von Kleinkriminellen um diese Bande geschildert, welche insbesondere für Autodiebstähle und Ähnliches benutzt wurde. In diesem Zusammenhang fallen auch weitere Unterstützer der Bande, aber möglicherweise auch des Kerntrios auf, die der rechten Szene zugehörig waren oder zumindest mit dieser sympathisiert haben. Wir haben hier pseudonymisiert En. The. und Jü. Lä. namentlich zugeordnet. Das sind Menschen, die in den frühen 90er-Jahren dem gleichen Umfeld wie Uwe Böhnhardt angehörten und mit diesem auch näher bekannt waren. Spätestens in der Zeit um die Jahrtausendwende war The. nachweislich Mitglied der Bande. In einer BKA-Vernehmung wird er als Soldat bezeichnet, womit in der Regel ein einfaches Mitglied krimineller Banden gemeint ist. Ich möchte hier die Einzelheiten nicht weiter ausführen, Sie können das weiter im Bericht nachlesen. Eine Einbindung dieser beiden in das Umfeld der Ehr
hardt‑Bande auch um die Jahre 1999 bis 2000 ist nicht fernliegend. Die beiden genannten Verbindungsmenschen oder rechtsextrem motivierten Täter sind auch wegen der Sprengung von Geldautomaten in mehreren Fällen bekannt geworden. Auch in diesem Verfahren gab es einen Hinweis auf eine aus der Schweiz bezogene Schusswaffe. Auch die Ceska wurde, wie wir heute wissen, aus der Schweiz importiert.
Der VP-Einsatz mit Rechtsextremismusbezug sollte uns eigentlich ausführlicher beschäftigen. Es war ein ausdrücklicher Auftrag unseres Parlaments hier von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns dieser Frage widmen sollten. Während wir uns im Untersuchungsausschuss 5/1 die V-Leute des Verfassungsschutzes angeschaut haben, wäre es jetzt überfällig gewesen, uns die VPs, also die Verbindungspersonen, die mit ähnlicher Legendierung mit Bezahlung als Doppelagenten sozusagen eingesetzt werden in der kriminellen Szene, anzuschauen. Hier hatten wir eine längere Auseinandersetzung mit der Landesregierung, ob uns diese Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. Darauf möchte ich später noch einmal näher eingehen.
Zentral hat hier dann ein Beschluss des Verfassungsgerichts vom 13.06.2017 eine Rolle gespielt, der in der Tat Passagen enthält, die so interpretiert werden können, als sei es nicht geboten oder auch nicht zulässig, uns diese Daten zur Verfügung zu stellen. Dennoch wäre es sehr wichtig gewesen, denn wir haben Hinweise – auch unabhängig davon, dass es nicht zur Herausgabe von entsprechenden Unterlagen an den Ausschuss gekommen ist –, dass auch VPs in dem Bereich, der uns hier zu interessieren hatte, zum Einsatz gekommen sind.
Sicher erscheint, dass einer der Ehrhardt-Brüder von 1993 bis 1994 als VP der Polizei im Zusammenhang mit dem Verfahren „Pekunia“ geführt worden ist. Auch kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass im November 1995 einer der beiden Brüder kurzzeitig als VP wirkte. Dies ist den Zuarbeiten der Sachverständigen Kendzia und Hemmerling – die ich stellvertretend nennen will für viele investigative Journalisten, die in den vergangenen Jahren sehr wichtige Zuarbeit zur Aufklärung geleistet haben – zweifelsfrei zu entnehmen und deckt sich mit den Ausführungen in der Gefährdungsanalyse zu dieser Bande, die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens zu Sprengstoff und Betäubungsmitteln im November 1995 mitgeteilt worden ist. Wir können nicht abschließend bewerten, ob beide oder lediglich einer der Brüder 1995 geführt wurde, sie haben sich gegenseitig auch als Tarnung und Tarnname benutzt, was
bei Zwillingen ja naheliegt. Aber, wie gesagt, es steht fest, dass hier eine VP-Führung vorgelegen hat.
Die weitere Bezugsperson zum rechtsextremen Milieu – „The.“ abgekürzt in unserem Bericht – ist im Münchner NSU-Prozess vernommen worden und hat auf die Frage, ob er VP gewesen sei, nach einer sehr langen Pause geantwortet, er würde nicht sagen, dass er für den Verfassungsschutz tätig geworden sei. Die Frage, dass er als VP im weiteren Sinne tätig geworden sei, hat er nicht verneint, sondern ausgeführt, er erinnere sich nicht mehr. Bei diesem Herrn ist zu bemerken, dass er 1997 im selben Garagenkomplex wie die von Böhnhardt und Zschäpe angemietete Garage auch eine Garage besessen haben soll, von dem es heißt, dass dort Waffen gelagert worden seien. Dass dieser Mensch Mieter einer Garage im unmittelbaren Umfeld war, hat er im Münchner Prozess bestätigt.
Schließlich haben wir am Ende unserer Untersuchungsarbeit noch einmal einen Hinweis in einem Vermerk des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz vom 02.10.2000 aufgegriffen, wo noch einmal deutlich geworden ist, dass der Einsatz einer V-Person im „Thüringer Heimatschutz“ durch die Sonderkommission „Rechte Gewalt“ im Thüringer Landeskriminalamt geplant war, recht konkret. Die Soko „Rechte Gewalt“ hatte ab 2000 Ermittlungen hinsichtlich des Verdachts der kriminellen Vereinigung in Bezug auf den „Thüringer Heimatschutz“ geführt. Im Ergebnis konnte der Verdacht oder diese Anbahnung, ob die nun realisiert worden ist, von uns weder bestätigt noch endgültig ausgeräumt werden.
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir haben hier schon mal drei Personen, die interessant gewesen wären. Am Ende einer längeren Auseinandersetzung mit dem Ministerium hat die Landesregierung einen Sachverständigen eingesetzt, den sehr renommierten Sachverständigen Heintschel-Heinegg, der aber auch selbst gesagt hat, dass er aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen, die er sich nicht selbst aussuchen konnte, keine Hinweise habe identifizieren können, wobei er aber auch klargestellt hat, dass das nicht heißen muss, dass es solche Personen nicht gegeben haben kann. Unsere spärlichen Erkenntnisse außerhalb der uns übergebenen Unterlagen weisen darauf hin, dass es hier doch noch mehr gegeben hat.
Wir haben, wie schon im vergangenen Untersuchungsausschuss, feststellen müssen, dass ein mangelnder Informationsstand der Behörden und eine fehlende Informationsweiterverarbeitung – weitere Erhebungen wurden unterlassen, es gab keine
Koordination, es wurde in Schubladen gedacht – eine Zusammenführung wichtiger Erkenntnisse erschwert haben. Und das alles führt – und das muss ich leider hier auch noch mal in aller Deutlichkeit sagen – zur Verfestigung des schon im Untersuchungsausschuss 5/1 angenommenen Ergebnisses, die Morde und Anschläge hätten durch bessere Ermittlungsarbeit verhindert werden können. Das ist ein großes Verschulden, das unser Land und unsere Behörden auf sich geladen haben.
Wir haben uns im letzten Komplex, bevor wir unsere Arbeit nun wieder einstellen mussten, da die Legislaturperiode zu Ende geht, noch einmal den Mordfall Kiesewetter angeschaut. Das gehört zu den größten offenen Fragen, wie es dazu gekommen ist, dass Michèle Kiesewetter, die aus Thüringen stammende junge Polizistin, die in BadenWürttemberg eingesetzt worden war, ums Leben gekommen ist. Wir haben – das lesen Sie im Bericht – sehr viele Umfeldhinweise, die ganzen rechtsextremen Strukturen, die rund um den NSU angesiedelt sind oder als Verbände mit Verbindung zum NSU angesehen werden müssen, dann auch teilweise in Bezug zu Michèle Kiesewetter wiedergefunden. Noch einmal, wie auch schon im letzten Bericht: Michèle Kiesewetter selbst hatte keine Kontakte zur rechtsextremen Szene, aber sie war als Ermittlerin im Umfeld einiger dieser kriminellen Kreise eingesetzt. Die Verbindungen von BadenWürttemberg nach Thüringen gab es und gibt es. Und auch hier denken wir, dass es weitere Ermittlungsansätze über mögliche Verbindungen mit rechtsextremen Bezügen zwischen Baden-Württemberg und Thüringen gibt. Hier ist eine vernommene Polizeizeugin aus Thüringen wichtig, die dort in der Soko „Parkplatz“ – so heißt die Mordermittlungskommission – den Mord in Baden-Württemberg an Michèle Kiesewetter und den Mordversuch an ihrem Kollegen untersucht hat. Sie hat uns als persönlichen Eindruck am Schluss ihrer Zeugenvernehmung und ihrer sehr eindrucksvollen Arbeit gesagt, auch sie glaubt nicht, dass alles schon bekannt ist. Auch sie kann sich vorstellen, dass es doch ein besonderes Motiv für diesen grausamen Mord gegeben hat.
Ich komme jetzt noch einmal auf die V-Personen zurück und unseren nicht erfüllbaren Untersuchungsauftrag. Wir haben hier einen Konflikt zwischen dem parlamentarischen Kontrollauftrag versus der Vertraulichkeit der konspirativen Informationsbeschaffung und auch den Schutz des Lebens der V-Personen auszutragen gehabt. All das verkennen wir nicht. Es gab dann den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.06.2017, der uns auch noch mal besondere Auflagen gemacht hat und auch der Landesregierung gesagt hat, hier
können wir euch nicht die Auskünfte geben, die ihr einmütig im Ausschuss beschlossen habt, die ihr gerne hättet und die auch der Landtag eigentlich eingefordert hat. Die Debatte war sehr lang, sie war sehr beschwerlich. Nicht schön war der Beginn, als es hieß, die umfängliche Zurverfügungstellung von Akten über V-Leute des Verfassungsschutzes in der letzten Legislaturperiode sei in einer Ausnahmesituation erfolgt. Sie sei der damaligen Zeit geschuldet gewesen. Die Zeiten seien jetzt andere. Die Ausnahmesituation, verehrte Kolleginnen und Kollegen, herrscht bis heute, denn die Ausnahmesituation wird so lange gelten, bis wir diese ganzen Hintergründe vollständig aufgeklärt haben.
Dennoch müssen wir einsehen, dass dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts natürlich auch die Landesregierung zum Nachdenken darüber anhalten musste, ob sie uns die Unterlagen geben kann oder soll. Hier ist insbesondere ein Passus in der Entscheidung tatsächlich interpretationsfähig, obwohl wir ihn anders ausgelegt haben und auch weiterhin anders auslegen würden, als es die Landesregierung getan hat. Aber ich zitiere diesen Passus. Es ging in diesem Fall nicht um unser Land und unseren Untersuchungsausschuss, sondern um Auskünfte zu einem lange zurückliegenden Fall, nämlich dem Oktoberfest-Attentat in München. Hier wollten Abgeordnete des Deutschen Bundestags, also kein Untersuchungsausschuss, bestimmte Fragen nach V-Personen, die damals zum Einsatz gekommen sein müssen, beantwortet haben. Diese Beantwortung ist weitgehend verweigert worden. Es ging am Ende nur noch um die Anzahl. Da heißt es in der Entscheidung: „Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Beantwortung bestimmter Fragen nicht in Betracht kommt, ist sie gehalten zu prüfen, ob eine Beantwortung unter Einstufung nach der Geheimschutzordnung möglich ist. Aus dieser Möglichkeit folgt jedoch nicht, dass jede Anfrage nach Vornahme einer entsprechenden Einstufung beantwortet werden muss. Gerade im Bereich verdeckt handelnder Personen, deren Einsatz für das Staatswohl von großer Bedeutung und zugleich in hohem Maße geheimhaltungsbedürftig ist, besteht hinsichtlich bestimmter Informationen ein legitimes Interesse, den Kreis der Geheimnisträger auf das notwendige Minimum zu beschränken. Je größer dieser Kreis ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Geheimnisse – sei es absichtlich oder versehentlich – weitergegeben oder ausgespäht werden [...]. Besonders geheimhaltungsbedürftige Informationen aus dem Bereich des Quellenschutzes können dem Parlament daher auch dann vorenthalten werden, wenn beiderseits
Vorkehrungen gegen ihr Bekanntwerden getroffen worden sind.“
Dann führt das Gericht weiter aus, dass zum Bundesrecht anerkannt ist, dass selbst nach dem Bundesgesetz über das parlamentarische Kontrollgremium dem zur Geheimhaltung verpflichteten parlamentarischen Kontrollgremium des Bundes bestimmte Informationen vorenthalten werden können. Dies stehe, so das Bundesverfassungsgericht, nicht im Widerspruch dazu, dass das Staatswohl und der Grundrechteschutz auch dem Parlament anvertraut sind und dieses insoweit nicht als außenstehend behandelt werden darf. Es geht allein darum, den Kreis der Geheimnisträger bei besonders geheimhaltungsbedürftigen Informationen unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Staatsgewalt möglichst klein zu halten. Dementsprechend muss sich auch der Ansatz, die Kenntnisse zum Einsatz verdeckt handelnder Personen auch innerhalb der Exekutive auf nur wenige Personen beschränken. Das ist die entscheidende Passage, über deren Auslegung wir sehr lange gestritten haben mit unterschiedlichen Anschauungen.
In diesem Beschluss gibt es natürlich keine Berücksichtigung der besonderen Ausgangslage, die wir hier in Thüringen hatten, und auch nicht der besonderen Verfassungslage in Thüringen, in der steht, wenn Geheimhaltungserfordernisse erfüllt sind, dann gibt es keinen Hinderungsgrund mehr, Informationen an einen Untersuchungsausschuss weiterzugeben, es sei denn, es sind persönliche/private Geheimnisse betroffen oder eben die Geheimhaltung ist nicht gewährleistet.
Wir haben insbesondere mit der Berufung der Landesregierung auf diesen Passus bei der Nichtherausgabe der V-Personenakten nicht nur den Erkenntnismangel zu beklagen, den wir in diesem wichtigen Bereich nun hatten und den auch Herr Heintschel-Heinegg heute Morgen in einem Radiointerview noch einmal selbst beklagt haben soll, sondern es geht auch darum, dass eine solche Formulierung, dass man selbst ein parlamentarisches Kontrollgremium von der Kontrolle des Einsatzes von VPs ausschließen darf, verkennt, dass wir hier gerade den Kernbereich des Untersuchungsauftrags haben. Das war bei uns nicht irgendein Beifang, wie das vielleicht für die Fragesteller im Bundestag der Fall gewesen ist, sondern es ist die Kernauseinandersetzung gewesen – ich breche es mal runter auf die einfache Frage –, ob es eine Art Tino Brandt nicht auch bei der Polizei gegeben haben kann. Wie gesagt, es gibt eine sehr hohe Anzahl von VPs. Die haben wir zumindest mitgeteilt bekommen. Die Anzahl der VPs, die im Bereich von
Kriminalität beim LKA aktiv waren, ist viel höher als die der eingesetzten V-Leute. Dass sich dort auch aufgrund der uns dann doch zur Verfügung stehenden Erkenntnisse niemand gefunden haben soll, der in dem Bereich aktiv war, können wir nur schwer glauben. Das Problem ist immer, wenn man Informationen nicht bekommt, kann man natürlich Leute nicht belasten, aber man kann sie auch nicht entlasten. Informationsweitergabe dient auch immer dazu, zu sagen, wer es nicht gewesen ist. Das ist übrigens eine wesentliche Erfahrung bei der Offenlegung der Stasi-Unterlagen gewesen. Dort hat man auch gesagt, da gibt es Mord und Totschlag – gab es nicht. Aber die vielen, die dann Akten eingesehen haben – und das habe ich mehr als einmal gehört – haben gesagt, ja, also ich bin jetzt überrascht. Ich dachte, es wäre jemand ganz anderes gewesen. Und der, der es war, mit dem habe ich gar nicht gerechnet. Also Wahrheit und Klarheit beugen sogenannten Verschwörungstheorien immer vor und diese Aufgabe steht heute noch aus.
Problematisch ist, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, dass das Parlament zwar nicht als außenstehend behandelt werden darf, aber trotzdem der Kreis der Geheimnisträger so eng zu begrenzen ist, dass das Parlament ausgeschlossen werden kann. Das ist nicht richtig. Es geht nicht nur darum, ob es sozusagen ein Almosen ist, dass wir Erkenntnisse erhalten, sondern es geht um Gewaltenteilung und um die wichtigen Aufgaben des Parlaments bei der Kontrolle von Geheimdiensten – ein wichtiges Prinzip, was in unsere Verfassung, aber auch in die Verfassung des Bundes Eingang gefunden hat. Dieses Recht der parlamentarischen Kontrolle haben sich unsere Verfassungsmütter und Verfassungsväter nicht einfach mal so ausgedacht, sondern die Gewaltenteilung dient dazu, Machtmissbrauch zu verhindern.
Dann muss auch eine gutwillige Landesregierung, die sagt, wir wollen an der Aufklärung mitwirken, erkennen, dass sie sozusagen nicht Strukturen bereiten darf, die, wenn es mal andere Amtsträger geben sollte, dann zu einem Verheimlichungsexzess führen könnten. Denn das Problem war, dass gesagt wurde, die VPs müssen geheim bleiben, es darf überhaupt nichts durchdringen, was die Identifizierung dieser Personen erleichtert, und deswegen dürft ihr es als Abgeordnete auch nicht wissen. Dies zog Kreise. Wir haben dann entsprechend plötzlich auch eingeengte Aussagegenehmigungen bekommen. Da waren Leute, die haben gesagt, ja, wir waren mit solchen Leuten befasst und wenn wir bekannt werden und wenn wir irgendetwas dazu
sagen, dann könnte möglicherweise im Rückschluss auch wieder eine Identifizierung erfolgen. Dann gab es eben auch Aussagebeschränkungen, da hieß es nicht nur, der Zeuge oder die Zeugin X ist in dem Bereich tätig gewesen und selbstverständlich vor Enttarnung zu schützen, sondern auch, er oder sie könnte da vielleicht irgendwann mal tätig werden.
All das führt zu einem kontrollfreien Raum, den es in einem Rechtsstaat nicht geben darf, und zwar im Interesse zukunftsfester demokratischer Strukturen. Deswegen ist es sehr schade, dass wir diese Differenz nicht in unserem Sinne auflösen konnten. Es ist natürlich auch immer ein Streit unter Juristen und deswegen schwierig. Aber wir – und das möchte ich hier noch einmal sagen – haben in den vergangenen Legislaturperioden bewiesen, dass wir anvertraute Geheimnisse auch geheim gehalten haben. Wir richten uns in unserem Aufklärungsbegehren – was ja von Ihnen, von den Kolleginnen und Kollegen an uns als Ausschuss gegangen ist – nicht gegen Behörden. Wir haben uns gegen Verdrängung und Vertuschung auf Leitungsebene zur Wehr zu setzen, die es unzweifelhaft gegeben hat.
Wir wissen bis heute, dass es viele Ermittlerinnen und Ermittler auf den verschiedensten Ebenen in den verschiedensten Ämtern auf unserer Seite gibt, die die ungeklärten Fragen mindestens genauso umtreiben wie uns selbst und für die es ebenso bitter ist, wenn die Aufklärung von Behördenversagen nicht Ehrensache einer freiheitlichen Demokratie, einer gewaltengeteilten Demokratie ist, sondern als lästiger Eingriff in Staatshandeln betrachtet wird. Wie gesagt, es ist gefährlich, eine solche Haltung einzunehmen, denn die kann missbraucht werden. Genau das wollten weder die Verfassungsväter in Thüringen noch im Bund.
Entscheiden Sie daher bitte selbst, wem Sie das Scheitern an der Erfüllung dieses Aufklärungsversprechens im Sinne einer schuldhaften Unterlassung zuordnen wollen. Ich hoffe, dass vielleicht ein künftiges Parlament diesen Widerspruch noch juristisch aufklärt, sodass klar ist, was müssen Parlamentarier wissen dürfen, was darf eine Regierung auf keinen Fall weitergeben. Es ist offengeblieben, und das war zum Nachteil unseres Aufklärungsauftrags.
Ich möchte an dieser Stelle den vielen Danke sagen, die mitgewirkt haben, den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, den Mitarbeitern der Fraktionen, aber auch den Mitarbeitern der Landesregierung, den Vertretern der Landesregierung sowie
auch der interessierten Öffentlichkeit, die immer hinter uns gestanden hat und gesagt hat: Ja, es ist von Interesse, auch wir wollen wissen, was gewesen ist. Ich möchte an dieser Stelle aber auch einmal Namen nennen – unter der Beachtung des Persönlichkeitsschutzes – von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, die besonders belastet waren, und ich fange mit den Protokollantinnen Frau Lütz und Frau Mägdefrau an, die manchmal wirklich rund um die Uhr zwar nicht bei uns im Ausschuss gesessen, aber dann die Protokolle anzufertigen hatten.
Ein besonderer Dank gilt Frau Wagner, die unzählige Akten archiviert und auch Inhaltsangaben zu den vielen Materialien angefertigt hat, die uns im letzten und auch in diesem Ausschuss vollkommen unsortiert übergeben wurden. Sie wusste immer, wo etwas aufzufinden ist und sie ist deshalb ein unverzichtbares Lexikon und Wahrerin unserer Informationsmittel gewesen.
Frau Noack-Wolf möchte ich besonders danken für die sehr umfangreichen Zuarbeiten und Mithilfen bei der Abfassung eines 2.204 Seiten langen Abschlussberichts. Nun, das ist also schon beinah übermenschlich, was man da zu leisten hat, um dies alles so zusammenzuführen, wie Sie das getan haben. Herzlichen Dank dafür.
Das alles geschah natürlich auch unter tätiger Mithilfe und freundlicher Überwachung im positiven Sinne der Kollegen aus der Landtagsverwaltung, Herrn Riemann und Herrn Dr. Burfeind. Und wenn ich jetzt andere nicht genannt habe, sind sie selbstverständlich in diesen Dank eingeschlossen.
Noch einmal zurück zum Inhalt. Was machen wir heute? Wir ziehen keinen Schlussstrich. Der Untersuchungsausschuss ist davon überzeugt, dass der NSU und dessen Taten nicht als historisch abgeschlossenes Ereignis betrachtet werden können. Sowohl die handelnden Personen als auch deren Taten erfahren bis heute positive Reflexion innerhalb der rechten Szene. Was wir uns damals niemals hätten vorstellen können, passiert: Der NSU wird verherrlicht, es wird auf ihn Bezug genommen in kriminellen Aktivitäten, anonymen Hetzaufforderungen, anonymen Mordaufrufen. Teile des Unterstützernetzwerks, was wir identifizieren konnten,
sind weiterhin aktiv. Die bedingungslose Aufklärung, die rückhaltlose Aufklärung des NSU-Komplexes, wie sie einst versprochen wurde, ist unerlässlich für eine Gesellschaft, die künftig derartige Taten verhindern will.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir fantasieren hier nicht nur. Wir ziehen keinen Schlussstrich, denn es ist nicht vorbei. Am 19. August 2019 hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden verfügt, dass zwei Autoren, Stefan Aust und Dirk Laabs, darüber Auskunft zu erteilen ist, wie oft der Name Stephan E., das ist der Tatverdächtige im Mordfall Lübcke, dessen wir hier auch in diesem Rund gedacht haben, im Zwischenbericht von 2013 und im Abschlussbericht von 2014 des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz zum NSU-Komplex genannt wird. Die Auskunft ist mittlerweile erteilt worden: elf Mal. Elf Mal, verehrte Kolleginnen und Kollegen, kommt der Name Stephan E. im Abschlussbericht des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz zum NSU-Komplex vor. Das sind Akten, Berichte, die von der Hessischen Landesregierung mal eben vorsorglich für 120 Jahre gesperrt worden sind. Das Gericht hat auch festgestellt – mittlerweile hat auch der Gesetzgeber in Hessen reagiert –: Sperren kann man nur für 30 Jahre. Aber, wir sehen, es ist nicht vorbei.
Deswegen haben wir auch gemeinsame Forderungen, das sind Forderungen, die von allen Fraktionen, allen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses getragen worden sind, am Ende unseres Ausschussberichts gestellt. Darin ist eben auch die zentrale Forderung von allen, die im Ausschuss mitgearbeitet haben, enthalten, die Forderung, die unter Ziffer 1 steht: „Die demokratische und parlamentarische Kontrolle der handelnden Behörden, insbesondere hinsichtlich des Einsatzes von menschlichen Quellen bei der Polizei in der Strafverfolgung müssen verbessert werden.“ Und ich wiederhole es noch mal, was auch in unserer gemeinsamen Empfehlung steht: „Kontrollfreie Räume sind einem demokratischen Rechtsstaat fremd.
Der Einsatz von menschlichen Quellen muss wegen des Eingriffs in Grundrechte durch eine parlamentarische Instanz kontrolliert werden, dies muss auch für Quellen der Polizei gelten“ – ebenso wie wir das für Quellen des Verfassungsschutzes schon lange haben. „Dazu muss der Einsatz dieser Mittel auf eine verfassungsrechtlich gebotene stabile Grundlage gestellt werden.“
Ich möchte hier auch einmal persönlich hinzufügen, wir hatten in der letzten Legislatur oder auch in an
deren Untersuchungsausschüssen auch gerade des Bundestags immer den Satz zu hören, Quellenschutz kann nicht zu Täterschutz werden. Und ich finde, dass wir inzwischen auf einer noch schwerwiegenderen Stufe angelangt sind, und ich möchte es so zusammenfassen: Quellenschutz kann und darf nicht dazu missbraucht werden, um die Gewaltenteilung auszuhebeln, deren größter Fan hier vor Ihnen steht.
„Wegen der Auslegung“ – das ist Ziffer 2 unserer gemeinsamen Empfehlungen – „der Landesregierung des BVerfG-Beschlusses“, den ich in seinem entscheidenden Teil eben zitiert habe, „vom 13. Juni 2017 und der Änderung des BVerfSchG konnte der Untersuchungskomplex hinsichtlich des Einsatzes von menschlichen Quellen der Polizei im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität sowie der rechtsextremen Szene [von uns] nicht abgeschlossen werden.“ Das tut uns leid und das tut uns weh. „Insofern sich der Landtag der 7. Legislaturperiode zur Klärung dieser Rechtsfragen“ – unabhängig davon, ob das noch mal ein Untersuchungsausschuss sein soll oder etwas anderes – „entscheidet, sollten [nach unserem Wunsch] in die Untersuchungen auch die noch offenen Fragen einfließen.“
Vielleicht noch mal zum Schluss etwas, was auch von den Praktikern, die wirklich auch selbst ein großes Interesse an der Aufklärung hatten und haben, kam: Wir drängen darauf, dass es auch in der Polizei auf Dauer angelegte Ermittlungsstrukturen gibt, die insbesondere im Phänomenbereich Rechtsextremismus durch spezialisierte Kenntnisse die Aufklärung von Straftaten und vor allem von Strukturen ermöglichen und von denen Sie hier zahllose, vielleicht nicht zahllose, aber sehr viele in unserem Bericht ausführlich dargestellt finden. Dort eingesetztes Personal sollte keinen unnötigen Rotationen unterliegen und regelmäßige fachgerechte Fortbildung erhalten.
Ein weiteres gemeinsames Ziel – alle will ich Ihnen jetzt nicht noch zumuten –: Der Ausschuss befürwortet weiterhin größtmögliche Transparenz seiner Arbeitsweise und seines Arbeitsergebnisses. Die Landesregierung soll dafür Sorge tragen, dass alle Unterlagen der Untersuchungsausschüsse 5/1 und 6/1 jetzt nicht wieder auseinandergefleddert werden und in verschiedenen Bereichen versickern, sondern dem Staatsarchiv zugeführt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Ich habe angefangen mit Artikel 1 und ich möchte mit diesem Artikel auch aufhören. Ich verlese ihn einfach noch einmal: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Darüber zu wa
chen und einzustehen, bleibt die Aufgabe von uns allen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ich war ein bisschen erschrocken über die sehr unpräzise Einführung, die da gekommen ist. Ich hatte ja gedacht, lieber Kollege Fiedler, die CDU und auch Sie nehmen vielleicht das neue Lagebild zum Anlass, das diese Woche seitens des Bundeskriminalamts zum Thema „Organisierte Kriminalität“ vorgestellt worden ist. Es ist schon interessant, da genauer reinzuschauen und auch das Thema ein bisschen breiter, aber konkreter zu beleuchten, wenn es darum geht, dass es eine Mafia in Erfurt gibt. Da gibt es bestimmte Vorkommnisse bis hin zum Schusswaffengebrauch oder das Rumfuchteln mit Waffen. Da war aber die CDU am dransten und auch noch ein Erfurter OB. Nur mal so am Rande.
Aber jetzt mal zur Sache selbst. OK hat immer das Problem – das steht auch wieder im Lagebericht des Bundeskriminalamts –, dass wir notwendigerweise ein großes Dunkelfeld haben und dass es sehr schwer ist, in solche Strukturen reinzukommen. Die Definitionen kennen Sie: Mehr als zwei Leute, die sich auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig und geschäftlich mit bestimmten Dingen befassen. Da brauchen Ermittlungen oft sehr lange und da ist es ohne Weiteres nicht außergewöhnlich, wenn man erst nach zwei oder drei Jah
ren überhaupt dazu kommt, strafrechtsrelevante Sachverhalte so weit aufzuklären, dass man strafrechtlich zu Anklagen oder gar zu Verurteilungen kommen kann. Deswegen ist es eine sehr mühselige und arbeitsintensive Arbeit.
Hinzu kommt – und das ist auch mal wichtig hier zu sagen –, dass wir mittlerweile auch eine Verbreiterung der Geschäftsfelder der organisierten Kriminalität haben. Es ist nicht nur noch die klassische eurasische Mafia oder die italienische Mafia oder das Rückzugsgebiet der ’Ndrangheta hier in Erfurt oder in Thüringen. Es gibt mittlerweile auch neue Arbeitsfelder organisierter Kriminalität, die sich bisher wenig in den polizeilichen Aktivitäten der Länder abbilden. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass illegale Märkte und Güter mehr und mehr in den Vordergrund drängen. Das heißt, der klassische Drogenhandel, mit dem natürlich immer auch noch gut Geld gemacht werden kann, wird mittlerweile ergänzt durch gefälschte Markenprodukte, gefälschte Medikamente, Handel mit geschützten Gütern, Waffenhandel, illegales Glücksspiel. All das sind neue Geschäftsfelder organisierter Kriminalität, bei denen sich natürlich auch das Internet sehr gut nutzen lässt und wo es sehr schwer ist, zu neuen Ansatzpunkten und zu neuen Strukturermittlungen zu kommen. Thüringen oder Deutschland gilt als Eldorado für Geldwäscher. Da ist es eben sehr wichtig, diese Geschäftsfelder, die ich eben aufgezählt habe, auch mal in den Blick zu nehmen.
Die Rockerklubs sind aufgeführt worden. Da möchte ich auch noch mal ausdrücklich das Landeskriminalamt loben. Wir haben eine spezielle Ermittlungseinheit, die diese Rockerklubs in den Blick nimmt und auch sehr gut erfasst, was dort stattfindet. Bei den Rockerklubs gibt es eben Netzwerke und auch Verbindungen zu den illegalen Märkten, zu den illegalen Aktivitäten, die ich Ihnen gerade gesagt habe.
Aber, wie gesagt, es gibt ein großes Dunkelfeld. Das kann Thüringen nicht allein aufhellen. Ich freue mich aber – und der Minister wird dazu selbst noch Ausführungen machen –, dass die Stellen beim LKA in dieser Struktur langsam wieder vollständig besetzt sind. Aber wir werden es auch mit neuen Geschäftsfeldern dieser OK zu tun haben. Natürlich kann es sehr gut sein, wie es bundesweit auch ist, dass wir außer den vier Komplexen durchaus noch andere Komplexe haben, durchaus noch andere Tätergruppen haben, die hier aktiv sind. Aber es ist eben nicht leicht, an das heranzukommen.
Dann nur allgemein zu sagen, das muss zurück zum Verfassungsschutz, dann würde das besser werden, ich glaube, das kann man schon deswegen mit einem großen Fragezeichen versehen bzw.
sagen, das ist eher nicht so, wenn man sich diese neuen Deliktsfelder anschaut, die ich eben genannt habe. Wir müssen zum Beispiel auch an die Cyberkriminalitätsaktivitäten ran und dann erkennen wir relativ schnell solche Strukturen.
Der Schwerpunkt des BKA-Lagebildes, das diese Woche vorgestellt worden ist, waren Clanstrukturen. Das ist wohl mehr ein Problem von großstädtischen Ballungszentren. Berlin, Bremen, Ruhrgebiet werden da immer gerne genannt. Das haben wir zum Glück wohl eher nicht. Aber wir haben genügend andere Dunkelfelder, die man sicherlich aufhellen muss. Wir sind da aber wirklich dran. Aber das jetzt wieder zurückzugeben an den Verfassungsschutz mit der Vielfalt von neuen Kriminalitätsfeldern, halte ich für den ganz falschen Weg. Deswegen ist dieser Rundumschlag, den Sie da gemacht haben, Kollege Fiedler, dem Thema leider nicht gerecht geworden.
Wir arbeiten allerdings mit R2G mit hohem Motivationsgrad daran und werden das auch weiter fortsetzen. Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, schön, dass Sie unserer Debatte auch hier heute wieder folgen. Es ist traurig, dass wir dieses Thema hier überhaupt auf der Tagesordnung haben müssen, denn es spiegelt das verschärfte Klima der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wider, unter dem wir eigentlich alle zu leiden haben.
Hass und Hetze führen dazu, dass aus Worten Taten werden. Das ist der Slogan des NSU gewesen und brutalerweise verwenden den mehr und mehr auch andere Kräfte hier im gesellschaftlichen Umfeld – leider auch in Thüringen. So haben wir mit einer Zunahme von Gewaltandrohungen und auch Übergriffen auf Politikerinnen und Politiker zu tun, auch hier bei uns in Thüringen. Zum Glück – kann man sagen – sind hier schwere Verletzungen bisher ausgeblieben, aber körperliche Angriffe gab es bereits und Sachbeschädigungen jede Menge.
Was wollen wir heute in unserer Aktuellen Stunde? Heißt das, dass die Politiker sich jetzt schon wieder ein Extrawürstchen braten wollen? Das ist nicht der Fall, sondern wir wollen einen bestehenden Schutz in Erinnerung rufen, den es im Strafgesetzbuch in § 188 StGB gibt, wo es eine besondere Strafandrohung für Angriffe gegen Politikerinnen und Politiker gibt. Die wird allerdings – warum auch immer – in der wissenschaftlichen Literatur und in der Rechtsauslegung bisher auf Politiker auf höheren Ebenen bezogen, also auf Landtagsabgeordnete, auf Bundestagsabgeordnete und auf Regierungsmitglieder. Wir denken, es ist allerhöchste Zeit, auch Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker zu schützen.
Sie alle erinnern sich an den tragischen, lebensgefährlichen Anschlag auf Frau Reker, die Oberbür
germeisterkandidatin in Köln. Es gab weitere Angriffe gegen Kommunalpolitiker in Schleswig-Holstein. Es gab erst jüngst den Mord an Herrn Lübcke, der auch hier in Thüringen lange Zeit tätig gewesen ist.
Was wollen wir mit dieser Aktuellen Stunde? Wir wollen nicht nur Strafrecht verschärfen, sondern wir wollen auch unseren Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern sagen: Wir stehen an eurer Seite, wir unterstützen euch, und wir wollen das nicht, dass die Gesellschaft hier resigniert. Und wenn dann Leute angegriffen werden, auch noch körperlich angegriffen werden, wenn ihre Familie angefeindet wird – Sie erinnern sich vielleicht auch noch an das Beispiel aus dem Bundesland Sachsen, wo bei einem Kommunalpolitiker Steine durch das Fenster flogen, in ein Zimmer, in dem die Kinder geschlafen haben –, dann ist es höchste Zeit, hier auch eine Aktivität von uns zu entfalten.
Diese Angriffe auf Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sind die traurige Spitze eines Eisbergs, einer zunehmenden Radikalisierung, einer zunehmenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Wir finden im Internet mittlerweile Organisationen und Listen. Zuletzt war es die „Nordkreuz“Akte, wo dann schon Mord- und Attentatslisten verbreitet werden, auf der sich auch zahlreiche Politikerinnen und Politiker finden. Diese Verschärfung wird natürlich auch noch zusätzlich angeheizt durch Kräfte, die sich dann heute auch noch hier hinstellen und sich als bürgerliche Mitte bezeichnen. Darüber bin ich jetzt auch noch mal besonders sauer, denn es war 2018 die Junge Alternative in Köln, also die Jugendorganisation der AfD, die den Slogan des Reker-Attentäters auf ihrer Seite online gestellt hat, und nebendran waren Bilder mit scharfen Waffen publiziert – nur mal so weit.
Jetzt haben Sie von Ihrem Herrn Kubitschek – das ist immer der geistige Stichwortgeber für Herrn Höcke – eine Strategie verordnet bekommen, die nennt sich die „Selbstverharmlosung“. Das habe ich jetzt erfahren – wunderbar. Das haben wir heute schon hier von Ihnen erfahren, wie Sie das hier anzuwenden gedenken. Ein trauriger Höhepunkt – das ist nicht nur ein Phänomen hier in Deutschland oder in Thüringen – in Europa war übrigens gestern auch die Unterhausdebatte in Großbritannien, als sich der Premier zu der Bemerkung hinreißen ließ, dass man das Andenken der ermordeten Parlamentsabgeordneten Jo Cox am besten dadurch
wahren müsste, dass man den Brexit jetzt auch durchsetzt.
Frau Cox hatte sich gegen den Brexit gewandt und war auf dem Weg zu einer Wahlkreissprechstunde erschossen worden.
Wir brauchen deswegen auch Korrekturen im Strafrecht. Wir müssen das zum Offizialdelikt machen. Wir müssen den Strafrahmen erhöhen. Es geht uns aber auch darum, dass wir Leuten, die primär aus dem rechtsextremen Sektor kommen und diese Angriffe vornehmen, Waffen wegnehmen müssen.
Dann sage ich noch mal eines hier an die Adresse der AfD mit ihrer Selbstverharmlosungsverbalformulierung: Täter und Brandstifter verdienen gleichermaßen unseren entschiedenen Widerstand hier in Thüringen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist soweit, das Thüringer Transparenzgesetz wird beraten.
Durch Beschluss des Landtags in seiner 138. Sitzung am 1. Februar 2019 wurde dieser Gesetzentwurf an den Innen- und Kommunalausschuss überwiesen. Der Innen- und Kommunalausschuss hat sich gründlich damit befasst und den Gesetzentwurf in seiner 67. Sitzung am 21. Februar 2019, in seiner 68. Sitzung am 21. März 2019, in seiner 71. Sitzung am 2. Mai 2019 und abschließend in seiner 76. Sitzung am 5. September 2019 beraten. Der Innen- und Kommunalausschuss hat zu dem Gesetzentwurf eine schriftliche Anhörung sowie in der 71. Sitzung am 2. Mai 2019 eine ausführliche mündliche Anhörung in öffentlicher Sitzung durchgeführt. Der Gesetzentwurf war auch Gegenstand einer Online-Diskussion gemäß § 96 Abs. 2 der Geschäftsordnung.
An dieser Stelle danke ich allen Anzuhörenden für ihre sehr ausführlichen und auch sehr interessanten Stellungnahmen. Das eine oder andere ist dann auch in die Beschlussempfehlung aufgenommen worden, die Sie in der genannten Drucksache 6/7661 finden.
Es ging besonders um die Fragen: Was soll alles von dem Gesetz erfasst sein? Wie kann der Zugang noch einfacher gemacht werden, sodass die Barrieren möglichst gering sind? Welche Bereichsausnahmen sind sinnvoll, welche sollten entfallen, aber auch, welche sollten hinzukommen? Ein spannendes Gesetz, das jetzt im Folgenden von uns beraten wird.
Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, was soll denn das Transparenzportal?
Jetzt haben wir hier so Schreckensbilder aufgemalt bekommen, dass die arme Verwaltung vollkommen überlastet ist, weil sie künftig noch Transparenzportalvorschriften beachten muss und da Sachen reinstellen soll. Aber ich sage Ihnen mal eines: Am schlimmsten ist doch, dass wir es nicht schaffen, der Verwaltung die Arbeit zu erleichtern, indem wir es zulassen, dass sich weiterhin Bürger in die Amtsstuben reinstellen müssen, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung bei ihrer Arbeit sind. Die haben viel zu tun, und dann steht da einer und sagt, jetzt hätte ich aber gern mal von Ihnen das, das und das gewusst. Dann sagt der Kollege, ich muss erst mal gucken, wo das steht, ich weiß gar nicht, vielleicht gehen sie lieber zu der Kollegin, das dauert aber jetzt ein bisschen. Der wird in seiner normalen Arbeit unterbrochen und der ist sauer und hier oben. Kollege Kuschel, du drohst immer damit, wenn du nicht mehr im Landtag bist, dann hast du schon ungefähr 500 Anfragen an die Behörden fertig.
An den Innenminister allein? Aber das ist dann auch eine Behörde.
Das Transparenzregister kann verhindern, dass Herr Kuschel dann 500-mal irgendwo aufschlägt, den Arbeitsablauf stört und sagt, ich möchte das jetzt hier gern rausgesucht haben, denn dann kann man Herrn Kuschel sagen, das ist doch im Transparenzportal drin, das weißt du doch, guck doch mal rein. Klick. „EinKLICK, EinBLICK“, das ist das Motiv, das steht als Überschrift auf dem Transparenzportal in Rheinland-Pfalz. Das können Sie sich gern im Internet alle mal anschauen. Ich habe es schon bei der ersten Lesung gesagt: tpp.rlp.de. Das ist das Transparenzportal von Rheinland-Pfalz. Da begrüßt einen die Ministerpräsidentin, indem sie sagt, Offenheit und Mitwirken, das sei ihr eine große Verpflichtung
und sie freue sich über diese Transparenz. Dann sind die Sachen dort eingestellt und man kann sich diese heraussuchen, ohne die Verwaltung zu belästigen. Natürlich ist es schon jetzt Gesetz – darauf wurde schon hingewiesen –, dass bestimmte Dinge geprüft werden müssen, dass sie im Internet oder im Gemeindeblatt oder sonstwo veröffentlicht werden sollen. Ich muss sie mir mühselig auf verschie
denen Plattformen raussuchen – und dann habe ich nur noch eine. Der Mehraufwand, zu schauen, was veröffentlichungspflichtig ist, bestand bisher schon. Der neue Aufwand für die Verwaltung ist eigentlich im Idealfall dann auch nur ein Klick. Wenn nämlich irgendetwas fertiggestellt wird, was veröffentlichungswürdig oder veröffentlichungspflichtig ist, dann klicke ich auf meinem PC, wo ich das Ganze sowieso erarbeitet habe, noch mal auf „Kopie an Bürger“. So wie wir das alle tagtäglich machen, wenn wir irgendwo E-Mails hinschicken, dann denken wir, wen könnte das noch interessieren. „Kopie an“ haben Sie immer in jeder Spalte. So kann auch die Verwaltung bei einem Verwaltungsakt, bei einem Vertrag, bei bestimmten Dingen, die künftig möglichst einfach einsehbar sein sollen, „Kopie an Bürger“ anklicken, dann ist es im Transparenzportal. Da finden Sie das unter einer Überschrift, ohne dass Sie in der Amtsstube irgendjemandem auf den Senkel gehen müssen. Dass das die Arbeit für die Verwaltung nicht erschwert, sondern erleichtert, das haben wir in Hamburg gesehen. Das ist bisher das zweite Land, das schon ein Transparenzportal hat – schon sehr lange. Die haben dieses Transparenzportal auch schon das erste Mal evaluiert, also geschaut, was hat geklappt oder was nicht. Was sie da festgestellt haben, war, dass es in ungefähr drei Jahren neben Millionen Zugriffen insgesamt 630.000 Zugriffe aus Behörden gegeben hat, weil sich die Behörden auch untereinander die Arbeit erleichtert haben, indem sie in dieses Transparenzportal reinschauen konnten. Deswegen ist es eigentlich überhaupt kein Teufelswerk, sondern einfach mal was nettes Neues, was die Arbeit für alle erleichtert. Natürlich ist es erst mal ein Schrecken. Da kommt ein Gesetz, das betrifft irgendwie die Verwaltung, und da schrickt man zusammen, und denkt: Oh Mist, was muss ich jetzt da schon wieder Neues machen? Womit nerven uns jetzt schon wieder die Gesetzgeber und die Parlamentarier? Wir haben wirklich genug zu tun.
Aber ich wiederhole noch mal das, was ich am Anfang gesagt habe: Ich glaube, wenn wir das eingeführt haben, wird sich die Aufregung schnell legen, und alle werden merken, es profitieren alle davon, auch die Verwaltung, weil es im Grunde einfacher wird, das Transparenzbegehren zu erfüllen. Der einzige Grund, den man noch dagegen haben könnte, wäre, dass man sagt, man möchte nicht, dass Bürger bestimmte Sachen kennen. Das ist aber dann total – würde ich mal sagen – ewig gestrig. Wir sind Dienstleister hier im Parlament, die Verwaltungen sind es auch, die Bürger bezahlen uns hier im Parlament, die Bürger bezahlen auch ihre Verwaltung, und das Ergebnis, was dort erarbeitet wird – es sind ja auch gute Dinge –, das kann
dann auch öffentlich zugänglich sein, natürlich im Rahmen bestimmter Grenzen, und dann freut sich jeder. EinKLICK, EinBLICK. Wie gesagt, es entlastet nicht nur die Bürgerinnen und Bürger vom umständlichen Auskunftsersuchen, im umständlichen Herausfinden, wo, was, wie, wer ist denn da mein Ansprechpartner, sondern es entlastet auch die Verwaltung selbst. Deswegen freue ich mich auf das Transparenzregister. Und ich denke, viele Bürgerinnen und Bürger in diesem Land tun das auch.
Wenn Sie diese Seiten einmal anklicken, die ich Ihnen genannt habe, dann werden Sie sehen, wie schick das Ganze ist. Deswegen wollen wir das auch in Thüringen und deswegen machen wir das heute hier mit unserem Gesetz. Herzlichen Dank an alle, die da zustimmen. Sie tun wirklich etwas für unsere Bürgerinnen und Bürger. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt kommen große Emotionen in diesem Landtag auf. Was ist der Hintergrund? Wir haben 100 Jahre Frauenwahlrecht und die Repräsentanz beider Geschlechter im Parlament ist nach wie vor ungleich. Deswegen ist es an der Zeit, sich mal Gedanken zu machen, ob das denn so bleiben muss und ob das so in Ordnung ist. Natürlich gibt es rechtliche Bedenken, aber es gibt auch eine Verfassung und nicht nur ein Parteienrecht oder ein Recht von Auswahl unter Vorgaben, die die Parteien gemacht haben, sondern es gibt auch einen Verfassungsauftrag. Auf Stufe 1 – das kennen Sie alle – im Artikel 3 des Grundgesetzes oder auch unserer Landesverfassung steht natürlich der Satz: Frauen und Männer sind gleichberechtigt.
Deswegen haben wir ja auch das Wahlrecht. Dann sollen die Mädels mal losmarschieren und dann schauen sie mal, wie weit sie kommen. Dann ist aber noch nicht Schluss, denn alle unsere Verfassungen gehen ja noch weiter, die haben noch einen zweiten Satz. Im Grundgesetz heißt es: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung [...] und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Da könnte man noch sagen: Da müssen sie vielleicht noch ein paar Appelle losschicken und irgendwie noch Schulungen machen, dass es schöner wäre, wenn man die Geschlechterrepräsentanz ein bisschen gerechter gestalten würde, und dann sieht man mal, was rauskommt.
Jetzt kommt aber Stufe 3, das ist unsere Thüringer Landesverfassung, und die hat einen noch viel konkreteren Handlungsauftrag. Die Thüringer Landesverfassung sollte ja bei jedem Abgeordneten unter dem Kopfkissen liegen. Es lohnt sich, immer mal wieder dort hineinzuschauen. In unserer wunderschönen Landesverfassung heißt es in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2: „Das Land, seine Gebietskörperschaften und andere Träger der öffentlichen Verwaltung sind verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung
von Frauen und Männern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durch geeignete Maßnahmen zu fördern und zu sichern.“ Das heißt, das ist sozusagen der Endzustand, der wird nicht einfach nur als schönes Ziel an die Wand gemalt, wo man dann mal versuchen kann, wie weit man kommt, sondern
wo man dann eben auch die Verpflichtung hat, den Erfolg sicherzustellen.
Und da sind die ersten Schwachpunkte von den Gutachten zu verorten, die hier rechtliche Bedenken gegen unseren Gesetzesvorschlag geäußert haben. Ich greife nur mal beispielhaft drei Punkte heraus, weil wir ja leider die Redezeit auch bei diesem Punkt verkürzt haben. Es wird in den Gutachten behauptet, es würde bei dem Gebot der Gleichberechtigung keine Ergebnisgleichheit geschuldet. Aber das stimmt eben gerade nicht, weil wir nicht nur Loslaufen, sondern auch Ankommen in unserer Thüringer Verfassung haben, es geht also durchaus auch um Ergebnisgleichheit.
Dann kommt es auch in einem Gutachten zu der witzigen Formulierung, man müsste auch mal grundsätzlich infrage stellen, ob es denn überhaupt so richtig wäre, dass man sagt, Fraueninteressen könnten nur durch Frauen vertreten werden. Da kann ich nur sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante, wie unser Fraktionsvorsitzender immer gern sagt. Dieses Argument hat auch bei der Einführung des Frauenwahlrechts schon eine Rolle gespielt, dass man gesagt hat: Ja, warum, wir Männer vertreten doch die Rechte und die Interessen von Frauen mit, da braucht es doch gar keine Frauen. Also gleiches Argument, deswegen eher falsch.
Da musste ich ja schon fast lachen, dass in einem Gutachten drinstand – ich sage jetzt gar nicht mal welches –: „die Angehörigen des klassischen Geschlechts“.
Wenn so etwas drinsteht, dass wir in einem Parlament ein „klassisches Geschlecht“ haben und dann noch Frauen, dann haben wir allen Grund, so ein Gesetz, wie wir es heute hier auf dem Tisch liegen haben, wirklich in den Marsch zu bringen.
Jetzt werde ich noch mal ein bisschen juristisch förmlicher, weil ich mir durchaus Gedanken mache und mir das alles wirklich genau durchgelesen habe. Da heißt es dann eben auch, dass der Gleichstellungsförderauftrag zurückstehen müsse zwischen der Wahlrechtsgleichheit und Wahlrechtsfreiheit bei den Parteien. Also haben wir wieder nur den Förderauftrag Loslaufen; Ankommen ist nicht so wichtig. Aber natürlich sind Wahlrechtsgleichheit und -freiheit von den Parteien ein sehr wichtiges und hochstehendes und konstitutives Element unserer Verfassung, unserer Demokratie. Aber, Kolleginnen und Kollegen, wir in unseren wunderschö
nen Parteien, unser Verfassungsauftrag ist es, an der Willensbildung mitzuwirken, und wir stehen nicht über der Verfassung und wir stehen auch nicht über dem Gesetzgeber. Deswegen gibt es auch bestimmte Vorgaben und die gibt es übrigens auch jetzt schon, denn wir haben zum Beispiel die Wahlrechtsgleichheit und Wahlrechtsfreiheit dadurch begrenzt, dass bei uns in Thüringen Leute unter 18 Jahren diesen Landtag nicht mitwählen dürfen und auch nicht gewählt werden können. Auch das ist eine materielle Einschränkung. Da könnte man ja auch fragen: Wieso verbietet man einer Partei, den 14-Jährigen hier aufzustellen, und wieso darf er nicht den Landtag wählen? Da könnte man auch sagen: Einschränkung der Wahlrechtsfreiheit, Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit. Und wenn man dann eben sagt, dieses Wahlrechtsgleichheitsprinzip und die Wahlrechtsfreiheit würden es nicht erlauben, ein solches Gesetz auf den Weg zu schicken, dann machen Sie, denke ich, einen Fehler, denn dann erhöhen Sie das Recht der Parteien über das der Verfasser, und das ist nicht in Ordnung.
Es ist ja auch schon jetzt so, dass die Bürger eben nicht frei wählen können, was da kommt, weil auch jetzt schon die Parteien allein bestimmen, wie sie, nach welchen Prinzipien sie Listen aufstellen. Also die ganz freie Wahl hat der Bürger nicht. Und wir haben als Partei auch viele andere Gesetze zu beachten. Wenn wir an Wahlen teilnehmen dürfen, an der Willensbildung mitwirken, dann im Parlament sind und dafür zum Beispiel auch Wahlkampfkostenerstattung und erhebliche staatliche Zuschüsse bekommen, dafür müssen wir bestimmte Regeln einhalten. Natürlich kann sich irgendeine Partei, wenn sie das gern will, für die nächsten 1.000 Jahre den gleichen Vorsitzenden wählen. Eine Partei, die nach solchen autoritären Prinzipien aufgebaut wird, wird aber keine Landesliste aufstellen können, denn auch da haben wir Vorschriften, dass also die Delegierten nicht erst vor fünf Jahren gewählt sein dürfen, sondern aktuell. Es gibt eine Reihe von Vorschriften, und da, wo wir die Demokratie sozusagen unter das Kuratel der Verfassung stellen, da können wir das auch selbstverständlich tun, um Frauen zu gleichen Rechten gegenüber dem „klassischen Geschlecht“ – ich wiederhole es noch mal, weil es mir so gut gefallen hat – zu verhelfen.
Deswegen sage ich Ihnen heute, wie ich es auch schon in der ersten Lesung gesagt habe: Lieber
gleichberechtigt als später – und bitte Sie herzlich um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, vieles ist schon gesagt. Wir haben drei wichtige Änderungen, die wir hier vornehmen. Viel diskutiert wurde über dieses Wahlrecht zwischen der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung. Also, ich verstehe überhaupt nicht, wo da bei den Oppositionsfraktionen das Problem gesehen wird, die das nicht nachvollziehen können.
Wir setzen keine Verpflichtung für die Beamten im öffentlichen Dienst fest, sich jetzt gesetzlich zu versichern, sondern wir geben ein Wahlrecht, wie es auch andere Berufsgruppen schon lange haben. Es geht auch nicht nur darum, dass es jetzt vielleicht für einige irgendwie besser ist, die viele Kinder oder vielleicht auch Langzeiterkrankungen haben. Wir wissen ja, dass bei der privaten Krankenversicherung dann auch Prüfungen einsetzen, abhängig vom Gesundheitsstatus Versicherungsprämien steigen und auch Kinder extra versichert werden müssen.
Es geht auch darum, dass man damit das Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung unterstützt. Ich persönlich bin in meinem ganzen Leben freiwillig gesetzlich versichert, obwohl ich gar keine Arbeitnehmerin bin.
Ich bin Freiberuflerin, ich bin Abgeordnete, ich hätte in der privaten Versicherung sehr viel billiger fahren können – das möchte ich aber nicht.
Es gibt überhaupt keinen Zwang für Beamte, jetzt in die gesetzliche etwa umzuswitchen. Aber sie können frei wählen. Wo ist denn da eigentlich das Problem und was soll denn daran auch noch verfassungsrechtlich bedenklich sein? Wir schaffen eine Wahlfreiheit. Wie gesagt, bisher war die gesetzliche Krankenversicherung für Beamte deswegen unattraktiv, weil sie in diesem Fall die vollen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile übernehmen mussten. Sie haben praktisch noch eine Strafgebühr dafür gezahlt, dass sie sich für das Solidarprinzip entschieden haben. Das wird abgeschafft, indem dann eine anteilige Erstattung durch den Arbeitgeber, durch die Behörden möglich sein wird.
Damit folgen wir – Kollege Adams hat schon darauf hingewiesen – dem Beispiel Hamburgs, das schon zum 1. August 2018, also vor knapp einem Jahr, dieses Modell eingeführt hat. Die Erfahrungen in Hamburg sprechen für sich. Innerhalb eines halben Jahres haben sich dort über 1.000 Beamte und Beamtinnen für die Versicherung in der gesetzlichen Krankenkasse entschieden. – Das ist ein guter Weg.
Dass Freiheit verfassungswidrig sein kann, das erschließt sich mir nicht, ich denke, auch den Betroffenen nicht, denn niemand wird gezwungen, diesen dann neuen möglichen Weg zu gehen.
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Schmerzensgeldübernahme für Fälle, in denen Beamte Opfer von gewalttätigen Übergriffen werden. Wir alle wissen und haben schon sehr oft auch hier in diesem Haus zu Recht bedauert und kritisiert, dass Beamtinnen und Beamte zunehmend Ziel von Übergriffen werden. Das betrifft nicht nur die Polizei, die schon seit Langem eine zunehmende Verrohung beklagt. Wir haben mittlerweile Feuerwehrleute, aber selbst auch Verwaltungsbeamte in kommunalen Behörden, die sich beispielsweise mit Drogen oder auch Angriffen sogenannter Reichsbürger auseinandersetzen müssen. Wenn in diesen Fällen ein Täter ermittelt ist und dem Opfer Schmerzensgeld zugesprochen wird, ist es nicht selten so, dass die Beamtinnen und Beamten lange auf die Begleichung ihrer Schmerzensgeldansprüche warten müssen oder gar gänzlich auf dem Anspruch sitzen bleiben. Wenn diejenigen, die es zu zahlen hätten, überhaupt nicht leistungsfähig sind, also keinen Knopf in der Tasche haben, dann ist da nichts zu holen. Dann ist es natürlich sehr wichtig und sehr gut, dass wir als Land in Vorleistung treten und das Opfer entschädigen können. Dann geht der Anspruch auf das Land über und das Land kann sehen, ob es sich etwas wiederholen kann. Aber der geschädigte Beamte bleibt nicht sozusagen der Doppeltgeschädigte,
weil er einmal schon die Verletzung ertragen musste und dann auch noch kein Geld bekommt.
Der dritte und letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte, betrifft die kommunalen Wahlbeamten, die hauptamtlichen Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte in Thüringen. Erst im letzten Jahr sind viele neu gewählt worden und das vorübergehende Engagement als Bürgermeisterin und Bürgermeister können wir gar nicht hoch genug schätzen.
Bisher war es so, dass hauptamtliche kommunale Wahlbeamte in ein Beamtenverhältnis auf Zeit zu einem kommunalen Dienstherrn übernommen wurden. Bei einem Bürgermeister, der schon vor seiner Wahl Beamter war, hatte dies zur Folge, dass er als Beamter kraft Gesetzes zu entlassen war, weil er in ein Dienstverhältnis zu einem anderen Dienstherrn eingetreten war. Ausnahmen hiervon waren nur durch eine komplizierte Genehmigung des für das Beamtenrecht zuständigen Ministeriums möglich.
Es kann nicht in unserem Sinn sein, dass jemand, der ein kommunales Wahlamt übernimmt und schon Beamter ist, dann quasi aus dem Beamtenverhältnis entlassen wird. Das ist jetzt keine Privilegierung, wenn wir sagen, der kann auch beurlaubt
werden oder ist zu beurlauben, sondern das ist eigentlich eine Gleichstellung mit vielen anderen Positionen,
wo das schon möglich ist, denn im Angestelltenverhältnis ist das gang und gäbe, dass das so gemacht wird. Deswegen ist es sehr richtig, dass wir das jetzt hier einführen. Das ist auch im Sinne der Unterstützung des kommunalen Wahlamts und der Freiheit für jedermann und jedefrau, sich für so ein wichtiges Amt auch bewerben zu können.
Mithin kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass gerade die Kolleginnen und Kollegen von der CDU hier irgendwie ablehnen und da wieder irgendwie mit der Verfassung winken. Das machen sie immer gern, wenn die Argumente nicht ausreichen, dann ist die vermeintliche Rechtswidrigkeit bei Ihnen am Start. Aber jetzt fassen Sie sich doch einfach mal ein Herz und tun Sie hier was Gutes für unsere Beamtinnen und Beamten! Diese drei Punkte allein rechtfertigen es, dem Gesetz zuzustimmen. Das haben unsere Beamtinnen und Beamten hier in Thüringen auch verdient. Herzlichen Dank.
Das kommt davon, wenn wir hier so schnell sind. Wir haben nämlich die Redezeit halbiert, damit wir schneller mit der Tagesordnung durchkommen – das vielleicht zur Erklärung für unsere Zuschauerinnen und Zuschauer, dass es doch ungewöhnlich ist, wenn Redner nicht da sind.
Auch wenn der Tag schon etwas vorangeschritten ist, fallen mir zu diesem Gesetzentwurf der AfD nur noch mal die Worte „guten Morgen“ ein. Die AfD hatte diesen Gesetzentwurf erst gut zwei Wochen vor den Kommunalwahlen eingebracht, im Mai. Damit wollte sie sogenannte – und ich sage bewusst: sogenannte – Scheinkandidaturen verhindern. Aber das war natürlich viel zu spät für die Kommunalwahl, die nun bereits stattgefunden hat, aber auch inhaltlich nicht so überzeugend. Nicht einmal, wenn Ihr Gesetzentwurf hier im Haus den Hauch einer Chance gehabt hätte, hätte sich im Hinblick auf die
anstehende Kommunalwahl etwas geändert. Wenn es Ihnen also mit diesem Anliegen ernst gewesen wäre, hätten Sie den Gesetzentwurf schon weit vor einem Jahr oder noch eher einbringen können und eingebracht.
Sie haben nach wie vor die Forderung auf der inhaltlichen Ebene, dass Bürgermeister und Landräte und Landrätinnen und Bürgermeisterinnen bei den Wahlen zum Gemeinderat bzw. zum Kreistag nicht mehr kandidieren dürfen. Technisch wollen Sie diesen Personenkreis deshalb von der Wählbarkeit ausschließen. Klar muss Ihnen aber sein, dass man sich auf ein erhebliches verfassungsrechtliches Glatteis begibt, wenn man Amtsträgern die Möglichkeit zur Kandidatur verbietet. Warum das so ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Wahl der Bürgermeister und Landräte mit denen der Gemeinderäte und Kreistage zusammenfallen können. Dann entsteht nämlich die Situation, dass es einen Amtsinhaber und gegebenenfalls mehrere andere Bewerber gibt. Anders als die Mitbewerber dürften Amtsinhaber in diesem Fall laut Ihrem Gesetz zwar wieder als Landrat oder Bürgermeister kandidieren, aber nicht für den Kreistag oder den Gemeinderat. Der Amtsinhaber hätte für den Fall, dass er als Landrat/Landrätin oder Bürgermeister/Bürgermeisterin nicht wiedergewählt wird, also nicht die Möglichkeit, in den Gemeinderat oder Kreistag gewählt zu werden, obwohl er oder sie zu Beginn der Amtszeit des neuen Gemeinderats oder Kreistags das Amt als Landrat/Landrätin bzw. Bürgermeister/ Bürgermeisterin gar nicht mehr innehat. Also man könnte quasi durchfallen in dieser Wahl als kommunaler Wahlbeamter und könnte dann gleichzeitig nicht dem Gemeinderat oder Kreistag angehören.
Wie wollen Sie diese Benachteiligung der Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber rechtfertigen? Dazu steht in Ihrem Gesetzentwurf nichts drin.
Nun könnte man ja sagen, dass dieser Fall eh nur alle paar Jahre vorkommt. Tatsache ist aber, dass Ihr Gesetzentwurf, wenn wir ihm denn näher hätten treten wollen, genau zu einem Zeitpunkt in Kraft treten würde oder wirksam werden würde, wenn die Wahlen der Landräte und Bürgermeister mit denen der Kreistage und Gemeinderäte zusammenfallen, nämlich 2024. Also zur nächsten Kommunalwahl haben wir genau diese Situation. Dann endet die sechsjährige Amtszeit von Bürgermeisterinnen, Landrätinnen, Bürgermeistern, Landräten, die wir letztes Jahr 2018 gewählt haben und gleichzeitig die Amtszeit der Gemeinderäte und Kreistage, die wir Ende Mai gewählt haben. Dann hätten wir genau dieses Problem, was ich eben geschildert habe, dass das eine Benachteiligung wäre für Amtsin
haber, wenn sie sich dort nicht selbst zur Wahl stellen könnten.
Man kann natürlich durchaus über die Frage der sogenannten Scheinkandidaturen unterschiedlicher Auffassung sein und ich verrate Ihnen hier auch kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass es auch innerhalb der rot-rot-grünen Koalition der Fall ist, dass es dazu unterschiedliche Meinungen gibt. Meine Fraktion allerdings teilt mehrheitlich nicht die Auffassung, dass mit sogenannten Scheinkandidaturen Wähler getäuscht werden, wovon in Ihrem Gesetzentwurf die Rede ist. Wenn sich ein Amtsinhaber oder eine Amtsinhaberin entschließt, für den Gemeinderat oder Kreistag zu kandidieren, ist dies stets Gegenstand der öffentlichen Berichterstattung und wird auch regelmäßig durch die jeweiligen politischen Mitbewerber thematisiert. So war das auch jetzt wieder. Es war keine geheime Täuschung. Überall wo Amtsinhaberinnen oder Amtsinhaber auf den Listen standen, gab es eine öffentliche Debatte dazu, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich es ist, dass die überhaupt ihr kommunales Mandat antreten und ob das deswegen irgendwie gerecht wäre oder nicht. Es ist also keine List, mit der der Wähler hinter die Fichte geführt wird, sondern es ist bekannt, dass solche Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber meist ihr Mandat nicht annehmen. Natürlich wird damit auf die Popularität der Amtsinhaber gesetzt. Aber auf die Popularität von Kandidaten zu setzen, ist keine Täuschung, sondern ein normaler Bestandteil des politischen Wahlkampfes. Wir werden deswegen in dieser...
Das ist keine Schummelei. Es ist doch offensichtlich. Es kandidiert jemand, der könnte das Amt auch antreten und könnte sagen: „Ich mache das.“ Ich habe es Ihnen ja gerade gesagt: 2024, wenn Ihre Gesetzesänderung in Kraft treten würde, wenn wir es denn annehmen würden, was wir aber nicht tun, dann hätten wir genau den Fall, dass dort Amtsinhaber nicht auf Listen kandidieren dürfen, obwohl gar nicht klar ist, dass in der gleichzeitig stattfindenden Wahl von Oberbürgermeistern und Bürgermeisterinnen, Bürgermeistern, Landrätinnen und Landräten sie überhaupt wiedergewählt werden. Dann hätten Sie ein verfassungsrechtliches Problem. Schon deswegen – wie schon zu Anfang gesagt – lehnen wir hier Ihr Gesetz in dieser zweiten Lesung auch heute ab und damit bleibt es, wie es ist. Und es ist Gegenstand einer politischen Debatte, die ist legitim und die kann auch weiter geführt werden, aber am Gesetz werden wir hier nichts ändern.
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, der Mord an Walter Lübcke ist vor allem eine Tragödie für seine Angehörigen und Freunde, denen ich namens meiner Fraktion und sicher des ganzen Hauses an dieser Stelle mein aufrichtiges Beileid ausdrücken und viel Kraft wünschen möchte. Ich danke auch ausdrücklich noch einmal der Landtagspräsidentin für die heutige Schweigeminute für Walter Lübcke.
Sie hat darauf hingewiesen, dass der Verstorbene lange Zeit – zehn Jahre – auch in Thüringen gewirkt hat.
Die Hintergründe für diesen feigen Mord sind noch nicht vollständig aufgeklärt. Die Ermittlungen, die der Generalbundesanwalt an sich gezogen hat, laufen noch. Gleichwohl erreichen uns fast täglich neue Meldungen zu diesem Fall, die uns mit großer Sorge erfüllen müssen. Walter Lübcke ist nicht das
erste Todesopfer rechter Gewalt. Die Amadeu Antonio Stiftung zählt allein seit dem Jahr 1990 insgesamt 193 Opfer, die aus extrem rechten oder rassistischen Motiven zu Tode gebracht worden sind. Gleichwohl ist es der erste politische Mord an einem Repräsentanten des Staates seit vielen Jahrzehnten und der traurige Siedepunkt eines seit Jahren verrohenden gesellschaftlichen Klimas. Unser Staat konnte Walter Lübcke davor nicht schützen.
Für dieses verrohende Klima tragen alle – auch Teile hier im Hohen Haus – eine Mitverantwortung, die die Verächtlichmachung ihrer politischen Gegner, Hass und Hetze den Boden bereiten und damit Radikalisierungstendenzen befördern, das Sagbare verschieben – das Machbare folgt nach. Wer, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Menschen jagen, erlegen, entsorgen will – oder wie der erst frisch gewählte Europaabgeordnete Maximilian Krah nur einen Tag nach dem Mord an Walter Lübcke verkündete: „Wir schießen den Weg frei“, der äußert keine Kritik, der hasst.
Er muss sich nicht wundern, wenn andere das dann umsetzen, denn „Taten statt Worte“ ist übrigens ein NSU-Motto gewesen.
Schon bevor der Tatverdächtige gefasst wurde, erinnerte die augenscheinliche Hinrichtung Walter Lübckes an die Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds, die in Thüringen ihren Anfang genommen haben. Als der mehrfach vorbestrafte Tatverdächtige Stephan E. gefasst wurde, erhärtete sich schnell der Verdacht rechter Motive, die der Tatverdächtige in seinem Geständnis bestätigte. Die Frage kam gleich wieder auf, ob er ein Einzeltäter war oder Teil eines rechtsterroristischen Netzwerks ist. Ich persönlich habe nicht verstanden und werde auch weiterhin nicht verstehen, wie man ihn als einen „Schläfer“ bezeichnen konnte nach alldem, was eigentlich schon sofort über ihn bekannt wurde.
Vieles spricht gegen die Theorie des Einzeltäters. Nach derzeitigem Erkenntnisstand war Stephan E. jahrelang in der extrem rechten Szene aktiv und dort sehr gut vernetzt. Gegen die Einzeltäter-These spricht auch, dass der Tatverdächtige auf konspirative Weise Waffen gehortet hat. Die Ermittler fanden fünf Waffen, darunter eine Pumpgun und eine Maschinenpistole, die Stephan E. auf dem Gelände seines Arbeitgebers in einem Erddepot vergraben hatte. Besonders brisant ist dabei, dass die Tatwaffe laut Aussage des Tatverdächtigen von Markus H. beschafft wurde, der bereits 2006 im Zuge des NSU-Mordes an Halit Yozgat als Zeuge vernom
men wurde. Wir haben sehr viele Berührungspunkte der rechtsextremen Szene in Nordhessen, Niedersachsen und Nordwestthüringen. Deswegen müssen auch Bekannt- und Kennverhältnisse nach Thüringen unterstellt werden.
Auch der Widerruf des Geständnisses, der inzwischen erfolgte, in dem Stephan E. angegeben hat, als Einzeltäter gehandelt zu haben, wirft Fragen auf. Aus Ermittlungskreisen heißt es dazu, das Geständnis sei derart detailreich und ausführlich gewesen, dass sich daraus keine Auswirkungen auf die Ermittlungen ergeben, sondern die früheren Angaben weiterhin verwertet werden können. Ich frage mich, ob das frühe Geständnis nicht vielmehr der Versuch war, von Mittätern oder Mitwissern abzulenken. Wir wissen, dass Zeugen zwei Fahrzeuge am Tatort wegfahren sehen haben.
Nach dem Mord an Walter Lübcke stellt sich einmal mehr die Frage, ob in Deutschland rechtsterroristische Netzwerke operieren oder ob gar Teile des NSU, die noch immer auf freiem Fuß sind, nach wie vor Verbrechen begehen. Es sind ja auch noch Anklagen im NSU-Verfahren offen. Diese Frage zu klären, wird die Aufgabe der nächsten Wochen und Monate sein. Auch die Politik muss ihrer Verantwortung gerecht werden. Das sind wir Walter Lübcke und seiner Familie sowie allen anderen Opfern schuldig.
Der Anfang dazu ist, dass von unserem Haus aus hier ein starker Appell ausgehen muss, dass wir die Würde des Menschen wieder gemeinsam achten sollten. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein guter Tag für die Thüringer Polizistinnen und Polizisten. Ich begrüße bei der Gelegenheit auch herzlich Kai Christ, den Vorsitzenden der GdP, auf unserer Tribüne.
Die rot-rot-grüne Koalition beendet mit diesem Haushalt den jahrelangen Personalabbau der Vorgängerregierung bei der Thüringer Polizei. Das ist ein deutliches Signal zur Entlastung der Thüringer Polizei und ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Wir schaffen allein im Jahr 2020 142 neue Stellen beim Landeskrimi
nalamt, der Landespolizei und den Polizeibildungseinrichtungen. Wir bekennen uns dazu, in den nächsten Jahren, 2021 bis 2025, mindestens 1.160 Polizeianwärterinnen und -anwärter auszubilden und einzustellen.
Außerdem garantieren wir allen Polizeianwärterinnen und ‑anwärtern, sie nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Ausbildung in den Thüringer Landesdienst zu übernehmen.
Auch das Dauerthema „Beförderungen“ – das wurde auch schon in den vorherigen Diskussionen, in der Generaldebatte angesprochen – gehen wir mit diesem Landeshaushalt und der Änderung des Besoldungsgesetzes an, das ebenfalls in dieser Plenarsitzung zum Beschluss ansteht.
Das bisherige Besoldungsgesetz sah vor, dass der Anteil der nach Besoldungsgruppe A 9 des mittleren Polizeivollzugsdienstes bewerteten Dienstposten höchstens 55 Prozent betragen dürfte. Laut Organisations- und Dienstpostenplan sind aber 93 Prozent aller Dienstposten des mittleren Polizeivollzugsdienstes dieser Besoldungsgruppe zugewiesen. Aus diesem Grund werden wir das Besoldungsgesetz ändern und so den mittleren Polizeivollzugsdienst künftig obergrenzenfrei gestalten, um eben Dienstinhabern auch eine Beförderung zu ermöglichen.
Weiterhin bekennt sich die Koalition dazu, die Personalkostenausstattung der Polizei in den kommenden Jahren so auskömmlich zu gestalten, dass Polizeivollzugsbeamte einschließlich der Probezeit in der Regel nach fünf Jahren in das Beförderungsamt A 8 befördert werden können. Damit stärken wir die Attraktivität des Polizeiberufs in Thüringen und wertschätzen die gute Arbeit unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, denen ich an dieser Stelle auch noch mal ausdrücklich von hier aus für ihre wunderbare und sehr einsatzintensive Arbeit danken möchte.
Wir haben auch flankierende weitere Maßnahmen im Bereich der Polizei vorgesehen. Wir stellen eine halbe Million Euro – 530.000 Euro genau – mehr bereit, um die Ausbildungsbedingungen an der Polizeischule in Meiningen weiter zu verbessern. Wir wollen unseren angehenden Polizistinnen und Polizisten ein attraktives Lernumfeld bieten und für eine Ausbildung auf hohem Niveau sorgen. Wir werden die technische Ausstattung und Digitalisierung der Polizei verbessern, indem wir Landesmittel für die Errichtung einer – das wurde auch schon gesagt – Online-Wache bereitstellen und die Thüringer Polizei auch mit Kohlenmonoxid-Meldern ausstatten, um die Beamtinnen und Beamten im Einsatz besser zu schützen.
Wir reagieren mit zwei Öffentlichkeitskampagnen auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, indem wir erstens eine Personalmarketingkampagne – plus 51.500 Euro – für die Thüringer Polizei, mit der unter anderem gezielt Menschen mit Migrationshintergrund angesprochen werden, starten werden. So stärken wir die interkulturelle Kompetenz der Polizei, die sie bei ihren Einsätzen in und außerhalb Thüringens benötigt. Außerdem bringen wir zweitens eine Blaulichtkampagne – plus 100.000 Euro – auf den Weg, mit der wir die Aufgaben von Polizei, Feuerwehren und Rettungskräften würdigen.
Die zunehmende Gewalt gegen Rettungskräfte und die Polizei erfüllt uns mit Sorge. Es ist unerträglich, wenn sie dabei Pöbeleien und sogar körperlichen Angriffen ausgesetzt sind. Viele dieser Menschen leisten im Ehrenamt Dienst, um anderen in Not zu helfen. Dieses Engagement wollen wir damit stärker in den öffentlichen Fokus rücken. An dieser Stelle, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, möchte ich mal auf Ihre Endlosschleife zurückkommen, die Sie jetzt hier den ganzen Tag fahren, dass das alles verfassungswidrig ist, was wir hier machen, und das dürften wir alles gar nicht: Diese zentralen und wichtigen Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Polizei und der Rettungskräfte müssen wir jetzt ins Werk setzen und jetzt verabschieden.
Denn wenn wir die Landtagswahl abwarten sollten und es dann Ende Oktober zu einer wahrscheinlich etwas komplexeren Regierungsbildungszeit kommt und wir im nächsten Frühjahr vielleicht – frühestens dann – oder im Frühsommer mit dem Haushalt 2020 starten können, dann können wir all diese Maßnahmen, die ich Ihnen eben geschildert habe, überhaupt nicht umsetzen. Dann ist zum Beispiel Pumpe mit der Erhöhung der Ausbildungskapazität bei der Polizeischule Meiningen, da ist Pumpe mit der Verbesserung der Ausstattung, da ist Pumpe mit den Maßnahmen für die Feuerwehr, zu denen ich ihnen auch gleich noch etwas erzählen werde.
Und da sagen Sie, es wäre verantwortungslos, dass wir einen Haushalt ins Werk setzen. Da sage ich Ihnen: Es ist verantwortungslos, es nicht zu tun.
Denn dann, Frau Kollegin Holbe, stellen Sie sich hier hin und sagen: „Also, der Pakt für den Rechtsstaat muss umgesetzt werden!“ Ja, na klar, das ma
chen wir, damit das ins Laufen kommt. Wollen Sie das im nächsten Sommer irgendwann mal machen? Also das ist doch einfach wirklich tragisch und auch traurig, was Sie uns hier anbieten und dann Ausnahmerechte zum Normalfall gerieren lassen wollen. Es ist einfach nur schändlich. Wir sorgen hier für die Sicherheit vor.
Und dann haben Sie da auf Ihrer eigenen Netzseite der CDU-Landtagsfraktion unter Sicherheitspakt oder Pakt für den Rechtsstaat stehen: „Oh, der starke Staat, der muss stärker werden.“ Ja, wie denn? Mit konkreten Maßnahmen. Die sind in unserem 2020er-Haushalt drin. Das sollte Ihnen doch – wenn Sie mal die Hand aufs Herz legen, auch wenn das Herz links ist – doch wirklich die Anstrengung wert sein zu sagen: „Ja, das wollen wir, das machen wir mit.“ Wenn der Kollege Fiedler hier wäre, ich glaube, der würde an der Stelle sogar Beifall klatschen. Das könnte ich mir vorstellen.
Feuerwehr und Brandschutz – auch etwas, was Sie jetzt noch nicht machen wollen. Wir wollen durch Stellenhebungen die Berufsperspektive für das Personal der Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzschule in Bad Köstritz gerade verbessern, um qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Das war doch das Problem, Frau Holbe, was Sie geschildert haben, dass wir bisher nicht genügend Fachkräfte gewinnen konnten. Da wollen wir auch Abhilfe schaffen – jetzt und nicht irgendwann im nächsten Herbst.
Außerdem stellen wir 400.000 Euro bereit, um kurzfristige Personalengpässe abzufedern und das Lehrgangsangebot abzusichern. Wir machen den hauptamtlichen Feuerwehrberuf attraktiver, indem wir im Besoldungsgesetz den Empfängerkreis für die Feuerwehrzulage auf alle Beamten und Anwärter des feuerwehrtechnischen Dienstes ausweiten. Der Brandschutz in den Städten und Gemeinden Thüringens ruht überwiegend auf ehrenamtlichen Schultern. Ein bewährtes Instrument, um dieses ehrenamtliche Engagement zu würdigen, ist die Thüringer Feuerwehrrente. Diesen Ansatz haben wir schon im Haushaltsentwurf erhöht: plus 2,5 Millionen Euro, um die Feuerwehrrente in Thüringen ab 2020 zu verdoppeln. Auch das machen wir jetzt.
Wir reagieren auf das Problem, dass immer mehr freiwillige Feuerwehren Probleme haben, genügend Mitglieder zu finden, die bereit sind, eine Führerscheinerweiterung zu machen, um Feuerwehrfahrzeuge fahren zu können – das ist ja auch teurer geworden. Deswegen werden wir ab dem Jahr 2020 die Festbetragsförderung für Angehörige der Ein
satzabteilungen von 800 Euro auf 1.600 Euro verdoppeln. Der Haushaltsansatz erhöht sich hier um 154.000 Euro.
Durch die Änderung des Brand- und Katastrophenschutzgesetzes schließlich, haben wir die Koordinierung für Brandschutzerziehung in die Hände der Landkreise gelegt. Im Jahr 2020 werden wir die Landkreise bei der Förderung der Brandschutzerziehung durch Zuweisungen in Höhe von 400.000 Euro unterstützen.