Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne.
Ich begrüße auch die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung, unsere Gäste auf der Zuschauertribüne und die Zuschauer am Livestream sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.
Für diese Plenarsitzung hat als Schriftführer neben mir Frau Abgeordnete Dr. Martin-Gehl Platz genommen, die Redeliste führt Frau Abgeordnete Rosin.
Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Frau Abgeordnete Schulze und Herr Abgeordneter Wirkner zeitweise.
Folgende Hinweise noch zur Tagesordnung: Wir sind bei der Feststellung der Tagesordnung übereingekommen, Tagesordnungspunkt 11 heute als letzten Punkt und die Tagesordnungspunkte 20 und 22 in diesen Plenarsitzungen auf jeden Fall aufzurufen.
Die Landesregierung hat mitgeteilt, zum Tagesordnungspunkt 21 von der Möglichkeit des Sofortberichts gemäß § 106 Abs. 2 der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen.
Danke, Frau Präsidentin, einen recht schönen guten Morgen. Nichts ist so vergänglich wie der gestrige Tag. Wir haben feststellen müssen, der Innenausschuss tagt heute nach der Plenarsitzung und möchte dort auch Entscheidungen über eine Anhörung zum Thüringer Gesetz zur Ausführung des Paßgesetzes und des Personalausweisgesetzes treffen. Deshalb bitten wir darum, dass heute als vorletzter Tagesordnungspunkt der TOP 12, das Thüringer Gesetz zur Ausführung des Paßgesetzes, abgearbeitet wird.
Gibt es weitere Anmerkungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir über den Vorschlag ab, TOP 12 heute als vorletzten Punkt aufzurufen. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das ist die Zustimmung der
CDU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Wer ist dagegen? Wer enthält sich? Es enthalten sich die Fraktion der AfD und Herr Abgeordneter Fiedler aus der CDU-Fraktion. Damit ist die Platzierung so bestätigt. Wir treten nun in die Tagesordnung ein.
Zehntes Gesetz zur Änderung des Thüringer Kommunalabgabengesetzes – Aufhebung der Straßenausbaubeiträge Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/7139 - ERSTE BERATUNG
Wünscht jemand aus den Fraktionen Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen das Wort zur Begründung? Herr Abgeordneter Kuschel, bitte sehr.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Präsidentin hat es schon gesagt, es ist die zehnte Änderung des Thüringer Kommunalabgabengesetzes. Das zeigt, wie viel Dynamik in diesem Rechtsbereich ist und wie oft wir uns hier im Thüringer Landtag bereits mit dieser Thematik beschäftigen mussten. Bis 2017 hatte Thüringen aus Sicht der Beitragspflichtigen die härtesten gesetzlichen Regelungen im Zusammenhang mit der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen.
Bis dahin mussten die Gemeinden unabhängig von ihrer finanziellen Leistungskraft diese Beiträge erheben, und das auch noch in einer vorgegebenen Mindesthöhe und auch rückwirkend bis August 1991. 2017 hat dann Rot-Rot-Grün diese harten Regelungen gelockert und hat für die Gemeinden ein Ermessen mit wenigen Voraussetzungen eingeführt. 85 Prozent der Gemeinden erfüllen diese Voraussetzungen, dieses Ermessen auszuüben. Trotzdem, obwohl viele Gemeinden über Jahre ein solches Ermessen eingefordert haben, ist diese Ermessensregelung auf Vorbehalte und Kritik gestoßen. Insofern hat sich dann Rot-Rot-Grün entschieden, auch auf Anregung des Gemeinde- und Städtebunds, sich mit der Möglichkeit der gesetzlichen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge zu beschäftigen. Das Ergebnis dieser Debatten, an denen auch der Gemeinde- und Städtebund, aber auch die CDU beteiligt waren, liegt heute vor.
men, die am 1. Januar 2019 neu begonnen wurden. Beginn der Maßnahme ist dabei immer die Vergabe des Auftrags. Diese gesetzliche Abschaffung wird auch angewendet für alle laufenden Maßnahmen, bei denen zum 31.12.2018 die sogenannte sachliche Beitragspflicht noch nicht entstanden war. Nicht Bestandteil des Gesetzes sind Fallgruppen, wo die sachliche Beitragspflicht bereits vor dem 01.01.2019 entstanden war, aber die Gemeinden in Anwendung der Abgabenordnung und der Festsetzungsfrist von vier Jahren noch keine Bescheide versendet haben. Wir als Linke regen an, im Rahmen der Anhörung mit den Sachverständigen und den Anzuhörenden noch mal diese Thematik zu besprechen, um möglicherweise eine Lösung zu erwägen. Bayern hat da den Versuch gestartet, ist dort aber noch nicht am Ende, was die Detailregelungen in der entsprechenden Verordnung betrifft.
Wird das Gesetz so verabschiedet, wie wir das heute vorgelegt haben, würde das dazu führen, dass Gemeinden noch Beitragsbescheide für Maßnahmen versenden müssten, für die die Beitragspflicht also vor dem 01.01.2019 entstanden ist. Das ist eine etwas unglückliche Situation und möglicherweise finden wir gemeinsam einen Weg, um das noch zu verhindern.
Mit dem heutigen Gesetzentwurf vollziehen wir in Thüringen eine Entwicklung, die in anderen Bundesländern schon auf den Weg gebracht wurde. Baden-Württemberg hat schon in den 90er-Jahren die Straßenausbaubeiträge abgeschafft, Bayern im vergangenen Jahr, Berlin übrigens bereits 2012. In Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg laufen die Gesetzgebungsverfahren bereits, in Brandenburg übrigens mit fast gleichem Regelungsinhalt wie hier in Thüringen. Wir vollziehen also jetzt eine Entwicklung – vor Jahren hätten wir da noch eine Vorreiterrolle spielen können – nach. Wir bringen heute das Gesetz ein und können in der gesamten Gesetzesfolge alle Fristen einhalten und noch in dieser Legislaturperiode dann dieses Gesetz beschließen. Alles andere dann in der Debatte. Danke.
Vielen Dank. Ich eröffne damit die Aussprache und als Erster hat Abgeordneter Geibert von der CDUFraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Den Bürger von vermeidbaren oder auch ungerechtfertigten Belastungen zu befreien, das ist ein Anliegen, welches wir uneingeschränkt teilen und für welches wir bereits in der Vergangenheit, durchaus unter Inkaufnahme von erheblicher Kritik, auch durch die sich heute feiern werdenden Fraktionen, eingetreten sind. Wir treten als CDU dafür ein, dass künftig auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen verzichtet wird,
soweit sich dafür ein gerechter und rechtssicherer Weg findet. Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf soll die landesrechtliche Grundlage zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen rückwirkend zum 01.01.2019 abgeschafft werden. Ob dieser Entwurf dem von uns gesetzten Anspruch einer in die Zukunft gerichteten, rechtssicheren Lösung entspricht, wird sich erst noch in der parlamentarischen Diskussion und in Auswertung der zwingend notwendigen Expertenanhörung zeigen müssen.
Wer erinnern uns: Mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Thüringer Kommunalabgabengesetzes hat die Koalition 2017 eine Regelung verabschiedet, die reichen Gemeinden erlaubt, auf die Straßenausbaubeiträge zu verzichten. Außerdem soll in finanziell guten Jahren auf Beiträge verzichtet werden können, in klammen Jahren müssen dann wieder Beiträge erhoben werden.
Diese Regelungen, die seit 01.01.2019 geltendes Recht sind, sind weder praktikabel, noch lösen sie die Probleme vor Ort in sachgerechter Art und Weise. Vielmehr hat ein im Auftrag des Thüringer Gemeinde- und Städtebunds erstelltes Gutachten festgestellt, dass die getroffenen Regelungen verfassungswidrig sind. Alle unsere im damaligen Gesetzgebungsverfahren vorgetragenen Bedenken wurden letztlich mit fatalen Folgen vom Tisch gewischt.
Es erscheint als schlechter Treppenwitz, dass ausgerechnet ein von der derzeitigen Landesregierung beauftragter Gutachter noch vor wenigen Wochen die Frage in den Raum stellte, wozu das ganze jetzt aufgerufene Gesetzgebungsverfahren denn überhaupt nutze, wenn doch bis Ende 2018 eine funktionierende Regelung existierte. Aber, Herr Kuschel, mitnichten haben Sie damals ein Problem gelöst, vielmehr haben Sie neue Probleme geschaffen.
Denn das bereits angesprochene Gutachten des Gemeinde- und Städtebunds kam zu dem Ergebnis, dass mit Ihrer Novelle des Kommunalabgabengesetzes eine Zweiklassengesellschaft geschaffen wurde. Die Bevorzugung wohlhabender Gemeinden – so das Gutachten wenig überraschend – ist verfassungswidrig. Ganz offensichtlich hat es sich RotRot-Grün zur Agenda gemacht, die Wohlhabenden, die Leistungsfähigen zu entlasten, und das letztlich, ohne die Situation derjenigen zu verbessern, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
Das scheint allgemein zu gelten, ich erinnere hier nur schlaglichtartig an die Abschaffung des Landeserziehungsgelds und die Beitragsfreiheit des letzten Kindergartenjahrs für solvente Beitragspflichtige. Auch die letzte KAG‑Novelle zum Straßenausbaubeitrag war nicht mehr und nicht weniger als wieder einmal schlichter Murks.
Diese heute auch ganz offensichtlich von Ihnen so vorgenommene Bewertung – sonst hätten Sie ja nicht das Landesverwaltungsamt genötigt, in einem verschwurbelten Erlass, die erst wenige Monate zuvor geschaffene gesetzliche Regelung gar nicht erst anzuwenden – war bereits bei der Verabschiedung der Gesetzesnovelle erkennbar. Wir haben daher schon im September vergangenen Jahres unsere Bereitschaft erklärt, an einer Überarbeitung mitzuwirken. Für meine Fraktion war immer klar, dass am Ende des Diskussionsprozesses eine tragfähige, rechtssichere und für Bürger und Kommunen verlässliche Lösung stehen muss.
Das war und ist Bedingung unserer Zustimmung. Trotz mehrfacher Treffen in der eingerichteten Arbeitsgruppe vermögen wir eine solche Lösung in dem nunmehr vorgelegten Entwurf noch nicht zu erkennen. Wir hoffen darauf und arbeiten auch gerne daran mit, die vielen noch offenen Fragen im Rahmen der nun folgenden parlamentarischen Debatte zu klären.
Vielfältige Fragen konnten bislang noch nicht zufriedenstellend beantwortet werden, wie etwa: Soll die Gerechtigkeitslücke bei unterschiedlichen Ausbauabschnitten im gleichen Gebiet, ja in der gleichen Straße geschlossen werden
oder das – oder in unterschiedlichen Ortsteilen? Wie geht man mit geleisteten Vorausleistungen um? Sanktioniert man oder sanktioniert man nicht die unterschiedliche Bearbeitungsgeschwindigkeit der Verwaltung, etwa bei der Verbescheidung von
abgeschlossenen Maßnahmen? Was geschieht mit Bescheiden oder auch Vorausleistungsbescheiden im Rechtsmittelverfahren? Wird der „Protestierer“ belohnt und der brave Zahler bestraft? Wie geht man mit Kommunen um, in denen förmlich festgesetzte Sanierungsgebiete bestehen? Wie schließt man hier die Gerechtigkeitslücke zu den Ausbaugebieten zwei Straßen weiter?
So bleibt hier unstreitig die Erhebung von Ausgleichsbeiträgen nach dem Baugesetzbuch von der vorgeschlagenen Regelung unberührt. Im Ergebnis bedeutet das, dass zwar grundsätzlich verkündet wird, dass der Immobilieneigentümer nicht mehr für die Kosten des Straßenausbaus herangezogen werden soll, befindet sich das Grundeigentum aber in einem Gebiet, das als Sanierungsgebiet festgelegt ist, werden die Eigentümer weiterhin für einen Ausgleichsbetrag zur Kasse gebeten. Wie wollen Sie dem Eigentümer erklären, dass er die Werterhöhung weiterzahlen muss, die sein Grundstück durch die Sanierung der Straße erfährt, während der benachbarte Eigentümer keine Gebühren mehr für die Erneuerung, Erweiterung oder Verbesserung seiner Straße zahlen muss? Es muss geklärt werden, wie mit der Ungleichbehandlung, die durch das Ausblenden der Sanierungsgebiete entsteht, umgegangen wird. Oder wird vielmehr die vorgelegte Regelung dazu führen, dass die Sanierungssatzungen in Größenordnungen aufgehoben werden, damit künftig Landesrecht gilt und somit Gebührenfreiheit? Und falls ja, welche Folgen für die kommunalen und staatlichen Haushalte hat das?
Ein weiterer Punkt ist der Umgang mit den Beiträgen, für die die Beitragspflicht zwar entstanden ist, aber die noch nicht abgerechnet sind. Sie haben das Thema angesprochen. Nach der aktuell vorgeschlagenen Regelung müssen die Gemeinden innerhalb von vier Jahren, also bis zum 31.12.2022, noch Straßenausbaubeitragsbescheide erlassen und beitreiben, soweit die Baumaßnahme bis zum 31.12.2018 abgeschlossen wurde. Die Vertreter des Gemeinde- und Städtebunds haben hier nachdrücklich Regelungsbedarf angemahnt. Richtig, hier ist eine Verordnungsermächtigung vorgeschlagen und ja, es gibt verschiedene Modelle. In der Arbeitsgruppe hat man sich allerdings auf nicht mehr als das allgemeine Bekenntnis zur Lösung dieses Problems verständigen können. Bürger, Kommunen und Politik müssen jedoch wissen, wo die Reise hingeht, bevor man zu so einem Gesetzesbeschluss kommt. Auch der Linkskoalition dämmert es ganz offensichtlich, dass sie neue Ungerechtigkeiten schafft. Wohl deshalb schlug sie kurzfristig vor, alle Gebühren für Sanierungen zu erlassen, die nach Anfang 2015 fertiggestellt wurden. Doch schon 24 Stunden später hat Rot-Rot-Grün den ei
Auch für die Kommunen stellen sich eine Reihe noch ungelöster Fragen. Konsequent ist, wenn den Gemeinden die Kosten für laufende und künftige Maßnahmen erstattet werden. Mit Blick auf die Konnexität müssen den Gemeinden aber auch die Arbeitszeitäquivalente, die für die Umsetzung des Landesgesetzes entstehen, finanziert werden.
Auch bleibt der kritische Punkt, dass Gemeinden deutlich in Vorleistung gehen müssen. Nach aktueller Gesetzeslage ist es ihnen erlaubt, Vorausleistungen einzuziehen. Nach der Gesetzesänderung müssten sie die Baumaßnahme vollständig vorfinanzieren, bevor sie die Landeserstattung beantragen können. Das birgt für finanzschwache Kommunen erhebliche Liquiditätsprobleme.
Offen ist auch die sehr ambivalente Frage, auf welchem Niveau künftig Kostenerstattungen an die Kommunen erfolgen sollen. Nivelliert sich alles auf einem niedrigen Standard, kann davon abgewichen werden, wer entscheidet darüber und mit welcher finanziellen Folge?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es gibt noch eine Vielzahl offener und bislang ungeklärter Fragen. Es wird noch ein weiter und womöglich auch steiniger Weg sein, bevor eine rechtssichere und gerechte Regelung gefunden sein wird. Wir jedenfalls stellen uns der konstruktiven Diskussion im parlamentarischen Verfahren und werden uns an einer Klärung der aufgeworfenen Fragen für die Thüringer Gemeinden, für die Thüringer Bürgerinnen und Bürger beteiligen. Der durch die vermurkste KAG-Novelle erzeugte Zeitdruck ist in diesem Prozess jedoch alles andere als hilfreich. Vielen Dank.