Protocol of the Session on September 30, 2016

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen, damit wir die heutige Plenarsitzung starten können, die ich nunmehr eröffne.

Für diese Plenarsitzung hat sich als Schriftführer neben mir Herr Abgeordneter Herrgott bereit erklärt. Die Redeliste führt Abgeordneter Kräuter.

Für die heutige Sitzung haben sich Frau Abgeordnete Engel, Herr Abgeordneter Geibert, Herr Abgeordneter Gruhner, Herr Abgeordneter Krumpe und Herr Abgeordneter Scherer entschuldigt.

Ich frage: Gibt es noch Ergänzungswünsche zur Tagesordnung? Das ist nicht der Fall, sodass wir direkt einsteigen können.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1

Thüringer Gesetz zur direkten Demokratie auf kommunaler Ebene Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/1840 dazu: Beschlussempfehlung des Innen- und Kommunalausschusses - Drucksache 6/2714 dazu: Änderungsantrag des Abgeordneten Krumpe (frak- tionslos) - Drucksache 6/2738 ZWEITE BERATUNG

Das Wort hat Herr Abgeordneter Adams aus dem Innen- und Kommunalausschuss zur Berichterstattung.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kollegen hier im Thüringer Landtag, der Gesetzentwurf in der Drucksache 6/1840 zum Thüringer Gesetz zur direkten Demokratie auf kommunaler Ebene wurde am 08.03.2016 von den Koalitionsfraktionen vorgelegt. In der 45. Plenarsitzung am 17. März 2016 wurde er einstimmig vom Landtag federführend an den Innen- und Kommunalausschuss und mitberatend an den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz überwiesen. Der Innen- und Kommunalausschuss beschloss am 14.04.2016 mit einer Enthaltung die Durchführung einer mündlichen Anhörung gemäß § 79 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags und terminierte die Anhörung einstimmig auf den 12.05.2016. Gleichzeitig

wurden die Anzuhörenden der Koalitionsfraktionen und der CDU, ergänzt um die Landeszentrale für politische Bildung, mit einer Enthaltung beschlossen. Am 21.04.2016 beschloss der Innen- und Kommunalausschuss einstimmig zusätzlich die schriftliche Anhörung der kommunalen Spitzenverbände mit Frist für die Abgabe der Stellungnahme bis zum 03.06.2016. Ebenfalls einstimmig wurde die Einstellung des Gesetzentwurfs in das OnlineDiskussionsforum des Landtags beschlossen. Die mündliche Anhörung führte der Innen- und Kommunalausschuss in seiner 25. Sitzung am 12.05.2016 in öffentlicher Sitzung durch. Am 09.06.2016 beschloss der Innen- und Kommunalausschuss mehrheitlich die ergänzende Anhörung der kommunalen Spitzenverbände zu einem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen. Die Abgabefrist für die Stellungnahme wurde für den 20.06.2016 festgelegt.

Am 16.06.2016 nahm der Innen- und Kommunalausschuss in seiner 28. Sitzung die Auswertung der mündlichen Anhörung vor. Bei 5 Enthaltungen wurde eine Verlängerung der Abgabefrist bis zum 07.07.2016 für die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände zu den Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen und der CDU beschlossen. Im Rahmen des schriftlichen Anhörungsverfahrens wurden insgesamt zwölf Stellungnahmen abgegeben.

In seiner 32. Sitzung am 22.09.2016 lehnte der Innen- und Kommunalausschuss bei 6 Gegenstimmen und 1 Enthaltung den Änderungsantrag der CDU ab und nahm den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen bei 6 Gegenstimmen an. Die Beschlussempfehlung wurde bei 6 Gegenstimmen angenommen. Der Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz nahm die Beschlussempfehlung am 23.09.2016 bei 5 Gegenstimmen an. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank für den Bericht, Herr Adams. Damit eröffne ich die Beratung und als Erste hat Abgeordnete Müller für die Fraktion Die Linke das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kollegen, sehr geehrte Mitglieder von „Mehr Demokratie Thüringen“ auf der Tribüne! 2003, 2009 und nun 2016 – diese Jahreszahlen symbolisieren wichtige Schritte im Ausbau der direkten Demokratie in Thüringen, 2016 aber mit einem entscheidenden Unterschied. Unter Rot-Rot-Grün war erstmalig kein Volksbegehren notwendig, um die Landtagsmehrheit zu einer Reform zu bewegen und Thüringen damit im Bun

desvergleich in Sachen direkter Demokratie an die Spitze zu stellen.

(Beifall DIE LINKE)

Das wird auch die Chronologie verdeutlichen. Im November 2003 gab es die grundlegende Reform zum Ausbau der direkten Demokratie auf Landesebene. Diese Reform wurde entscheidend durch ein Volksbegehren des Bündnisses „Mehr Demokratie in Thüringen“ auf den Weg gebracht, in dem alle jetzigen Koalitionspartner bis heute Mitglied sind. Der Druck von damals – rund 389.000 Unterschriften – war so groß, dass sich am Ende auch die CDU bewegen und dem Volksbegehren in allen entscheidenden Punkten zustimmen musste, sowohl bei Änderungen in der Verfassung wie der Senkung der Unterschriftenhürde als auch bei der Ausgestaltung des Verfahrensgesetzes, zum Beispiel beim Beratungsrecht für Initiativen und bei der Einführung der Zusendung eines Abstimmungsbuchs an jeden Thüringer Haushalt vor einem Volksentscheid.

Im Jahr 2001 hat dann die CDU eine Klage vor dem Verfassungsgerichtshof gegen dieses Volksbegehren angestrengt, die unserer Ansicht nach zu einem sehr konservativen Urteilsspruch führte. Dieses Urteil von 2001 hat leider bis heute problematische Auswirkungen auf den Umgang mit finanzwirksamen Volksbegehren, konnte aber die Reform von 2003 zum Glück nicht aufhalten.

Die Reform im Jahr 2009 hatte die Weiterentwicklung der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene zum Inhalt. Das war letztlich wieder das Ergebnis eines Volksbegehrens, erneut getragen vom Bündnis „Mehr Demokratie Thüringen“ und unterstützt mit 250.000 Unterschriften aus Thüringen. Dieses Volksbegehren-Gesetz erreichte den Landtag. Auch damals versuchten Sie, werte Mitglieder der Thüringer CDU, mit allerlei parlamentarischen Tricks den Gesetzentwurf zu unterlaufen und das Reformvorhaben zu schwächen. Letztlich war aber auch hier der Druck von einer Viertelmillion Unterschriften so stark, dass die CDU den Kern der Reform mittragen musste.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das werdet ihr bei der Gebietsreform erleben!)

Die CDU-Ablehnung der direkten Demokratie kam aber dann deutlich zum Ausdruck, da sie auf Einführung der Amtseintragung auf kommunaler Ebene bestand – wir haben es mehrfach betont: weltweit einmalig. Der Verhandlungsdruck konnte die Sache zum Wahlrecht zwischen Amtseintragung und Straßensammlung entschärfen. Nach der Reform vom April 2009 waren dem Bündnis „Mehr Demokratie Thüringen“ und seinen rund 20 Mitgliedsorganisationen von Gewerkschaften und Parteien über kirchliche Verbände und Frauen- bzw. Umweltorganisationen bis hin zum Mieterbund und

Steuerzahlerbund klar, so wichtig die beiden Reformschritte von 2003 und 2009 waren, es blieben noch mindestens zwei Reformbaustellen übrig. Dazu gehörte die Weiterentwicklung der Reform auf kommunaler Ebene.

Bestimmte Reformschritte, die eigentlich in Vorbereitung des Volksbegehrens auf der Agenda standen, konnten vor allem wegen der Verweigerungshaltung der CDU wieder einmal nicht umgesetzt werden. Hinzu kam, dass das Ringen mit den Bremsern von der jetzt größten Oppositionspartei seinen Preis hatte. Auf Wunsch von Ihnen kam die zusätzliche Einführung der Amtseintragung und wegen Ihrer Weigerung gab es kein eigenes Verfahrensgesetz, um die Regelungen der kommunalen direkten Demokratie klar geordnet und rechtssicher für alle Thüringer Kommunen festzuschreiben und so letztendlich auch die Kommunalordnung zu entlasten.

Es ist daher alles andere als überraschend, wenn heute ein Gesetzentwurf der rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen zur abschließenden Entscheidung vorliegt, die diesen weiteren, vom Bündnis „Mehr Demokratie“ schon 2009 anvisierten Reformschritt für die kommunale Ebene nun umsetzt – mit einem eigenständigen Verfahrensgesetz für die kommunale Ebene mit Einführung des Ratsbegehrens, eingeschlossen die Möglichkeit zum Alternativvorschlag aus der Bevölkerung, mit Abschaffung der Amtseintragung, mit Stärkung der direkten Demokratie in Ortschaften und Ortsteilen, mit Rederecht der Initiatoren in den Kommunalgremien, mit der Pflicht zur Information an alle Abstimmenden bzw. Haushalte vor einem Bürgerentscheid und vielem mehr. An der endgültigen Fassung des Gesetzes wird auch deutlich: Die rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen nehmen Anhörungen und Stellungnahmen von Anzuhörenden ernst,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

denn die Ausweitung des Alternativvorschlags, der im Gesetzentwurf nur für das klassische Bürgerbegehren vorgesehen war, geht auf Vorschläge von zwei Anzuhörenden zurück – daher auch unser Änderungsantrag. Ich wiederhole mich unglaublich gern: Thüringen ist mit dieser Reform nun im bundesweiten Vergleich spitze bei der direkten Demokratie in den Kommunen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es war kein Volksbegehren notwendig, um die Landtagsmehrheit zur Reform zu bewegen. Das macht deutlich: Mit Rot-Rot-Grün gibt es mehr direkte Demokratie in Thüringen.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das werden wir jetzt mit den Unterschriften sehen!)

(Unruhe CDU)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Durch den Abbau weiterer Hürden wird die direkte Demokratie lebendiger werden. Das wurde 2009 mit der Zunahme der Anzahl von Bürgerbegehren deutlich. Auch die Zahl der Bürgerentscheide wird zunehmen, da nun die Kommunalgremien den Bürgern Themen zur Endentscheidung per Bürgerentscheid vorlegen können. Wir als Linke sind sehr optimistisch, dass in der Diskussion um Bürgerbegehren und Bürgerentscheid unter Einbeziehung von viel Fachverstand der Menschen vor Ort nach der besten Lösung gesucht und diese dann auch gefunden wird. Mit der Einführung des Alternativvorschlags auf kommunaler Ebene werden auch die Auswahlmöglichkeiten beim Bürgerentscheid erweitert. Es ist einfach richtig, den Bürgern die Letztentscheidung in den Sachfragen zu geben. Es erhöht die Akzeptanz und nicht selten spart es auch öffentliche Gelder.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wissen Sie, was mich in der Debatte zu diesem Gesetz sehr irritiert hat? Dass die Einführung des Ratsbegehrens, das eine Form des Referendums ist, bei der CDU auf eine so starke Ablehnung gestoßen ist. Begründung von Ihnen: Mit dem Ratsbegehren fliehen die Gremien vor der Entscheidung und würden ihren Wert verlieren. Wir sagen, die Gremien können nicht vor einer Entscheidung fliehen, denn vor dem Beschluss über ein Ratsbegehren werden sich die Gemeinde- oder Stadträte besonders intensiv Gedanken über ihre eigene Entscheidung machen. Das wird der Qualität guttun.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Macht nur!)

Sehen Sie, die CDU lehnt das Ratsbegehren ab, fordert aber im Zusammenhang mit der von ihr vehement bekämpften Gebietsreform die Einführung des fakultativen Referendums auf Landesebene.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist widersprüchlich, zeigt aber ihre eigentliche Intention: einzig die Verhinderung der geplanten Strukturveränderung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir als Linke wie auch das Bündnis „Mehr Demokratie“ befürworten die Einführung der fakultativen Referenden und sagen auch deutlich: Grundprinzipien, die für die direkte Demokratie auf Landesebene gelten, müssen sich auch auf kommunaler Ebene wiederfinden.

(Beifall DIE LINKE)

Daher finden sich viele sinnvolle Regelungspunkte, die es schon für die direkte Demokratie auf Landesebene gibt, zum Beispiel der Alternativvorschlag im Volksentscheid, nun auch im neuen Verfahrensgesetz zu Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Diese Idee der Spiegelung von sinnvollen Vorschriften der Landesebene auf die kommunale Ebene wurde schon beim Start der Reformdebatte zur direkten Demokratie auf kommunaler Ebene im Jahr 2005 vorgestellt. Sie betrifft auch Punkte wie das Beratungsrecht für Initiativen, das Rederecht von Vertrauenspersonen in Gremien, die Verschickung von Informationsmaterialien an alle Haushalte vor dem Volksentscheid bzw. Bürgerentscheid. Das alles sind im Übrigen Punkte, die durch die Debatte um die Reform der direkten Demokratie auf Landesebene in den Jahren 2000 bis 2003 erst Eingang in das Verfahrensgesetz zu Volksbegehren gefunden hatten. Nun können diese Regelungen mit dem neuen Gesetz auch auf kommunaler Ebene endlich ihre Wirkung entfalten. Damit ist deutlich geworden: Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen arbeiten auch als Mitglieder im Bündnis „Mehr Demokratie Thüringen“ schon rund 20 Jahre für den Ausbau der direkten Demokratie in Thüringen,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

während die CDU bisher immer die Bremserin war. Bei diesem jetzigen, dritten wichtigen Reformschritt, dem Gesetz zur direkten Demokratie auf kommunaler Ebene, freut es uns als Linke, als sozusagen parlamentarischer Arm des Bündnisses „Mehr Demokratie Thüringen“ aktiv sein zu können. Wir stehen auch bereit für die Umsetzung des vierten Reformbausteins, der noch aussteht und im Koalitionsvertrag verankert ist, nämlich die weitestgehende Abschaffung des Finanz- und Abgabenvorbehalts bei Volksbegehren und Volksentscheiden. Wir stehen bereit, auch diese Demokratiebaustelle anzugehen. Am weiteren Umgang mit ihrem eigenen Gesetzentwurf zum fakultativen Referendum kann die CDU nun beweisen, ob sie endlich tatsächlich beginnen will, die direkte Demokratie zu stärken, oder ob es ihr nur um eine verlogene Demokratieshow geht.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das ist ja unerhört!)

Dennoch beinhaltet dieser Gesetzentwurf den Finanz- und Abgabenvorbehalt. Sollten Sie sich weiterhin an den Finanz- und Abgabenvorbehalt klammern, dann hat die CDU, was schade ist, nichts gelernt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Menschen in Thüringen sollten dann dieser heuchlerischen Show nicht auf den Leim gehen, mit der die CDU Rot-Rot-Grün verleumden will,

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Ach ja?!)

die seit rund 20 Jahren gegen den Widerstand eben dieser CDU erfolgreich am Ausbau der direkten Demokratie in Thüringen arbeiten.