Protocol of the Session on November 11, 2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren, herzlich willkommen! Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, möchte ich die Gelegenheit nutzen, für den gestrigen gelungenen Auftakt zum Reformationsjubiläum, die friedliche Stimmung auf dem Martinsumzug – auch mit dem „Sanften Riesen“, mit den schönen Bildern von der Wartburg, Bildern des Friedens, der Eintracht, der Spiritualität, der Religiosität, sowohl der Thüringer als auch unseres Freistaats insgesamt – ganz herzlich Ihnen, Herr Ministerpräsident, Ihrer Landesregierung, aber auch Ihren Vorgängern, insbesondere Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht, zu danken. Ich finde, das war ein ganz gelungener Auftakt, und ich würde mir wünschen, dass diese Bilder ein Symbol dafür sind, wie gelingend dieses Reformationsjahr, dieses Jubiläumsjahr, dann auch insgesamt stattfindet. Ich wünsche uns, dass wir dabei viele tolle Bilder für unseren Freistaat produzieren und auch möglichst viele Menschen an diesen Ereignissen teilhaben können. Insofern ganz herzlichen Dank im Namen aller Abgeordneten!

(Beifall im Hause)

Dann haben wir ein Geburtstagskind, die schon überhäuft ist von Blumen – leicht erkennbar. Liebe Christina Tasch, herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag, Gesundheit, Gottes Segen, alles Gute! Wir wünschen uns viele muntere Zwischenrufe, seien sie geprägt vom Glauben und dem eigenen katholischen Bekenntnis oder mit vielen praktischen Einblicken in das Leben im Eichsfeld. Herzlichen Glückwunsch noch mal!

(Beifall im Hause)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beginnen mit der Plenarsitzung.

Als Schriftführer hat neben mir Herr Abgeordneter Schaft Platz genommen. Die Redeliste führt Abgeordneter Bühl.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Herr Abgeordneter Brandner, Frau Abgeordnete Engel, Frau Ministerin Dr. Klaubert und Herr Minister Tiefensee zeitweise.

Wenn es keine Wünsche zur Tagesordnung gibt, dann steigen wir, wie verabredet, gleich ein.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 2

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zum Thüringen-Monitor 2016 Unterrichtung durch die Landesregierung - Drucksache 6/2782

Ich bitte Herrn Ministerpräsidenten Ramelow um die Regierungserklärung.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, liebe Gäste und auch meine Damen und Herren, die Sie am Livestream zuschauen! Ich habe heute die Aufgabe, zum dritten Mal die Ergebnisse des Thüringen-Monitors politisch einzuordnen. Ich tue das auch heute nicht, ohne Herrn Prof. Dr. Heinrich Best und seinem Team der Friedrich-Schiller-Universität Jena den herzlichen Dank der Landesregierung auszurichten.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Thüringen-Monitor leistet etwas, was es eigentlich für die ganze Bundesrepublik geben müsste: Er ermöglicht einen Langzeitblick auf die politische Kultur. Er gibt Jahr für Jahr einen Einblick davon, ob und wie sich die aktuellen Ereignisse im Denken und im Reden der Bevölkerung niederschlagen. Er ist nicht zuletzt eine der besten Langzeitstudien zum Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Ich würde mir wünschen, diesen Dank im Namen aller Fraktionen dieses Hauses ausrichten zu dürfen.

Der Anlass des Thüringen-Monitors war der Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge. Das war das erste Alarmzeichen, das wir in Thüringen hatten. Ich danke Bernhard Vogel und der Landesregierung, die damals entschieden hat, dass wir nicht nur gemeinsam mit unserer Jüdischen Landesgemeinde zusammenstehen, sondern dass wir die wissenschaftliche Expertise bitten, zu überprüfen, zu messen und zu wägen, wie die Stimmungslagen in unserem Land sind. Nicht jeder hier im Landtag kann das akzeptieren, ich finde es aber eine wichtige Analyse und ein wichtiges Analyseinstrument, damit wir unsere politischen Entscheidungen auch darauf einrichten können. Der Ausgangspunkt war ein dramatischer, nämlich der Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge. Ich finde es beklemmend, wenn ich höre, dass heute um 11.11 Uhr die Thügida und ein extremer Neonazi hier vor dem Landtag aufmarschieren wollen und nicht nur eine Karnevalsveranstaltung durchziehen wollen, sondern das weiter begleiten wollen, was auf ungute Art am 9. November stattfand – am Tag, an dem die NSBarbarei, die Vernichtung der jüdischen Mitbevölkerung begann –, als man durch Jena mit Fackeln gezogen ist. Dieselben Leute kommen heute hierher, um deutlich zu machen, was sie von der Demokratie halten. Deswegen bin ich froh, dass der Thüringen-Monitor uns veranlasst, darüber zu diskutieren, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Ein Befund des Thüringen-Monitors hat mich besonders beeindruckt. Der Rechtsextremismus ist in

Thüringen laut Thüringen-Monitor im Jahr 2016 zurückgegangen, und zwar deutlich, auf den niedrigsten Wert im 15-jährigen Beobachtungszeitraum. Dieses Ergebnis ist zunächst einmal erfreulich, bedarf aber einer weiteren Betrachtung.

(Beifall Abg. Kuschel, DIE LINKE)

Wir werden bei unseren umfangreichen Bemühungen nicht nachlassen. Diejenigen, die regelmäßig mit nationalsozialistischen Symbolen, islamfeindlichen Parolen und hasserfüllten Herzen vor den Landtag ziehen, die gewählten Volksvertreter als „Volksverräter“ verunglimpfen, nehmen für sich selbst in Anspruch, sie seien „das Volk“. Nein! Sie sind nicht das Volk!

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und denjenigen, die in Kommunalvertretungen oder Landesparlamenten Sitz und Stimme haben und dennoch auf den Marktplätzen dieser Republik davon schwadronieren, die „Alt-Elite und Systemparteien entsorgen“ zu wollen, sage ich heute in aller Deutlichkeit: Machen Sie sich keine Hoffnung!

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre sogenannte schweigende Mehrheit entspricht wohl eher purem Wunschdenken.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: 71 Prozent, Herr Ministerpräsident!)

Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle von einem Veränderungsprozess gesprochen. Heute blicken wir auf die Wirkungen dieser Veränderungen.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: 71 Prozent! Sehen Sie in den Monitor hinein!)

Herr Höcke, dass Sie für 71 Prozent unserer Bevölkerung sprechen, darf ich doch, gelinde gesagt, als abenteuerlichen Unsinn bezeichnen.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos)

Die Reaktionen, die der Wandel auslöst, sind widersprüchlich. Der Thüringen-Monitor ist Spiegel dieser Wirklichkeit. Der Titel könnte treffender nicht sein: „Gemischte Gefühle“.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Gefühle sind eindeutig – sehr eindeutig!)

(Zwischenruf Abg. Hennig-Wellsow, DIE LIN- KE: Halten Sie doch mal den Mund und las- sen Sie ihn reden!)

Nein, lassen Sie, Frau Hennig-Wellsow, doch Herrn Höcke sprechen. Er ist ja der Meinung, dass man den Thüringen-Monitor dem Kamin zuführen sollte.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Habe ich nicht gesagt!)

Wir Politikerinnen und Politiker tragen in solchen Situationen stets ein zuversichtliches Lächeln im Gesicht, entschlossene Worte auf den Lippen und klopfen auf unsere Tasche, in der ein fertiger Plan zu sein scheint.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt bitte ich um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Ministerpräsidenten, der hier die Regierungserklärung abgibt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gehört zu den Botschaften des Thüringen-Monitors, dass eine solche Haltung nicht auf der Höhe der Zeit ist, immer mit dem fertigen Plan durch die Landschaft zu gehen. Die Politik beklagt, nicht verstanden zu werden. Die Bürger beklagen, nicht gehört zu werden. Die Medien leiden unter Vertrauensverlust. Aus einer spannungsgeladenen Dreiecksbeziehung droht ein schwarzes Loch zu werden, in dem viel geredet, aber wenig verstanden wird. Die richtige Antwort auf Angst und Misstrauen ist aber nicht die Belehrung, sondern der Dialog.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aus dem „Wir schaffen das“ ist vielerorts längst ein „Wir machen das“ geworden. Im Umbruch hängt der Zusammenhalt von vielen Brückenbauern ab. Der Thüringen-Monitor zeigt, dass es oft ein Anpacken mit Bauchgrimmen ist. Es ist nicht so, dass dort die einen stehen, die anpacken, und dort die anderen, die nur Fragen stellen und Sorgen artikulieren. Die populistischen Lautsprecher erzählen die Mär von einem gespaltenen Land. Sie geben vor, für eine Mehrheit zu sprechen. Beides ist falsch. Widersprüche aushalten, Dialoge führen, Haltung zeigen und den Wandel gestalten – in diesem Vierklang kann aus dem Umbruch wieder ein Aufbruch werden.

Wo steht Thüringen? Gemessen an allen verfügbaren sozioökonomischen Daten ist der Freistaat Thüringen in guter Verfassung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die absolute Zahl der Arbeitslosen ist ebenso wie die Arbeitslosenquote auf einem neuen historischen Tiefstand. Thüringen, wo einst Niedriglöhne als Standortfaktor galten, ist bundesweit Spitzenreiter bei der Bruttolohnentwicklung. Erstmals seit der Wiedervereinigung ist die Bevölkerungszahl im ver

(Ministerpräsident Ramelow)

gangenen Jahr nicht geschrumpft, sondern zaghaft gewachsen. Vor allem Jena, Erfurt, Weimar, das thüringische Franken und die Wartburgregion entwickeln sich immer mehr zu dynamischen Regionen, zu Magneten für Innovationen, Menschen und Investitionen. Der Schuldenstand beim Land und den Kommunen sinkt. Unser Bildungssystem erhält Bestnoten und befindet sich in der Spitzengruppe aller Bundesländer. Thüringen geht es gut. Den meisten Thüringerinnen und Thüringern geht es gut. Das Selbstbewusstsein der Thüringer als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist wieder deutlich gewachsen.

Das spiegelt auch der Thüringen-Monitor 2016. Fast drei Viertel der Befragten schätzen die wirtschaftliche Lage Thüringens als gut oder sehr gut ein. Ein ähnlich hoher Anteil schätzt die eigene Situation als gut oder sehr gut ein. Auch die Daten zum Demokratie- und Institutionenvertrauen der Thüringer geben zwar gewiss keinen Anlass zu Jubelsprüngen, aber eben auch, das sagt der Thüringen-Monitor klar, keinen Hinweis auf eine breite Radikalisierung der Bevölkerung. Thüringen ist im dritten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung ein ostdeutsches Bundesland, das auf seine Leistungen stolz sein kann. Und wir sind Impulsgeber im Osten.

Der Abschluss wichtiger Verkehrsinfrastrukturprojekte auf der Straße und der Schiene macht Thüringen zur schnellen Mitte Deutschlands. Die Mittellage und die einmalige Verkehrsinfrastruktur sind ein Standortfaktor, mit dem wir sehr gut punkten können. Die Zeit der wirtschaftlichen Schrumpfung ist schon lange vorbei. Die Thüringer Wirtschaft hat den Sprung ins 21. Jahrhundert erfolgreich gestaltet. Mittlerweile gehören rund 60 Unternehmen aus Thüringen zu Weltmarktführern. Thüringer Unternehmen haben sich am Markt etabliert, sie sind wettbewerbsfähig, bestimmen heute das Entwicklungstempo ihrer Branche und stehen für die technische Vorreiterrolle Thüringens.

Womit wir konfrontiert sind, ist ein merkwürdiges Auseinanderklaffen der politischen Wahrnehmung der Landesentwicklung und des Blicks auf die vergangenen 25 Jahre. Thüringen verbindet Menschen, denen es wirtschaftlich und finanziell gut geht, mit denen, die von der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung abgekoppelt sind. Die Spreizung ist es, die uns Sorgen macht: der Arbeitsmarkt, der sich exzellent entwickelt hat, und die Langzeitarbeitslosen, die wie betoniert aus der Langzeitarbeitslosigkeit nicht herauskommen. Das ist ein Problem, über das wir ernsthaft reden müssen. Aber die Befragten sagen individuell: „Es geht uns besser“, und kollektiv: „Wir haben Sorgen“. Das ist die Diskrepanz, über die wir reden müssen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Gefühl der ostdeutschen Benachteiligung hat seine Ursachen. Keine Familie, die nicht Geschichten erzählen kann von den Schwierigkeiten des Umbruchs, von Arbeitslosigkeit, Neuanfang, dem Gefühl, die eigene Lebensleistung werde nicht ausreichend gewürdigt. Da sei nur erinnert an die Menschen, die mit ABM und SAM in den letzten 20 Jahren ihren Lebensweg gestalten mussten, denen am Ende ihres Lebens und ihrer Erwerbstätigkeit eine ausreichende Altersrente fehlt. Das ist ein Befund, über den wir uns Sorgen machen müssen,

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)