Protocol of the Session on February 1, 2019

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße auch die Zuschauer auf der Tribüne und die Zuhörer am Livestream sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Für diese Plenarsitzung hat als Schriftführer neben mir Herr Abgeordneter Schaft Platz genommen. Die Redeliste führt Frau Abgeordnete Rosin.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Frau Abgeordnete Floßmann, Herr Abgeordneter Fiedler, Herr Abgeordneter Grob, Herr Abgeordneter Kräuter, Frau Abgeordnete Tasch, Herr Abgeordneter Walk zeitweise, Frau Ministerin Keller und Frau Ministerin Siegesmund.

Gibt es weitere Anmerkungen zur Tagesordnung? Ja, bitte schön, Herr Blechschmidt.

Danke, Frau Präsidentin. Wir hatten vereinbart, dass wir auf alle Fälle die Änderung der Geschäftsordnung am heutigen Tag abarbeiten wollen. Das suggeriert, dass wir das am Ende tun. Wir hätten gern, dass dieser Tagesordnungspunkt nach der Mittagspause aufgerufen wird.

Gibt es dazu andere Meinungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann würden wir so verfahren und nach der Mittagspause den Tagesordnungspunkt 15 aufrufen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 10

Gesetz zur Änderung des Thüringer Vergabegesetzes und anderer haushaltsrechtlicher Vorschriften Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 6/6682 - ERSTE BERATUNG

Wünscht die Landesregierung das Wort zur Begründung? Ja, bitte sehr, Herr Minister Tiefensee.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, liebe zwei Gäste auf der Tribüne! Einen recht schönen guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben den Entwurf zur Novellierung unseres Vergabegesetzes auf dem Tisch. Dem ist ein sehr umfangreicher Prozess vorausgegangen. So wie es in meinem Hause – und nicht nur in dem – üblich ist, haben wir, bevor wir Ihnen dieses Gesetz zur ersten Lesung vorlegen, umfangreiche Vorarbeiten geleistet. Zunächst einmal möchte ich denjenigen in meinem Hause danken, die diesen Gesetzestext bearbeitet und vorbereitet haben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei Frau Heinz im Dienstzimmer stapeln sich die Akten, sie kommt gar nicht mehr ins Zimmer rein, weil so viele Unterlagen zu sichten, anzufertigen waren wie selten bei einem Gesetz.

Meine Damen und Herren, der Ausgangspunkt war die Evaluierung des jetzt geltenden Vergabegesetzes. Die Studie, die wir in Auftrag gegeben und zur Kenntnis genommen haben, besagt: Wir haben in Thüringen bisher ein sehr gutes Vergabegesetz. Deshalb waren wir gehalten, eine Novellierung in der Weise vorzunehmen, dass wir behutsam Änderungen vornehmen, die insbesondere dafür sorgen, dass Bürokratie abgebaut und Unternehmen nicht stärker belastet werden. Der Entwurf, den wir Ihnen heute vorlegen, soll diesen Erfordernissen entsprechen.

Nach der Studie gab es umfangreiche Anhörungen der Betroffenen. Wir haben Werkstattgespräche durchgeführt, die unterschiedlichen Betroffenen angehört, wir haben Experten befragt, wir haben mit den Kollegen der anderen Ministerien und auch den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern unserer Fraktionen hier im Landtag diskutiert. Der Entwurf, der uns jetzt vorliegt, ist eine moderate Änderung dessen, was wir bisher im Vergabegesetz lesen.

Worauf zielt die Novellierung: Der erste wichtige Punkt ist: Wir wollen Bürokratie abbauen. Wir wollen, dass die Unternehmen, die Vergabestellen, dass die Bürgerinnen und Bürger auch finanziell entlastet werden. Dazu haben wir eine ganze Reihe von Punkten in diesem Gesetz neu verankert. Sie haben gelesen, da findet sich zum Beispiel das sogenannte Bestbieterprinzip. Das ist nicht etwa, wie landläufig gemeint wird, das Prinzip, dass der Beste, der Kostengünstigste, den Zuschlag erhält – das gilt sowieso. Das Bestbieterprinzip meint, dass nur derjenige die vollständigen Unterlagen einreichen

muss, der in der ersten Runde das beste Angebot abgegeben hat. Das führt zu einer ganz entscheidenden Entlastung insbesondere für die kleinen Unternehmen in unserem Lande, die sich an öffentlichen Aufträgen beteiligen wollen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es gibt weitere Entlastungen: Derjenige, der sich in den zwölf vorausgegangenen Monaten eines Bieterwettbewerbs bereits beteiligt hat, seine Unterlagen schon einmal umfangreich eingereicht hat, braucht das nicht ein zweites Mal zu tun. Bei Dienstleistungen und Lieferungen haben wir die Schwelle des vereinfachten Verfahrens von 500 auf 1.000 Euro angehoben. Wir werden einführen, dass für Lieferungen und Dienstleistungen die elektronische Vergabe Pflicht wird. Auch das führt zu einer ganz entscheidenden, nicht zuletzt auch finanziellen Entlastung für Unternehmen.

Das sind alles – und einige mehr finden Sie im Gesetz – Vorhaben, die dafür sorgen sollen, dass die Unternehmen und auch die Vergabestellen entlastet werden.

Ein zweiter Punkt ist, dass wir soziale, ökologische und arbeitsmarktpolitische Fragen in diesem Gesetz beantworten. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Wirtschaft nicht nur auf den Gewinn, auf den Umsatz schaut, sondern auch diese Kriterien berücksichtigen muss.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben uns dazu entschieden, dass wir – so wie im Gesetz jetzt verankert – fakultativ den Vergabestellen die Möglichkeit geben, soziale und ökologische Kriterien in die Vergabe aufzunehmen. Das bedeutet, die Vergabestellen können entscheiden, ob sie Fragen der Tarifbindung, Fragen der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung, Fragen, die sich auf die Azubis beziehen, Fragen der Energieeffizienz in die Vergabe aufnehmen.

Wir meinen, dass das möglichst oft geschehen soll. Auch wenn die Wirtschaft oftmals lauthals verkündet, das würde die Vergaben belasten, dann appelliere ich an die Verantwortung der Unternehmen. Wir müssen in Thüringen und nicht nur in Thüringen dafür sorgen, dass diese Kriterien beachtet werden.

Wir haben einen zweiten Schritt eingeführt, wir haben nämlich die sogenannte Bonusregel verändert. Wir haben nicht nur fakultativ, sondern jetzt obligatorisch eingeführt, dass für den Fall, dass gleichwertige Angebote vorliegen, für die Vergabe die Frage der sozialen und ökologischen Kriterien entscheidend ist, und zwar pflichtgemäß entscheidend.

Damit legen wir einmal mehr Wert auf diese Kriterien.

Wir haben das Lebenszyklusprinzip eingeführt. Uns darf es nicht nur darum gehen, dass die Leistungen, die wir einkaufen, Produkte, die wir bestellen, möglichst kostengünstig sind, sondern wir müssen den gesamten Zeitraum der Nutzung dieser Leistungen und Produkte in den Blick nehmen. Und so haben wir verankert, dass, wenn ein Nettobetrag von 1.000 Euro für ein Produkt überschritten wird, der Nachweis erbracht werden muss, wie es zum Beispiel um den Stromverbrauch bestellt ist, was auf lange Sicht die Bestellung dieses Produkts kostet. Auch das haben wir eingeführt.

Meine Damen und Herren, darüber hinaus spielt ein weiterer Punkt eine sehr große Rolle, nämlich die Frage des sogenannten vergabespezifischen Mindestentgelts. An dieser Stelle wird noch einmal mehr deutlich, dass sich die unterschiedlichen Auffassungen, die wir gehört haben, während der Anhörung gesehen haben, auch jetzt nach wie vor in der Öffentlichkeit niederschlagen. Dieses Gesetz versucht nicht zuletzt, auch in diesem Punkt eine ausgewogene Balance zwischen den unterschiedlichen Anforderungen herzustellen. Da sind auf der einen Seite Gewerkschaften, die selbstverständlich eine noch stärkere Bindung, ein höheres Mindestentgelt fordern, und auf der anderen Seite sind es die Unternehmen, insbesondere die kleinen, die sagen: Überfordert uns nicht! Wir haben eine Lösung gefunden, die – und das ist mir ganz wichtig – den europäischen Regelungen, den europäischen Gesetzen, den europäischen Vorgaben entspricht. Diese Vorgaben sagen uns, dass wir uns in einem Korridor bewegen. Der Korridor ist einerseits der allgemein verbindliche gesetzliche Mindestlohn von 9,19 Euro; auf der anderen Seite haben wir uns bei einer Festlegung an dem unteren geltenden Tarifvertrag einer Branche zu orientieren, die mit Vergaben in Verbindung steht.

Wir brauchen, meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Rechtssicherheit, damit unser Gesetz nicht in Gänze infrage gestellt wird. Wir haben uns sehr viele Gedanken darüber gemacht, wir haben Gutachten zurate gezogen und sind überzeugt davon, dass es eine sehr, sehr gute Regelung ist. Wir nehmen den Gebäudereinigertarif zum Maßstab, der Tariflohn beträgt 10,05 Euro. Wir legen unseren vergabespezifischen Mindestlohn auf 10,04 Euro fest. Was wollen wir damit erreichen? Wir wollen damit einerseits erreichen, dass das Lohngefüge in Thüringen besser wird. Das ist ein Grund, dass wir überhaupt einen vergabespezifischen Mindestlohn einführen dürfen: die Gegebenheiten in Thüringen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass wir immer

(Minister Tiefensee)

noch viel zu niedrige Löhne haben, die Tarifbindung zu schwach ist und demzufolge der Gesetzgeber Möglichkeiten ergreifen kann, auch im Vergabegesetz, um diese Situation zu verbessern. Rot-RotGrün steht also dafür, dass wir nicht nur Bürokratie, nicht nur soziale und ökologische Kriterien in den Blick nehmen, sondern etwas dafür tun, dass die Löhne in Thüringen steigen. Das ist dringend nötig, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fußnote: Eine ganze andere Frage ist, wie sich aus Thüringer Sicht der allgemein verbindliche gesetzliche Mindestlohn auf Bundesebene entwickeln muss. Wir sind der Auffassung, dass ein Lohn vereinbart werden muss, der ein würdevolles Leben ermöglicht und vor allen Dingen Rentenpunkte erzielt, die dafür notwendig sind, um eine Altersarmut zu verhindern.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Mit 10 Euro? Aber nicht mit 10,04 Euro!)

Rot-Rot-Grün wird sich dafür einsetzen, dass wir – meiner Meinung nach ab dem 01.01.2021 – eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro haben.

Meine Damen und Herren, das Vergabegesetz liegt Ihnen jetzt vor und wird natürlich, so wie es gang und gäbe ist, wiederum über Anhörungen, über Expertengespräche eine Diskussion auslösen und gegebenenfalls Veränderungen erfahren. Auch hier gilt das Struck‘sche Prinzip, dessen bin ich mir bewusst, dass ein Gesetz, das in den Landtag kommt, nicht bis auf jedes Komma den Landtag so verlässt.

(Beifall SPD)

Dennoch, meine Damen und Herren, werbe ich dafür, dass Sie die Kommata an Stellen verändern, die nicht ganz so bedeutungsvoll sind. Aber das ist nur das Werben der Regierung, das Werben eines Ministers. Ich werde mich nach wie vor mit meinen Kollegen in die Diskussion einschalten. Wenn dieses Gesetz dann in der zweiten Lesung verabschiedet wird, bin ich mir sicher, dass wir ein sehr modernes, richtungsweisendes, vielleicht sogar auch vorbildliches Vergabegesetz vorlegen, ein Gesetz, das Bürokratie abbaut, das insbesondere den kleinen und mittelständischen Betrieben die Möglichkeit bietet, sich zu beteiligen, ein Gesetz, das dafür sorgt, dass unsere Aufträge ordentlich, kostengünstig abgearbeitet werden und Thüringen damit vorankommt.

Meine Damen und Herren, ich gebe das Gesetz in die Beratung und bin gespannt auf die zukünftigen Debatten. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. Ich eröffne die Beratung und als Erster hat Abgeordneter Höcke von der AfD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Minister Tiefensee, dass Sie sich hier vorn hinstellen und einen Mindestlohn von 10,04 Euro bewerben und dann davon reden, dass mit einem Mindestlohn von 10,04 Euro irgendetwas gegen Altersarmut getan werden könnte, das ist echt ein starkes Stück. Das ist wirklich ein starkes Stück.

(Beifall AfD)

Herr Minister, was passiert denn nach 45 Beitragsjahren, wenn einer 10,04 Euro verdient hat, brutto wohlgemerkt? Das ist das, was Ihr neues Vergaberecht vorsieht. Es passiert nichts anderes, als dass dieser Mensch nach 45 Beitragsjahren in die Altersarmut wandert, in die Grundsicherung abwandert und nichts für seinen Alterslebensstandard getan haben kann. Das ist Ihre Politik und das ist eine unsoziale Politik, die mit uns als AfD nicht zu machen ist.

(Beifall AfD)

Herr Ministerpräsident, das gesamte Vergabegesetz, das hier zur Debatte steht, ist ein Indiz dafür, dass nicht nur dem Herrn Ministerpräsidenten – der jetzt wieder das Haus verlässt –, sondern der gesamten Landesregierung der wirtschaftspolitische Kompass verloren gegangen ist, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete. Der deutsche Staat – und ich will durchaus etwas grundsätzlicher ausführen, weil das nottut, damit Sie mal wieder Ihre Blase verlassen, sehr geehrte Kollegen – ist auch in der Wirtschaftspolitik – und dieses Vergabegesetz ist ein weiteres Indiz dafür,

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: So ein Unsinn, den Sie erzählen!)

hören Sie mir doch einfach mal zu, Frau Kollegin Rothe-Beinlich – zu einem Kraken geworden, indem er sich in viele Bereiche des Wirtschaftslebens einmischt, in denen er nichts zu suchen hat.

(Beifall AfD)

(Minister Tiefensee)

Das führt zu Wohlstandsverlusten in allen Bereichen, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete. Aber zugleich ist dieser umfangreiche krakenhafte Staat, der viel zu gerne reguliert, Herr Minister Tiefensee, der viel zu gerne vorschreibt und der sich viel zu gerne zum Kindermädchen aufspielt, zu schwach, sich selbst zu beschränken, notwendige – ich betone: notwendige – Staatsaufgaben zu erkennen und diese dann selbstverständlich auch mit den geeigneten Maßnahmen durchzusetzen. Was denn sonst!