Protocol of the Session on February 26, 2015

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. Hiermit eröffne ich die heutige Sitzung. Ich begrüße Sie herzlich, auch die Gäste auf der Zuschauertribüne.

Für die heutige Plenarsitzung hat als Schriftführerin neben mir Platz genommen Frau Abgeordnete Holzapfel und für die Rednerliste ist Frau Abgeordnete Rosin zuständig. Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt Herr Abgeordneter Fiedler, Frau Abgeordnete Holbe, Frau Abgeordnete RotheBeinlich sowie zeitweise Herr Minister Hoff.

Ich darf noch einen allgemeinen Hinweis geben: Heute in der Zeit von 9.00 bis 16.00 Uhr gibt die Thüringer Landeselternvertretung Kita mit einem Informationsstand im Foyer Einblick in ihre Arbeit.

Zur Tagesordnung: Wir sind bei der Feststellung der Tagesordnung übereingekommen, den TOP 7 am Freitag als ersten und den TOP 8 am Freitag als zweiten Punkt aufzurufen. Gegebenenfalls sollten wir uns heute Nachmittag noch mal darüber verständigen, ob das weiter aufrechterhalten bleibt.

Der Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU und die Die Linke zu TOP 22 – Wahl von Mitgliedern und deren Stellvertretern des Landesjugendhilfeausschusses gemäß § 8 Abs. 1 und 2 des Thüringer Kinderund Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes – wurde durch die Fraktionen zurückgezogen. Gleichzeitig wurde in Drucksache 6/288 ein neuer Wahlvorschlag unterbreitet, der Ihnen vorliegt. Der neue Wahlvorschlag wurde nicht in der 48-Stunden-Frist vor Beginn der Plenarsitzung verteilt. Daher ist über die Fristverkürzung gemäß § 66 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu beschließen, soweit kein Widerspruch besteht. Gibt es Widerspruch? Das sehe ich nicht. Dann reicht die einfache Mehrheit für die Fristverkürzung. Ich bitte um Handzeichen, wer der Fristverkürzung zustimmt. Vielen Dank. Das ist die erforderliche Mehrheit, auch die zwei Drittel wären hier gegeben. Damit nehmen wir diesen Antrag auf.

Wird der Ihnen vorliegenden Tagesordnung zuzüglich der von mir genannten Ergänzungen widersprochen? Nein, das ist nicht der Fall. Insoweit können wir dann einfach mit der Sitzung fortfahren.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zum Thüringen-Monitor 2014 dazu: Entschließungsantrag der Fraktion der AfD - Drucksache 6/289

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich möchte mich am Beginn meiner Regierungserklärung bei den Autoren des Thüringen-Monitors, namentlich bei Prof. Dr. Heinrich Best, Steffen Niehoff, Dr. Axel Salheiser, Katja Salomo und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena herzlich bedanken!

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit Jahren leiten sie die Auswertungen der Erhebungen zum Thüringen-Monitor und verschaffen uns damit einen Überblick über die Entwicklung der politischen Kultur in unserem Land.

Seit dem Jahr 2000 stellt die Thüringer Landesregierung dem Parlament und der Öffentlichkeit die Ergebnisse der Umfragen zum Thüringen-Monitor vor. Der Anlass war der Anschlag auf die Erfurter Synagoge am 20. April 2000. Das war der Ausgangspunkt, dass die damalige Landesregierung sich entschlossen hatte, jährlich einen solchen Bericht zu den Einstellungen der Thüringerinnen und Thüringer im Freistaat vorzulegen. Eine wissenschaftliche Untersuchung der politischen Kultur in Thüringen sollte dazu beitragen, ich zitiere: „die Gesellschaftsstrukturen, die Vorstellungen in unserem Lande“ besser kennenzulernen.

Diese kontinuierliche Auseinandersetzung hat es seitdem nicht nur gegeben, weil wir hier im Thüringer Landtag fast jedes Jahr über die Ergebnisse des Thüringen-Monitors debattiert haben, sondern vor allem weil Neonazismus und Fremdenfeindlichkeit uns leider immer wieder Anlass dazu gaben, uns mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Ich erinnere hier insbesondere an die abscheulichen Morde des NSU und leider auch die aktuell massiv zunehmenden Anfeindungen und Angriffe gegen Flüchtlinge in Deutschland und auch hier in Thüringen. Die Amadeu Antonio Stiftung teilte gestern mit, dass die Zahl der antisemitischen Straftaten im vergangenen Jahr in Deutschland sehr stark zugenommen hat, von 788 Fällen im Jahr 2013 auf 1.076 Fälle im Jahr 2014. Das ist ein Anstieg um mehr als ein Drittel. Der Thüringen-Monitor ist also so aktuell und so notwendig wie im Jahr 2000, vielleicht noch dringlicher.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Thüringen-Monitor liefert uns Material für die Beantwortung wichtiger Fragen: Wo steht Thüringen? Was bewegt die Thüringerinnen und Thüringer? Für uns, für die Politik, für die Verbände, für die Sozialpartner, für die Zivilgesellschaft, für alle

Bürgerinnen und Bürger sollen die Ergebnisse einmal mehr Anlass sein, über die zentralen Fragen zu reden: Wo wollen wir hin? Wie soll Thüringen in Zukunft aussehen? Was wollen wir ändern, damit Thüringen ein weltoffenes und lebenswertes Land bleibt und immer lebenswerter wird? Was müssen wir ändern, damit Thüringen ein Land wird, in dem alle Menschen gern leben, in dem Toleranz und Vielfalt die Kernelemente von Weltoffenheit sind?

Der Thüringen-Monitor soll auch unter der neuen Landesregierung mehr werden als nur ein Tagesereignis. Wir möchten, dass viele Journalisten, Menschen, Wissenschaftler darüber schreiben, die Bevölkerung darüber debattiert und darüber berichtet wird. Er soll Anlass und Gegenstand einer breiten Diskussion in Thüringen werden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb wird auch diese Landesregierung – wie die Landesregierungen vorher – den Thüringen-Monitor weiter fortführen. Wir möchten ihn heute zum Anlass nehmen, mit Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, und mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen über die Themen des Thüringen-Monitors, über die Einstellungen zur Demokratie, das Vertrauen in Politik und über die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung von Politik, über Ängste und Sorgen der Menschen in unserem Land, aber auch über Vor- und Fehlurteile, von denen uns der Thüringen-Monitor berichtet. Wir sehen den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern in erster Linie als eine vertrauensbildende Maßnahme, um vorhandene Vorurteile und Informationslücken abzubauen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Sinne werden wir mit den Menschen auch über das Hauptthema des Thüringen-Monitors 2014 reden: „Wir Thüringer als Europäer“.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Auftrag gegeben wurde die Umfrage des Jahres 2014, deren Ergebnisse ich jetzt vorstelle, unter meiner Vorgängerin Christine Lieberknecht. Bei der Einschätzung und Beurteilung der Umfrageergebnisse müssen wir allerdings den Zeitpunkt der Umfrage, Ende Mai bis Mitte Juni 2014, berücksichtigen. Wichtige politische Ereignisse, die das Stimmungsbild heute in der Bevölkerung beeinflussen, waren zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannt. Ich möchte an dieser Stelle die Verschärfung der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine ebenso nennen wie die Ausdehnung des brutalen und menschenverachtenden IS-Terrors in Syrien, Libyen und im Nordirak und die damit im Zusammenhang stehenden Flüchtlingsströme.

Seit dem Herbst letzten Jahres kommen Tausende Menschen nach Deutschland, die als Flüchtlinge ih

re Heimat verlassen mussten und oftmals dabei nur ihr nacktes Leben retten konnten. Auf der Flucht vor den Folgen des Bürgerkriegs in Syrien oder auf der Flucht vor den militärischen Verbänden des Islamischen Staats im Irak kommen diese Flüchtlinge traumatisiert und verzweifelt über den Verlust ihrer Heimat als Hilfesuchende in unser Land. Diese von ihrem Schicksal hart geprüften Menschen haben nicht nur einen Anspruch und eine entsprechende Hoffnung auf unsere Hilfe und Unterstützung. Hilfe zu leisten ist vielmehr unsere humanitäre Verantwortung und Ausdruck unserer Bereitschaft zur Nächstenliebe.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Fraktion im Hohen Haus hat nun jüngst ein Gutachten vorgelegt, das eine der ersten Maßnahmen dieser Landesregierung, den Winterabschiebestopp, als rechtswidrig einstuft. Darüber wurde gestern bereits hier im Landtagsplenum gesprochen. Ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, werde in diesem Zusammenhang die Bilder von den syrischen Kindern, die barfuß in bitterer Kälte in den Flüchtlingslagern frieren, nicht los. Ich darf Sie beruhigen, diese Landesregierung bewegt sich mit dem Winterabschiebestopp auf dem Boden geltenden Rechts

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und sie folgt einem klaren Gesetz, dem Gesetz der Humanität. Diesem Gesetz der Humanität folgen sowohl Egon Primas, der für den Thüringer Bund der Heimatvertriebenen einen Hilfstransport für Flüchtlingskinder aus der Ostukraine organisierte, als auch die Aktivistinnen und Aktivisten von Refugio und dem Flüchtlingsrat. Ich danke ihnen stellvertretend dafür.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viele der neu ankommenden Flüchtlinge haben in der Landesaufnahmestelle Eisenberg und in der Landesaufnahmeeinrichtung Suhl eine vorübergehende Unterkunft gefunden. Jeder hier im Hohen Haus kann sich vorstellen, dass ein Zusammenleben von mehr als tausend Menschen unterschiedlichster Herkunft, unterschiedlichster Kulturen und kultureller Prägungen und ganz unterschiedlicher Biografien in den Erstaufnahmelagern nicht ohne Probleme und Schwierigkeiten verläuft. Die Arbeit der Betreuer verlangt deshalb viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen, um Spannungen abzubauen oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ein hoher Verantwortungsgrad liegt auch bei der Polizei, die bei einer gestiegenen Zahl von Einsätzen oftmals nur als Schlichter gefragt ist. Gerade aufgrund manch populistischer Instrumentalisierung

(Ministerpräsident Ramelow)

darf nicht übersehen werden: Die Zahl der Einsätze der Polizei steht nicht im Zusammenhang mit Kriminalität!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Situation der Flüchtlinge, die sich in einer fremden Umgebung und einem neuen Kulturkreis zurechtfinden müssen, erfordert Verständnis vor allem von den Menschen, die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft leben. Hier dürfen wir weder die Flüchtlinge noch die Nachbarn allein lassen.

Umso wichtiger ist die Initiative der Thüringer Wirtschaft, darunter der IHK Erfurt, jungen Flüchtlingen Ausbildungsplätze anzubieten. Hier trifft sich das Interesse der Wirtschaft an motivierten Auszubildenden mit dem Bedürfnis der Flüchtlinge, die Chancen auf Aufnahme in Deutschland mit Qualifikation zu verbinden. Und natürlich führt das auch zu einer ganz anderen Stimmung in den Aufnahmestellen. Nicht perspektivloses Warten in der Erstaufnahme, sondern Qualifikation, Kontakte, Anerkennung der Jugend, der jungen Frauen und Männer. Dafür ein ausdrücklicher Dank auch an die Thüringer Wirtschaft.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen aus der Sozialwissenschaft, dass die Ablehnung von Fremden umso größer ist, je weniger die Einheimischen mit ihnen zu tun haben. Wir haben es als Menschen gern einfach. Unsere Umwelt ist komplex, deshalb reduzieren wir Informationen, sortieren unsere Erfahrungen in Schubladen, um Energie zu sparen und schnell reagieren zu können. Sehen wir einen Ausländer, meinen wir, schon mehr als sein Aussehen zu erkennen: Ist er fluchtbedingt arm oder ist er potenziell gefährlich? Ob wir letztlich nach unseren Stereotypen handeln, hängt vor allem davon ab, ob wir uns unsere vorschnellen Urteile bewusst machen und sie auch widerlegen. Deswegen liegt der Landesregierung viel am gegenseitigen Kennenlernen. Aber was wissen wir über Kopftücher und Bärte? Wann ist ein Kopftuch christlich und wann ist es muslimisch? Wann ist ein Bart Mode oder Protest, wann ist er religiös? Wir wollen deshalb im Rahmen unserer Möglichkeiten neben dem kulturellen auch den interreligiösen Dialog in Thüringen unterstützen und stärken.

Deshalb wollen wir auch Begegnungsräume unterstützen. Die Sportvereine in Suhl, die Sport mit den Flüchtlingskindern machen, leisten hervorragende Arbeit. Ich wünsche mir, dass diese Initiativen noch mehr gesellschaftliche Anerkennung und vor allem Nachahmung finden. Wenn die deutschen und die nicht deutschen Kinder gemeinsam Sport treiben, bleibt auch den Eltern nicht verborgen, dass es den vermeintlich fremden Eltern nicht darum geht, hier die Scharia einzuführen, sondern sie wollen einfach

nur ihre Kinder glücklich und in Frieden aufwachsen sehen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit vielen Jahren weist der Thüringen-Monitor auf mangelndes Vertrauen der Thüringerinnen und Thüringer in die politischen Institutionen hin. Es gehört deshalb zur Verantwortung von Politik, dass wir Menschen erklären, wie wir Politik gestalten und wie wir bei dieser Politikgestaltung die Menschen in unserem Land einbeziehen wollen. Wir wollen für jeden nachvollziehbar vermitteln, warum wir Flüchtlingen eine Möglichkeit zum Aufenthalt und zur Arbeit geben wollen. Thüringen will diesen Menschen ein Zuhause geben, und ich sage auch: Thüringen braucht die Fähigkeiten und Qualifikationen all dieser Menschen!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sucht die Landesregierung in Suhl das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern und wirbt um Verständnis für die Situation der Flüchtlinge.

Gerade in Bezug auf die Unterbringung von Flüchtlingen müssen wir die Kommunikation mit den örtlichen Behörden und mit den Anwohnern so rechtzeitig führen, dass Ängste abgebaut werden oder gar nicht erst aufkommen können.

Die Menschen in den Erstaufnahmestellen und in den Flüchtlingswohnheimen sind häufig hochgebildet. Da sind Ärzte und Ingenieure darunter, die gern sofort anfangen würden, hier zu arbeiten. Statt Angst zu haben, dass weniger übrig bleibt, wenn der andere auch etwas abbekommt, sollten alle begreifen, dass es sich nicht um ein Nullsummenspiel handelt, sondern um eine Win-Win-Situation, wenn diese Menschen anfangen, bei uns zu arbeiten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Häufig geht es jedoch nicht nur um materielle Ressourcen, die den Flüchtlingen nicht gegönnt werden. Die symbolische Bedrohung von Fremden wiegt oft sehr viel schwerer. Ausländer würden unser Wertesystem gefährden und passen nicht hierher, heißt es. Ich frage mich allerdings, für welche Werte jene Menschen stehen, die dieser Ansicht sind. Wenn sich ein Wertesystem darüber definiert, dass wir Flüchtlinge, die alles verloren haben, nicht willkommen heißen sollen, dann wäre das nicht mein Wertesystem.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Demonstrationen und ausländerfeindliche Übergriffe in der jüngsten Vergangenheit haben gezeigt: Ein Teil der Bevölkerung reagiert mit Befremden

(Ministerpräsident Ramelow)