Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen vorletzten Sitzung in der 6. Wahlperiode, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße die Vertreter der Landesregierung, die Gäste auf der Zuschauertribüne, die Zuschauer am Livestream sowie die Vertreter der Medien.
Für diese Plenarsitzung hat als Schriftführer Abgeordneter Schaft neben mir Platz genommen. Die Redeliste führt Herr Abgeordneter Tischner.
Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Frau Abgeordnete Annette Lehmann, Frau Abgeordnete Christina Tasch, Herr Abgeordneter Roberto Kobelt, Herr Minister Holter und Frau Ministerin Siegesmund.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir, bevor wir die Regularien darstellen, noch einige persönliche Worte.
Verehrte Abgeordnete, meine sehr geehrten Damen und Herren Gäste, wir beraten heute den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses 6/1. Er setzte die Arbeit fort, die in der vergangenen 5. Wahlperiode begonnen wurde und die sich damals – wie auch jetzt – in einem sehr umfassenden Bericht niederschlägt. Zu Beginn dieser 6. Wahlperiode bestand breite Übereinstimmung, dass die Aufklärung der schrecklichen Verbrechen, die von Thüringen ihren Ausgang nahmen, nicht abgeschlossen war. Dementsprechend richtete der Thüringer Landtag den Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ ein. Die Bezeichnung deutet schon darauf hin, dass es nicht nur um die Fortsetzung, sondern auch um die Vertiefung und Erweiterung der Aufklärungsarbeit ging.
Ich danke an dieser Stelle allen Mitgliedern des Ausschusses und der Vorsitzenden, Frau Abgeordneter Marx, für ihre Tätigkeit und ihre Arbeit im Untersuchungsausschuss.
Ich danke ebenfalls den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen und in der Landtagsverwaltung für die Unterstützung der Abgeordneten.
Wenn wir heute den Abschlussbericht beraten, tun wir dies – wie schon im Jahr 2014 – im Beisein von Familienangehörigen der Opfer und Betroffenen des Anschlags in Köln. Sie, verehrte Gäste auf der Zuschauertribüne, begrüße ich besonders herzlich.
Ich möchte mich namens der Abgeordneten dieses Hohen Hauses bedanken, dass Sie heute hier sind, und meinen Respekt ausdrücken. Es war sicherlich kein einfacher Weg. Es werden alte Wunden wieder offen sein und schmerzen und ich danke Ihnen, dass Sie hier sind und diese Aussprache verfolgen.
Die heutige Sitzung stellt nicht nur die Ergebnisse des Ausschusses der breiten Öffentlichkeit vor. Sie richtet auch ihr Augenmerk darauf, dass wir im Kampf gegen den Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in unserem Freistaat nicht nachlassen dürfen. Dies zeigen auch die widerlichen Morddrohungen gegen Politiker hier in Thüringen. Die Verbrechen des NSU dürfen sich nicht wiederholen.
Wir kommen nun zu den Regularien. Die Sitzung wurde gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen in Verbindung mit § 19 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags aufgrund eines Antrags der Fraktionen der CDU, Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einberufen. Die entsprechende Unterrichtung liegt Ihnen in der Drucksache 6/7739 vor.
Folgender allgemeiner Hinweis noch: Aufgrund der Eilbedürftigkeit habe ich Herrn Tilmann König von der 2Könige Filmproduktion GbR für die heutige Plenarsitzung eine außerordentliche Akkreditierung für Bild- und Tonaufnahmen erteilt.
Ein Hinweis noch zur Tagesordnung: Zu dem Tagesordnungspunkt wurde ein Entschließungsantrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 6/7795 verteilt.
Ich frage nun: Gibt es weitere Anmerkungen zur Tagesordnung? Ich sehe, das ist nicht der Fall, dann rufe ich den Tagesordnungspunkt auf
Beratung des Berichts des Untersuchungsausschusses 6/1 „Fortsetzung der Aufarbeitung der dem ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU) sowie der mit ihm kooperierenden Netzwerke zuzuordnenden Straftaten unter Berücksichtigung der Verantwortung der
Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden, der zuständigen Ministerien sowie deren politischer Leitung bei der erfolglosen Fahndung nach den untergetauchten Mitgliedern des NSU“ in Drucksache 6/7612 auf Verlangen der Fraktionen der CDU, DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dazu: Entschließungsantrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/7795 -
Ich erteile nun der Vorsitzenden des Ausschusses, Frau Vizepräsidentin Marx, für die Berichterstattung aus dem Untersuchungsausschuss das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne, liebe Gäste aus dem Bereich der Opfer und der Hinterbliebenen, auch Sie möchte ich noch mal besonders hier willkommen heißen! Es ist uns eine Ehre, dass Sie unserer Arbeit so viel Vertrauen entgegenbringen, dass Sie es für wert erachten, heute auch hier persönlich anwesend zu sein.
Artikel 1 Grundgesetz kennen viele, den ersten Satz, er liegt uns allen am Herzen, jeder kann ihn – denke ich – auch auswendig hersagen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Schwieriger ist es schon mit dem zweiten Satz, er lautet: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieses Versprechen ist gegenüber den Opfern des NSU gebrochen worden. Dieser Bruch dieses Versprechens betrifft uns alle. Was uns schon in der letzten Legislaturperiode umgetrieben hat, war auch jetzt Maßstab unseres Handelns, unserer Untersuchungen – endlich die wahren Täter kennen, endlich die Helfershelfer entlarven können und vor allen Dingen auch Vorsorge treffen, dass sich das nicht wiederholen möge.
Die Arbeit beider Untersuchungsausschüsse, die man im Zusammenhang sehen muss, hat sieben Jahre gedauert. Unser Abschlussbericht aus dieser Legislaturperiode liegt Ihnen heute vor. Er umfasst 2.204 Seiten und das ist vom Umfang her schon ein Hinweis darauf, dass wir uns viel Arbeit und Mühe
gemacht haben. Drei Hauptkomplexe haben uns dabei bewegt: Einmal noch mal am Ende anzufangen, an dem Tag, an dem der NSU enttarnt wurde, zu schauen, wie ist das Netzwerk, was steht hinter dem NSU. Dann natürlich auch noch einmal: Wie sind andere Strukturen der OK verknüpft und was haben Behörden wissen müssen, wissen können und möglicherweise gewusst, was wir heute nicht wissen, und wie wird der Einsatz menschlicher Quellen dieser schlimmen Verbrechensserie gerecht?
Komplex Eisenach: Wir haben damit begonnen, dass zwei tote Bankräuber in einem Wohnmobil in Eisenach-Stregda aufgefunden wurden. Wir haben uns im Wortsinn ein Bild gemacht. An dieser Stelle auch schon Dank an Journalisten und Journalistinnen, die uns Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben, das, bis wir es uns angeschaut haben, Ermittlungsbehörden nicht interessiert hatte. Wir haben uns im Wortsinn ein Bild gemacht. Im Untersuchungsausschussbericht finden Sie deswegen auch Bilder – nicht nur von Journalisten, auch aus Ermittlungsakten –, die wir verwendet haben, um das Geschehen dort besser verstehen zu können. Wir haben in diesem Zusammenhang erfahren, dass auch Baden-Württemberger Beamtinnen und Beamte an den ersten Tagen sehr intensiv mitgearbeitet haben. Und wir haben festgestellt, dass wir dort teilweise ausführlichere Darstellungen des Hergangs und der ersten Fahndungserfolge gefunden haben als in Unterlagen aus unserem eigenen Land.
Am Ende unserer Betrachtungen, in denen wir wirklich versucht haben, jeden Tag der Anfangsermittlungen auseinanderzuziselieren, stehen Dinge, die unerfreulich sind. Es wurden am Fundort zunächst Bilder der Feuerwehr konfisziert, verspätet eine leere Speicherkarte zurückgegeben. Es wurde mit einer Feuerwehrharke nicht von der Tatortgruppe, sondern vom Ermittlungsleiter vor Ort nach Waffen im Wohnmobil gesucht. Die Tatortgruppe, die auch bei uns zu Gast war, hat sich sehr unwohl gefühlt und hat in unserem Ausschuss dem Befremden darüber Ausdruck verliehen, dass es nicht in Ordnung war, dass sie beim ersten Zugriff auf dieses Wohnmobil übergangen wurde. Das Wohnmobil mit Leichen, aber nicht nur mit Leichen, sondern auch mit scharfen Waffen, wurde in eine nahegelegene Halle des Abschleppunternehmens verbracht, dort am Wochenende auch noch mal ausführlich, wie es hieß, betrachtet und dann angeblich besenrein übergeben. Es fanden sich allerdings später gefüllte Schränke.
Dieser Vorgang insgesamt, den Sie ausführlich in unserem Bericht nachlesen können, ist kein Ruhmesblatt. Der Start für die Ermittlungen ist nicht
schön gewesen. Man hatte das Gefühl, hier ist eine Beutesicherung statt einer Tatortsicherung erfolgt. Eine Trophäe wurde irgendwo an einen anderen Ort verbracht, und zwar unter Umständen, bei denen alle Zeugen, die wir vernommen haben, gesagt haben, sie seien einmalig gewesen, sie erinnerten sich an nichts Vergleichbares.
Dieses – ich nenne es mal vorsichtig – unkonventionelle oder besser unangebrachte Vorgehen hat natürlich auch zahllose Verdächte hervorgerufen, was man dort hätte eventuell verbergen wollen. Dennoch sind wir auch diesen Verdachtsmomenten oder diesen Fragestellungen nachgegangen, die auch medial und in der Öffentlichkeit immer wieder aufgetaucht sind. Wir haben keinen Beweis oder keine Belege dafür gefunden, dass ein dritter Mann vor Ort gewesen ist. Wir haben keine Belege dafür gefunden, dass es sich hier etwa um einen Mord an den beiden bis dato als Bankräuber geführten Leichen im Wohnmobil gehandelt hätte, aber wir haben eine Spurengefährdung und einen sehr nachlässigen Umgang mit Beweismitteln festgestellt, und das – ich sagte es bereits – war kein guter Start. Näheres lesen Sie bebildert in unserem Bericht.
Das Netzwerk – eine wichtige bis heute nicht hinreichend geklärte Frage und hier, verehrte Kolleginnen und Kollegen, geht es nicht um Einzelpersonen. In diesem Kontext sind nach unserer Auffassung die dem NSU nahestehenden und dessen mörderische Ideologie und Umsetzung befördernden Neonazinetzwerke wie vor allem „Blood & Honour“ und deren militant agierender Arm „Combat 18“ mit zu erfassen. Ebenso relevant für das Verständnis des NSU sind weitere Strukturen der militanten Neonaziszene wie Hammerskins, Artgemeinschaft, die seit 2010 verbotene Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene bzw. deren faktische Nachfolge- und Ersatzorganisation Gefangenenhilfe, der Ku-Klux-Klan, aber ebenso auch diverse regional agierende Neonazigruppen.
Alle diese Organisationen oder Gruppen standen in einem mehr oder weniger losen oder festeren Zusammenhang mit vielen Mitgliedern des NSU, des Kerntrios oder des NSU-Umfelds. Das möchte ich heute in dieser Vorstellung des Berichts am Beispiel von „Blood & Honour“ näher verdeutlichen. Ohne die von „Blood & Honour“ vertretenen Konzepte und die konkrete Unterstützung aus diesem Neonazinetzwerk hätte der Nationalsozialistische Untergrund niemals bestehen können. Der Untersuchungsausschuss schließt sich im Hinblick auf die Bewertung von „Blood & Honour“ den Ausführungen der Sachverständigen an, die wir auch zu Beginn unserer Arbeit angehört haben, dass es sich
bei dem seit den 1980er-Jahren von England aus expandierenden internationalen neonazistischen und militanten „Blood-&-Honour“-Netzwerk nicht nur etwa um eine subkulturelle Erscheinungsform der rechten Musikszene, die Rechtsrock erfolgreich als Propagandainstrument einsetzt, handelte, sondern dass „Blood & Honour“ terroristische Strategien und vor allen Dingen das Konzept des Leaderless Resistance – des führerlosen Widerstands – propagierte und die ideologieprägende Wirkung von „Blood & Honour“ beleuchtet werden muss, um den NSU-Terror verstehen zu können.
In den 90er-Jahren wurden sowohl in diversen „Blood-&-Honour“-Magazinen als auch von „Combat 18“ Anschläge auf Migrantinnen und Migranten propagiert und gefordert. In den „Blood-&-Honour“Terroranleitungen stand zu lesen, man solle keine Bekennerschreiben hinterlassen, in kleinen Zellen arbeiten, Nagelbomben einsetzen und Listen von möglichen Opfern erstellen. Insbesondere ist es notwendig, die diversen Veröffentlichungen beispielsweise des „Blood-&-Honour“-Netzwerks oder von diesem verbreitete Schriften näher zu betrachten, die nahelegen, als Vorbild für die mörderischen Taten des NSU gedient zu haben. Das ist hier nicht nur eine theoretische Unterstellung, sondern wir müssen beachten und bedenken, dass bei der Garagendurchsuchung am 26. Januar 1998 mehrere Zeitschriften und sonstige Veröffentlichungen der Neonaziszene festgestellt wurden, darunter Ausgaben von „United Skins“, „Sonnenbanner“ sowie auch eine Ausgabe des „Blood-&-Honour“-Magazins Nummer 2 aus dem Jahr 1996. In dieser Ausgabe wird bereits die Strategie des Leaderless Resistance dargestellt und beworben.
Wir haben in einer Fußnote aus diesem Blatt zitiert. Diese Fußnote spielt eine besondere Rolle, wenn wir heute rückblickend betrachten, was den NSU angetrieben hat und Nachfolger und Mitglieder, die noch nicht entdeckt sind, möglicherweise bis heute antreibt. In dem Artikel „Politik“ in diesem Magazin heißt es unter anderem – ich zitiere –: „Die alten Formen des politischen Aktivismus, wie zum Beispiel der Weg über Wahlen in das Parlament, das medienwirksame Auftreten von fahnenschwenkenden Parteien oder das auf legaler Basis angestrebte Kaderprinzip sind überholt. Man muss sich nicht jeden Tag in Uniform schmeißen, ‚Sieg heil‘ brüllend und Flugblätter um sich werfend durch die Gegend ziehen. Das nutzt natürlich unseren Gegnern. Man braucht auch nicht in seinen vier Wänden hocken und bei Kerzenschein auf den Umsturz warten. Gelingt es uns, mit […] der nötigen Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit eine nicht angreifbare, gut vernetzte Bewegung von unabhängig agierenden Gruppen zu werden, so wird uns das Schicksal
den Sieg nicht versagen. Nur: Wir dürfen nicht auf einen eventuell irgendwann mal auftauchenden Führer warten, darauf, dass immer jemand kommt und sagt, was zu tun ist. Nein! Jeder ist dazu aufgerufen, etwas zu tun! Leaderless Resistance ist die Devise!“
Es läuft einem regelrecht kalt den Rücken herunter, wenn man das heute rückschauend liest – wie gesagt, die Veröffentlichung ist von 1996, sie war in den Garagen auffindbar, die damals durchsucht wurden. Ebenso ist in dieser Ausgabe, die ich eben zitiert habe, auch ein Liedtext abgedruckt, der offen zu Gewalt und Mord aufgerufen hat.
Spätestens ab Mitte der 90er-Jahre hatten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe Kontakt zu führenden Akteuren des „Blood-&-Honour“-Netzwerks. So stammte beispielsweise der Sprengstoff für die am 26. Januar 1998 in der Garage aufgefundenen Rohrbomben aus deren Strukturen. Ebenfalls sind auf der in der Garage aufgefundenen sogenannten Mundlos-Telefonliste diverse Führungspersonen des „Blood-&-Honour“-Netzwerks bezeichnet gewesen.
Wie wir schon im letzten Untersuchungsausschuss festgestellt haben, wurden diese Listen und diese Materialien fahrlässigerweise nicht ausgewertet. Man kam zur Einschätzung, sie hätten mit dem Fall nichts zu tun. Es hieß dann, es sei ein Missverständnis gewesen, man habe sich auf die aktuelle Fahndung nach den drei bezogen, aber nicht auf die weitere Erklärung. Hätte man diese Veröffentlichungen schon damals so intensiv ausgewertet, wie sie uns heute kalt erwischen – so möchte ich es mal sagen –, dann hätte man sofort begriffen: Die wollen nicht nur spielen. Bombenbastler, die verschwinden und nicht mehr auftauchen, liegen nicht irgendwo am Strand, sondern die bereiten möglicherweise genau das vor, was sich dann auch als wahr herausgestellt hat, nämlich in kleinen militanten Gruppen Terrorangriffe auszuführen.
Der Untersuchungsausschuss rechnet mehrere Personen des „Blood-&-Honour“-Netzwerks dem Unterstützungsnetzwerk des NSU zu. Es ist auch festzustellen, dass sich an allen Orten, an denen der NSU Taten beging, personelle Verflechtungen zwischen dem Kerntrio des NSU oder dessen Unterstützern und Unterstützerinnen sowie örtlichen Neonazis nachweisen lassen, welche teils bis in die frühen 1990er-Jahre zurückreichen. Wir gehen deshalb davon aus, dass es sich bei den unzähligen einstigen Unterstützungshandlungen aus dem „Blood-&-Honour“-Netzwerk nicht nur um Dienste unter Freunden, sondern um eine organisatorische und ideologische Unterstützung der Tatvorbereitungen und vielleicht auch der Taten selbst für den Na
tionalsozialistischen Untergrund gehandelt haben muss. Dafür sprechen die verbreiteten und beworbenen Terrorkonzepte, die offenkundig als Vorlage für die NSU-Taten gedient haben, das konspirative Verhalten bei der Unterbringung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach ihrer Flucht oder dem Untertauchen und die politische Einbindung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in die „Blood-&Honour“-Szene in Sachsen, das Wissen um die von ihnen vertretene Ideologie, die dann folgende finanzielle und strukturelle Unterstützung aus mehreren „Blood-&-Honour“-Sektionen, der Versuch, Waffen für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu beschaffen. Das bundesweite „Blood-&-Honour“-Netzwerk bestand zeitweise aus 17 Sektionen bundesweit und es bietet nach Auffassung unseres Ausschusses einen weiterzuverfolgenden Ansatz im Hinblick auf die ausgewählten Tatorte, aber vor allem auch die Waffenbeschaffung des NSU.
Nicht nachvollziehbar ist, warum diese Strukturen nach dem Untertauchen des Kerntrios – ich sagte es schon – nicht näher beleuchtet wurden. Dies war ein fataler Fehler.
Die vorhandenen frühzeitigen Hinweise auf die Bewaffnung des Kerntrios haben uns weiter beschäftigt. Hier ist der Komplex der fehlenden S-Records beispielhaft hervorzuheben. Im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen fällt auf, dass bei zwei Personen-Protokollen der Telekommunikationsüberwachungen im gleichen Zeitraum Belege in den Akten fehlen. So fehlen bei einer TKÜ-Maßnahme zwischen dem 24.08.1998, 18.05 Uhr, und dem 27.08.1998, 15.18 Uhr, mit den fortlaufenden Nummern 125 bis 129 die Einträge. Also bei diesen Einträgen handelt es sich bei den sogenannten SRecords um Einträge, die Sender, Empfänger und Inhalte versandter SMS dokumentieren. Und bei einem anderen Beobachtungsvorgang, hier handelt es sich um Jan Werner, bestehen im gleichen Zeitraum erfolgte SMS-Kontakte mit den fortlaufenden Nummern 1.748 bis 1.863. Die Koinzidenz des Zeitraums beider Fehlstellen lässt nach unserer Überzeugung ein Versehen oder einen zufälligen Untergang als sehr unwahrscheinlich, de facto ausgeschlossen erscheinen.
Wichtig ist, dass direkt im Vorfeld dieser fehlenden Einträge am 25.08.1998 um 19.21 Uhr durch den überwachten Jan Werner die berühmt gewordene SMS „Hallo, was ist mit den Bums?“, versandt wurde, die damals Carsten Szczepanski, damals VMann des LfV Brandenburg, empfangen hat und die heute allgemein als Indiz für die versuchten Waffenbeschaffungen durch Werner für das untergetauchte Kerntrio angesehen wird.
Fraglich ist, wer wann diese Einträge aus den SRecords-Akten entfernt hat. Ein Zeuge hat in seiner Zeugenvernehmung glaubhaft bekundet, dass diese S-Records im Jahr 1998 noch vollständig gewesen wären. 1998 hat es allerdings auch hier keine vollständige Auswertung dieser Materialien gegeben. Die Akten wurden bis 2011 und der Übergabe dann an das Bundeskriminalamt im Zuge der Enttarnung des NSU im Landeskriminalamt gelagert. Wir können heute nicht mehr feststellen, wann und durch wen diese Einträge entfernt worden sind, aber wir haben den Verdacht, dass, wenn zufällig – oder eben nicht zufällig – aus diesen beiden Teilen genau diese Aktenteile fehlen, sich dort möglicherweise konkrete Kenntnisse über Waffenbeschaffung, Informationen zum Aufenthaltsort, möglicherweise gar zur Existenz der rechtsterroristischen Gruppierung NSU ergeben haben und dann diese Einträge entsorgt worden sind.