Michael Weichert

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Last Statements

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem Weinanbau am Störmthaler See und dem Wunsch der Staatsregierung, die Weinreben zu roden und ein Bußgeld zu verhängen, frage ich Folgendes:
Die „Leipziger Volkszeitung“ vom 17. Juni 2009 berichtet in ihrer Online-Ausgabe vom Weinanbau in der Gemeinde Großpösna (Kreis Leipzig). Dort wurden als lokale Initiative im letzten Jahr auf 0,3 Hektar 1 300 Weinreben der Sorten Grauburgunder und Müller-Thurgau angepflanzt.
Die Staatsregierung fordert nun die Rodung der Rebstöcke und verhängt ein Bußgeld in Höhe von 3 700 Euro. Die Begründung: Das Anbaugebiet verstoße gegen die EU-Weinmarktverordnung.
Fragen an die Staatsregierung:
1. Was kann die Gemeinde Großpösna tun, um ihre 1 300 Rebstöcke zu erhalten und künftig auch nutzen zu können? Ich möchte nicht wissen, warum es nicht geht, sondern ich möchte gern wissen, wie es geht.
2. Warum wurden Teile der zusätzlichen Weinrechte, die der Freistaat 2009 vom Land Rheinland-Pfalz erhielt, nicht an Großpösna vergeben?
Ja. – Herr Staatsminister, ich glaube, wir sind uns darin einig, wenn wir davon ausgehen und wissen, dass in Großpösna eine völlig neue Landschaft entsteht. Deshalb möchte ich noch einmal nachfragen, was denn dagegen spricht, die Entwicklung dieser Bergbaunachfolgelandschaft im Südraum Leipzig, mit deren Rekultivierung wir weltweit und auch zu Recht Werbung machen, eben auch als Kulturlandschaft im Sinne der Vergabe von Weinrechten zu definieren.
Herr Staatsminister, ich habe eine abschließende Frage. Im Jahr 2015 entfällt dieses EU-Recht. Wir haben jetzt eine Situation, die zugegebenermaßen hätte anders organisiert werden können. Trotzdem die Frage: Es gibt schon jetzt Prominente, inzwischen über 20 Abgeordnete des Hohen Hauses, die eine private, persönliche Patenschaft über die Weinreben in Großpösna übernommen haben. Haben Sie Lust, auch eine Patenschaft zu übernehmen.
Zerstörung von Apfelbäumen des Julius-Kühn-Institutes am Pfingstmontag in Pillnitz (Frage Nr. 11)
Nachdem 2003 eine geplante Freisetzung mit gentechnisch veränderten Apfelbäumen untersagt wurde, wurden die Forschungsarbeiten am Julius-Kühn-Institut in Pillnitz in geschlossenen Zelten weitergeführt.
Frage an die Staatsregierung:
1. Wie bewertet die Staatsregierung die Sicherheitsmaßnahmen des Julius-Kühn-Institutes in Pillnitz vor dem Hintergrund, dass es offensichtlich möglich war, mehr als 270 in geschlossenen Zelten befindliche Apfelbäume zu zerstören, ohne dass davon Notiz genommen wurde?
2. Mit welchem Ergebnis wurden die zerstörten Apfelbäume daraufhin untersucht, ob von ihnen Reiser zur unerlaubten Weitervermehrung bzw. Freisetzung entfernt wurden?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele Bürgerinnen und Bürger, auch hier im Freistaat Sachsen, sehen die Europäische Union leider als Inbegriff ausufernder Bürokratie und Undurchsichtigkeit.
Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie, die dem vorliegenden Gesetzentwurf zugrunde liegt, will genau das Gegenteil. Mit ihrer Umsetzung in nationales Recht bis zum 28.12. dieses Jahres soll die Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten über Landesgrenzen hinweg erleichtert werden. Wettbewerbsrelevante Hindernisse sollen abgebaut, der Zugang zu Informationen verbessert sowie Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Das folgende Beispiel verdeutlicht, warum das bitter nötig ist.
Ein tschechischer Immobilienmakler möchte eine Zweitniederlassung in Sachsen eröffnen. Dazu muss er derzeit mindestens folgende Formalitäten und Behördengänge erledigen:
Erster Schritt: Er beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde der Gemeinde; es folgt die Weiterleitung an das Ausländeramt wegen einer Freizügigkeitsberechtigung.
Zweiter Schritt: Als Nächstes kommt die Auskunft aus dem Gewerbezentralregister, was auch wieder über die Gemeinde erfolgt.
Drittens: Auch für das Führungszeugnis muss sich der Gründer an die Gemeinde wenden.
Viertens: Danach geht es zum Amtsgericht. Dort gibt es Auskunft über Einträge in das Schuldnerverzeichnis sowie die Bescheinigung, dass kein Insolvenzverfahren anhängig ist.
Fünftens: Auf dem Finanzamt holt er sich die Steuernummer sowie die Unbedenklichkeitsbescheinigung.
Sechstens: Von dort geht es dann zum Landratsamt bzw. zum Gewerbeamt, um die gewerberechtliche Erlaubnis zu ergattern.
Siebentens: Nun muss der Gründer, so er denn noch kann, die Gewerbeanmeldung bei der Gemeinde oder dem Gewerbeamt abgeben, von wo aus weitere Stellen, zum Beispiel die IHK, Finanzamt etc., benachrichtigt werden.
Achtens: Nebenbei muss dem Notar ein Besuch abgestattet werden, der den Eintragungsantrag ins Handelsregister beglaubigt.
Neuntens: Die Eintragung ins Handelsregister sowie die Erteilung des Handelregisterauszuges erfolgt über das Amtsgericht.
Zehntens: Beim Arbeitsamt beantragt er eine Betriebsnummer.
Elftens: Nun wartet die Berufsgenossenschaft auf eine Mitteilung wegen der Unfallversicherung und die Arbeitnehmer müssen der Krankenkasse gemeldet werden.
Meine Damen und Herren, das alles muss man in einer mehr oder weniger fremden Sprache bewältigen. Danach braucht der arme Mensch doch fast zwangsläufig einen Termin beim Psychiater.
Mit der Dienstleistungsrichtlinie soll es künftig leichter werden. Ordentlich umgesetzt, kann die Bündelungsfunktion des einheitlichen Ansprechpartners zu einer erheblichen Erleichterung für die Dienstleister führen.
Zur Umsetzung der EU-Richtlinie wurde in Deutschland Anfang 2007 ein gemeinsames Anforderungsprofil zum einheitlichen Ansprechpartner sowie ein Papier zu den nötigen Trägern erstellt. Die Entscheidung über die Ansiedlung und konkrete Ausgestaltung der einheitlichen Ansprechpartner ist nun im Einzelnen von den Ländern zu treffen. Als mögliche einheitliche Ansprechpartner wurden Kammern, Kommunen und Landesmittelbehörden diskutiert. Meine Fraktion favorisiert dabei das Mittelbehördenmodell, schon aus haftungs- und aufsichtsrechtlichen Gründen.
Zudem ist es schlank und schafft keine überbordenden Strukturen. Das ist wichtig, denn der anfallende Arbeitsaufwand lässt sich noch gar nicht abschätzen.
Im Interesse der Dienstleister begrüße ich außerordentlich, dass es im Freistaat künftig nicht von Ansprechpartnern wimmeln wird, sondern eine zentrale Anlaufstelle
entsteht. Das schafft Übersicht und garantiert moderate Kosten.
Meine Damen und Herren, ich glaube allerdings nicht, dass die derzeitige Kalkulation – zwei Personalstellen – ausreichend sein wird. Hier ist Flexibilität gefragt. Je nachdem, wie gut oder schlecht der Ansprechpartner angenommen wird, muss es möglich sein, die Personalzuweisung anzupassen.
Begrüßenswert ist die Entscheidung, den Service des einheitlichen Ansprechpartners auch für Inländer nutzbar zu machen; denn wir hören es immer wieder: Auch deutsche Existenzgründer leiden massiv unter den enormen bürokratischen Hürden. Wie wir spätestens seit dem Mittelstandsbericht der Sächsischen Staatsregierung 2007/2008 wissen, ist die Zahl der Existenzgründungen rückläufig; das kann damit zusammenhängen. Wir brauchen aber Menschen, die den Mut haben, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen und sich zu gründen. Wir machen sicher keinen Fehler, ihnen den Schritt in die Selbstständigkeit so leicht wie möglich zu machen.
Meine Damen und Herren, aus Sicht des Wirtschaftspolitikers kann man dem Gesetzentwurf zustimmen. Aus der Perspektive des Datenschutzes allerdings sieht es leider ganz anders aus. Im Gesetz ist die Ermächtigung des SMWA vorgesehen, den Umgang mit personenbezogenen Daten mittels Rechtsverordnung zu regeln. Wir sind entsprechend der Wesentlichkeitstheorie der Auffassung, das muss der Gesetzgeber – also wir, das Parlament – machen und zumindest Aussagen zu Zweck und Umfang der Datenerhebung bewerkstelligen. Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist und bleibt ein Eingriff in die Grundrechte. Das wollen wir per Gesetz geregelt haben und nicht per Verordnung.
Darum werden wir uns enthalten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kleingärten haben in Sachsen eine lange Tradition, die sogar bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Die sächsischen Armengärten, die Schreber- und Naturheilbewegung sowie die Gärten von Betrieben und Institutionen begründen Sachsens Ruf als Ursprungsland für das Kleingartenwesen.
1864 schlug in Leipzig die Geburtsstunde des ersten Schrebervereins.
Der nach dem Leipziger Arzt und Pädagogen Dr. Moritz Schreber benannte Verein setzte sich vor allem für die Errichtung von Kinderspielplätzen in der freien Natur ein, auf denen sich Kinder und Jugendliche körperlich ertüchtigen sollten, um den negativen Folgen der Industrialisierung und Urbanisierung zu begegnen.
Auch heute noch entsprechen Kleingärten dem Wunsch vieler Menschen, ihre Freizeit in der Natur zu verbringen und dies mit Erholung und sinnvoller Tätigkeit zu verbinden. Angesichts steigender Lebenserwartung und früherem Ruhestand, aber auch hoher Erwerbslosigkeit steigt die Bedeutung sinnvoller Freizeitgestaltung weiter an.
Aus dem Konzept der sozialen Stadt sind Kleingartenanlagen besonders in den neuen Bundesländern nicht wegzudenken. Im Gegenteil, auf dem zweiten Bundeskleingartenkongress am 4. und 5. Juni in Potsdam wurde die wachsende Bedeutung der Kleingartenanlagen eindrucksvoll unterstrichen. Dabei wurde nicht nur die deutsche Ebene beleuchtet, sondern auch die europäische Vielfalt. Es war sehr interessant zu sehen, welche unterschiedlichen Schwerpunkte in der Entwicklung es gibt. Wichtig waren allen dabei die soziale Komponente und die Bedeutung für Umwelt und Gesundheit. Darum setzt sich meine Fraktion dafür ein, bei der städtebaulichen Planung Kleingartenanlagen als Stätten der Erholung und Freizeitgestaltung im Wohnumfeld konsequent zu berücksichtigen und zu fördern. Darüber hinaus haben Kleingärten auch eine wichtige ökologische Aufgabe für das Grünzugsystem in unseren Städten und für das Stadtklima.
Meine Damen und Herren! Unser CDU-Kollege Herr Heinz bezeichnete den vorliegenden Gesetzentwurf der regierenden Koalition als eines der größeren Reformvorhaben der Legislaturperiode.
Ich gebe Herrn Heinz recht. Selten hat die Koalition aus CDU und SPD in der zu Ende gehenden Legislaturperiode weiterreichende Reformvorschläge unterbreitet,
geschweige denn geduldet oder mitgetragen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll das Gesetz über die Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Kleingartenvereinen und die Führung der Gemeinnützigkeitsaufsicht dereguliert werden. Die gesetzliche Berichtspflicht von Kleingartenvereinen gegenüber den Anerkennungsbehörden wird von drei auf fünf Jahre verlängert. Wir begrüßen den überfälligen Bürokratieabbau und werden dem Gesetzentwurf von CDU und SPD zustimmen.
Meine Damen und Herren! Auch die Linksfraktion besinnt sich im Wahljahr auf die sächsischen Kleingärtnerinnen und Kleingärtner
warten Sie ab! – und zaubert mit dem Sächsischen Kleingartenfreistellungsgesetz einen reichlich angestaubten Gesetzentwurf aus dem Jahr 2005 – hier haben wir es – wieder hervor.
Verehrte Kollegen der Linksfraktion, dazu kann ich nur anmerken: Es ist keine Schande zu schweigen, wenn man nichts zu sagen hat. Spätestens bei der Behandlung des Gesetzentwurfes in den Ausschüssen müsste dies auch Ihnen klar geworden sein. Themen wie Zweitwohnungsteuer und Kurtaxe wurden bereits vor drei Jahren mittels Erlass – wir haben darüber diskutiert – durch die Staatsregierung klargestellt. Da helfen auch keine Änderungsanträge mehr. Das Sächsische Kleingartenfreistellungsgesetz ist schlicht überholt. Wir werden deshalb nicht zustimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Rentner sagte kürzlich bei einer
Veranstaltung in Nordsachsen zu mir: „Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist alt sein, allein sein und auf dem Land leben müssen.“
Offensichtlich ist es mindestens ebenso belastend, innerhalb der Staatsregierung für den ländlichen Raum verantwortlich zu sein, denn der Posten des Staatsministers für Umwelt und Landwirtschaft war in der Vergangenheit eher ein Durchgangsposten. In keinem anderen Ministerium wechseln die Minister schneller als im SMUL. Die „Sächsische Zeitung“ zitierte in ihrer Ausgabe vom 20.01.2009 sächsische Aussteller auf der Grünen Woche. Einige von ihnen konnten sich an einen gewissen Herrn Wöller noch erinnern. Wie der Nachfolger hieß, fiel ihnen jedoch nicht ein. „Jedes Jahr ein Neuer“, so die Befragten völlig resigniert.
Das ist unbegreiflich. Schließlich repräsentiert das Ressort einen großen Teil Sachsens und seiner Bevölkerung. Herr Brangs und Herr Kupfer, etwa 48 % aller Sachsen leben im ländlichen Raum.
Er umfasst allerdings einen Flächenanteil von circa 83,5 %. Warum, meine Damen und Herren, wird das Amt wie eine heiße Kartoffel weitergereicht? Weil es keinen Spaß macht, den gegenwärtigen Schrumpfungsprozess zu managen? Weil es unsexy ist, über Kühe, Milchpreise oder demografischen Wandel zu reden statt über Kultur oder Hochtechnologien, oder fehlen der Staatsregierung schlicht und ergreifend die Ideen, den ländlichen Raum zu entwickeln? Was auch immer die Gründe sein mögen, akzeptabel wären sie alle nicht, denn die Bedeutung der ländlichen Räume ist groß. Sie tragen einen großen Teil zur gesellschaftlichen Wertschöpfung bei und dienen als Rückzugs- und Erholungsort für die Menschen.
Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben es bereits mehrfach gesagt: Die Entwicklung des ländlichen Raumes stellt uns vor enorme Herausforderungen. Das Arbeitsplatzangebot nimmt ab oder stagniert auf niedrigem Niveau. Die demografische Entwicklung macht uns Sorgen und durch die Verschlechterung der Daseinsvorsorge droht ein Verlust an Lebensqualität. Eine Abkopplung dieser Gebiete in Bezug auf Wohlstand und Wohlbefinden droht. Die Situation verschärft sich durch die absolut unzureichende Finanzausstattung der Förderprogramme für die ländlichen Räume, Resultat übrigens des von Bundeskanzlerin Merkel verhandelten Kompromisses zum EU-Haushalt 2007 bis 2013 und der weiteren Mittelkürzungen in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden.
Meine Damen und Herren! Der Entwicklung des ländlichen Raumes hilft die Selbstbeweihräucherung der Staatsregierung ebenso wenig wie die Schwarzmalerei einiger anderer Kollegen. Meine Fraktion begreift den Strukturwandel in ländlichen Gebieten nicht als unaufhaltsames Niedergangsszenario, sondern als Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Dazu brauchen wir aller
dings einen Wandel in der öffentlichen Diskussion. Ländlichkeit ist mehr als Landwirtschaft.
Wir sehen beispielsweise in erneuerbaren Energien und nachwachsenden Rohstoffen neue Wertschöpfungspotenziale für die ländliche Wirtschaft, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen und Handwerksbetriebe. Mit einer nachhaltigen Klima- und Naturschutzpolitik steigert sich die Attraktivität des ländlichen Raumes als Erholungs- und Lebensraum. Eine Neuausrichtung der Landwirtschaft auf gentechnikfreie ökologische und qualitativ hochwertige Produktion verschafft den Landwirten neue Marktanteile, höhere Wertschöpfung, intensiviert die regionalen Kreisläufe und bringt zusätzlich Arbeitsplätze in den ländlichen Raum.
Sehr geehrter Herr Staatsminister Kupfer! Sie behaupten, dass Sie die Herausforderung des Strukturwandels im ländlichen Raum erkannt haben. Doch wie sieht es in unseren Dörfern tatsächlich aus? Fakt ist, die Staatsregierung hat in der Vergangenheit mit viel Geld die urbanen Zentren entwickelt, Strohfeuer auf Leuchttürmen entfacht und dem ländlichen Raum Hilfspakete mit Trostpflastern geschickt. Die Verteilung dieser Trostpflaster erfolgte oft nach dem Windhundprinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Nachhaltige Investitionen waren schöner Zufall, aber nicht die Regel. Herr Minister, streuen Sie den Menschen auf dem Land nicht länger Sand in die Augen! Sie loben Ihre Maßnahmen zur Förderung der Umwelttechnik und der erneuerbaren Energien. Da muss mir irgendetwas entgangen sein. Hält die Staatsregierung nicht starrköpfig an der Braunkohle als Energieträger fest und nimmt Umweltzerstörung und Umweltverschmutzung damit billigend in Kauf? Diese Kurzsichtigkeit, meine Damen und Herren, wird Sachsen künftig Milliarden kosten: Folgekosten des Klimawandels und Geld, das zur Entwicklung des ländlichen Raumes fehlen wird. Ich erinnere an das Elbehochwasser, das uns immerhin 9 Milliarden Euro gekostet hat.
Gleichzeitig versäumen Sie, durch ambitionierte Ausbauziele für erneuerbare Energien zukünftige Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu fördern. Bis zum Jahr 2020 sollen 24 % des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien kommen. In Brandenburg beispielsweise sind es heute schon 40 %. Herr Staatsminister, über Ihre Worte zu den erneuerbaren Energien freuen sich höchstens die Betreiber von Windkraftanlagen, denn Sie produzieren viel heiße Luft.
Ähnlich verhält es sich beim Thema Landwirtschaft. Das Deckmäntelchen des Ökolandbaus kann die Ideenlosigkeit Ihrer Landwirtschaftspolitik nicht überdecken. Nach dem Motto „Masse statt Klasse“ soll Sachsens Landwirtschaft für den globalen Wettbewerb fit gemacht werden. Doch schielen wir nur auf die Konkurrenz von Billiglohnstandorten, bleiben Arbeitsplätze, Umwelt und damit auch die Menschen in Sachsen auf der Strecke. Statt sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, sollte sich die Staatsregierung stärker für eine umweltgerechte, ökologi
sche und klimaschonende Landwirtschaft einsetzen. Lippenbekenntnisse reichen da nicht aus.
Meine Damen und Herren! Jetzt wird es etwas kompliziert, weil fachlich. Herr Staatsminister Kupfer redet gern und oft davon, dass er konventionelle Landwirte, die auf ökologische Produktion umstellen wollen, unterstützt, wo er kann. Wo kann er und will er denn überhaupt? In der Praxis sieht das so aus: Konventionelle Landwirte können sich für fünf Jahre verpflichten, Maßnahmen zur extensiven und naturschutzgerechten Grünlandbewirtschaftung bzw. zur naturschutzgerechten Ackerbewirtschaftung durchzuführen. Dafür erhalten sie Geld aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes. Wollen sie nun ihre Produktion umstellen und die Ökolandbauförderung in Anspruch nehmen, kommen sie nicht wieder aus diesen Maßnahmen heraus.
Wechseln sie, drohen Rückzahlungen, die etliche Betriebe natürlich abschrecken. Die Folge: Es wird nicht umgestellt. Ich frage mich: Was ist hier los? Die Staatsregierung kann doch nicht behaupten, sie bietet gute Förderung an, wenn diese dann im Detail so gestrickt ist, dass etliche Betriebe sie nicht nutzen können.
Auch die verbesserte Förderung ist bisher unter Vorbehalt versprochen worden, gezahlt wurde nämlich bisher noch nichts. Damit schwindet das Vertrauen der Landwirte in Ihr Ministerium, Herr Staatsminister. Mit Populismus und Wahlkampfgetöse entwickeln Sie den ländlichen Raum sicher nicht. Aber seien Sie unbesorgt, ich werde auch in der nächsten Legislatur aufpassen, damit Sie Ihrem Versprechen Taten folgen lassen.
Meine Damen und Herren! Naturschutz spielt im ländlichen Raum eine besonders wichtige Rolle. Hier existieren besonders viele Gebiete mit einem hohen naturschutzfachlichen Wert. Viele seltene Tier- und Pflanzenarten finden dort ihren Lebensraum. Unsere Bürger schätzen diesen Reichtum an Flora und Fauna. Sie machen deshalb besonders gern in den naturschutzrelevanten Gebieten Urlaub und sie erbringen damit eine hohe Wertschöpfung für den ländlichen Raum. Das belegen zahlreiche Studien des Bundesamtes für Naturschutz.
Der Freistaat Sachsen schätzt diesen Reichtum an biologischer Vielfalt und hat im Vergleich mit anderen Bundesländern zahlreiche Fördermittel dafür eingestellt. Wie aber in Sachsen mit diesen zur Verfügung stehenden Mitteln umgegangen wird, das schreit gen Himmel. Der heutige Tag, der 15. Mai, ist ein wichtiger Termin. Die Anträge auf Biotoppflege müssen bei den Außenstellen des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie sein – ein guter Zeitpunkt, um einmal zu schauen, wie es mit der aktuellen Beantragung der Förderung aussieht.
Nachdem nämlich die Förderung über die Richtlinie „Natürliches Erbe 2008“ zu großen Teilen ein Ausfall war, bahnt sich auch im Jahr drei einer möglichen Förderung ein Desaster an. Viele Naturschützer vor Ort wurden mit einem unvorstellbaren Netz an Bürokratie überzogen. Obwohl die Bürokratie in der Landwirtschaftsförderung
schon immer reichlich kritisiert wird, stülpten die Ministerialbürokraten des SMUL nun gerade diese Förderung den oft ehrenamtlichen Naturschützern über. Diese werden in den auf Landwirtschaft geeichten Ämtern nun einem Landwirt gleichgesetzt und damit beginnt das bürokratische Schlamassel. Meine Damen und Herren! Die Naturschützer benötigen für die Förderanträge eine Betriebsnummer vom Landesamt und eine andere Betriebsnummer vom Veterinäramt. Dazu kommen notwendige Schlagdateien. Diese sind oft nicht vorhanden und nur mit hohem Aufwand zu erstellen.
Um einen Förderantrag stellen zu können, muss man sich dann einer Software eines geografischen Informationszentrums bedienen und einen modernen Computer haben. Damit hätte mindestens die Hälfte unseres Hohen Hauses – ich gehöre dazu – ein entscheidendes Problem oder – besser gesagt – wir könnten damit gar nicht umgehen. Aber das mutet man den Naturschützern zu.
Manche Umweltinitiative bewirtschaftet nur kleine Flächen, die aber naturschutzfachlich sehr wertvoll sind. Sie erhalten dann maximal 300 bis 400 Euro Förderung im Jahr, haben sich aber dieser unsäglichen Prozedur zu stellen. Herr Minister, so fördern Sie also Aktivitäten derjenigen, mit denen Sie sich gern schmücken. So kann das nicht weitergehen. Koppeln Sie die Naturschutzförderung von der Landwirtschaftsförderung ab und schicken Sie ausreichend Mitarbeiter in die Naturschutzbereiche des Landesamtes!
Im Namen der Naturschutz- und Landschaftspflegeverbände fordere ich kurze Bearbeitungszeiten und ausreichend kompetentes Personal in den Bewilligungsbehörden. Am besten, Sie schicken diejenigen, die dieses bürokratische Meisterwerk verzapft haben, zum Praktikum in die Naturschutzverbände.
Herr Staatsminister, Sie sprachen vom Ausbau von Straßen, auch von der B 178 Löbau-Zittau. Warum berichten Sie nicht über die erbitterten Widerstände gerade der Betroffenen vor Ort, zum Beispiel der Bürgerinitiative WISA. Ist es nicht so, dass hier eine schnelle Durchfahrt gebaut werden soll, die eben nicht der Entwicklung des ländlichen Raumes, sondern der Abkopplung dient? Warum werden die Sorgen der Anlieger nicht gehört, und warum wird nicht kommuniziert?
Sie haben am Ende Ihrer Rede einen ehemaligen Schweizer Bundespräsidenten zitiert. Ich finde den Aufruf des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog viel passender: „Es geht ein Ruck durch Deutschland.“ Herr Staatsminister, sorgen Sie dafür, dass der Ruck auch endlich in der sächsischen Staatsbürokratie ankommt, damit wir den ländlichen Raum tatsächlich zukunftsfest machen können, sehr gern auch mit uns natürlich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade erfahren, dass die öffentlichen Haushalte infolge des konjunkturellen Einbruchs bis 2013 316 Milliarden Euro weniger haben werden als im Vergleich zur letzten Steuerschätzung.
Wir warten nun mit Spannung auf die Zahlen für Sachsen, Herr Minister Unland. Im letzten Haushalts- und Finanzausschuss hatten Sie die regionalisierte Steuerschätzung eigentlich für gestern Abend angekündigt, nun müssen wir noch zwei Wochen warten. Auf jeden Fall ist es gut, dass Sie sich heute im Parlament dazu Rede und Antwort stehen. Wir rechnen nun damit, dass im Haushalts- und Finanzausschuss am 28. Mai über die sächsischen Zahlen gesprochen werden kann.
Meine Damen und Herren! Die schlechten Ergebnisse der Steuerschätzungen waren lange absehbar. Bereits bei der Haushaltsberatung für den Doppelhaushalt 2009/2010 war klar, dass hohe Ausfälle auf uns zukommen. Was aber hat die Staatsregierung gemacht? Sie hat die Ministerien zu Vergabefestspielen eingeladen – schließlich stand ein Superwahljahr vor der Tür.
Meine Fraktion hat im September 2008 den Antrag gestellt, auf den Doppelhaushalt zu verzichten, weil uns klar war, dass die Zahlen sehr schnell Makulatur sein
könnten. Damals bewegten sich die Prognosen für das „Wirtschaftswachstum“ noch bei minus 0,2 %.
Frau Hermenau hatte in ihrem Redebeitrag dafür geworben, einen Jahresetat nur für 2009 zu beschließen. Sie hat die ganze Palette der Folgen der schlechten Wirtschaftslage für den Landeshaushalt vorgetragen, aber kaum einer in diesem Hause ist dieser Argumentation gefolgt.
Lediglich ein CDU-Abgeordneter hatte sich zu der lapidaren Bemerkung hinreißen lassen, dass, wenn es so komme, wie Frau Hermenau befürchte, der Landtag im nächsten Jahr sein Budgetrecht eben noch einmal wahrnehmen müsse. Nun können wir Sie ja fragen, Herr Minister: Werden wir in diesem Jahr auch noch einmal von unserem Budgetrecht Gebrauch machen?
Ich komme gleich zu Herrn Scheel. DIE LINKE hatte damals unserem Antrag zugestimmt. Das heißt, Sie hatten damals die Zeichen der Zeit erkannt, Herr Scheel.
Uns freut es, wenn Sie sich jetzt darin bestätigt sehen, dass der Doppelhaushalt ein Fehler war. Was uns allerdings nicht freut – das gehört hier auch zur Ehrlichkeit der Debatte –, ist, wenn Sie so tun, als wäre der Antrag von Ihnen gekommen. Wir legen schon Wert auf unsere Urheberschaft.
Was recht ist, muss auch recht bleiben.
Danke, das kommt zu Protokoll.
Der Staatsregierung war Kontinuität und Planungssicherheit wichtiger als das Budgetrecht des Parlaments. Jetzt wird sich zeigen, wie viel von dieser Kontinuität und Planungssicherheit übrig bleibt.
Meine Damen und Herren! Guter Rat ist teuer. Wie sollen wir mit den Mindereinnahmen umgehen? Bis Mittwoch hatte Sachsen noch verschiedene Möglichkeiten. Bis Mittwoch hatte Sachsen noch eine Kassenverstärkungs- und Haushaltsausgleichsrücklage, die eigentlich für Notzeiten wie diese gedacht war. Doch durch den Beschluss der Mehrheitsfraktion, Besoldungs- und Versorgungsbezüge aller Beamten zu erhöhen – auch die der oberen Einkommensgruppen, inklusive Minister und Spitzenbeamte –, ist diese Rücklage großzügig verbraucht. Die Möglichkeit, darauf zurückzugreifen, besteht also nicht mehr.
Der Wirtschaftsminister, Herr Jurk, hat gestern vorgeschlagen, die fehlenden Mittel aus dem sogenannten Generationenfonds zu entnehmen. Das sind Rücklagen, die der Freistaat für spätere Pensionszahlungen gebildet hat. Diese Idee besticht durch besonders viel Schlitzoh
rigkeit und bedeutet eigentlich nichts anderes, als dass er die Beamten die aktuelle Erhöhung der Bezüge selbst bezahlen lässt. Was heute aus dem Fonds genommen wird, können die Beamten später nicht mehr bekommen. Das kann doch keine Lösung sein. Der Generationenfonds darf nicht angetastet werden. Nur die Sozialdemokraten, für die Zukunftsvorsorge ein Fremdwort ist, können auf solch eine Idee kommen.
Ich denke, dass zuerst einmal alle Spardosen, Frau Dr. Runge, im Haushalt geplündert werden sollten. Das Geld, das in überhöhten Haushaltsansätzen versteckt ist oder in Haushaltspositionen, die vorsorglich gebildet wurden, ist aber nie ausgegeben worden, zum Beispiel die Verstärkungsmittel, die der Finanzminister jetzt umlenken muss.
Meine Fraktion hatte während der Haushaltsaufstellung allein rund 350 Millionen Euro gefunden. Vermutlich ist da sogar noch mehr drin. Was noch fehlt, muss durch eine Haushaltssperre erwirtschaftet werden. Investitionen müssen weitergehen. Wichtig aber ist, dass die Investitionen des Freistaates endlich auf ein langfristiges Wachstum
ausgerichtet werden sollten, ein Wachstum, das auf ökologischen Innovationen basiert wie zum Beispiel der energetischen Gebäudesanierung, dem intensiven Ausbau der regenerativen Energien, der großflächigen Nutzung der Kraft-Wärme-Koppelung in Kleinkraftwerken und Nahwärmenetzen sowie dem Ausbau der ökologischen Landwirtschaft. Nur so werden wir wieder zu mehr Steuereinnahmen kommen und zu einem typisch sächsischen soliden Haushalt. Steuersenkung ist in dieser Situation auf jeden Fall der falsche Vorschlag, meine Damen und Herren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Wochenende wird auch die CDU ihr Landtagswahlprogramm verabschieden. Suchen Sie dort nach Begriffen wie Rente, Alterssicherung, Armut oder gesetzliche Rentenversicherung, werden Sie nicht fündig. Das ist schon verwunderlich. Planen Sie nur Schönwetter-Sozialpolitik oder planen Sie überhaupt? Was ist mit den Menschen in Sachsen, die aus der Langzeitarbeitslosigkeit in die Rente gehen? Was ist mit den Menschen, die aufgrund zu niedriger Löhne keine oder nur geringe private Vorsorgemöglichkeit haben? Was ist mit den Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien? Was ist mit der Gruppe der Selbstständigen, die nur ungenügend abgesichert sind? Ja, das ist heute Realität. Diese Menschen haben bzw. werden bedenklich geringe Alterseinkünfte haben. Schon jetzt wächst in Sachsen die Gruppe derjenigen, die Grundsicherung im Alter brauchen, jährlich um etwa 1 000 Menschen an.
Deutschland ist in den letzten 20 Jahren zum größten Niedriglohnland geworden. Mehr als 22 % der Erwerbstätigen sind Niedriglohnbeschäftigte. Wer schon im Erwerbsleben arm ist, wird es bei der Rente erst recht sein. Wir brauchen deshalb einen gesetzlichen Mindestlohn. Das wird aber nicht reichen, denn erst ab einem Mindestlohn von etwa 8,50 Euro würde ein Beschäftigter nach Versicherungsjahren eine Rente oberhalb der Grundsicherung erreichen. Wir müssen also auch bei der Rentenversicherung korrigieren.
Für meine Fraktion ist und bleibt die gesetzliche Rente mit ihrer Umlagefinanzierung das Kernstück der Sicherheit im Alter. Wir setzen auf ein Alterssicherungssystem, das nachhaltig finanziert wird und allen eine eigenständige und anständige Rente gewährt, die wirksam vor Armut schützt und nicht zusätzliche Grundsicherungsleistungen erfordert.
Wir wollen aber auch keine Generation einseitig belasten, weder die heutigen noch die künftigen Beitragszahler, noch die aktuellen und die künftigen Rentenbezieher.
Die Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung wurde auch über die Finanzkrise bestätigt. Das ist gut so. Gerade hier bei uns ist die Bevölkerung zu 99 % von der Entwicklung der Rentenversicherung abhängig.
Was wollen wir konkret? Eine solidarisch finanzierte Garantierente ab sofort, also auch für die, die schon in Rente sind. Die Garantierente soll auch die Älteren vor Armut schützen, die keine betriebliche oder private Vorsorge betreiben konnten. Sie muss demnach steuerfinanziert sein.
Die Renteneinzahlung für Langzeitarbeitslose muss in einem ersten Schritt wieder auf das frühere Niveau angehoben und in einem nächsten Schritt an den Satz der ALG-I-Bezieher angeglichen werden, damit auch in diesen Zeiten nennenswerte Rentenansprüche erworben werden.
Langzeitarbeitslose brauchen auch ein erheblich höheres Schonvermögen für Altersvorsorgeaufwendungen.
Frauen und Männer sollen eigene Rentenansprüche aufbauen. Ein Splitting soll schon in der Ehe obligatorisch werden und nicht erst mit dem Renteneintritt. Die Anwartschaften sollen monatlich je hälftig den Rentenkonten zugeschrieben werden.
Letztlich wollen wir langfristig die Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung für alle weiterentwickeln, in die alle Erwachsenen unabhängig vom Erwerbsstatus mit Beiträgen auf alle Einkommen einzahlen.
Meine Damen und Herren! Hatte ich eingangs ein paar Worte zur Schönwetter-Sozialpolitik der CDU verloren, so möchte ich zum Schluss verraten, was das Programm der FDP, die ja auch einen Bundesparteitag hat, zum Thema Altersarmut zu bieten hat: nichts, meine Damen und Herren, absolut nichts. Und da nichts und nichts addiert immer noch nichts ist, kann ich mir lebhaft vorstellen, wie die Sozialpolitik einer schwarz-gelben Koalition aussehen würde. Dabei wären beide Parteien gut beraten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, schließlich sind die Parteimitglieder von CDU und FDP reichlich zehn Jahre älter als die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Aber auch hier zeigt sich, dass wir einfach ein Stückchen weiterdenken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die Gesamtwirtschaft zu schrumpfen beginnt, läuft die Touristik noch eine Weile auf vollen Touren weiter.
2008 – das haben wir schon gehört – war trotz Wirtschafts- und Finanzkrise das bisher zweitbeste Jahr im sächsischen Tourismus überhaupt. Das gute Ergebnis verdanken wir in Sachsen vor allem den ausländischen Touristen. 2008 besuchten 7 % mehr Ausländer den Freistaat und die Zahl der von ihnen generierten Übernachtungen stieg sogar um 8,9 %. Der Anteil ausländischer Gäste am Gesamtportfolio betrug 10,5 %. Das ist zwar sächsischer Rekord, aber deutlich weniger als der Bundesdurchschnitt von immerhin knapp 19 %.
Experten sind sich einig: Im Inlandstourismus gibt es in Sachsen nur noch begrenztes Wachstum. Der Freistaat wird daher alles daransetzen müssen, die Zahl ausländischer Gäste weiter zu erhöhen.
Doch dafür reicht es nicht aus, uns auf Tourismusmessen in der ganzen Welt zu präsentieren und die Beschäftigten in der Tourismuswirtschaft zu befähigen, den Wünschen ausländischer Gäste zu entsprechen, wenn gleichzeitig ausländerfeindliche Vorurteile weiter wachsen und unter jungen Menschen die Ressentiments immer weiter zunehmen.
Leider sind einige Bürgerinnen und Bürger in unserem Land weit davon entfernt, weltoffen zu sein. Fremdenfeindlichkeit ist auch in Gebieten, in denen kaum Fremde wohnen, nach wie vor ein großes Problem.
Die Volksgenossen der NPD sind neuerdings krampfhaft bemüht, gute und schlechte Ausländer zu unterscheiden. Die einen dürfen uns besuchen, die anderen sollen raus. So steht es zumindest auf den Wahlplakaten. Hoffentlich gibt es parallel entsprechende Kurse für gewaltbereite Kameraden, damit sie lernen, das alles schön zu unterscheiden.
Man braucht schon ein geübtes Auge, wenn man nachts mit 1,8 Promille einen ausländischen Touristen zweifelsfrei vom Asylbewerber unterscheiden will.
Meine Damen und Herren! Der Tourismus steuert in Sachsen circa 3 % zum Bruttoinlandsprodukt bei. In strukturschwachen Regionen ist er zum Teil der wichtigste Arbeitgeber. Nicht alle Arbeitsplätze in der Tourismuswirtschaft setzen ein Hochschulstudium voraus und ins Ausland kann man sie auch nicht einfach verlagern. Wenn uns also daran gelegen ist, diese Arbeitsplätze zu erhalten, müssen wir Toleranz und Weltoffenheit in die sächsischen Schulen und Kindergärten tragen und dort interkulturelles Lernen etablieren. Wir müssen die dumpf-dämlichen Losungen rechter Wahlwerbung zum Anlass nehmen, mit den Menschen auf den Straßen ins Gespräch zu kommen und mit ihnen die Konsequenzen zu erörtern. Noch immer warnen internationale Reiseführer, darunter so renommierte wie der „Lonely Planet“, vor Aufenthalten in Ostdeutschland aufgrund der Gefahr, Opfer rechter Gewalt zu werden.
Meine Damen und Herren! Gefahr droht der Tourismuswirtschaft auch durch die Wirtschaftskrise. Das Jahr 2009 droht zum Jahr der touristischen Verunsicherung zu werden. Laut der deutschen Tourismusanalyse der BATStiftung für Zukunftsfragen sind 35 % der Befragten nicht sicher, ob sie sich in diesem Jahr einen Urlaub leisten können oder wollen. Die Urlaube werden außerdem kürzer, das Budget wird knapper und die Reiseziele rücken näher. 38 % der Urlauber hielten sich im vergangenen Jahr in Deutschland auf und verzichteten auf eine Auslandsreise. Urlaub im eigenen Land, bei dem man Zeit und Geld sparen kann, ist gefragt. Jeder vierte Bundesbürger will in diesem Jahr im eigenen Land Urlaub machen. Das trifft vor allem auf Familien mit Kindern zu. Fast jede zweite Familie hat schon im vergangenen Jahr Urlaub in Deutschland gemacht. Die Devise lautet: nah, preiswert und gemütlich. Damit wird die Krise auch zur Chance für familienfreundliche Ferienorte.
Zum Problem für Sachsen wird aber, dass wir ein klassisches Kurzreiseziel für die Zweit- oder Drittreise sind. Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich nur noch
einer Minderheit den Luxus einer Zweit- oder Drittreise leisten kann.
Was wollen die Touristen in Sachsen erleben? Laut dem Qualitätsmonitor 2007/2008 stehen die Themen Kultur, Städte, Gesundheit und Kur eindeutig im Vordergrund. Das Interesse an diesen Urlaubsarten hat für die Gäste in Sachsen im Vergleich zu Gesamtdeutschland einen höheren Stellenwert.
Meine Damen und Herren, wie ist es nun um den Städtetourismus und den Gesundheitstourismus in Sachsen bestellt? Der Städtetourismus hat im letzten Jahr Federn lassen müssen. Nach dem Boom der vorherigen Jahre stagniert hier die Nachfrage. Im Gegensatz dazu ist der Gesundheitstourismus eine Wachstumsbranche. Dafür sorgen die drei großen Themen demografischer Wandel, medizinisch-technischer Fortschritt und gesellschaftlicher Wertewandel.
Die Potenziale für Wachstum und Beschäftigung werden in Sachsen allerdings noch nicht vollständig ausgeschöpft. In anderen Bundesländern ist man da deutlich weiter. Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben zum Beispiel einen Masterplan Gesundheitswirtschaft. Ich denke, auch wir brauchen ein ganzheitliches Konzept auf Landesebene, das alle Akteure vernetzt und eine wettbewerbsorientierte Vermarktung ermöglicht.
Apropos Vermarktung. Ein Grundsatz für erfolgreiches Marketing lautet: ein Ansprechpartner für alle Fragen. Diesem Grundsatz sollte sich auch die Sächsische Staatsregierung verpflichtet fühlen, wenn es um tourismuspolitische Fragestellungen geht.
Wer schon einmal Fördermittel für ein touristisches Projekt beantragt hat, der weiß, dass wir hier viel Nachholbedarf haben. Das SMWA verweist an das SMUL. Das SMUL verweist an die SAB. Die glaubt genau zu wissen, dass das SMWA zuständig sei. So geht das natürlich nicht! Hier muss eine Clearingstelle her, wie sie von Experten des Landestourismusverbandes seit Jahren gefordert wird.
Zur Verwirrung potenzieller Investoren trägt außerdem die kleingliedrige Struktur der Organisation des sächsischen Tourismus bei. Die Kleinstaaterei der Regionalverbände und Gebietsgemeinschaften führt oft zu parallelen Aktivitäten, die sich gegenseitig behindern und miteinander konkurrieren. Die Streuung der Kapazitäten schwächt die Tourismusbranche und führt zur Verschwendung von Fördermitteln.
In einem Vortrag von Herrn Dr. Große hörte ich einmal den Satz: „Der Weg des Reiselandes Sachsen zur Destination mit Zukunft kann nur gemeinsam, offen und mit Mut zur Veränderung diskutiert und beschritten werden.“ Das hat mir sehr gut gefallen, aber leider fehlen die Taten.
In diesem Zusammenhang fordere ich die Staatsregierung auf, bei der Vergabe von Geldern für Tourismusprojekte verstärkt darauf zu achten, wie nachhaltig das vorgelegte Konzept wirklich ist, ob es innovativ ist und inwiefern
private Investoren Eigenanteile bereitstellen. Das Kooperationsmodell der Zukunft sind öffentlich-private Partnerschaften, und zwar von der Produktentwicklung bis hin zur Vermarktung. Es ist immer ein guter Indikator für die Qualität eines Vorhabens, wenn private Investoren bereit sind, sich finanziell zu engagieren.
Meine Damen und Herren! Die Förderung „mit der Gießkanne“ hat längst ausgedient, und es dient auch nicht der Qualitätssicherung, touristische Projekte allein über Zwangsabgaben der Betriebe zu finanzieren. Zwangsabgaben, die man zahlt, ohne beeinflussen zu können, was man dafür bekommt, machen gleichgültig. Unter Gleichgültigkeit leidet jedoch die Qualität, und Qualitätsmangel führt zu Auslastungsverlusten. Ein gutes Preis-LeistungsVerhältnis wird bei der derzeit schwierigen Wirtschaftssituation wichtige Entscheidungsgrundlage bei der Auswahl des Urlaubsziels. Die Krise wird laut Tourismusexperten nicht zur „Aldisierung“ der Branche führen, denn Urlaub bleibt etwas Besonderes für den Gast. Qualität und Service machen den Unterschied und sollten zur guten Praxis eines touristischen Anbieters gehören.
Meine Damen und Herren! Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch ein, wie ich denke, zukunftsweisendes Projekt aus der Oberlausitz vorstellen. Im Naturpark Zittauer Gebirge hat man erkannt, dass es neuer Vermarktungsansätze bedarf, um weitere Zielgruppen anzusprechen. Bisher war es im Zittauer Gebirge trotz hervorragender landschaftlicher Voraussetzungen nicht gelungen, von den Aktivurlaubern zu profitieren. Diese sehr gut situierte Klientel will im Urlaub viel unternehmen und Sport treiben. 86 % der Deutschen waren auf ihrer letzten Urlaubsreise sportlich aktiv und in Bewegung.
Vor diesem Hintergrund initiierte der Bürgermeister der Gemeinde Olbersdorf mit ehrenamtlich tätigen Partnern das Projekt „Outdoorland Zittauer Gebirge“. Durch die Kooperation, Koordination und Bündelung bereits vorhandener Angebote im Bereich Aktivtourismus entstand so ein Netzwerk von Anbietern und Akteuren, das zum Ziel hat, die Region als überregional bekanntes Qualitätsreiseziel für Aktivurlauber zu etablieren.
Die beteiligten Unternehmen sind bereit, sich auf die Zielgruppe der Aktivurlauber zu spezialisieren. Das erhöht ihre Wettbewerbsfähigkeit und sichert damit ihre Existenz. Die Zusammenarbeit basiert auf der Grundlage von Kooperationsverträgen zwischen den Partnern, Unternehmen, Kommunen, Vereinen und der Gemeinde Olbersdorf als Projektkoordinator. Der Freistaat unterstützt das Vorhaben über die sogenannte Clusterförderung. An dieser Stelle sage ich das auch sehr gern: Vor Ort ist man sehr begeistert über die Unterstützung durch das SMWA und hofft auf eine weitere gute Zusammenarbeit.
Die Herausforderungen, die in der Tourismuswirtschaft zu bewältigen sind, können schließlich nur von den Unternehmern in den sächsischen Destinationen gelöst werden. Ohne deren Ideen und Engagement läuft das beste Förderprogramm ins Leere. Auch kann man daran sehen, dass erfolgreiche Entwicklung im Tourismus inzwischen nicht
nur auf Regionen, sondern immer mehr auf Themen setzt. Es zeigt auch, dass es nicht reicht, nur über Mehrwertsteuerabsenkung, GEZ- und GEMA-Gebühren zu reden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Schelm, wer denkt, dass wir diese Debatte der anstehenden Europawahl verdanken können, oder der meint, dass die ganzseitigen Anzeigen, mit denen die Staatsregierung neuerdings Werbung für den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung macht, etwas mit der Europawahl zu tun haben könnten. Sehen wir es mal positiv: Hoffen wir, dass solche Maßnahmen das Bewusstsein für die Bedeutung Europas erhöhen; tun wir mal so, als ob es nicht um Wahlkampf ginge, und freuen wir uns ganz unparteiisch, dass auch Angehörige des Sächsischen Landtages künftig in Brüssel ihre Kompetenz einbringen wollen.
Meine Damen und Herren, die beiden vorliegenden Anträge der Koalition und der Linksfraktion sprechen nämlich durchaus wichtige Themen an. Der Antrag der Koalition ist dabei leider etwas sehr kursorisch geraten nach dem Motto: Schreiben wir mal alles rein, was uns zum Thema Europapolitik einfällt. Der Antrag der Linksfraktion geht doch etwas konkreter auf einige Hausaufgaben ein, die der nächste Sächsische Landtag noch zu leisten hat, wenn er angemessen an der Europapolitik des Freistaates beteiligt sein will.
Ich werde aber zunächst auf die Punkte 1, 3 und 4 des Koalitionsantrages eingehen.
Meine Damen und Herren, dass die Staatsregierung aufgefordert werden soll, über ihre europapolitischen Schwerpunkte zu berichten, ist ja ganz schön, aber ein solcher Bericht ist bei Weitem noch keine echte Beteiligung des Landtages. Die europapolitischen Defizite unseres Landtages sind bereits im Januar zur Sprache gekommen, als wir über einen Berichtsantrag zum Ausschuss der Regionen beraten haben. Den Bericht haben wir ja jetzt. Ich weiß nicht, wer sich dadurch besser beteiligt fühlt als vorher. Ich habe damals schon gesagt, dass die Staatsregierung angehalten werden sollte, regelmäßig über ihre europapolitischen Aktivitäten zu berichten und dabei auch die Stellungnahmen des Landtages zu berücksichtigen. Diese Forderung kann ich bei dieser Gelegenheit ohne Abstriche wiederholen.
Abgesehen davon finde ich es bemerkenswert, wie selbstverständlich die Koalition davon ausgeht, über die kommende Wahl hinaus bestehen zu bleiben, und sich sozusagen selbst beauftragt, über ihre gemeinsamen europapolitischen Schwerpunkte im Jahr 2010 zu berichten.
Beim Punkt 3 muss man sich fragen, welchen Zweck die Mitteilung über die Maßnahmen zur Hebung der Wahlbeteiligung bei der Europawahl haben soll.
Die Wahl findet in dreieinhalb Wochen statt. Was wollen Sie denn jetzt noch mit dieser Information anfangen? Glauben Sie die Wahlbeteiligung noch kurzfristig verbessern zu können? Ich denke, dass wir es hier nicht mit einer kurzfristigen Aufgabe zu tun haben.
Wichtig wäre es, die Bürgerinnen und Bürger über die Funktionsweisen der Europäischen Union und über den Einfluss des Europäischen Parlaments zu informieren. Das wäre ein richtiger Schritt dahin, dass sich die Menschen bewusst anhand europapolitischer Kriterien entscheiden und die Europawahl einen anderen Stellenwert als eine bloße Testwahl hat.
Zu Punkt 4 ist im Grunde genommen Ähnliches zu sagen wie zu Punkt 1 des Antrages. Es wäre wünschenswert, dass die Staatsregierung regelmäßig über ihre Aktivitäten hinsichtlich der Zusammenarbeit mit anderen Ländern berichtet. Das gilt für die Aktivitäten in Brüssel ebenso wie für die direkte Zusammenarbeit mit unseren unmittelbaren Nachbarn Polen und Tschechien. Ich weiß zwar nicht, warum man immer noch eigens erwähnen muss, dass diese Länder mittlerweile der Europäischen Union beigetreten sind, wie Sie es in Ihrem Antrag tun. Aber vielleicht liegt das ja daran, dass sich noch nicht alle Mitglieder der Koalitionsfraktionen an diese Tatsache gewöhnt haben.
Meine Damen und Herren, CDU und SPD präsentieren uns also einen Antrag, in den man fröhlich alle möglichen europapolitischen Punkte hineingepackt hat, um sich mal wieder von der Staatsregierung berichten zu lassen.
Der interessanteste Teil ist aber der Punkt 2 des Antrages. Das verdeutlicht ausgerechnet der parallel vorliegende Antrag der Linksfraktion. Die Koalitionsfraktionen fragen die Landesregierung, wie diese sich die Einbindung des Landtages in das Subsidiaritätsfrühwarnsystem, das der Reformvertrag von Lissabon vorsieht – so wörtlich – „vorstellt“. Ich finde, diese Formulierung ist verräterisch. Da soll sich also die Staatsregierung äußern, wie sie die angemessene Beteiligung des Parlaments zu regeln gedenkt. Meine Damen und Herren, etwas mehr Souveränität sollte sich ein Parlament schon zutrauen und selbst Regelungen zu einer europapolitischen Handlungsfähigkeit entwickeln, statt bei der Regierung nachzufragen.
Der Antrag der Linksfraktion ist in dieser Hinsicht etwas ernsthafter, indem in ihm konkrete Maßnahmen benannt werden. Diese sollten auch zustimmungsfähig sein, zumal sie keine linken Neuerfindungen sind, sondern im Wesentlichen der Erklärung der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 15. bis 17. Juni 2008 entsprechen.
Ich halte auch den darüber hinausgehenden Vorschlag in diesem Antrag für sinnvoll, eine bessere Vernetzung mit den Vertretungskörperschaften der tschechischen Bezirke
und der polnischen Woiwodschaften anzustreben, auch wenn man kritisch ergänzen muss, dass diese andere regionale bzw. institutionelle Ebenen abdecken als ein deutsches Länderparlament. Aber diese Inkongruenz kann kein grundsätzliches Argument gegen eine regionale Zusammenarbeit auch zwischen den gewählten Vertretungen der Regionen sein.
Meine Damen und Herren, dass wir über eine bessere europapolitische Beteiligung nicht nur der nationalen Parlamente, sondern auch der Landtage reden können, verdanken wir dem Vertrag von Lissabon. Meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßt das Übereinkommen, und es freut uns sehr, dass kürzlich auch der Senat unseres Nachbarlandes Tschechien dem Lissabon-Vertrag mit der nötigen Mehrheit zugestimmt hat. Umso mehr bedauern wir die Haltung des tschechischen Präsidenten Václav Klaus gegenüber dem Vertrag.
Ich sage das auch in Richtung Linksfraktion. Sie wollen mit Recht das Prozedere zur europapolitischen Beteiligung des Landtages regeln. Aber seitens der EU ist es gerade der EU-Vertrag von Lissabon, der neue Möglichkeiten der Mitwirkung eröffnet. Ich finde, das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Fundamentalkritik der Linken gegen den Vertrag von Lissabon. Durch ihren Antrag bestätigt die Linksfraktion indirekt, dass dieser Vertrag demokratische Fortschritte ermöglicht, aber parteioffiziell wird dies geleugnet und der Vertrag als neoliberales Teufelswerk verunglimpft.
Erfahrene Europapolitiker der Linken, die sich eine etwas differenziertere Sichtweise auf den Lissabon-Vertrag erlaubt haben, wurden zur Europawahl nicht mehr aufgestellt.
Ich sage das ganz bewusst, weil wir GRÜNEN den Vertrag durchaus kritisch sehen. Die Kritik fällt bei uns auch unterschiedlich heftig aus, Herr Scheel, aber wir lassen Differenzen in dieser Frage wenigstens zu.
Auch wenn der Vertrag von Lissabon hinsichtlich des Demokratiedefizits innerhalb der EU verbesserungsfähig ist, sollten wir doch die Schritte in die richtige Richtung als solche anerkennen und auch selbst unseren Beitrag dazu leisten, dass sie unternommen werden.
Der Antrag der Koalition leistet dies bei Weitem nicht. Der Antrag der Linksfraktion benennt wenigstens einige Hausaufgaben, die wir hier zu machen haben. Wenn infolge des Lissabon-Abkommens eine bessere Einbindung der Landtage in die Angelegenheiten der Europäischen Union möglich wird, dann müssen diese entsprechende Entscheidungen treffen, um die verbesserten Mitwirkungsmöglichkeiten auch auf ihrer Seite institutionell zu verankern. Der neue Landtag wird die Mechanismen schaffen müssen, die eine bessere Information und Einbindung der Abgeordneten gewährleisten. Gerade weil auf uns mehr europapolitische Verantwortung zukommen
wird und weil die Fragen, die durch das Subsidiaritätsfrühwarnsystem berührt werden, komplexer Natur sind, muss darüber nachgedacht werden, wieder einen eigenständigen Europaausschuss des Landtages einzurichten.
Meine Damen und Herren! In unserer europapolitischen Debatte im Januar gab es selbstkritische Töne und die Feststellung, dass europapolitisch nicht allzu viel in dieser Wahlperiode gelaufen ist. Die Dynamik der europäischen Integration gebietet aber künftig ein stärkeres Engagement dieses Hohen Hauses.
Herr Schiemann, noch ein Wort zum Thema Westbalkan. Wenn man sich die Karte der Mitglieder der Europäischen Union ansieht, dann sieht man mitten im Herzen von Europa einen weißen Fleck, den Westbalkan. Meine Auffassung ist, dass wir es dort nicht mit einer Europaerweiterung, sondern mit einer Lückenschließung zu tun haben. Das sollten wir tun, und zwar nicht nur mit Kroatien. Damit wird es nur beginnen. Genauso stehen aber Bosnien, Serbien, Montenegro und die anderen Länder vor der Tür und gehören selbstverständlich in diese Diskussion mit hinein.
Wie auch immer, die Hauptsache, man redet darüber und fängt diesen Prozess langsam an.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion nimmt die Beliebigkeit des Koalitionsantrages mit Enthaltung zur Kenntnis und stimmt dem Antrag der Linken zu. Diese Zustimmung verbinden wir mit der Aufforderung an ihre Abgeordneten, sich auch gegen die europapolitische Blockadehaltung der eigenen Partei zu engagieren. Unabhängig davon bleibt in der nächsten Wahlperiode für uns in europapolitischer Hinsicht sehr viel zu tun. Packen wir es an!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch von meiner Fraktion ein Dank für den Bericht des Rechnungshofes. Er hat tatsächlich erheblich mehr Licht ins Dunkel gebracht. Es ist erstens die politische Verantwortlichkeit der Aufsicht klargestellt worden, und zweitens ist in dem Bericht deutlich geworden, dass es bei der Bürgschaft eines Nachtragshaushaltes bedurft hätte.
Die Einzelheiten können Sie lesen, haben Sie gelesen; den Rest gebe ich zu Protokoll und sage noch, dass wir dem Änderungsantrag der Linksfraktion zustimmen.
Wir sind dem Landesrechnungshof sehr dankbar für diesen Bericht. Wir sind vor allem deshalb dankbar, weil er weites Licht ins Dunkel gebracht hat. Er deckt die Ursachen für die Schieflage der Sächsischen Landesbank auf und benennt klar die Verantwortlichen.
Nachdem meine Fraktion den Bericht gelesen hat, war für uns die bitterste Erkenntnis die, dass die Staatsregierung die Krise hätte verhindern können, wenn sie denn ihre Aufsichtspflicht richtig wahrgenommen hätte. Jenseits aller Debatten um neue Regeln für die internationalen Finanzmärkte, mehr Kontrollen von Finanzprodukten und Finanzakteuren, verbesserter Standards bei den RatingAgenturen und anderer Maßnahmen mehr, hätte es genügt, wenn die Verantwortlichen einfach nur ihren Job gemacht hätten. Durch dieses Fehlverhalten haben wir nicht nur die Sächsische Landesbank, sondern auch jede Menge Vertrauen verloren.
Wir müssen nach dem Sonderbericht des Rechnungshofes davon ausgehen, dass die Verantwortlichen entweder nicht ausreichend informiert waren über die Wertpapiere, die sie in großem Stil gekauft haben – dann hätten sie gegen ihre Sorgfaltspflicht verstoßen; oder aber die Verantwortlichen haben wider besseres Wissen gehandelt und für einen kleinen Zinsvorteil – man könnte auch sagen, aus reiner Geldgier – immense Risiken in Kauf genommen. Damit hätten sie gegen die geltenden Sorgfaltsregeln des Metiers verstoßen. Wahrscheinlich haben die Verantwortlichen gegen eine weitere Regel verstoßen, nämlich die der Fristenkongruenz. Demnach hätten längerfristige Engagements nicht kurzfristig finanziert werden dürfen. Die Krise hätte verhindert werden können, wenn die Verantwortlichen allein diese Regel beachtet hätten.
Der Bericht zeigt, es gab darüber hinaus andere Gelegenheiten, die Schieflage der Sachsen LB zu verhindern. Zum Beispiel an der Stelle, als es um das neue Geschäftsmodell der SLB als Kapitalmarktbank ging. Da hätte das SMF einschreiten und erklären müssen, dass dieses
Geschäftsmodell nichts mehr mit der eigentlichen Aufgabe einer Landesbank, nämlich der Struktur- und Wirtschaftsförderung in Sachsen, zu tun hatte und damit nicht mehr im öffentlichen Interesse des Landes war. Stattdessen aber hat das SMF auf den Nutzen für den Staatshaushalt geschielt und die Aussicht, Gewinne und Steuerzahlungen zu erzielen, als öffentliches Interesse dargestellt.
Grobe Fehler wirft der Rechnungshof dem SMF bei der Bewertung der durch die SLB abgegebenen Patronatserklärung gegenüber der Tochtergesellschaft Sachsen LB Europe plc (SLBE) vor. Während das SMF das Vorgeben der SLB als „im Bankenbereich üblich“ bewertete, hätte es nach Artikel 94 der Verfassung des Freistaates einer Ermächtigung durch den Gesetzgeber, also den Landtag, bedurft. Das SMF hat nicht nur versäumt, diese Ermächtigung beim Parlament einzuholen; es hat auch versäumt festzustellen, dass es für die Abgabe der Patronatserklärung keinerlei gesetzliche Grundlage gegeben hat. In dieser Sache ist eine Organklage der GRÜNEN-Fraktion vor dem Sächsischen Verfassungsgericht anhängig.
Schließlich, so der Rechnungshof, habe das SMF nicht mal die mit der Patronatserklärung verbundenen Risiken überwacht. Auch den Umfang der Risiken habe das SMF nicht begrenzt: „Selbst nachdem die SLBE Garantien in Milliardenhöhe mit Wissen des SMF gegenüber Zweckgesellschaften übernommen hatte, ist nichts geschehen“, so der Rechnungshof in seinem Bericht.
Die Patronatserklärung und das Versagen der Staatsregierung haben das Land an den finanziellen Abgrund geführt. Am Ende war die Sachsen LB ein Gesamtrisiko von aberwitzigen 43 Milliarden Euro eingegangen – der Etat des Freistaates verfügt nur über knapp 17 Milliarden Euro. Das zeigt, wie verantwortungslos die Geschäfte der Sachsen LB waren.
Für uns ist deshalb ganz klar: Die Verantwortlichen müssen für den Schaden, den sie dem Land zugefügt haben, zur Kasse gebeten werden. Die Staatsregierung hat zugesagt, die Haftungsansprüche zu prüfen. Ergebnisse liegen bislang noch nicht vor. Angesichts der schwierigen
Interessenanlage fordern wir die Staatsregierung noch einmal nachdrücklich auf, dieser Ankündigung endlich auch nachzukommen. Egal, was die ganze Sache kostet, wir müssen diesen Schritt tun. Nach all dem, was wir heute wissen, ist der Schritt nur konsequent. Darüber hinaus sind wir es den Steuerzahlerinnen und Steuerzah
lern in diesem Lande schuldig, auch diejenigen an den Kosten zu beteiligen, die sie verursacht haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirtschaftskrise macht sich
immer stärker auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Deutschlands Unternehmen haben für 1,5 Millionen Beschäftigte vorläufige Anträge auf Kurzarbeit gestellt. Der Grund hierfür ist, dass sie ihre Produktion aus konjunkturellen Gründen zurückfahren müssen. Auch in den kommenden Monaten dürfte sich die Lage kaum entspannen.
Die Medienberichterstattung der vergangenen Tage und Wochen macht deutlich, wie gegenwärtig die Kurzarbeit in den kleinen, mittelständischen und großen Unternehmen ist:
2. März, MDR: Die Robert Bosch Elektrowerkzeuge GmbH in Sebnitz hat Kurzarbeit beantragt.
3. März, „Sächsische Zeitung“: Die Lange Uhren GmbH in Glashütte hat für ein halbes Jahr Kurzarbeit beantragt.
7. März, „Welt am Sonntag“: Siemens bekommt die Wirtschaftskrise immer deutlicher zu spüren und muss deshalb die Kurzarbeit möglicherweise deutlich ausweiten.
Dies ließe sich fortsetzen. Neuerdings kündigen auch Handelskonzerne wie Metro oder die Baumarktkette Praktiker, die zum Teil auch wegen der eigenen Rabattpolitik unter Druck geraten sind, Kurzarbeit an.
Meine Damen und Herren, daran sieht man, dass Kurzarbeit nicht das Wundermittel ist, als das es die Bundesregierung gern verkauft. Die Krise ist zum Beispiel im Handel überhaupt noch nicht angekommen. Was wir hier beobachten, sind Mitnahmeeffekte, die den Steuerzahler belasten.
Damit wären wir bei der Frage angelangt, was Kurzarbeit nun tatsächlich ist und was sie zu leisten vermag. Kurzarbeit ist – erstens – eine Feuerwehrmaßnahme zum Löschen der am deutlichsten sichtbaren negativen beschäftigungspolitischen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie kann den Arbeitsmarkt zwar kurzfristig von Arbeitslosigkeit entlasten, jedoch wenig zur tatsächlichen und längerfristigen Stabilisierung der Beschäftigung beitragen. Kurzarbeit ist nicht nur eine Auffangmaßnahme für Arbeitnehmer, sondern sie ist vor allem eine Subvention und Stützung von Unternehmen. Arbeitnehmer und Gesellschaft bezahlen hier für eine Krise, die sie eigentlich nicht verursacht haben.
Zweitens. Es ist ja auch viel bequemer, Kurzarbeit zu beantragen, als endlich in den strukturellen und innovativen Wandel der Produkte zu investieren. Ich erinnere nur an die Modellpflege der Automobilbranche im Kontext mit Klimawandel und Ölpreisentwicklung.
Meine Damen und Herren, hier muss endlich ein Umdenken stattfinden, und zwar in den Betrieben, in der Gesellschaft und in der Politik. So reicht es eben nicht, die Abwrackprämie an all jene zu zahlen, die einfach ein neues Auto kaufen möchten. Hier gehört beispielsweise die Kopplung an einen niedrigen CO2-Austoß zwingend dazu. Der Staat vergibt sich die Möglichkeit, Einfluss auf die Wirtschaft zu nehmen, die er mit Steuermilliarden
wiederbeleben will – Milliarden, die von den nachfolgenden Generationen refinanziert werden müssen, meine Damen und Herren.
In den Konjunkturpaketen der Bundesregierung stecken neben etlichen guten Ideen leider jede Menge solcher verpassten Chancen. Der Versuch der Regierung, den komatösen deutschen Michel bis nach den Wahlen mit ein paar Trostpflastern zu sedieren, wird nach hinten losgehen. Die bisherigen Maßnahmen greifen zu kurz. Angesichts der dramatischen Entwicklung in der gesamten deutschen Exportindustrie reicht die Verlängerung des Kurzarbeitsgeldes nicht hinten und nicht vorn, um die Beschäftigten vor den Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise zu schützen.
Von der Entwicklung am Arbeitsmarkt hängt es ab, ob die Verbraucher wieder mehr sparen oder weiter Geld ausgeben werden. Die Arbeitsmarktdaten vom Februar geben bereits einen deutlichen Hinweis. Das wurde hier schon gesagt.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wann kommt endlich ein umfassendes Maßnahmenpaket für Beschäftigung, ein Schirm für die Mitarbeiter in den Unternehmen? Wer Hunderte Milliarden Euro in die Bankenrettung fließen lässt, aber für den Arbeitsmarkt nur einen Bruchteil dieser Summe übrig hat, erschüttert das Vertrauen in den Sozialstaat, verschlechtert die Lage der Betroffenen und verschärft die Krise.
Einen Vorschlag für ein besseres Krisenmanagement mache ich im zweiten Teil.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Zusammenhang ist es unverantwortlich, dass kein Euro des Bundes zusätzlich in
Qualifikation fließt. Alle Belastungen werden auf die Bundesagentur für Arbeit und damit auf die Beitragszahler abgewälzt. Statt Milliarden in Steuererleichterungen zu stecken, sollte der Staat seine Mittel für den Ausbau der Aus- und Weiterbildungsangebote nutzen.
Investitionen in Gebäude und Infrastruktur genügen eben nicht. Gute Kitas, Schulen und andere öffentliche Gebäude brauchen auch genügend gut ausgebildetes Personal, meine Damen und Herren.
Wir wissen: Auch die Sächsische Staatsregierung investiert lieber in Beton als in Köpfe, dies hat sie in den letzten Jahren immer wieder bewiesen. Damit zündet man allenfalls ein Strohfeuer. Das ist jedoch nicht geeignet, unsere Wirtschaft zukunftsfähig zu machen.
Unsere sächsischen Klein- und Mittelständler brauchen Instrumente, um auf die schwankende Auftragslage kurzfristig reagieren zu können. Diesen Unternehmen hilft es wenig, wenn ihre Mitarbeiter zum Beispiel Weiterbildungsmaßnahmen besuchen, in denen Fremdsprachen- oder Microsoft-Office-Kenntnisse vermittelt werden. Das bringt zwar Kenntnisse, die den Teilnehmern im Fall einer Arbeitslosigkeit nützlich sind, dem Bedarf der Unternehmen entspricht es aber nicht. Das unbefriedigende Ergebnis ist: Weil die Angebote nicht stimmen, werden sie von diesen Unternehmen nicht oder kaum genutzt. Für sie wären spezielle und genau auf die jeweilige Firma zugeschnittene Weiterbildungsmaßnahmen sinnvoller. Außerdem ist seit der Einführung des Mindestlohnes vor allem gut und ausreichend qualifiziertes Personal in den Unternehmen tätig.
Meine Damen und Herren! Für Aus- und Weiterbildung Geld in die Hand zu nehmen lohnt sich immer. Voraussetzung ist, dass die Sächsische Staatsregierung bereit ist, über den Rand der Ministerien hinauszuschauen und einen intensiven Dialog mit kleinen und mittleren Unternehmen sowie mit den Kammern und Verbänden aufzunehmen. Ergebnis muss eine konzertierte Qualifizierungsoffensive sein, die die Krisenzeit sinnvoll nutzt, um die Mitarbeiter – und damit auch die sächsischen Firmen – für die Zukunft fit und sicher zu machen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Unterlagen des DDRStaatssicherheitsdienstes ist ein eindrucksvoller Beleg für die Leistungen der sächsischen Stasi-Unterlagen-Behörde. Um es gleich vorwegzusagen: Wir alle sind dem Landesbeauftragten und seinen Mitarbeitern zu großem Dank verpflichtet. Herr Beleites, nehmen Sie das bitte auch an Ihre Mitarbeiter mit.
Meine Damen und Herren! Der Bericht ist aber auch ein Beleg für die Notwendigkeit dieser Arbeit. Die Anzahl der geleisteten Beratungsgespräche mit Bürgern dokumentiert das Bedürfnis vieler Betroffener, sich auch heute noch, 20 Jahre nach der friedlichen Revolution, mit den sie betreffenden Akten der Stasi auseinanderzusetzen.
Meine Damen und Herren! 20 Jahre nach der friedlichen Revolution droht andererseits bei vielen Menschen die Erinnerung an das Repressionssystem der DDR zu verblassen. Der Landesbeauftragte benennt Trivialisierung und Verharmlosung der DDR-Vergangenheit als Problem. Insbesondere fehlt das Wissen um die Unterdrückungsmaschinerie der SED gerade den Generationen, die die DDR nicht mehr bewusst miterlebt haben. Der Bericht verweist ausdrücklich auf Defizite in der schulischen
Bildung, nicht zuletzt in den Schulbüchern. Dies ist ein Befund, der uns in diesem Hause, in dem so oft leidenschaftlich über Schule und Bildung gestritten wird, durchaus zu denken geben sollte, meine Damen und Herren.
Die Aussage des Berichtes, dass das Problem nicht Desinteresse, sondern die Vermittlung der DDRGeschichte ist, muss hier noch einmal betont werden.
Meine Damen und Herren! Der Landesbeauftragte bemüht sich im schulischen Bereich um neue, erfolgversprechende Ansätze. Mich beeindruckt die Projektarbeit mit Schülern, durch die es offenbar wieder gelingt, Interesse und Verständnis für die Geschichte der DDR und ihre Repressionsmechanismen zu erreichen. Dazu sollten wir uns, die wir die Zeit miterlebt haben, auch immer und jederzeit als Zeitzeugen zur Verfügung stellen. Bei dieser Arbeit erfordert und ermöglicht vielleicht gerade die zeitliche Distanz neue Ansätze. Um das Verständnis für Unrecht und Unterdrückung in der DDR zu wecken, muss der Blick auf die Normalität – das Alltägliche – in der DDR zugelassen werden.
Meine Damen und Herren! Der Landesbeauftragte stellt sehr klug fest, dass Geschichtsaufarbeitung an die Erinnerung der Mehrheit anknüpfen muss. Die Fokussierung auf die Stasi führt dazu, dass die Stasi gerade von jüngeren Menschen als ein groteskes historisches Detail angesehen wird und das Verständnis dafür fehlt, dass die Unterdrückung der Opposition und die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien zum Wesen der DDR gehörten.
Meine Damen und Herren, bei dem zeitlichen Abstand, mit dem wir heute auf die DDR blicken – das heißt bei den meisten von uns, auf unser Leben in der DDR –, könnte man meinen, dass das schwierige Verhältnis von Opfern der Bespitzelung und der Repression und denen, die für Bespitzelung und Repression mitverantwortlich waren, allmählich eine gewisse Normalisierung erfahren hat. Ich denke, das muss man bezweifeln. Meines Erachtens ist die plötzlich hochgekochte Debatte um die Vergangenheit der CDU-Blockpartei ein Indiz dafür, wie schwer wir uns immer noch mit Differenzierungen tun. Wenn heute allen Ernstes über Begriffe wie Kollektivschuld diskutiert wird, dann frage ich mich, ob es in 20 Jahren wirklich gelungen ist, eine Geschichtsaufarbeitung ohne Klischees zu ermöglichen.
Meine Damen und Herren! Es ist vor diesem Hintergrund eine schmerzhafte Wahrheit, dass es vielen Menschen auch nach 20 Jahren noch schwer fällt, sich mit ihrer persönlichen Geschichte in der DDR auseinanderzusetzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die im Bericht erwähnte Ausstellung „Christliches Handeln in der DDR“ verweisen, die Aufmerksamkeit erregte, weil ein IM Schubert gegen sie juristisch vorging. In einer damit verbundenen Podiumsdiskussion unter dem Titel „Den Opfern eine Stimme geben“, die am 7. Mai 2008
stattfand, berichteten Teilnehmer, die von IM Schubert bespitzelt worden waren, über ihre Geschichten. Einer sagte im Anschluss: Diese Diskussion hatte für mich etwas Befreiendes.
Meine Damen und Herren, die Debatte machte vor Ort die Schwierigkeiten der Opfer deutlich, zum Gespräch mit denjenigen zu finden, die sie im Auftrag der Stasi bespitzelt haben. Volkmar Zschocke, einer derjenigen, die in Reichenbach auf dem Podium sprachen, wurde in der „Freien Presse“ anschließend zitiert: „Versöhnung oder Entschuldigung ist hier zu hoch gegriffen. Es geht eigentlich nur darum, zu verstehen.“