Protocol of the Session on March 11, 2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 13. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages. Zuerst haben ich wieder eine sehr angenehme Aufgabe zu erfüllen: Wir haben ein Geburtstagskind unter uns. Herr Heidan, herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

(Zurufe von der CDU: Er ist krank!)

Er ist nicht krank gemeldet. Aber wir können trotzdem gratulieren.

(Beifall)

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 bis 9 folgende Redezeiten festgelegt: CDU-Fraktion 48 Minuten, PDS-Fraktion 36 Minuten, SPD-Fraktion 21 Minuten, NPD-Fraktion 21 Minuten, FDP-Fraktion 15 Minuten, GRÜNE Fraktion 15 Minuten, Staatsregierung 36 Minuten. Die Redezeiten können wie immer von den Fraktionen und der Staatsregierung auf die jeweiligen Tagesordnungspunkte entsprechend dem Redebedarf verteilt werden. Meine Damen und Herren! Ich bitte die Tagesordnungspunkte 3 bis 6 zu streichen; wir haben die 3. Lesungen bereits gestern vorgenommen.

Gibt es weitere Anträge zur Tagesordnung? – Herr Dr. Hahn, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter Punkt 8 steht der Antrag „Die sächsische NPD und ihre Verbindungen zur militanten Rechtsextremismusszene“ auf der Tagesordnung. Wir haben vom Innenminister die Zusage erhalten, dass es dazu eine Stellungnahme der Staatsregierung und einen umfänglichen Bericht geben wird. Wir möchten deshalb den Antrag von der heutigen Tagesordnung nehmen

(Uwe Leichsenring, NPD: Oh! – Holger Apfel, NPD: Ist das schade!)

und ihn im Ausschuss auf der Grundlage des Berichts des Innenministers behandelt wissen. Wir wollen dann im Ausschuss entscheiden, wie wir mit der Sache weiter verfahren.

Wir bitten daher, ihn von der heutigen Tagesordnung zu nehmen.

Danke schön. – Gibt es weitere Anträge zur Tagesordnung? – Das ist nicht der Fall.

Dann steigen wir in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde 1. Aktuelle Debatte: Zwei Jahre Agenda 2010 – Auswirkungen im Freistaat Sachsen

Antrag der Fraktion der PDS

2. Aktuelle Debatte: Sachsen – ein demokratisches, tolerantes und weltoffenes Land

Antrag der Fraktion der SPD

Die Verteilung der Gesamtredezeit hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU-Fraktion 36 Minuten, PDS-Fraktion 31 Minuten, SPD-Fraktion 17 Minuten, NPD-Fraktion 12 Minuten, FDP-Fraktion 12 Minuten, GRÜNEN-Fraktion 12 Minuten, Staatsregierung, wenn

gewünscht. Zur 2. Aktuellen Debatte wird auch noch die Ausländerbeauftragte sprechen.

Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu

1. Aktuelle Debatte Zwei Jahre Agenda 2010 – Auswirkungen im Freistaat Sachsen

Antrag der Fraktion der PDS

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion der PDS das Wort. Die weitere Reihenfolge: CDU-Fraktion, SPDFraktion, NPD-Fraktion, FDP-Fraktion, GRÜNE Fraktion, Staatsregierung.

Meine Damen und Herren! Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Fraktion der PDS das Wort nimmt. Frau Kipping, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die Bürgerinnen und Bürger haben jetzt mehr Geld für ihre Anschaffungen und zur Erfüllung ihrer Wünsche.“ So ein Versprechen des Bundeskanzlers zur Agenda 2010. Meine Damen und Herren! Da stellt sich doch für mich die Frage: Wer hat denn tatsächlich mehr Geld im Geldbeutel? Die meisten Menschen jedenfalls konnten in den vergangenen zwei Jahren nicht mehr Geld ausgeben, sondern weniger. Insofern ist auch der

private Konsum geschrumpft, und zwar um 0,3 % gegenüber dem Vorjahr. Der Anstieg der Privatinsolvenzen in Sachsen um 30 % ist sicherlich auch eine Folge davon. Kein Wunder! Denn die rot-grüne Steuerreform verfährt nach dem Motto: Wer hat, dem wird gegeben. Den reichsten 20 % der Bevölkerung kommen zwei Drittel der Steuereinsparungen zugute. Wer viel hat, der bringt zusätzliches Geld eben nicht in das nächste Geschäft zur Wirtschaftsankurbelung, sondern zu seiner Bank.

Versprochen wurde mit den Hartz-IV-Reformen auch, innerhalb von zwei Jahren die Arbeitslosenzahl um zwei Millionen zu reduzieren. Alle Zahlen sprechen eine andere Sprache.

Der aktuelle Arbeitsmarktbericht führt uns die Auswirkungen der Agenda 2010 für Sachsen deutlich vor Augen. Die Arbeitslosenzahlen sind im Februar dieses Jahres noch einmal gestiegen, und zwar um 11 000 Erwerbslose. Die Arbeitslosenquote liegt mit 20,1 % erstmals seit 1998 wieder über 20 %.

Eine Broschüre aus dem Hause Clement titelt: „Menschen in Arbeit bringen! – Hartz IV“. Realistischer wäre wohl gewesen: „Menschen in Armut bringen!“

Vor zwei Jahren verkündete Schröder, dass man durch die Hartz-Reformen legale Arbeit attraktiver gemacht habe. Meine Damen und Herren! Von der Attraktivität können die erwerbslosen Laienschauspieler, die in den Dresdner „Webern“ als Erwerbslosenchor auftreten, ein Lied singen. Von den 50 Euro, die sie pro Auftritt bekommen, können sie dank der motivierenden Zuverdienstregelungen gerade einmal schlappe 7,50 Euro behalten. So sieht Fördern à la Rot-Grün aus.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Hört, hört!)

An dieser Stelle einfach ein herzliches Dankeschön an die schauspielenden Erwerbslosen, die sich eben nicht von diesen demotivierenden Zuverdienstregeln abschrecken lassen.

(Beifall bei der PDS und des Abg. Jürgen Schön, NPD)

Auch die anderen angeblichen Hartz-Wundermittel haben sich als Flop erwiesen. Die Neuregelung bei den Mini-Jobs führte am Ende vor allen Dingen dazu, dass normale Arbeitsverhältnisse in prekäre Mini-Jobs umgewandelt wurden. So stieg im ersten Jahr der Neuregelung die Zahl der Mini-Jobs um eine Million, während die Zahl der regulären Arbeitsverhältnisse um 600 000 abnahm.

Um die Personal-Service-Agenturen ist es aus gutem Grund sehr ruhig geworden. Im August 2003 lag die Vermittlungsquote bei läppischen 1,8 %.

Es geht noch weiter mit der Liste der gebrochenen Versprechen. Ich habe es schwarz auf weiß: In dieser Broschüre verspricht der Bundeskanzler, der durchschnittliche Krankenkassenbeitrag werde im Jahre 2005 auf unter 13 % sinken. Wir haben inzwischen 2005, und der Krankenkassenbeitrag liegt durchschnittlich nicht bei unter 13 %, sondern bei über 14 %.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Hört, hört!)

Die Gesundheitskosten sind währenddessen munter gestiegen, in Sachsen um 20 %.

„Jeder Ausbildungsplatzsuchende muss einen Ausbildungsplatz bekommen“ – so der Bundeskanzler bei Verkündung der Agenda 2010 vor zwei Jahren. Mit dem Ausbildungspakt sollten dann 30 000 neue Ausbildungsplätze pro Jahr geschaffen werden. Doch dieses Ziel wurde nicht erreicht. Im Gegenteil, kamen im Dezember 2003 auf einen Bewerber noch 0,74 Stellen, so hat sich diese Relation im Dezember 2004 auf 0,67 Stellen pro Bewerber verschlechtert.

Dass die Agenda 2010 unsozial ist, überrascht wohl kaum. Was sonst hätte man von der großen schwarz-rotgelb-grünen Koalition des Sozialabbruchs erwarten sollen?

Aber die Agenda 2010 ist eben auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kontraproduktiv. Sie ist zudem innerhalb der Standortlogik, wenn man sich denn auf diese Logik einlassen möchte, kontraproduktiv. Sinkende Löhne und Sozialdumping veranlassen, dass Menschen weniger Geld ausgeben können. Die sinkende Kaufkraft trocknet den Binnenmarkt aus und deswegen wandert hierzulande das Kapital immer mehr in andere Märkte aus. Kapitalflucht ist eben keine Folge von zu hohen Löhnen, wie uns die Schröders dieser Welt immer weismachen wollen, nein, Kapitalflucht ist vor allem eine Folge zu niedriger Nachfrage.

Unter dem Strich ist festzustellen: Zwei Jahre Agenda 2010, das sind zwei Jahre in die falsche Richtung. Wenn es nach dem Willen der sächsischen CDU gegangen wäre, Herr Eggert, ja, dann hätten wir uns noch weiter verrannt. Ihnen war doch die Agenda 2010 – hier zitiere ich Herrn Gillo – nicht ausreichend. Ihnen war die Agenda nicht ausreichend. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es vielleicht nicht Ein-Euro-, sondern 50Cent-Jobs gegeben.

Bitte zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Zwei Jahre in die falsche Richtung sind zwei Jahre genug. Es ist dringend Zeit für einen Kurswechsel. In welche Richtung dieser Kurswechsel gehen soll, darüber werde ich in meinem zweiten Beitrag sprechen. Vorab nur so viel: Wir brauchen einen Kurswechsel, weg von der Entsolidarisierung und weg von der wirtschaftlichen Unvernunft. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Rasch, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da hat ja die PDS mutig ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, was sie selbst im Rahmen einer Aktuellen Debatte nicht bewältigen kann und sicher auch wir nicht bewältigen werden. Vielleicht hätte man mit diesem Thema ähnlich verfahren sollen, wie man es mit einigen Anträgen heute – mit Überweisung an die Ausschüsse – macht. Ganz so einfach, liebe Frau Kipping, wie Sie es hier dargestellt haben, ist es wohl

nicht. Ich gehe davon aus, dass sicher die FDP etwas zu Kaufkraft und Kapitalflucht sagen wird. In Ihrem Vortrag sind eine ganze Menge Dinge enthalten, bei denen Sie am Ende in der Summe mit Ihrer Grundhaltung das Kind mit dem Bade ausschütten. Letztlich geht es doch darum: Wo müssen wir mit dieser Gesellschaft hin, damit das erhalten bleibt, was uns allen lieb und wert ist? Nämlich eine Marktwirtschaft, die sowohl sozial als auch ökologisch verantwortet ist und damit den Menschen eben das bietet, was sie sich von dieser Gesellschaft erhoffen. Das ist ja die Grundfrage.

Wenn da eine Agenda 2010 aufgesetzt wird, heißt Agenda Tagesordnung. Nun, kompliziert ist das schon. In der Situationsbeschreibung sind wir ja möglicherweise weitgehend übereinstimmend. Selbst die Bundesregierung sagt und schreibt von einem in Schieflage geratenen Sozialstaat. Da kann man ja nun nicht immer so weiterwursteln wie bisher. Da muss man etwas tun.

Das Ziel, hier wieder Stabilität herzustellen, ist unumstritten. Umstritten sind aber sofort die einzelnen Schritte, wenn es also wirklich um die Auflistung einer sinnvollen Tagesordnung geht. Ich sehe die große Gefahr, dass im Taktieren um die Tagesordnung das eigentliche Ziel aus den Augen gerät. Ich bin zum Beispiel sehr gespannt, was der Prozess des Dialogs zwischen Bundesregierung und Oppositionsparteien im Bundestag bringen wird. Wir werden das Thema im Augenblick nicht erschöpfend behandeln können. Aber ich erlaube mir, zumindest sechs Sachverhalte zu benennen, von denen ich meine, dass sie berücksichtigt sein müssten.

Zum Ersten muss es aus meiner Sicht um eine grundsätzliche Entscheidung zugunsten der Freiheit und der eigenverantwortlichen Gestaltung durch die Menschen gehen. Wenn wir da zum Beispiel diese heillose Diskussion um ein Antidiskriminierungsgesetz erleben, dann wissen wir, dass das natürlich genau auf Gegenkurs ist. Damit werden wir die Tagesordnung nicht bewältigen.