Enrico Stange

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Last Statements

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werben für Europa zwei Tage vor der Wahl – ich denke, es ist korrekt, das an diesem Tag noch einmal laut zu sagen. Es gibt gewichtige Argumente dafür, aber es gibt auch Nachdenklichkeit, die wir in dieser Debatte an den Tag legen sollten. Wir sollten für grundlegende Werte eintreten. Kollege Schiemann, Kollege Baumann-Hasske, Sie haben bereits vieles genannt. Es geht um Demokratie. Es geht um Menschen- und Bürgerrechte. Es geht um den Frieden in Europa. Kollege Baumann-Hasske, Sie haben vollkommen recht: Die Vergesslichkeit unter den Menschen ist groß, und über 70 Jahre Frieden scheinen eine gewisse Gleichgültigkeit hervorzurufen.
Es ist wichtig, dass die Menschen ihr Leben in demokratischen Staaten mit demokratischen Institutionen, in einer demokratischen Europäischen Union frei gestalten können. Dennoch muss man sich an diesem Tag fragen, weshalb wir die kommende Europawahl auch als Schicksals-, als Richtungswahl begreifen. Es ist im Grunde die Reflexion der jüngsten Vergangenheit in der Europäischen Union. Jean-Claude Juncker hat vor einigen Jahren gesagt, die Union ist in keinem guten Zustand.
Der Befund ist seitdem nicht besser geworden, das muss man der Ehrlichkeit wegen sagen. Aber wir müssen uns fragen, warum es so ist. Wir müssen uns darauf orientieren, wie wir das mit Blick auf diese Wahl und die dann folgende Legislaturperiode des Europäischen Parlaments, der kommenden Kommission und der Arbeit der künftigen Vertreterinnen und Vertreter Sachsens im Europäischen Parlament angehen wollen, mit welcher Perspektive wir Europa betrachten wollen.
Es wird nicht ausreichen, dass wir auf die Erfolge, auf die vielen Projekte, die in Sachsen mit Unterstützung der Europäischen Union umgesetzt wurden – ob das Beton ist oder Bauten aus Glas oder viele Projekte, die Menschen grenzübergreifend, grenzüberschreitend zusammengeführt haben –, verweisen. Wir müssen für die Europäische Union eine Perspektive eröffnen, in der die Bürgerinnen und Bürger, und zwar vor allem jene, die der Europäischen Union skeptisch gegenüberstehen, mit uns gemeinsam eine Vision nicht nur entwickeln, sondern auch umsetzen können, in der sie sich aufgehoben fühlen, in der sie Europa nicht als das ferne Brüssel begreifen, sondern als das Europa vor ihrer Haustür und als ihr Europa. Das ist, denke ich, die Herausforderung, vor der wir stehen, und damit nehme ich uns alle – die da drüben würden sagen: Altparteien – in die Verantwortung.
Wir tragen im Grunde die Verantwortung auch dafür, dass wir diese Vision bisher so nicht vermitteln konnten. Deshalb ist es, glaube ich, wichtig, an diesem Tag die Bestandsaufnahme zu untermauern und zu sagen: Lasst uns die Defizite, die die Europäische Union hat, in Zukunft ausräumen. Es geht um Mitgestaltung durch die Bürgerinnen und Bürger. Es geht um mehr direkte Demokratie für die Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union. Es geht – Sie wissen, dass wir diese Kritik haben – um die weitere Demokratisierung der europäischen Institutionen, dass das Europäische Parlament mit unseren vier sächsischen Vertretern – Kollege Schiemann, Sie haben sie aufgezählt – eben letztendlich nicht an dem Willen der Staats- und Regierungschefs scheitert, sondern dass das Europäische Parlament als gewählte Volksvertretung der Bürgerinnen und Bürger Europas ein viel stärkeres Gewicht in der Europäischen Union bekommt.
Daran müssen wir arbeiten, und diese Vision müssen wir gemeinsam vertreten, um tatsächlich die Lust an Europa weiter zu verbreiten –
Das ist wie immer.
– und den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen: Diese Wahl ist deshalb wichtig, weil wir die Europäische Union nicht jenen überlassen dürfen, die sie zerstören wollen, sondern wir müssen sie jenen übergreifend in die Hände geben, die sie weiterentwickeln wollen.
Wir haben unterschiedliche Auffassungen, aber im demokratischen Streit in einem demokratisch gewählten Parlament mit viel mehr Kompetenz sollte das in Zukunft gelingen.
Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wohnen ist mittlerweile die soziale Frage der heutigen Zeit in deutschen Großstädten. Auch in den sächsischen Großstädten Dresden und Leipzig besteht Wohnungsmangel. Es fehlt an Wohnungen im unteren Preissegment, insbesondere für Einpersonenhaushalte, aber auch für kinderreiche Familien mit einem Bedarf an großen Wohnungen sowie an Wohnungen, die barrierearm oder barrierefrei sind, also für Menschen mit Behinderung, für Seniorinnen und Senioren sowie Pflegebedürftige. Die Hans-Böckler-Stiftung hat in einer Studie 2018 festgestellt, dass allein in den Städten Leipzig und Dresden 87 000 Wohnungen im unteren Preissegment fehlen.
Doch nicht nur in den Großstädten, auch in Klein- und Mittelstädten oder anderen wirtschaftlich dynamischen Regionen werden Wohnungen gebraucht. In ländlichen Regionen und ihren Klein- und Mittelstädten sind zwar oft Überhänge günstiger Wohnungen vorhanden, allerdings fehlen altersgerechte, barrierefreie oder barrierearme sowie familienfähige Wohnungen.
Wohnraum ist ein elementares Bedürfnis und kann durch kein Ersatzgut substituiert werden. Die Wohnraumversorgung ist aufgrund der hohen Bedeutung Bestandteil der Daseinsvorsorge und zählt zu den Kernaufgaben des Sozialstaats. Nach Artikel 7 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Sachsen erkennt der Freistaat Sachsen das Recht eines jeden Menschen auf angemessenen Wohnraum als Staatsziel an.
Wie Sie wissen, hat DIE LINKE immer wieder auf das Dilemma steigender Wohnkosten, resultierend aus gesellschaftlichen Anforderungen an energetische Sanierungsstandards und Entwicklung der sogenannten Mietnebenkosten einerseits und der nicht mitwachsenden finanziellen Leistungsfähigkeit größerer Mieterinnen- und Mietergruppen andererseits in Sachsen seit 2011 bzw. 2012 hingewiesen. Das ist dann auch die Grundfrage bei der Versorgung mit Wohnraum. Mit dem deutlichen Wachstum vor allem unserer Großstädte hat sich die Lage dadurch verschärft, dass einerseits der marktaktive Leerstand fast gänzlich aufgebraucht ist und andererseits vor allem der privatwirtschaftliche Wohnungsbau mangels erzielbarer Renditen im unteren Preissegment sich auf die Gestellung von höherpreisigem Wohnraum oder Eigentumswohnungen verlegt hat.
Deshalb hat DIE LINKE bereits ein Umsteuern in der Wohnungspolitik und die Zuschussförderung für die Errichtung und Sanierung von Wohnraum für untere und mittlere Einkommensgruppen gefordert, als die Staatsregierung in ihrem wohnungspolitischen Konzept noch von entspannten Wohnungsmärkten und geförderten Krediten ausgegangen ist. Deshalb haben wir das Thema Wohnen immer wieder in die politische Debatte eingebracht und eine spürbare Ausweitung der sozialen Wohnraumförderung gefordert und uns gegen Spekulationen auf dem Wohnungsmarkt gestellt.
Heute stellt kaum jemand mehr infrage, dass die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum eine gesellschaftliche Herausforderung ist. Die Frage bleibt nur nach den Konzepten, um den Mangel zu beseitigen und alle Haushalte in Sachsen angemessen mit Wohnraum zu versorgen.
Mit dem nunmehr geltenden Artikel 104 d des Grundgesetzes wird dem Bund die Möglichkeit eröffnet, den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich wichtige Investitionen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus zu gewähren. Damit soll dem Bedarf an bezahlbarem Wohnraum und seiner für die Refinanzierungsmieten erforderlichen kostengünstigeren Gestellung begegnet werden. Jetzt sind die Länder im Gegenzug in der Pflicht, auch tatsächlich im notwendigen Umfang den Bau neuer Sozialwohnungen und anderen sozial geförderten Wohnraums wie beschrieben zu ermöglichen und durch entsprechende Belegungsbindung den Bestand an Sozialwohnungen zu sichern. Denn selbst wenn der rein nominale Bedarf gedeckt sein sollte, bleibt die Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit der Mieterinnen und Mieter vor allem in den unteren Einkommensgruppen virulent und mithin der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum vermutlich langfristig bestehen.
Um die zweckentsprechende Verwendung der Gelder zu kontrollieren, darf die Bundesregierung künftig von den Ländern im sozialen Wohnungsbau Berichte und anlassbezogen die Vorlage von Akten verlangen. Nun gilt es, diese neuen Fördermöglichkeiten schnell im Interesse der Mieterinnen und Mieter zu nutzen. Die künftigen Bundesfinanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau können hierfür auch genutzt werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf der einreichenden Fraktion DIE LINKE macht für den Freistaat Sachsen von der Ermächtigung nach Artikel 70 Abs. 1 Grundgesetz Gebrauch, um neue Perspektiven für die Bedarfsdeckung im Wohnungswesen zu entwickeln. Der Bedarf an sozial gefördertem Wohnraum ist gegeben. Mit der Beschlussfassung des Landtags über den vorliegenden Gesetzentwurf zöge der Freistaat Sachsen mit der Gesetzgebung in
den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und SchleswigHolstein gleich.
Das Grundanliegen des Gesetzes ist wie folgt zu umreißen: soziale Wohnraumförderung zugunsten der Haushalte, die sich aus eigener Kraft nicht mit angemessenem Wohnraum versorgen können; im Gegensatz zu den Voraussetzungen der auch zeitlich befristeten Förderrichtlinien im Freistaat Sachsen wie der Richtlinie „Gebundener Mietwohnraum“, die an eine bestimmte Gebietskulisse anknüpft, der Richtlinie „Familienwohnen“, die ausdrücklich die Förderung von Familien in Mietwohnungen ausschließt, oder der Richtlinie „Integrative Quartiersentwicklung“, die wiederum Städte von der Förderung ausnimmt. Die Zuwendungen nach der Richtlinie „Gebundener Mietwohnraum“ erhalten bisher nur Leipzig und Dresden. Mit der Verankerung von Maßnahmen der sozialen Wohnraumförderung durch ein förmliches Gesetz ist die dauerhafte und verstetigte Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum deutlich besser gewährleistet.
Die Kommunen werden als wichtige Partner bei der sozialen Wohnraumförderung gestärkt. Einerseits soll die Kenntnis über die örtliche Wohnungsmarktlage genutzt und andererseits die Mitverantwortung für die Versorgung mit Wohnraum eingefordert werden. Dazu können unter anderem Zielvereinbarungen zwischen dem Freistaat Sachsen, den Kommunen und Dritten als neues Instrument sozialer Wohnraumförderung abgeschlossen werden.
Der Gesetzentwurf sieht vor, die Einkommensgrenzen des Wohnberechtigungsscheins anzuheben: für einen Einpersonenhaushalt auf 19 500 Euro, für einen Zweipersonenhaushalt 30 000 Euro und zusätzlich 7 500 Euro für jede weitere Person im Jahr. Diese Anhebung ist notwendig, da die bestehenden Grenzen nicht ausreichen, um vor einer Überlastung durch Mietzahlungen zu schützen.
Die Pflicht des Staatsministeriums des Innern, gegenüber dem Landtag über die Entwicklung der Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum und die Umset
zung der Vorgaben dieses Gesetzes bis zum 30. Juni jährlich zu berichten, dient der verstetigten Kontrolle und einem größeren Augenmerk über die Wirksamkeit der sozialen Wohnraumförderung im Freistaat Sachsen. Der Bericht soll zudem die Entwicklung des Wohnungsmarktes kontinuierlich erfassen, um daraus auch erforderliche Anpassungen an die Bedarfe ableiten zu können.
Der jüngste Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat noch einmal deutlich herausgestellt, dass Armut ein Problem von Mieterinnen ist. Menschen, die in Armut leben sind fast ausschließlich eben Mieterinnen. Daher kommt der Wohnungspolitik auch eine ganz entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von Armut zu.
Der vorliegende Gesetzentwurf soll die soziale Wohnraumförderung in Sachsen voranbringen, bestehende Einzelregelungen zum Beispiel verschiedene Förderrichtlinien in einem Gesetz zusammenfassen, Zuständigkeiten klären und Kompetenzen bündeln – zum Beispiel durch eine Kooperation von Kommunen und Freistaat –, kurzfristige Maßnahmen und Unsicherheiten beseitigen und die soziale Wohnraumförderung als langfristiges Ziel festschreiben und einen klaren Auftrag formulieren, ausreichend sozialen Wohnungsbau in Sachsen zu realisieren.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem sich die Wogen wieder etwas geglättet haben, überlege ich gerade, wo ich beginne. Lassen Sie mich eingangs eines sagen:
Erstens. Wer grundsätzlich bei der Frage des Wohnens auf den Markt vertraut, der muss selbstverständlich auch für Situationen des Marktversagens Lösungen parat haben oder zumindest bereit sein, sie zu entwickeln, weil wir ansonsten in Städten – egal welcher Größe – gegebenenfalls seltsame und ungünstige Entwicklungen zu verzeichnen haben.
Zweitens. Kollege Fritzsche, betreffs Privatisierungen würde ich Ihnen anbieten, mit mir gemeinsam noch einmal ein Seminar zu unserem Grundgesetz zu belegen. Ich halte das Grundgesetz für eine zivilisatorische Errungenschaft, nicht nur, aber auch wegen der Artikel 14 und 15, in denen die Enteignung bzw. die Überführung in gemeinwirtschaftliches Eigentum geregelt ist – im Übrigen nicht entschädigungsfrei. Keine Angst! Selbst Vonovia oder andere würden selbstverständlich im Falle der Überführung von Eigentum in Gemeinwirtschaft entschädigt werden. Das schreibt das Grundgesetz schon vor. Also keine Angst!
Noch einmal zur Klärung: Ja, es waren damals Mitglieder der damaligen PDS-Fraktion im Dresdner Stadtrat an den Beschlüssen zum Verkauf der Woba beteiligt. Daraufhin hat sich diese Fraktion in einem schmerzlichen Prozess gespalten. Die Verkaufsgrundlagen, die dahinterstehende Ideologie, kommen daher, dass wir dem Zeitgeist des neoliberalen Neuverschuldungsverbotes in diesem Land in großen Zügen gefolgt sind. Das heißt, der Druck auf die Kommunen war, in irgendeiner Weise Handlungsfähigkeit zu generieren. In Dresden hat man sich tatsächlich dazu entschieden, diesen Ausweg zu suchen und die Woba zu verkaufen. Das muss man der Wahrheit halber auch dazu sagen und dazu denken.
Wenn man dieses Neuverschuldungsverbot im weiteren Verlauf der Geschichte für falsch hält, dann muss man es irgendwann wieder aufheben. Das ist aber eine andere Frage.
Meine Damen und Herren! Ja, das Mietenproblem und das Einkommensproblem, Kollege Fritzsche, hängen zusammen. Man kann es nicht separiert betrachten. Die Grundfrage ist, wie wir die Schere oder die Lücke zwischen der finanziellen Leistungsfähigkeit nicht des Durchschnitts, sondern sowohl der unteren als auch der mittleren Einkommensgruppen zu den Mieten, die ja nicht statisch sind, sondern sich ebenfalls entwickeln, geschlossen bekommen. Darum geht es bei der sozialen Wohnraumförderung, die tatsächlich mit 6,50 Euro Wiedervermietungsmiete kalt – darin hat Herr Günther vollkommen recht –tatsächlich nicht der Leistungsfähigkeit der unteren Einkommensschichten unserer Bevölkerung entspricht. Das ist ein Problem, und dafür haben wir keine Lösung.
Am Ende laden wir es – das ist auch Teil der Verordnung – auf die Kommunen ab, die den Rest, bitte schön, jetzt subventionieren sollen. Das ist in diesem Sinn keine soziale Wohnraumförderung, sondern nur ein Teil sozialer Wohnraumförderung.
Was wir brauchen, ist ein ganzer Strauß von Maßnahmen. Ich bin fest davon überzeugt: Sie können auch eine SBahn von Leipzig bis ins Erzgebirge legen, aber Sie werden es nicht schaffen, den Zuzug in Leipzig dadurch zu bremsen, dass Sie jetzt Abos für diese S-Bahn verkaufen. Das bezweifle ich zutiefst, und das war auch die Diskussion um die Schwarmverhaltensstudie.
Sie werden ganz einfach Lebensgefühl, eigene Wünsche und Perspektiven der Bevölkerung nicht dadurch lenken und steuern können – solche Versuche gab es früher einmal –, um solche Verteilungen hinzubekommen, dass Sie Leute über lange Wege bis in weiter entfernte Regionen umsteuern können. Das halte ich für Kokolores.
Wir brauchen folgende Maßnahmen: Wir brauchen eine Ausweitung der Förderung des sozialen Wohnungsbaus auch auf andere Städte, nicht nur für Leipzig und Dresden.
– Letzter Satz. Wir brauchen eine Anhebung der KdU-Angemessenheitsgrenze. Wir brauchen eine Anhebung der Einkommensgrenzen nach der Sächsischen Einkommensgrenzen-Verordnung. Sie ist wichtig für die soziale Wohnraumförderung.
Wir brauchen in diesem Sinne ein Umsteuern auf die anderen Regionen Sachsens bei der sozialen Wohnraumförderung.
Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Markert, gleich eingangs sage ich Ihnen gegenüber: Nein, der Begriff der juristischen Krücke ist nicht auf unserem Mist gewachsen. Im Ausschuss habe ich ausschließlich – Sie haben offensichtlich das Protokoll gelesen; das ist löblich – diesen Begriff in Bezug genommen. Es ging ja um die Diskussion des § 68 a, wenn ich das aus dem Stand heraus richtig rekapituliere.
Kollege Markert, ich darf Sie auf eines hinweisen: Es geht nicht darum, Vertrauen in Unternehmen, Vertrauen in die Verwaltung in irgendeiner Weise in Abrede zu stellen. Es geht um das Vertrauen bei den Sachverhalten, die der Whistleblower weitergeben will. Dafür genau braucht er den Schutz, wenn unsere Institutionen, unsere Verfahren nicht greifen, um den Whistleblower zu schützen. Wenn er solche Sachverhalte preisgeben will, weil er der Annahme sein muss, Kollege Markert, dass auf andere Weise keine Abhilfe möglich ist – um diesen Umstand geht es. Da können Sie mir mit Vertrauen kommen, bis Ostern und Weihnachten zusammen auf einen Tag fallen. Das wird an dieser Stelle nicht funktionieren.
Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Gesetzentwurf der GRÜNEN komme, will ich ein paar allgemeine Ausführungen bringen, um auch Ihnen, Kollege Markert, zu helfen, den Sachverhalt zu erhellen und die simple Logik des Whistleblowings zu verstehen. Trotz aller formalen rechtsstaatlichen Kontroll- und Korrekturmechanismen gelingt es in Machtpositionen befindlichen Entscheidungsträgern, Fehlverhalten und Korruption zum Schaden der Allgemeinheit zu verschleiern oder gänzlich geheim zu halten. Auch das ist uns in Sachsen nicht gänzlich unbekannt.
Das mittlerweile klassische Beispiel ist – ich schweife ins Ausland – der Snowden-Fall. Wir wüssten bis heute nicht, was im Bereich der Bespitzelung im Internet so vor sich geht, hätte es nicht Edward Snowden gegeben, der sich über alle Bedenken hinwegsetzte und in Kauf nahm, fortan als Persona non grata zu gelten.
Allerdings frage ich – und das unterstreicht die Notwendigkeit dieses Gesetzes in Sachsen –: Was hat sich seitdem getan? Was hat sich geändert? – Offen gestanden: nichts, was irgendwie anzeigen könnte, dass Konsequenzen aus dieser Affäre gezogen wurden. Das Massendatenschnüffeln geht munter weiter und wird auf EU-Ebene offenkundig befördert. Erinnert sei an dieser Stelle an die Verhandlungen zur E-Evidence-Verordnung oder zum sogenannten CLOUD Act, der den Zugriff von USBehörden auf Unternehmensdaten eröffnet bzw. regelt, soweit diese Unternehmen dem US-Recht unterliegen. Das tritt für die großen Internetfirmen – Google, Facebook, Amazon – fast ausnahmslos zu.
Es lässt sich also ohne Mühe eine Entwicklung auf der staatlichen und Wirtschaftsebene beschreiben, die sehr wohl als Übermacht hinsichtlich der Möglichkeit und Fähigkeit zur Kontrolle über Menschen bezeichnet werden kann und die mitnichten transparent und kontrollier
bar ist. Hier bedarf es eines Gegengewichtes, das wenigstens die Chance eines Schutzes des Individuums eröffnet, wenn offenkundiger Machtmissbrauch in den zunächst rechtsstaatlich vorgesehenen Kontrollmechanismen nicht zu stoppen ist. Gleichwohl muss man hier sensibel sein. Eigentlich ist die Idee der Whistleblower eine Hilfskonstruktion, die eröffnet werden muss, weil sich die Mächtigen das Recht unterwerfen – also das Gegenteil von Rechtsstaat, in dem die Macht dem Recht unterworfen werden sollte. Der Geheimnisverrat bleibt demnach die einzige Möglichkeit, den Machtmissbrauch demokratisch wieder einzufangen.
Allerdings entsteht damit auch ein zweischneidiges Schwert – das will ich einräumen –, weil es die Einzelne bzw. den Einzelnen in ein Dilemma der persönlichen Abwägung zwingt, indem auch subjektiv falsche Entscheidungen getroffen werden können. Einzelpersonen, die aus ihrem politischen, behördlichen oder betrieblichen Umfeld heraus Missstände gegenüber Personen oder Stellen offenlegen, von denen angenommen werden kann, dass diese in der Lage sind, Abhilfe zu schaffen oder sonst angemessen zu reagieren, verdienen nach unserer Auffassung Schutz.
Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass Schutzgesetze für Whistleblower dort, wo es sie gibt, das Ansehen dieser Person und ihrer Situation wesentlich verbessern können. Diese Schutzgesetze sind aber in Deutschland derzeit nicht ausreichend vorhanden: weder auf der Bundesebene noch auf der Landesebene, weder für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch für Beamtinnen und Beamte.
Wir wissen, dass insbesondere – Kollege Markert, jetzt kommt es – der hier geplante § 68 a Abs. 1 des Sächsischen Beamtengesetzes in der neuen Fassung des Gesetzentwurfs der GRÜNEN, demzufolge die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 353 b Abs. 4 Strafgesetzbuch nicht erteilt wird, problematisch sein könnte. Zu § 353 b Abs. 4 Strafgesetzbuch hat die Staatsanwaltschaft zu klären, ob die Ermächtigung erteilt wird.
Diese juristische Krücke – wie es in der Sachverständigenanhörung bezeichnet wurde – eröffnet zumindest ein verfassungsrechtliches Diskussionsfeld. Das will ich ohne Zweifel einräumen und dessen sind wir uns auch bewusst. In der Gesamtschau und nach Erörterung werden wir dem Gesetzentwurf der GRÜNEN zustimmen.
Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute wollen Sie als Sächsische Staatsregierung das Projekt zum Abschluss bringen und als die Regierung tragende Koalition das Gesetz zur Neustrukturierung des Polizei
rechts des Freistaates Sachsen beschließen. Ich will es gleich von vornherein sagen: Wir lehnen dieses Gesetz aus mehreren Gründen ab.
Es stellt sich zunächst die Frage, ob dieses Gesetz überhaupt notwendig ist – eine Frage, die für den Gesetzgeber durchaus von Belang ist.
Meine Damen und Herren! In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es unter anderem – ich zitiere –: „Die Landesregierung“ – offenbar haben Sie aus einem anderen Begründungstext abgeschrieben, aber okay – „verfolgt mit dem Gesetzentwurf das Ziel einer modernen und effizienten Neugestaltung des Polizeirechts, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger weiterhin auf hohem Niveau gewährleisten zu können.“
Weiter unter Punkt C, „Notwendigkeit der Regelungen“, heißt es: „Die Prüfung des Sächsischen Polizeigesetzes“ – also des jetzt geltenden – „hat zu dem Ergebnis geführt, dass zum Zweck der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit dem Polizeivollzugsdienst als Mittel der Aufgabenerfüllung neue Befugnisse zugewiesen werden müssen und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu regeln sind.“
Bei der Einbringung des Gesetzes im Innenausschuss hat Herr Staatsminister Wöller ebenso auf die Kriminalitätsentwicklung abgestellt, wie es Kollege Anton soeben auch, zumindest zum Schluss, getan hat.
Am 3. April haben Sie, Herr Staatsminister, die Polizeiliche Kriminalstatistik veröffentlicht. In der Medieninformation des Innenministers heißt es: „Die Zahl der Straftaten im Freistaat Sachsen hat im Jahr 2018 den niedrigsten Stand der letzten zehn Jahre erreicht. Insgesamt wurden 278 796 Fälle registriert, 2017 waren es noch 323 136. Das ist ein Rückgang von 13,7 %. Gesunken sind die Anzahl der Wohnungseinbruchs- und Kraftwagendiebstähle sowie die Fälle von Grenz- und Gewaltkriminalität.“
Das, Herr Staatsminister, ist nur die halbe Wahrheit. Die Zahl der Straftaten hat den niedrigsten Stand seit 25 Jahren erreicht. Alle mir vorliegenden Zahlen bis zurück auf 1993 – hier ist ja, Herr Staatsminister, Ihr Haus bei Antworten auf Anfragen durchaus freimütig – sind höher als die von 2018. Selbst bei Mord und Totschlag liegen die jetzigen Zahlen deutlich unter dem langjährigen Trend – wie auch bei Raubüberfällen auf Straßen und Wegen.
Vielen Dank für die Frage. Dazu wäre ich auch noch gekommen. Der Punkt ist, dass uns über lange Zeit immer gesagt wurde: Das Polizeirecht muss novelliert werden, um der Polizei Befugnisse zu geben, um – so wie es auch Herr Anton gesagt hat – „vor die Lage“ zu kommen.
Das Absinken der Zahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik, und zwar von über 400 000 im Jahr 1994 auf nunmehr 278 000, zeigt eindeutig, dass diese Kriminalstatistik möglich wird ohne neue Befugnisse, ohne einen tiefen Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte. Wenn ich noch einmal auf das zurückkomme, was Herr Anton vorhin in Bezug genommen hat, und den Fall Al Bakr nehmen darf, dann ist der Punkt: Selbst solche Straftaten sind vereitelt worden ohne dieses neue Polizeirecht, ohne diese Eingriffsbefugnisse, weil durch das Zusammenwirken von Länder- und Bundesbehörden über das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) eine stabile Zusammenarbeit gewährleistet war.
Das Problem bei Al-Bakr lag ganz woanders: Das lag daran, dass unsere sächsische Polizei nicht imstande war, die Festnahme in Chemnitz unter den Voraussetzungen auch technischer Art, die sie hatte, so zu gewährleisten, wie es erforderlich gewesen wäre.
Die Kriminalstatistik, die uns jetzt vorliegt – die neuesten Zahlen und im Übrigen auch schon die Zahlen des Vorjahres und jene von 2016 –, rechtfertigen ein Polizeirecht dieses Ausmaßes nach meinem Dafürhalten nicht im Ansatz. Die Polizeiliche Kriminalstatistik spricht eher dafür, dass wir das lieber so grundrechtsschonend belassen sollten, wie es derzeit ist.
Das müssten Sie Herrn Jalaß fragen.
Ach so, Entschuldigung. Aus meiner Warte: Ja.
Ja, die Frage ist verstanden worden, vielen Dank, Herr Präsident.
Aus der Anhörung ist nach unserem Dafürhalten klar hervorgegangen – – Dazu muss man noch sagen, dass in dieser Anhörung logischerweise hauptsächlich Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender befragt wurden, sprich Polizeibedienstete, die seitens der Koalition sicherlich eingeladen waren, um ihre Sicht der Dinge aus der praktischen Perspektive zu schildern. In der Anhörung ist dadurch ein durchaus geteiltes Bild entstanden.
Einerseits haben die Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender, also die Polizeibediensteten, einen Großteil der Befugnisse, die das Polizeigesetz jetzt beabsichtigt oder vorsieht, überwiegend als richtig dargestellt – bis hin zu dem Hinweis, man solle auch die Bodycam einführen.
Andererseits wurde vonseiten anderer Sachverständiger, beispielsweise durch Frau Dr. Scharlau von Amnesty International oder durch den ehemaligen Innensenator von Berlin – – Eberhard, Erhard?
Vielen Dank. Ehrhart Körting hat beispielsweise auf die Befugnis zum Einsatz von Maschinengewehren und Handgranaten hingewiesen. Herr Dr. Körting sagte, dies erschließe sich ihm überhaupt nicht und er kenne auch keinen Fall, in dem in Sachsen bislang der Einsatz von Maschinengewehren oder Handgranaten erforderlich gewesen wäre. So etwas könne er sich relativ schwer vorstellen. Er hat diesen Teil also kritisiert.
Frau Scharlau von Amnesty International hat insbesondere auf die Frage abgestellt, was eigentlich passiere, wenn Eingriffsbefugnisse und Eingriffsschwellen der Polizei auf dieser gesetzlichen Grundlage so weit in das Vorfeld von konkreten Gefahren, das Vorfeld der Vorbereitung von Straftaten vorverlegt würden – im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit. Kann ein Bürger überhaupt noch darauf bauen, dass er auf gesetzlicher Grundlage wissen kann, wann er durch sein Verhalten Anlass dazu gibt, dass die Polizei ihn ins Visier nimmt?
Diese Fragen sind in der Anhörung sehr ausgiebig diskutiert worden, aufgrund der Zusammensetzung der geladenen Sachverständigen logischerweise durchaus kontrovers; ich habe es eben dargestellt. Nach meinem Dafür
halten – und diese Auffassung stützt, soweit ich mich erinnere, auch Herr Prof. Arzt, der als Sachverständiger dabei war –
sind diese Grundrechtseingriffe, die hier ermöglicht werden, so weitreichend und so tief, dass sie bis in den Kernbereich privater Lebensgestaltung reichen. Sie sind unverhältnismäßig und stützen in diesem Sinne auch die Sichtweise, dass dieses Gesetz einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durchaus nicht standhalten würde.
Bitte.
Das Problem bei der ganzen Geschichte ist, dass wir in der Gefahrenabwehr – das haben die Sachverständigen, gerade Prof. Arzt und Frau Scharlau, aber auch der Rechtsanwalt Moini ausgeführt – eine weite Vorverlagerung dieser Eingriffsbefugnisse haben, und zwar – das ist der Punkt – weit vor eine konkreten Gefahr.
Das fußt auf der reinen Mutmaßung, dass die betreffende Person in überschaubarer Zukunft eine wie auch immer geartete Straftat begehen wird. Das ist der Grundsatz, der sich quer durch das gesamte Gesetz zieht, unabhängig davon, ob das allgemeine Straftaten oder terroristische Straftaten betrifft. Das ist im Übrigen noch einmal ein Sonderfall, auch in Bezug auf das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung.
Das Problem hierbei ist, dass der Bürger, der durch ein Verhalten ins Visier gerät und nun sozusagen der Gefahrenabwehr unterfällt, sein Verhalten selbst nicht entsprechend regeln oder steuern kann, weil er nicht weiß, nach welchen Kriterien er ins Visier geraten kann.
Noch dazu haben die Sachverständigen, insbesondere Prof. Arzt, auch erörtert, ob es überhaupt zulässig ist, über dieses Polizeigesetz eine Verhaltensänderung erreichen oder herbeiführen zu wollen – ob also der Staat überhaupt ein Recht dazu hat, entsprechend zu beeinflussen.
Moment, wir sind hier weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr.
Ich bitte um Entschuldigung.
Das war mein Fehler; ich bitte um Entschuldigung. Die Frage ist beantwortet.
Ich fahre fort, Herr Präsident. In der „Leipziger Volkszeitung“, den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ wird dazu, zur Polizeilichen Kriminalstatistik, am 3. April 2019 Folgendes ausgeführt, ich zitiere:
„Sachsen ist ein sicheres Bundesland“, sagte Innenminister Roland Wöller am Mittwoch bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2018. Die insgesamt positive Bilanz dürfe allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, „dass die Lage nach wie vor angespannt“ sei. Es sei außerdem verfrüht, von einer Trendwende zu sprechen, so Wöller. Hinzu komme: „Die gefühlte Kriminalität“ sei „leicht gestiegen. Das nehmen wir ernst.“
Sehr geehrter Herr Staatsminister! Bei allem Dafürhalten und ganz im Ernst: Das kann, bitte, nicht Ihr Ernst sein. Das kann wirklich nicht Ihr Ernst sein, dass Sie „gefühlte Kriminalität“ ernst nehmen
und dann sagen, eine Trendwende sei noch nicht erreicht. Welchen Trend wollen Sie wenden? Den Trend der rückläufigen Kriminalitätszahlen? Geht es im Prinzip darum, zu erhoffen oder zu wünschen, dass die Kriminalitätszahlen nach oben gehen, um auf dieser Seite dieses Gesetz rechtfertigen zu können?
Das halte ich für ziemlich waghalsig, was Sie da gesagt haben.
Bitte. Wer?
Ich versuche darauf zu antworten.
Das ist logischerweise eine politische Wertung. Ich gehe davon aus, dass angesichts der bislang prognostizierten Wahlergebnisse offenbar eine Seite des Hohen Hauses der Auffassung ist, ein solches Projekt, ein solches Gesetz auf jeden Fall noch vor der Landtagswahl durch das Hohe Haus zu bringen und damit die entsprechenden Befugnisse den Polizeibehörden an die Hand zu geben.
Zu der Frage, warum der Protest nicht gehört wird, gab es ja eine Petition von knapp 21 000 Petentinnen und Petenten, die sich gegen dieses Polizeigesetz gewandt und die Petition dem Sächsischen Landtag zugeleitet haben. Der Herr Präsident hat am 13. März diese Petition entgegengenommen, also vor nunmehr einem Monat zum Plenum.
Die Frage, sehr geehrter Kollege Jalaß, müssen einfach die beantworten, die für dieses Gesetz verantwortlich zeichnen, weshalb sie die Bedenken einerseits aus den Anhörungen und andererseits die Bedenken der Petentinnen und Petenten gegen dieses Gesetz und in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes so ignorieren. Ich kann Ihnen die Beweggründe nur aus meiner Mutmaßung heraus formulieren. Ich gehe davon aus, dass man unbedingt will, dass diese Befugnisse der Polizei an die Hand gegeben werden, unabhängig von den Bedenken und unabhängig von den verfassungsrechtlichen Zweifeln, die nicht nur uns und nicht nur die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN umtreiben, sondern eben auch die Petentinnen und Petenten.
Ich fahre fort, Herr Präsident!
Schon von der allgemeinen Kriminalitätsentwicklung her ist das Gesetz nach unserer Auffassung unnötig. Die datenschutzrechtlichen Anpassungen, die aufgrund der Europäischen Datenschutzgrundverordnung und der EUDatenschutzrichtlinie der eigentliche Anlass für die Novellierung der Polizeigesetze sowohl in Sachsen als auch in anderen Ländern waren, hätten auch im bestehenden geltenden Sächsischen Polizeigesetz erfolgen können. Dafür ist das neue Gesetz nicht nötig.
Warum also dieses Gesetz? Die Hinweise auf mutmaßliche terroristische Straftaten und deren Verhütung ziehen sich quer durch das Gesetz. In der Sachverständigenanhörung hat die Sachverständige Pohlmeier vom Bundeskriminalamt dazu unter anderem ausgeführt: „Das BKA ist für die Gefahrenabwehr und Ermittlung zu terroristischen Straftaten und Vorbereitungshandlungen zuständig.“
Was sie aber dazu ausführt, weshalb Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung auch über die Befugnisse dieses vorliegenden Gesetzes hinaus jetzt auf Landesebene Einzug halten sollten, ist durchaus interessant. Ich zitiere: „Sehr viele der so konkreten und ernstzunehmenden Hinweise, die wir bearbeiten, kommen von ausländischen Nachrichtendiensten. Die ausländischen Nachrichtendienste übermitteln uns solche Hinweise. Nehmen Sie als Beispiel, dass wir den Hinweis bekommen, eine Person in Deutschland versucht, sich mit dem IS in Verbindung zu setzen und sich als Attentäter zur Verfügung zu stellen.
Solche Hinweise bekommen wir von den Nachrichtendiensten häufig mit einer Verwendungsbeschränkung, nämlich diese Information ausschließlich zur Gefahrenabwehr zu nutzen, nicht für die Strafverfolgung. Warum ist das so? Die ausländischen Nachrichtendienste fürchten das öffentliche Verfahren, das öffentliche Strafverfahren. Sie fürchten, dass in der öffentlichen Verhandlung publik wird über diese Information, welche Überwachungsmethoden sie haben, bzw. sie befürchten, wenn diese Informationen von einer menschlichen Quelle kommen, von einem Hinweisgeber, dass durch die öffentliche Verhandlung Details bekannt werden, die es erlauben, diesen Hinweisgeber zu identifizieren und damit in Gefahr zu bringen.“
Sicher, Quellenschutz ist durchaus ein ernstzunehmendes Interesse. Daran habe ich keinen Zweifel. Soll dieser aber tatsächlich herhalten, um die Befugnisverlagerung auf die Landespolizeien zu ermöglichen?
Es ist festzuhalten, dass sich die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken der Bundesbehörden und der Länderbehörden auch polizeipräventiv bewährt hat. Das hat gerade – auch wenn es bei der Festnahme fehlgeschlagen ist – der Fall al-Bakr gezeigt. Diese Zusammenarbeit über das GTAZ sollte fortgesetzt werden, ohne die Befugnisse im Landespolizeigesetz zu öffnen.
Mit der Einführung des Instrumentariums aus dem Strafprozessrecht in das Gefahrenabwehrrecht hinein ver
schwimmen im Gesetz die Grenzen hinsichtlich der Befugnisse zwischen Prävention terroristischer Straftaten und allgemeiner Kriminalität. Die Eingriffsschwellen werden weit in das Gefahrenvorfeld verlegt. Dazu Frau Scharlau in der Sachverständigenanhörung – Zitat –: „Aus unserer Sicht liegt die Hauptgefahr in der nicht vorhandenen Definition dieser Vorfeldgefahr, in der fehlenden Bestimmtheit und fehlenden Rechtssicherheit. Die Menschen müssen in einem Rechtsstaat wissen, durch welches Verhalten sie ins Visier der Polizei geraten können.
Man sollte sich die Definition auf der Zunge zergehen lassen – ich zitiere beispielhaft § 21 Abs. 2 Nr. 2 –: ‚… wenn … das Verhalten der betroffenen Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in überschaubarer Zukunft eine terroristische Straftat begehen wird.‘“ „Aus unserer Sicht“ – so Frau Scharlau weiter – „ist einfach nicht klar genug, und zwar weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung, welche Anhaltspunkte, welches Verhalten denn diese Voraussetzungen erfüllen kann.“
Mit der Errichtung der Straftatbestände zu terroristischen Straftaten § 278 b terroristische Vereinigung, § 278 c terroristische Straftaten, § 278 d Terrorismusfinanzierung, § 278 e Ausbildung für terroristische Zwecke, § 278 f Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat, § 278 g Reisen für terroristische Zwecke, § 279 bewaffnete Verbindungen, § 280 Ansammeln von Kampfmitteln, § 282 Aufforderung und Gutheißung im Strafgesetzbuch und mit den entsprechenden Instrumentarien der Strafprozessordnung sind jene Befugnisse für die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden gegeben, die dazu erforderlich sind. Das trifft für terrorverdächtige Rückkehrer aus IS-Gebieten ebenso zu wie für zum Terroristen Ausgebildete.
Nun soll sich dieser singulär im BKA-Gesetz für die Terrorismusbekämpfung gefasste Gefährderansatz über den Terrorbezug hinaus im polizeilichen Gefahrenabwehrrecht festsetzen, und zwar eben nicht mehr nur für terroristische Straftaten. Das greift einfach zu weit in die Grund- und Freiheitsrechte ein. Solche Formulierungen als Befugnisgrundlage finden sich zur längerfristigen Observation, zur Telekommunikationsüberwachung, zu Meldeauflagen, Aufenthaltsge- und -verboten, zu Kontaktverboten, zur Fußfessel sowie in weiteren Regelungen dieses Gesetzes. Das gilt zur allgemeinen Straftatenverhütung, nicht nur zur Verhütung terroristischer Straftaten.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich darüber hinaus einige weitere fragwürdige Regelungen hier kursorisch diskutieren.
Das verfassungsrechtliche Trennungsgebot von polizeilicher Gefahrenabwehr und nachrichtendienstlicher Aufklärung aus Artikel 83 Abs. 3 der Sächsischen Verfassung ist hinsichtlich der längerfristigen Observation in § 63 und des Einsatzes von V-Personen in § 64 nach unserer Auffassung deutlich berührt.
Es ist auch eine Frage der Rechtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger, wie sich die §§ 20 Meldeauflagen und
21 Aufenthaltsge- und -verbote auf sie auswirken. Hier werden ohne begangene Verstöße – das ist der Punkt – rein auf die Mutmaßung zukünftiger Straftaten repressive Maßnahmen ermöglicht, und das zur Prävention. Auch hier gilt, was Frau Scharlau sagte: „Die Menschen müssen in einem Rechtsstaat wissen, durch welches Verhalten sie ins Visier der Polizei geraten können.“ Das aber bietet dieses Gesetz eben nicht.
Nicht nur der Sächsische Datenschutzbeauftragte bezweifelte, dass dieses Gesetz in wesentlichen Teilen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten könnte. Allerdings ficht das die Koalition nicht an. Spätestens mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur automatisierten Kennzeichenerkennung hinsichtlich der Regelungen der Polizeigesetze in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg stehen die Regelungen zur Kennzeichenerkennung sowie zur Videografie mit Gesichtserkennung ebenso auf wackeligen Füßen.
Lassen Sie mich noch kurz zur Bodycam ausführen. Es gibt bisher keinen wissenschaftlichen Beleg – ich wiederhole: es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg – dafür, dass Bodycams präventiv wirken, im Gegenteil. Durch die Befragung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Rahmen der Studie der Hochschule der sächsischen Polizei zum Einsatz von Bodycams kommen erhebliche Zweifel an der präventiven Wirkung von Bodycams auf.
Auf die Frage, ob bei bisherigen Einsätzen der Bodycam der gewünschte Effekt, den präventiven Druck auf den betroffenen Verantwortlichen zu erhöhen, eingetreten ist, gaben von den eingesetzten Polizeibeamten 26,6 % „ja“ an, davon 4,4 % „voll und ganz“, 22,2 % „überwiegend ja“. 47,8 % gaben „nein“ an, 16,7 % davon „überwiegend nein“ und 31,1 % „nie“. Des Weiteren gaben 14 % an, die Ankündigung, die Bodycam einzuschalten, wirke auf den betroffenen Bürger deeskalierend, und 29 % gaben an, diese Ankündigung verursache Zündstoff in der Diskussion mit dem betroffenen Bürger.
Fazit. Das neue Polizeirecht schafft mehr Unsicherheit und Überwachung. Mit dem Gesetzentwurf werden nicht nur umfangreiche Befugnisse zu tiefen Eingriffen in die Grund- und Freiheitsrechte weit in das Vorfeld konkreter Gefahren verlagert. Damit wird nun die Annahme, jede und jeder könnte Gefährder(in) sein, zur Misstrauensbekundung des Staates gegen die Bürgerinnen und Bürger. Niemand hat uns bisher ernsthaft und stichhaltig erklären können, weshalb dieses Gesetz erforderlich ist. Wir haben auch mit Kriminalisten Gespräche geführt. Zugleich werden wichtige rechtsstaatliche Grundsätze über Bord geworfen, obwohl gegen niemanden, der zukünftig auf der Grundlage dieser Regelung in das Fadenkreuz der Polizei gerät, der Verdacht einer begangenen Straftat vorliegen wird. Es sollen Maßnahmen ergriffen werden dürfen, die den klassischen Ermittlungshandlungen nach Strafprozessrecht bei Strafverfolgungsmaßnahmen gleichen. Dabei sollen Staatsanwaltschaften und Strafverteidigung außen vor bleiben, weil die Polizei künftig einfach
so und ungestört Daten und Informationen sammeln können soll.
Hier wird nicht das Vertrauen in die Polizei gestärkt, vielmehr wird der Rechtsstaat geschwächt. Wegen dieser grundsätzlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Gesetzes werden wir das Gesetz ablehnen.
Der Ministerpräsident – hallo! – lässt sich heute in der „Leipziger Volkszeitung“ und in den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ zitieren: „,Viele Interessen, viele Hinweise und auch Kritik wurden eingearbeitet. In der Demokratie gehört neben der Diskussion und dem Abwägen am Ende auch dazu, zu entscheiden. Ich wünsche mir sehr, dass auch diejenigen, die Kritik an dem Gesetz hatten, es akzeptieren, dass eine politische demokratische Mehrheit jetzt eine Entscheidung getroffen hat‘, appellierte der Regierungschef an die Gegner des Polizeigesetzes.“
Herr Ministerpräsident, ja, wir haben zu akzeptieren, dass eine parlamentarische Mehrheit heute eine Entscheidung treffen und dieses Gesetz vermutlich verabschieden wird. Sie haben aber auch zu akzeptieren, dass, auch wenn wir nur eine Minderheit in diesem Hohen Haus sind, unsere inhaltlichen Zweifel hinsichtlich der Notwendigkeit dieses Gesetzes und hinsichtlich der tiefen Grundrechtseingriffe, die durch die Befugnisse dieses Gesetzes eröffnet werden, weder ausgeräumt noch verflogen sind.
Ganz im Gegenteil: Die Anhörung zum Gesetz und zur Bodycam, zahlreiche Stellungnahmen von Berufsverbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie des Datenschutzbeauftragten bestärken uns in unserer Ablehnung dieses Gesetzes. Herr Ministerpräsident, Sie haben zu akzeptieren, dass nicht durch Mehrheit über die Frage entschieden werden wird, ob dieses Gesetz oder Teile des Gesetzes mit dem Grundgesetz und der Sächsischen Verfassung vereinbar sind, sondern nach wie vor darüber das Sächsische Verfassungsgericht zu entscheiden hat, das wir logischerweise, gemeinsam mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zu einer Normenkontrollklage anrufen werden.
Sie als Abgeordnete des Sächsischen Landtags, meine Damen und Herren, sind die Vertreter des gesamten Volkes, und Sie sind letztlich nur der Verfassung und Ihrem Gewissen unterworfen.
Sie haben das bei Ihrer heutigen Entscheidung zu berücksichtigen. Das wollen wir Ihnen ins Gedächtnis rufen, und wir beantragen hiermit für die Schlussabstimmung über dieses Gesetz die namentliche Abstimmung.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei den LINKEN – Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE erheben sich von ihren Plätzen und halten rote bzw. weiße Transparente mit der Aufschrift „Freistaat statt Polizeistaat!“ hoch. – Oh-Rufe von der CDU – Zuruf von der AfD: Rausschmeißen!)
Vielen Dank, Herr Präsident, für die Möglichkeit einer Kurzintervention.
Ich möchte Herrn Kollegen Anton auf die Veröffentlichung zur Polizeilichen Kriminalstatistik des Sächsischen Staatsministers des Innern Herrn Professor Dr. Wöller hinweisen. Dort wird auf der Seite 3 der Folien – da muss man nicht mal lesen, da kann man sogar Bilder anschauen – ausgeführt,
dass die Grenzkriminalität nochmals stark gesunken ist, und zwar von 2014 auf 2018 von 22 269 auf 16 945 Fälle. Das will ich nur dazusagen.
Eine zweite Zahl: Wir hatten insgesamt in 1995 den Höchststand verzeichnet, 403 410 Straftaten, und 2018 waren es 278 000.
Herr Präsident, es ist nicht so einfach, eine Kurzintervention zu machen,
wenn dazwischengepöbelt wird.
Vielen Dank, Herr Präsident! Sie sind sehr freundlich zu mir.
Das ist ein Rückgang von 1995 auf 2018 um sage und schreibe 31 %. Ich will darauf hinweisen: Es sind keine Peanuts, Kollege Anton. Das ist Mathematik, wenn man das zusammenrechnet.
Vielen Dank. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden die Änderungsanträge grundsätzlich ablehnen. Ich begründe Ihnen das auch. Erstens sind wir der Auffassung, dass dieses Gesetz, wie wir es auch in der Diskussion dargestellt haben, durch diese Änderungsanträge nicht in irgendeiner Art und Weise so verbessert werden kann, dass es unserer grundsätzlichen Einschätzung näher kommt, eigentlich zustimmungsfähig zu werden.
Zweitens. Zu den Änderungsanträgen der AfD: Wir lehnen Taser, wir lehnen Gummischrot etc. ab.
Ganz kurz noch zu den Alkoholverbotszonenregelungen. Kollege Pallas hat gerade auf Görlitz hingewiesen. Ich bin mir nicht sicher, ob das falsche Anwendung war oder ob einfach die Voraussetzung der Abgrenzbarkeit usw. die Schwierigkeit darstellt. Bei diesem Gesetz muss auf jeden Fall eine Kausalität zwischen Alkoholgenuss und Straftaten bzw. Alkoholgenuss und Ordnungswidrigkeiten hergeleitet werden. All das halten wir für unwägbar für die kommunalen Verwaltungen, sodass wir auch dies für untauglich erachten.
Herr Präsident! Ich bin ein wenig irritiert, da bei vorangegangenen Gesetzentwürfen der Berichterstatter zumindest gefragt wurde, ob er noch das Wort ergreifen möchte. Das ist hier nicht der Fall gewesen. War dies nicht vorgesehen?
Dann nehme ich zur Kenntnis, dass das vom Tagungspräsidium nicht angefragt wurde. Der Berichterstatter wurde einfach nicht gefragt. Bisher war das so üblich.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich mache ebenfalls von meinem Recht als Abgeordneter des Sächsischen Landtags Gebrauch, nach einer Abstimmung eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten abzugeben.
Ich habe gegen das Sächsische Polizeigesetz bzw. gegen diese Gesetzesnovelle gestimmt, weil mir nach wie vor – auch in der zugegebenermaßen sehr hitzigen und leidenschaftlichen Debatte – niemand ernsthaft eine Begründung geben konnte, weshalb Instrumentarien aus der Strafprozessordnung – also sprich: aus dem Strafverfahrensrecht – nach vorn ins polizeiliche Gefahrenabwehrrecht geräumt werden müssen. Das konnte mir niemand stichhaltig nachweisen. Mir konnte auch niemand stichhaltig nachweisen – im Übrigen auch nicht im Gespräch mit Kriminalisten –, weshalb das unbedingt gebraucht wird. Die Begründung, dass dies zur Terrorismusabwehr nötig sei, ist an dieser Stelle nicht tauglich.
Ich möchte einen zweiten Grund anführen, der mich eher zu den innerparlamentarischen Verfahren führt. Es gab umfangreiche Anhörungsbegehren, und zwar aus dem Änderungsantrag der Koalition heraus, zu denen man sich qua Mehrheit über diese Begehren hinweggesetzt hat. Man hat gesagt: Nein, das muss nicht angehört werden. Das mag sein, aber es wäre für eine gute Gesetzgebung im Sinne einer umfangreichen Sachverhaltsaufklärung hilfreich gewesen, diese Anhörungsbegehren nicht in den Wind zu schlagen, sondern sie durchzuführen.
Als letzten Punkt möchte ich ansprechen: Herr Präsident hat die Petition, die von knapp 21 000 Petentinnen und Petenten unterzeichnet wurde, ausweislich des Schreibens des Petitionsdienstes vom 14. März 2019 bereits an den Innenausschuss zur Behandlung überwiesen. Das ist bedauerlich. Leider ist das Schreiben des Herrn Präsidenten zur Überweisung mit Datum vom 25. März 2019 dem Innenausschuss erst am 27. März 2019 um 16:19 Uhr per Beratungs- und Informationsmaterial zur Kenntnis gegeben worden. Einen Tag darauf hat bereits die abschließende Behandlung stattgefunden, sodass die Darstellung der
Petentinnen und Petenten keinen Eingang mehr in die abschließenden Beratungen finden konnte.
Das finde ich für das Verfahren über ein so grundrechtsinvasives Gesetz sehr bedauerlich. Auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine Sternstunde parlamentarischen Handelns im Umgang mit den Auffassungen der Bürgerinnen und Bürger gewesen.
Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Pohle, ich weiß, eine Zwischenfrage in diese Richtung ist relativ selten, aber Ihr vorvorletzter Satz hat mich doch ziemlich irritiert. Haben Sie gesagt: Mit Ihrer zentralen Vertrauens-, Verwunderungs- und Beschwerdestelle – oder so etwas – verbleibt das in der Legislative?
Herr Pohle ist der Auffassung, Sie sind als Regierung Legislative. Also haben Sie sich geirrt?
Gut, einverstanden, Sie haben sich geirrt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen liegt zur Schlussberatung der Gesetzentwurf zur Schaffung einer Polizeikommission vor. Wie Sie wissen, ist die Idee einer unabhängigen Kontroll- und Untersuchungsstelle für die Arbeit der Polizei nicht neu, und meine Fraktion befasst sich ebenfalls gemeinsam mit der Gewerkschaft der Polizei und anderen zivilgesellschaftlichen Vereinigungen seit Jahren mit der Frage, wie im Verhältnis von Bürgerinnen und Bürgern zur Polizei und umgekehrt sowie im Verhältnis der Polizeibediensteten zu Dienstvorgesetzten im Streit- und Auseinandersetzungsfall die Verfahrensweise so gesichert werden kann, dass die berechtigten Interessen der Verfahrensbeteiligten geschützt und dennoch auf vernünftige und rechtssichere Weise Anliegen einer sinnvollen Klärung zugeführt werden können.
Dort besteht schon der Unterschied, Kollege Pohle: Es geht nicht darum, dass sich Bedienstete der Polizei zum Beispiel an Verwaltungsgerichte wenden müssen, sondern dass sie sich bei solch schwerwiegenden, sich auch im
Dienstgeschehen vollziehenden Sachverhalten erst einmal vertrauensvoll an eine Stelle wenden können, wenn der direkte Weg über den Dienstvorgesetzten eher unangebracht scheint. Das ist im Übrigen eine alte Forderung der Polizeigewerkschaft, auf die Sie bei Wünschen zum Polizeigesetz sehr wohl gehört haben. Nur verhallen die Wünsche an dieser Stelle im Nichts.
Dass insbesondere ein auf diese Weise gesetzlich gesichertes Verfahren durch eine unabhängige Stelle eine der wichtigsten vertrauensbildenden Maßnahmen des Staates im Verhältnis von Bürgerinnen und Bürgern zu einem zentralen Akteur bei der Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung sein muss, liegt nicht nur auf der Hand, sondern ist auch in der Koalition und – wenn auch eher widerwillig – auf der Regierungsbank als gesicherte Erkenntnis angekommen. Ich möchte jetzt nicht aus dem Koalitionsvertrag und aus Ihrer Begründung zur Beschwerdestelle beim Chef der Staatskanzlei zitieren, aber so lautet es im Koalitionsvertrag.
Nach einigem Hin und Her zur Polizeirechtsnovelle haben Sie, die Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sich kollektiv dem Irrglauben unterworfen, durch Herauslösung der sogenannten unabhängigen zentralen Beschwerdestelle der Polizei aus dem Innenministerium und ihre Verpflanzung in die Staatskanzlei wäre ein gehöriger Zugewinn an Unabhängigkeit erreicht. Allein ich darf Sie beruhigen: Selbst die durch die Polizeirechtsnovelle beschlossenen Änderungen in Bezug auf diese Beschwerdeannahmestelle machen das alles nicht unabhängig. Selbst wenn im Gesetz etwas anderes steht, bleibt doch die Praxis das Kriterium der Wahrheit,
und die bisherige Praxis der von Ihnen damals schon als zentrale unabhängige Beschwerdestelle bezeichneten Stelle deutet eher darauf hin, dass sie eben nicht unabhängig arbeitet und das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Polizei nicht zu stärken vermag. Sicher, Oliver Schenk gilt durchaus als umsichtiger Staatsminister und Staatskanzleichef, dennoch würde ich ihn weder strukturell in seiner Position noch politisch-moralisch in seiner Vertrauensstellung gegenüber dem Ministerpräsidenten als neutralen und im Sinne der für die Demokratie und den Rechtsstaat lebensnotwendigen Kontrolle staatlichen Handelns unabhängigen Vertreter der Staatsregierung bezeichnen oder sehen – was denn auch sonst?
Die Beschwerdestelle soll dann auch trotz der Verpflanzung in die Staatskanzlei weiterhin der Dienstaufsicht durch das Innenministerium unterstehen – und das ohne Einschränkung in Bezug auf ihre behauptete Unabhängigkeit. Das ist zum Beispiel der Vorteil beim Gesetzentwurf der GRÜNEN sowie bei dem der LINKEN zur Ombudsstelle.
Der vorliegende Gesetzentwurf lehnt sich in weiten Zügen an den Grundgedanken des Gesetzes über die unabhängige Ombudsstelle meiner Fraktion an.
Allerdings hat unser Gesetzentwurf – Kollege Lippmann, das überrascht Sie nicht, denn das hatte ich angekündigt – umfangreichere Untersuchungsrechte der Ombudsstelle und Mitwirkungspflichten der Behörden geregelt.
Zudem mangelt es dem vorliegenden Entwurf an einem wichtigen Detail: Die Kennzeichnungspflicht war in unserem Gesetzentwurf enthalten. Damit war eine wichtige Voraussetzung für die im Beschwerdefall erforderliche Identifikation von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten gesetzlich verankert. Das fehlt leider. Ich weiß, dass wir das ohnehin nicht durchbekommen hätten. Sei's drum!
Da wir der Überzeugung sind, dass der Gesetzentwurf meiner Fraktion über die unabhängige Ombudsstelle in der Gesamtschau trotz vieler Ähnlichkeiten dennoch umfangreichere und zielführendere Regelungen enthält, werden wir uns, wie angekündigt, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu diesem Gesetzentwurf enthalten.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir behandeln die Große Anfrage zu schweren kriminellen Bedrohungslagen im Freistaat Sachsen. Ich will im Namen meiner Fraktion zunächst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Staatsministerien und Behörden für die überwiegend umfangreiche Beantwortung und Erläuterung sowie das Zahlen- und Faktenmaterial danken. Das Gesamtwerk umfasst nun 454 Seiten. Wir wissen die Arbeit zur Beantwortung parlamentarischer Anfragen insgesamt sehr wohl zu schätzen.
Wir sind aber auch verwundert – das will ich eingestehen –, dass die Staatsregierung eingangs der Beantwortung den mittlerweile berühmt-berüchtigten Artikel 51 Abs. 1 Satz 1 der Sächsischen Verfassung in Verbindung mit der Verfassungsgerichtsentscheidung vom 16. April 1998 bemüht, um angesichts einer offensichtlich zu kurzen Beantwortungsfrist fehlende oder unzureichende Antworten zu begründen: „Die Staatsregierung muss nur das mitteilen, was innerhalb der Antwortfrist mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung gebracht werden kann.“
Der Innenminister Prof. Dr. Wöller – bitte übermitteln Sie ihm Genesungswünsche meinerseits – hatte federführend am 27. April 2018, also vier Wochen vor dem Fristende, um Aufschub bis zum 15. Juni 2018, also um dreieinhalb Wochen nach dem Fristende, gebeten und somit das Fristende selbst gewählt. Das Argument der Kürze der Antwortfrist kann also nach unserer Auffassung nicht wirklich gelten. Hier geht es aber offensichtlich eher um die Kultur des Umgangs mit dem Landtag und seinen Rechten. Wir hätten einer erforderlichen weiteren Fristverlängerung durchaus zugestimmt.
Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, treiben meine Fraktion nicht erst seit den Erkenntnissen im Zusammen
hang mit dem Minderheitenvotum meiner Fraktion zum Abschlussbericht des zweiten Sachsensumpf-Untersuchungsausschusses zu Versäumnissen bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke, nicht erst seit den Vorgängen um die Selbstenttarnung des Terror-Trios des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU, um die zugehörige geheimdienstliche und polizeiliche Aufklärung zur Ermittlungsarbeit sowie die vielen Rätsel dabei, nicht erst seit der missglückten Festsetzung des der Vorbereitung schwerer terroristischer Straftaten verdächtigen Al-Bakr in Chemnitz und den Ergebnissen des Abschlussberichts der Landau-Expertenkommission sowie ihrer Untersuchung der Ereignisse und des polizeilichen und justiziellen Handelns grundlegende Überlegungen dazu um, wie die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden im Freistaat Sachsen, wie Polizei und Justiz konzeptionell, strukturell, personell sowie bei Ausrüstung, Ausstattung und Ausbildung auf schwere kriminelle Bedrohungslagen insbesondere auch unter dem Eindruck neuester Erscheinungsformen und Tatbegehungsweisen eingestellt und vorbereitet sind. Dieses ist der zentrale Punkt, wenn es darum geht, tatsächliche schwerwiegende Bedrohungen der öffentlichen und persönlichen Sicherheit einzuschätzen und von subjektiven und diffusen Bedrohungsängsten in der Bevölkerung abzugrenzen.
Deshalb ist die Große Anfrage auch nicht in erster Linie der klassischen Definition der Organisierten Kriminalität gefolgt, auch wenn zur besseren Vergleichbarkeit eine Orientierung an den Bundeslagebildern OK erfolgte.
Ich will nur kurz einige Ergebnisse referieren. Zunächst zu Gewissheiten und Einsichten aus gesicherten Erkenntnissen und Fakten: Organisierte Kriminalität ist in großen Teilen und mit modernen Mitteln der Tatbegehung ein überwiegend internationales Phänomen. Das wird unter anderem dadurch sichtbar, dass 54 % der bearbeiteten Verfahrenskomplexe bzw. der ermittelten Gruppierungen der OK im Betrachtungszeitraum 2010 bis 2017 hinsichtlich der Staatsangehörigkeit der Mitglieder heterogen
zusammengesetzt sind. Dennoch ist in der Bundesrepublik Deutschland OK ein überwiegend deutsches Phänomen, um es unfachlich zu formulieren.
48 % der Straftaten im Bereich OK, 520 von 1 207 Straftaten, die aufgeführt wurden, werden Tatverdächtigen deutscher Staatsangehörigkeit zugeordnet. Mit 54 von 152 Verfahrenskomplexen waren 38 % der OK-Gruppierungen von deutschen Staatsangehörigen dominiert, die anderen verteilen sich auf über 20 Staatsangehörigkeiten.
In kurzen Merksätzen zusammengefasst, lässt sich also sagen:
Erstens, Rockergruppierungen: 2017 entfielen von 18 bearbeiteten Verfahrenskomplexen zwei auf Rockergruppierungen und zwei auf rockerähnliche Gruppierungen. Vier hatten Verbindungen zu Rockern und zwei zu rockerähnlichen Gruppierungen. Rockergruppierungen
betätigen sich hauptsächlich im Bereich Rauschgifthandel.
Zweitens: Angehörige deutscher Staatsangehörigkeit fielen hauptsächlich bei Rauschgiftkriminalität, Eigentumskriminalität und Gewaltkriminalität auf.
Drittens: Ausländische Tatverdächtige waren hauptsächlich im Bereich Eigentumskriminalität aktiv.
Viertens: Das OK-Potenzial – das ist ein Index des BKA, mit dem Organisierungs- und Professionalisierungsgrad dieser Gruppierungen gewichtet werden – ist bei deutsch dominierten Gruppen wesentlich höher als bei ausländisch dominierten. Von 136 Verfahrenskomplexen mit OKPotenzial entfielen im Betrachtungszeitraum 38 mit einem hohen OK-Potenzial zwischen 40 und 80 – das sind Messzahlen – sowie ein Verfahrenskomplex mit dem höchsten Potenzial auf deutsch dominierte Gruppierungen. 57 dieser 136 Verfahrenskomplexe mit einem geringen OK-Potenzial bis 40 entfielen auf nicht deutsch dominierte Gruppierungen.
Fünftens: Das Feld Korruption ist weitestgehend ein deutsches Phänomen, das heißt von 216 Vorteilsnehmern waren im Betrachtungszeitraum 201 deutsche und 15 nicht deutsche Staatsangehörige. Von den 226 Vorteilsgebern waren 187 deutsche und 39 nicht deutsche Staatsangehörige.
Welche Probleme gibt es seitens der Behörden? Auch das muss man beleuchten, wenn man über schwere kriminelle Bedrohungslagen spricht. Im Bereich Geldwäsche werden zwar nicht alle Verdachtsfälle im selben Jahr abgeschlossen, aber das deutliche Auseinanderdriften von Verdachtsfalleingängen beim LKA und abgeschlossenen Fällen zeigt eine gewisse Tendenz. Andererseits gibt es offenbar erhebliche Probleme – das ging schon durch die Medien – bei der im Bundesfinanzministerium angesiedelten FIU und deren Bearbeitungs- und Analysequalität. Das LKA kämpft darüber hinaus aber mit erheblichen Problemlagen.
Bei Korruptionsermittlungen sind die Zahlen von 2010 bis 2017 stärker als im Bundestrend eingebrochen. Die
ermittelten Schadenssummen sind auf ein Tausendstel zusammengeschrumpft. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Zahl der Polizeibediensteten in der INESErmittlungsgruppe von 25 auf 17 zurückgegangen ist.
Andere Felder wie Mafia, Ndrangheta und Clankriminalität scheinen nicht oder nur sehr bedingt auf dem Schirm zu sein. Zumindest angesichts des Bundeslagebilds und der Erfahrungen in umliegenden Bundesländern, aber auch der Erfahrungen aus Akten und Zeugeneinvernahmen im Sachsensumpf-Untersuchungsausschuss scheint uns dies nicht realistisch. Fakt ist – dabei beziehe ich mich auf die Informationsreise des Innenausschusses nach Italien und unsere Gespräche mit den Sonderermittlern in Neapel und unseren Besuch aus Sizilien –, dass die Ndrangheta mutmaßlich auch in Sachsen aktiv ist. Inwieweit es hier eine Zusammenarbeit mit den italienischen Kollegen zum Thema Schutzgelderpressung etc. gibt, lässt sich nicht erkennen. Zumindest in Thüringen wurde eine Sonderkommission mit dem Namen „Dämmerung“ zu Aktivitäten der Ndrangheta im Bereich Einbruchskriminalität ins Leben gerufen.
Auch im Bereich Menschenhandel sind Zweifel angebracht. Die Antworten auf die Kleinen Anfragen der geschätzten Kollegin Katja Meier zur Prostitution in Sachsen, Drucksachen 6/16640 und 6/16639, belegen das erneut. Auf die Fragen „Wie viele Prostitutionsgewerbe wurden gemäß Prostituiertenschutzgesetz angemeldet? Wie oft wurde eine Betriebserlaubnis gegebenenfalls mit welchen Auflagen erteilt? Wie oft wurde die Erlaubnis aus welchen Gründen versagt?“ wurde für Dresden geantwortet: Sieben Betriebsstätten sind angezeigt, weitere 47 Objekte sind bekannt. Es lässt sich erahnen, wie groß das Dunkelfeld bei illegaler Prostitution und – darauf kommt es an – in dem sie tragenden Menschenhandel ist.
Das Problem beginnt – Große Anfrage, Seite 3 – mit der Definition der Organisierten Kriminalität. Dazu zitiere ich Arndt Sinn aus dem Vorwort zu „Organisierte Kriminalität 3.0“: „Heute agiert man in Deutschland in sicherheitsstrategischer Hinsicht mit einer Definition der Organisierten Kriminalität, die nicht mehr zeitgemäß ist und keine Entsprechung im materiellen Strafrecht findet. In empirischer, rechtlicher, strategischer und sicherheitspolitischer Hinsicht besteht also Forschungs- bzw. Anpassungsbedarf. Andernfalls bleibt der Blick für die Facetten der Organisierten Kriminalität 3.0 weiterhin verstellt.“
Dort müssen wir nach unserer Auffassung konzeptionell ansetzen, aber auch bei der Befähigung der Beamtinnen und Beamten. Der Abschlussbericht zur Evaluierung der Arbeit der Polizei führt aus: „Die personelle Besetzung des zuständigen Fachdezernats im Freistaat Sachsen ist kontinuierlich rückläufig. Während im Jahr 2006 in diesem Bereich noch 54 Sachbearbeiter tätig waren, sind es im Jahr 2014 lediglich 44 gewesen.“ Dass im LKA in den kommenden zehn Jahren massive Personalaltersabgänge bevorstehen, wissen wir. Damit gehen auch Wissen und Fähigkeiten verloren.
Zur OK gibt es knapp eine Fortbildung pro Jahr. Bei Weiterbildungen im Bereich IuK, also Internet und Computer, steigen die Veranstaltungs- und Teilnehmerzahlen. Bei Fortbildungen zur IuK-Kriminalität allerdings sind Veranstaltungs- und Teilnehmerzahlen bei der Polizei massiv rückläufig. Das hilft dem Kompetenzaufbau nicht und auch nicht der Beweissicherung der im Erstangriff kontaktierten Beamtinnen und Beamten der Reviere.
Die hohe Belastung des LKA lässt sich gut anhand zweier Zahlen, den Mehrarbeitsstunden, ablesen. Im Januar 2019 kamen auf einen Beamten des LKA ungefähr 52 angesammelte Überstunden. Im Durchschnitt der Beamten der Polizei waren es 13.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Ende meines Teils kommen. Abschließend: Wir in Sachsen müssen uns zur Unterstützung der wichtigen Arbeit der Beamtinnen und Beamten des LKA, der Kriminalinspektionen in den PDen konzeptionell, strukturell, personell und im Rahmen der Ausbildung auf eine erforderliche Analyse, eine systematische Erhellung der Dunkelfelder und auf die neuen Phänomene Organisierter Kriminalität einstellen und vorbereiten.
Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister, ich weiß, Sie sind nicht für die Rede verantwortlich, die Sie eben vorgetragen haben. Lassen Sie mich eingangs zumindest ganz kurz eines sagen: Bevor Polizei mehr dürfen soll, als Verbrecher können können, wäre es vielleicht günstig, wenn wir das Personal der Polizei personell und handwerklich in die Lage versetzen, dass sie das können, was sie brauchen, um das zu bekämpfen, was Verbrecher können. Das wäre vielleicht ein Grundsatz, auf den man sich verständigen könnte; denn das Problem ist – dabei müssen wir überhaupt nicht hin- und herrechnen –: Im Abschlussbericht zur Evaluierung der Arbeit der Polizei wird eindeutig gesagt, man brauche pro Verfahrenskomplex – damit sind nicht die Kollegen gemeint, die mal helfen, die TKÜ durchzuführen oder etwas aus anderen Bereichen zuzuarbeiten, sondern die tatsächlich intensiv an diesen Verfahrenskomplexen arbeiten – fünf Kräfte. Dabei komme ich allein bei durchschnittlich 17 auf 85. Wenn wir weniger als 50 haben und die 20 und 20 zusammenrechnen – also 40 drauflegen –, dann ist es gerade so, dass wir im Wasserstand nicht mehr Oberkante Unterlippe sind.
Das ist das Problem. Das muss man einfach mal ganz klar sagen. Das heißt: Das, was wir mehr erkennen könnten, sind wir nicht in der Lage zu erkennen, weil wir personell auf dem Zahnfleisch kriechen. Das ist Tatsache, und darum geht es. Es geht uns überhaupt nicht darum, der Polizei vorzuschreiben, wie sie die Arbeit machen soll, oder den Staatsanwaltschaften etwas vorzuschreiben, sondern in dem Entschließungsantrag sagen wir der Politik, worum es gehen muss: nämlich den Polizeibehörden – vor allem dem LKA – die Möglichkeiten einzuräumen – personell, sachlich und konzeptionell –, die sie benötigen, um ihre Arbeit zur Aufdeckung, zum Erkennen, zur Aufklärung, zur Ausermittlung und zur Strafverfolgung schwerer krimineller Bedrohungslagen erfüllen zu können.
Deshalb geht es um Personal und um die erforderliche Ausbildung. Bisher wird Polizei so ausgebildet, dass es im Grunde eine schutzpolizeiliche Standardausbildung für alle gibt, und dann wird geschaut, wie sie im Laufe der weiteren Arbeit in den Polizeidienststellen zu Kriminalisten werden. Na, halleluja! Dann können wir aber zehn Jahre warten, bevor sie überhaupt die Fähigkeiten ausgebildet haben, die die Leute hatten, die in den nächsten zehn Jahren aus dem LKA ausscheiden. Das ist ein Spiel, das wir auf Dauer so nicht fortsetzen dürfen. Deshalb muss auch die Ausbildung verändert werden.
All dies finden Sie in unserem Entschließungsantrag, und ich darf Sie herzlich bitten, dass wir als Landtag in diesem Sinne den Ermittlerinnen und Ermittlern auch in den Feldern schwerer krimineller Bedrohungslagen und Organisierter Kriminalität den Rücken stärken und ihnen diese Voraussetzungen schaffen.
Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das vorliegende Sächsische Brexit-Übergangsgesetz ist dem Regelungsgehalt gemäß übersichtlich und regelt die Frage der Bürgereigenschaft für Staatsangehörige des Vereinigten Königsreichs mit dem Ausscheiden aus der Europäischen Union.
Meine Fraktion ist grundsätzlich der Auffassung, dass für alle Einwohnerinnen und Einwohner von Gemeinden und Landkreisen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit ein aktives Wahlrecht zu den Kommunalvertretungen eingerichtet werden sollte. Dies wünschen wir uns auch auf Landes- und Bundesebene. Das wissen Sie. Zugleich wissen wir, dass diese Frage mit dem vorliegenden Gesetz nur schwerlich zu bewegen ist, geht es doch darum, die mit einem geordneten Brexit vereinbarten Grundsätze und Folgen rechtlich abzusichern. Dennoch hat dies eben weitreichende Konsequenzen, wie den Verlust des Wahlrechts auf kommunaler Ebene für Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland.
Auch wenn noch unklar ist, wie es mit dem Brexit tatsächlich weitergeht – Kollege Schiemann bemühte schon literarische Bezüge –, und über konkrete Auswirkungen auf beiden Seiten der Brexit-Trennung im Grunde nur spekuliert werden kann, sollte die Debatte genutzt werden, zu diskutieren, wofür der Brexit eigentlich steht und welche Konsequenzen mit Blick auf Europa zu ziehen sind. Der Brexit spiegelt die widersprüchliche und krisenhafte Situation in der Europäischen Union auf der einen und die Verantwortungslosigkeit populistischer Politik auf
der anderen Seite wider. Kollege Schiemann, darin sind wir uns durchaus einig.
Die bis heute nicht gelöste Krise der EU besteht vor allem in ihrer mangelnden demokratischen Verfasstheit. Diese macht es möglich, dass egoistische nationale Interessen über die Ratsstrukturen gemeinsame, auf die Interessen aller Menschen in der EU gerichtete Politik verhindert. Dieses Defizit kann auch nicht mit dem Verweis auf die Dominanz der USA und Chinas und die daraus abgeleitete Bedeutung einer EU-Geschlossenheit übertüncht werden.
Viele finanz- und wirtschaftstechnische Instrumente wurden nach der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise seit 2008 entwickelt. Die EU ist dennoch nicht stabiler oder auf einem gesunden politischen Kurs. Substanziell ungelöste Fragen in den Bereichen der politischen Struktur und Demokratie, der Technologieentwicklung und der Finanzwirtschaft führen zu einer Situation, die trotz allen Antikrisenmanagements der EU getrost als Dauerkrise bezeichnet werden kann. Andererseits sind die WeißbuchDebatte oder die Versuche, eine europäische Säule sozialer Rechte zu errichten, nicht an einen Punkt gekommen, an dem sie die eigentlichen Defizite der EU in der Wahrnehmung vieler Unionsbürgerinnen und -bürger, zu denen zurzeit auch die Briten gehören, tatsächlich überwunden hätten.
Diese und andere zu begrüßende Diskussionen und Entwicklungen, also Weißbuch etc., sind im EU-Recht nicht verankert oder zu weich, um irgendeine neue Stabilität zu erzeugen. Stattdessen ist ein Hang zur Militarisierung der EU zu beobachten, und, mit Zuwanderung und Terrorgefahr begründet, eine neue Verflechtung der Bereiche innerer und äußerer Sicherheit; siehe unter anderem Frontex.
Und was macht Sachsen? Fördermittel, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit zu thematisieren, so wie das unter anderem heute passiert, die auch nur im europäischen Rahmen wirklich Sinn machen, sind gewiss dringend zu bearbeitende Themen, aber das reicht nicht aus. Europapolitik kann nicht als Kampagne betrieben werden, meine Damen und Herren, Fördermittel sind nicht das Zentrum der europapolitischen Aktivitäten. Mit diesem Denken werden die EU und Europa weiter gespalten statt geeint und die Orbans und Urbans werden weiter Oberwasser bekommen.
Wir brauchen mutige Anstöße, zum Beispiel die Vorschläge der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Länderparlamente anlässlich ihrer Europakonferenz am 28. und 29. Januar 2019 in Brüssel zu einer Beteiligung der Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen und Subsidiaritätsverfahren, die Subsidiarität eben nicht als Abwehrinstrument verstehen, sondern als Methode demokratischer Mitgestaltung. Nur so kann sich eine rationale Politik der Krisenbewältigung in der EU durchsetzen und EU besser erlebbar werden.
So notwendig das hier vorliegende inhaltlich überschaubare Gesetz ist, es muss gleichzeitig Anlass sein, erstens die strategischen Grundfragen der EU im gesamten