Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 86. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags. Ich habe gestern die Nachricht bekommen, dass die 1. Vizepräsidentin krankheitsbedingt an der heutigen Sitzungsteilnahme verhindert ist. Kurzfristig ist die Situation eingetreten, dass auch eine Sitzungsleitung durch den 2. Vizepräsidenten heute nicht möglich sein wird. Ich muss Sie um Verständnis bitten, dass ich nicht ununterbrochen die Sitzung leiten kann, denn dann würde mit jeder kurzen Sitzungsunterbrechung viel Zeit verloren gehen.
Deshalb möchte ich gern die Regelung § 8 Abs. 2 Satz 2 unserer Geschäftsordnung zur Anwendung bringen: „Sind der Präsident und beide Vizepräsidenten gleichzeitig verhindert,“ – Sie können das auch nachlesen – „übernimmt danach ein anderes vom Präsidium bestimmtes Präsidiumsmitglied die Leitung der Sitzung.“ Wir müssen in der nächsten Legislaturperiode sowieso die Satzung diesbezüglich ein wenig nachbessern. Deshalb würde ich gern – um das schon vorwegzunehmen – eine Ausnahme von der Geschäftsordnung beschließen lassen, dass ich diesen § 8 Abs. 2 rechtssicher zur Anwendung bringen kann.
Ich würde unseren Kollegen Thomas Colditz, der ohnehin in bewährter Weise neben mir sitzt, im Sinne des § 8 Abs. 2 als Mitglied des Präsidiums bestimmen. Zunächst müssen wir über die Ausnahme von der Geschäftsordnung nach § 114 abstimmen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Dann
würde ich Herrn Thomas Colditz hiermit bestimmen. Wir sollten noch der Form halber die Anrede bestimmen. Gibt es jetzt Widerspruch, dass wir ihn mit „Herr Präsident“ ansprechen, wenn wir die Redebeiträge – –
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Nowak, Frau Dombois, Herr Michel, Frau Wilke und Frau Nagel.
Die Tagesordnung liegt Ihnen vor und folgende Redezeiten hat das Präsidium für die Tagesordnungspunkte 2 bis 9 festgelegt: CDU 120 Minuten, DIE LINKE 80 Minuten, SPD 64 Minuten, AfD 40 Minuten, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 40 Minuten, fraktionslose Abgeordnete je MdL 5 Minuten und die Staatsregierung 80 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf die Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.
Ich sehe jetzt keine Änderungsvorschläge oder Widerspruch gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 86. Sitzung ist damit bestätigt.
Ich darf darauf hinweisen, dass die Fraktion DIE LINKE von ihrem Recht Gebrauch gemacht hat, das Thema ihrer Aktuellen Debatte entsprechend § 55 Abs. 1 Satz 4 unserer Geschäftsordnung zu ändern.
Die Verteilung der Gesamtredezeit hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 33 Minuten, DIE LINKE
25 Minuten, SPD 18 Minuten, AfD 12 Minuten, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12 Minuten, Fraktionslose je MdL 1,5 Minuten; Staatsregierung zweimal 10 Minuten, wenn gewünscht.
Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen CDU und SPD das Wort. Dann folgen DIE LINKE, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Dr. Petry und Frau Kersten, dann die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erachten diese Debatte heute für wichtig, weil wir große Sorge haben, dass dieser Brexit auch auf den Freistaat Sachsen seine Auswirkungen haben wird, auf die Menschen, die hier wohnen, auf die jungen Menschen, die die Chance nutzen, im Vereinigten Königreich zu studieren, zu arbeiten oder auch das Land kennenzulernen. Wir haben große Sorgen, dass auch im Austausch der Touristen und in der sächsischen Wirtschaft Spuren hinterlassen werden, wenn es zu diesem Brexit kommt, denn das Vereinigte Königreich war für uns in den letzten Jahren, aber auch schon in der Geschichte, ein wichtiger, ein ganz bedeutender Partner, den wir nicht mit einem schlimmen Brexit verlieren dürfen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat: „Nach meiner Meinung können die führenden Leute von Staaten wohl einen ersten Schritt tun zur Annäherung zweier Länder, aber entscheidend ist, ob die Völker mitgehen, weil die leitenden Männer heute oder morgen verschwinden. Das ist der Lauf der Welt, die Völker aber bleiben. Deswegen, so glaube ich, muss man sich fragen, ob das englische Volk bereit ist, zu Kontinentaleuropa zu gehören, oder ob das englische Volk aus seiner jahrhundertealten Tradition sich als besonderer Erdteil oder als eine Insel vor Europa fühlt.“ Das sagte Konrad Adenauer 1962.
Elf Jahre später, 1973, erfolgte der Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, das heißt, zum Vorläufer der Europäischen Union. 1975 gab es eine Volksabstimmung mit einer Zustimmung von 67 % der Menschen im Vereinigten Königreich. Jetzt haben wir die Situation, dass 51,9 % nach einem Referendum vom 23. Juni 2016 für den Austritt gestimmt haben. Das ist eine demokratische Entscheidung, und ihr wird sich auch das Vereinigte Königreich beugen müssen, auch wenn man sagen muss, dass die Schotten und die Nordiren in Mehrheit diese Entscheidung ablehnen, weil sie eben sehen, was sie verlieren werden, wenn sie die Europäische Union nicht mehr als Partner in derjenigen Gestalt haben, wie sie sie jetzt haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben heute Nacht etwas erlebt, was wir in den letzten Wochen und Monaten immer wieder erleben: einen Dauerlauf zum Brexit im Vereinigten Königreich, und das im Wochendiskurs. Die Diskussion im Unterhaus hatte durchaus Unterhaltungswert. Aber ist den handelnden Personen eigentlich klar, welche Auswirkungen sie für ihre Arbeiterschaft, für die Menschen heraufbeschwören, die sich im Vereinigten Königreich in Wissenschaft, Wirtschaft und Forschung starkmachen? Ich glaube, mit einem faden Beigeschmack könnte man sagen, dass es kein Unterhaltungswert war; vielmehr wird es eine bittere Frage sein. Es darf nicht zu einem bitteren Ende von guten wirtschaftlichen und menschlichen Beziehungen zwischen den Völkern und hier insbesondere auch zwischen den Menschen im Freistaat Sachsen und im Vereinigten Königreich kommen. Das müssen wir verhindern. Wir müssen dort auch für die Entwicklung der nächsten Monate die Hand reichen.
Den Austritt wird es geben. Der Austrittsvertrag legt eine Übergangsfrist fest, mindestens bis 2020, höchstens bis 2022. Bis dahin muss das Vereinigte Königreich auch als EU-Nichtmitglied alle Regeln der Europäischen Union einhalten. Wir erwarten auch, dass dies geschieht.
Welche Auswirkungen wird es im Alltag geben? Wie wird es mit den Grundfreiheiten weitergehen: Leben, Arbeiten, Aufenthalt, Sicherheitsfragen? Da ist nicht nur das Thema Nordirland/Republik Irland zu klären, sondern es sind folgende Fragen zu klären: Wie wird es bei den Einreisebestimmungen sein? Was wird mit den Zolldokumenten? Was wird hinsichtlich der Ein- und Ausfuhrbestimmungen geregelt? Wie werden die Aufenthaltsbestimmungen für Arbeiter, für Studenten, für Touristen geregelt? Welche Auswirkungen wird es auf die Studiengebühren für die Studenten geben? Wie wird der Zugang zum Gesundheitssystem neu geordnet? Wie werden die Berufsabschlüsse anerkannt? Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben jetzt eine Anerkennung der Berufsabschlüsse. Wie werden sie denn dann in Zukunft geregelt?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, hinsichtlich des Brexit kann es für uns nur eine Antwort geben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Reformen können nur des Inhalts sein, dass es starke Regionen gibt, dass es Subsidiarität gibt und dass wir ein Europa der Vaterländer auch für die Zukunft haben.
Die Aktuelle Debatte ist von einer der einbringenden Fraktionen, von der CDU eröffnet. Jetzt kommt die andere einbringende Fraktion, die SPD. Das Wort ergreift Herr Kollege BaumannHasske.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse in Großbritannien – Herr Schiemann sagte es schon – geben Anlass zu großen Sorgen. Es wurde ein Vertrag zwischen der EU und Großbritannien über den Austritt von Großbritannien aus der EU ausgehandelt. Aber das britische Unterhaus akzeptiert ihn nicht und bereitete damit der Premierministerin eine schwere, empfindliche Niederlage. Das scheint sie aber nicht sonderlich zu irritieren; denn trotzdem überstand sie am Folgetag eine Vertrauensabstimmung.
Die Premierministerin wollte einen Plan B vorlegen; aber sie legte nur denselben Plan noch einmal vor und will darüber verhandeln. Doch da ist nicht viel zu verhandeln. 27 Staaten der EU haben dem Vertrag zugestimmt. Wenn er neu aufgeschnürt und neu verhandelt werden würde, dann müsste nicht nur über diejenigen Dinge neu verhandelt werden, die Großbritannien vielleicht wichtig sind, sondern dann gäbe es wahrscheinlich viele andere Interessen, die erneut Berücksichtigung finden würden – eine unendliche Geschichte.
Seit gestern wissen wir, dass sie die sogenannte BackstopKlausel über die Grenze zwischen Irland und Nordirland neu verhandeln will. Doch auch da gilt: Das ist nicht neu, und eigentlich gibt es nichts zu verhandeln. Man erinnert sich an das geflügelte Wort der Premierministerin aus Zeiten, als das erste Referendum stattgefunden hatte und sie immer wieder gefragt wurde, was denn nun eigentlich passieren solle. Die Antwort lautete: Brexit ist Brexit. Mehr Aussage dazu gibt es heute von einer Mehrheit der Tories nicht.
Meine Damen und Herren, es gibt einen Gleichklang zwischen nationalistischen Tories und der nordirischen DUP, der jede Relativierung Nordirlands in Beziehung zur britischen Hauptinsel ausschließt. Es ist eine unversöhnliche Haltung, wie man sie seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 überwunden glaubte. Der Brexit droht die alte Feindschaft wieder aufleben und den Frieden in Nordirland untergehen zu lassen. Der Terror wittert schon wieder Akzeptanz, wie der erste Anschlag aus der vorvergangenen Woche zeigt.
Meine Damen und Herren, Europa wird als Friedensprojekt bezeichnet, das die Völker Europas geeint habe. Manche finden heutzutage dieses Friedensargument nicht mehr sonderlich wesentlich. Dabei verdanken wir der EU,
dass in den Mitgliedsstaaten seit dem Zweiten Weltkrieg keine kriegerischen Auseinandersetzungen stattgefunden haben. Aber Europa hat nicht nur Konsequenzen aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen, es hat auch regionale Konflikte befriedet. Nordirland ist das beste Beispiel dafür. Der Konflikt zwischen Griechenland und Nordmazedonien ist auf dem Weg, ein weiteres zu werden, und Nordirland zeigt, was geschieht, wenn die einigende Kraft Europas geschwächt wird.