Protocol of the Session on February 1, 2017

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 48. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags.

Zuerst gratuliere ich Herrn Geert Mackenroth und Herrn Lars Rohwer ganz herzlich zum Geburtstag.

(Beifall)

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Hartmann, Herr Lehmann, Frau Junge und Frau Nagel.

Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 bis 11 folgende Redezeiten festgelegt: CDU 135 Minuten, DIE LINKE 90 Minuten, SPD 72 Minuten, AfD 63 Minuten, GRÜNE 45 Minuten, Staatsregierung 90 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf die Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.

Ich sehe jetzt keine Änderungsvorschläge zur oder Widerspruch gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 48. Sitzung ist damit bestätigt.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Fachregierungserklärung zum Thema: Ergebnisse der

Expertenkommission zum Fall al-Bakr und Maßnahmen der Staatsregierung

Ich übergebe das Wort zuerst an den Staatsminister des Innern, Herrn Markus Ulbig. Bitte, Herr Staatsminister, Sie haben jetzt das Wort.

Herzlichen Dank, sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der 8. Oktober 2016 ist der Tag, an dem der Terrorismus auch in Sachsen angekommen ist. Zum Glück sind bei uns in Sachsen so schreckliche Folgen wie in Berlin ausgeblieben.

Aber die gescheiterte Festnahme von Dschaber al-Bakr und die Fehler, die an diesem Tag, in dieser Ausnahmesituation und auch in der Folge gemacht wurden, haben gezeigt: Um dem Terrorismus künftig die Stirn bieten, um Terroristen fassen und vor Gericht bringen, um die Menschen im Land besser vor Attentaten schützen zu können, müssen unsere Sicherheitsbehörden besser werden.

Meine Damen und Herren! Es ist verständlich, dass der Fall al-Bakr Diskussionen ausgelöst hat. Ja, es war richtig und wichtig, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die genau schauen sollte: Was ist bei dem Einsatz falsch gelaufen? Wo wurden Fehler gemacht? Vor allem aber: Wie können in Zukunft solche Fehler im Handeln von Polizei und Justiz möglichst ausgeschlossen werden? Oder – mit den Worten von Prof. Landau gefragt –: „Wie können wir, gerade was den Kampf gegen den Terrorismus angeht, zu einer Kultur der gemeinsamen Verantwortlichkeit kommen?“

Für mich war von Anfang an klar – das habe ich mehrfach so deutlich gemacht –: Die Staatsregierung steht zu ihrer Verantwortung. Lückenlose Aufklärung war und ist das Gebot der Stunde, war und ist ein Gebot der Vernunft. Das schulden wir den Menschen in unserem Land.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Aber auch hier muss gelten: Genauigkeit geht vor Schnelligkeit. So verständlich die Ungeduld mancher Kritiker ist: Niemandem ist mit voreiligen Entscheidungen, die später nicht umzusetzen sind, geholfen – am allerwenigsten den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land.

An dieser Stelle gilt deshalb mein Dank Herrn Prof. Landau und der gesamten Expertenkommission. Sie haben sehr sachlich, genau und zielorientiert gearbeitet. Fehler und Versäumnisse wurden genauso wie die Dinge, die funktioniert haben, analysiert und offengelegt. Sie haben einen Teil dazu beigesteuert, um in Zukunft besser mit solchen Terrorismuslagen umgehen zu können – nicht nur in Sachsen, sondern überall in Deutschland.

Meine Damen und Herren! Drei Monate hat die Kommission an ihrem Bericht gearbeitet. Das Ergebnis hat sie uns allen letzte Woche präsentiert. Nun ist es an uns, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Eines möchte ich an dieser Stelle aber auch betonen: Während die Expertenkommission gearbeitet hat, haben wir im Ministerium eine interne Einsatznachbereitung, auch durch die Polizei, veranlasst. Unmittelbar, nachdem der Bericht der Expertenkommission an uns übergeben wurde, haben wir begonnen, ihn auszuwerten und mit den eigenen Erkenntnissen abzugleichen.

Meine Damen und Herren! Es steht völlig außer Frage: Bei dem betreffenden Polizeieinsatz wurden Fehler gemacht. Dabei gilt ganz generell – so haben es sowohl die Experten als auch die interne Einsatznachbereitung deutlich gemacht –: Für die Kontrolle und Festnahme von Terrorverdächtigen und Selbstmordattentätern fehlt es uns an Erfahrung. Auch das gilt für Sachsen gleichermaßen

wie für ganz Deutschland. Aber am 8. Oktober 2016 ist diese fehlende Erfahrung bei uns besonders offensichtlich geworden.

Kommen wir deshalb zum ersten wichtigen Punkt! Die Entscheidung des Landeskriminalamtes, den Einsatz selbst zu führen, war letztlich falsch. Im LKA kennt man sich sehr gut mit Observationen und Festnahmen aus. Es verfügt zudem über das passende Know-how und die gut ausgebildete Manpower, um schwerbewaffnete Gewalttäter dingfest zu machen. Aber gerade in Chemnitz hätte dieser Einsatz eher nach den Grundsätzen für einen terroristischen Anschlag strukturiert werden müssen – von der Absperrung über die großflächige Fahndung bis hin zur Evakuierung vieler Menschen. Genau dafür haben unsere Polizeidirektionen eindeutig die besseren Voraussetzungen.

Die Schwierigkeiten, die ein Zugriff auf einen mutmaßlichen Selbstmordattentäter mit sich bringen kann, wurden also im Vorfeld unzureichend berücksichtigt. Genau diese Schwierigkeiten zeigten sich dann am Morgen des 8. Oktober 2016. Ein Scheitern des Zugriffs und damit die Flucht des Täters hätten einkalkuliert und entsprechende Gegenmaßnahmen geplant werden müssen. Heute wissen wir: Angesichts der dynamischen Lageentwicklung ist das LKA bei der gescheiterten Festnahme von al-Bakr an seine Grenzen in der Führung des Gesamteinsatzes gestoßen.

Damit kommen wir zum zweiten Problem, das letztlich eine Konsequenz aus dem ersten Fehler war und das auch die Expertenkommission völlig zu Recht herausgearbeitet hat; ich spreche von der Stabsarbeit im Landeskriminalamt. Es hat sich gezeigt: Das LKA war über den gesamten Einsatzzeitraum nicht in der Lage, einen funktionierenden Führungsstab zu bilden, was allerdings für den Erfolg derart komplexer Einsätze ganz entscheidend ist.

Ein dritter kritischer Aspekt ist der gescheiterte Zugriff an sich. In der konkreten Situation in Chemnitz musste zunächst – auch im Interesse der Sicherheit der übrigen Hausbewohner – der Zugriff im Gebäude abgebrochen werden, auch weil nicht geklärt werden konnte, ob sich al-Bakr noch in der betreffenden Wohnung aufhielt. Die Anstrengungen der Einsatzkräfte vor Ort blieben ohne Erfolg.

So weit, so nachvollziehbar. Dass al-Bakr dann aber auch nicht außerhalb des Wohnhauses festgenommen werden konnte, lag an der mangelhaften Kommunikation zwischen den eingesetzten Kräften des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Mobilen Einsatzkommandos und unseres Spezialeinsatzkommandos. Was fehlte, war eine einheitliche Führung, die vor Ort die rasche und zuverlässige Kommunikation der einzelnen Einheiten miteinander sicherstellte.

Ich habe aus dieser ersten sehr selbstkritischen Analyse bereits Konsequenzen gezogen:

Erstens. Ich habe festgelegt, derartige Einsätze sind künftig ausnahmslos – ich betone: ausnahmslos – durch

die jeweilige Polizeidirektion zu führen. Hier sind die personellen und organisatorischen Voraussetzungen

einfach besser.

Zweitens hat das LKA künftig wieder sicherzustellen, nicht nur für planbare kriminalpolizeiliche Einsätze eine entsprechend funktionierende Stabsorganisation vorzuhalten. So muss das LKA zum Beispiel bei herausragenden Erpressungen Einsätze führen können. Auch bei Terrorismuslagen brauchen wir natürlich weiterhin die Kompetenz des LKA. Es muss gerade in den Bereichen „Kriminalpolizeiliche Maßnahme“, „Tatobjekt“ und „Operative Maßnahmen“ seine Stärken einbringen.

Drittens. Wir müssen das Zusammenspiel der beteiligten Behörden von der Übergabe der Erstinformation über die Kenntnisgabe an die Einsatzkräfte bis hin zum Handeln vor Ort stetig üben.

Nur durch das ständige Training lebensnaher Einsatzlagen sind unsere Einsatzkräfte in der Lage, Situationen wie in Chemnitz besser zu bewältigen. Es kommt darauf an, Fähigkeiten zu erwerben, die automatisiert abrufbar sind. Deshalb haben wir für unsere Einsatzkräfte bereits ein neues Schulungskonzept für das Vorgehen gegen Terroristen erarbeitet. Unsere ersten Erfahrungen fließen darin mit ein.

In Schneeberg schaffen wir nun ein neues, auf diese Lagen ausgerichtetes Übungs- und Trainingszentrum. Dort werden künftig alle Einsatzkräfte, vom Berufsanfänger bis hin zum Spezialisten, beste Voraussetzungen haben, um den Umgang mit lebensbedrohlichen Einsatzlagen zu trainieren. Bis dahin müssen wir allerdings auf die schon vorhandenen Trainingsstätten zurückgreifen.

Viertens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir reden selbstverständlich auch kritisch mit den Verantwortlichen, den Polizeiführern und Einsatzkräften, die an diesem Tag unter einem besonderen psychischen Druck gestanden haben. Diese erhebliche Anspannung und erhebliche Belastung über viele Stunden hinweg hat auch die Expertenkommission anschaulich beschrieben.

Wissentlich oder, wie die Expertenkommission es sagt, „wider besseres Wissen“ sind diese Fehler aber an keiner Stelle gemacht worden. Anderslautende Kenntnisse habe ich bis heute nicht. Deshalb sage ich genauso klar: Das ist keine Kategorie von Schuld, sondern bedarf der kritischen – und damit meine ich auch kritischen – Reflexion und Auswertung mit den einsatzführenden Polizisten und Verantwortlichen. Ich will klar und deutlich sagen, dass das auch mein Verhalten in personellen und disziplinarischen Entscheidungen bestimmen wird.

Meine Damen und Herren, das allein wird nicht genügen. Sie alle wissen, der Terrorismus hat Europa und Deutschland erreicht. Was wir dringend brauchen, ist ein starker polizeilicher Staatsschutz. Deshalb ist ein umfassendes Maßnahmenpaket in Planung, an dem wir gerade mit Hochdruck arbeiten.

Erstens. Wir bauen unser Operatives Abwehrzentrum zu einem polizeilichen Terrorismus- und Extremismusab

wehrzentrum, kurz: PTAZ, aus. Rund 250 Mitarbeiter werden dort in Zukunft das Herzstück des polizeilichen Staatsschutzes bilden und die Kompetenzen von LKA und OAZ bündeln, und zwar für alle Bereiche der politisch motivierten Kriminalität. Unser Ziel ist dabei ein ganzheitlicher Ansatz.

Politisch motivierte Gewalt kann nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn mit internen und externen Partnern eng, vertrauensvoll und konstruktiv kooperiert wird. Mit der Feinplanung für dieses PTAZ habe ich bereits den Leiter des OAZ Bernd Merbitz beauftragt.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Zweitens werden wir den polizeilichen Staatsschutz in der Fläche deutlich stärken, indem wir Staatsschützer in besonders betroffenen Regionen vor Ort in die jeweiligen Polizeireviere bringen.

Drittens. Die beim OAZ eingerichteten Mobilen Einsatz- und Fahndungsgruppen haben sich bewährt. Sie kontrollieren an Brennpunkten und sollen politisch motivierten Straftätern keinen Fußbreit Raum lassen. Wo auch immer sie auftauchen, werden wir sie in den Fokus nehmen. Aus diesem Grund werden die für diese Aufgaben bisher abgeordneten Beamten dem OAZ nunmehr fest zugewiesen.

Viertens werden wir die Aufklärung im Internet intensivieren. Wo Terroristen und andere Verbrecher unterwegs sind, müssen wir natürlich auch als Sicherheitsbehörden präsent sein. Dafür stehen dem OAZ und den Polizeidirektionen bereits zusätzliche Stellen und auch künftig leistungsstarke informationstechnische Analysewerkzeuge zur Verfügung.

Meine Damen und Herren, so weit zu den ersten Maßnahmen. Es gilt nun, diese mit Leben zu füllen, und es gilt auch, sich weiter mit den Details des Berichts von Herrn Prof. Landau auseinanderzusetzen. Zu diesem Zweck habe ich bereits eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die mir bis Ende März dieses Jahres ihre Ergebnisse auch zu der Frage nach ständigen Führungsstäben bei den Polizeidirektionen vorlegen wird. Ich freue mich, dass ich als Mitglied der Expertenkommission Herrn Jürgen Jakobs für eine Mitwirkung gewinnen konnte. Über die Ergebnisse werde ich sowohl das Kabinett als auch den Innenausschuss des Landtags unterrichten.

Davon abgesehen fangen wir im Kampf gegen den Terrorismus nicht bei null an. Unser vor nunmehr fast zweieinhalb Jahren eingeschlagener Weg der Stärkung unserer Polizei sowohl personell als auch technisch war richtig und muss weitergeführt werden. Dafür danke ich dem Landtag, Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, für das klare Bekenntnis zu mehr Stellen und zu der entsprechend notwendigen Ausstattung.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Das Ringen um die Sicherstellung der Ausbildung bindet natürlich viel Kraft, die es sich aber eindeutig aufzubringen lohnt. Der Stellenzuwachs ist heute wichtiger denn je, genauso wie die passende Ausrüstung im Antiterrorkampf. Leichtere Westen und gepanzerte Fahrzeuge, wie wir sie Ende des Jahres beschaffen konnten, sind dabei ebenso elementar wie das angesprochene Training.

Mir ist ein Punkt auch persönlich wichtig: unser Polizeigesetz. Es kann nicht sein, dass wir gegen Terroristen erst nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wirksame polizeiliche Maßnahmen ergreifen können. Deshalb halte ich eine Anpassung für unbedingt erforderlich. An alle, die vielleicht schon wieder reflexartig ihre Ablehnung signalisieren: Auch die allermeisten Länder mit sehr unterschiedlicher Regierungsbeteiligung sind in Sachen Polizeibefugnisse deutlich weiter als wir in Sachsen.

(Beifall bei der CDU)