Protocol of the Session on September 29, 2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 42. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags.

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Frau Schaper, Herr Tillich, Herr Gemkow, Herr Heidan, Herr Wild, Herr Kupfer, Herr Otto, Frau Klotzbücher, Frau Kagelmann und Frau Schubert.

Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 und 5 bis 9 folgende Redezeiten festgelegt: CDU 95 Minuten, DIE LINKE 66 Minu

ten, SPD 50 Minuten, AfD 45 Minuten, GRÜNE 35 Minuten und die Staatsregierung 64 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf die Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.

Meine Damen und Herren, Tagesordnung 11, Kleine Anfragen, ist zu streichen.

Ich sehe jetzt keine weiteren Änderungsvorschläge und keinen Widerspruch gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 42. Sitzung ist damit bestätigt.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

Erste Aktuelle Debatte: Sachsen, Wiege der friedlichen Revolution:

Freiheit und Einheit feiern – Brücken bauen

Antrag der Fraktionen CDU und SPD

Zweite Aktuelle Debatte: Großzügige Bundesförderung für Bahn und Bus –

Sachsen vergibt Chance auf ÖPNV-Offensive

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Verteilung der Gesamtredezeit hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 20 Minuten, SPD 18 Minuten, AfD 14 Minuten, GRÜNE

15 Minuten und die Staatsregierung zwei Mal

10 Minuten, wenn gewünscht.

Wir treten ein in die

Erste Aktuelle Debatte

Sachsen, Wiege der friedlichen Revolution:

Freiheit und Einheit feiern – Brücken bauen

Antrag der Fraktionen CDU und SPD

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen CDU und SPD das Wort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde: DIE LINKE, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Für die einbringende CDUFraktion ergreift jetzt Herr Kollege Colditz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am kommenden Montag begehen wir bereits zum 26. Mal unseren deutschen Nationalfeiertag. Sachsen ist der diesjährige Ausstatter der zentralen Feierlichkeiten. Ich stelle voran: Wir wollen und wir werden gute Gastgeber sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei allen Fraktionen und der Staatsregierung)

Daran können auch Gewaltaufrufe kleiner radikaler Gruppen nichts ändern. Ausgehend von dieser Debatte wäre es eine gute Botschaft, wenn wir uns von derartigen Gewaltaufrufen deutlich distanzieren – und zwar alle Fraktionen.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Die übergroße Mehrheit der Menschen in diesem Land tickt ganz anders als jene Chaoten, die zu Gewalt aufrufen oder diese sogar praktizieren und die bis heute nicht begriffen haben, welche grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderungen seit mittlerweile 26 Jahren in diesem Land vollzogen worden sind – hin zu Freiheit, Demokratie und einem friedvollen

Miteinander nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren! Auf diese Entwicklung, die am 3. Oktober 1990 eingeleitet wurde, können wir stolz sein. Wir können diesen Tag ehrlichen Herzens miteinander feiern. Wir sollten dies mit Freude und mit Selbstbewusstsein tun, trotz aller Probleme, die noch zu lösen sind. Wir können stolz sein auf unser Land. Wir können stolz sein auf unseren Freistaat, und das ohne falsches Pathos, sondern ganz einfach ehrlichen Herzens. Ich denke, nur aus diesem souveränen Selbstverständnis, diesem souveränen Selbstbewusstsein heraus wird es uns gelingen, die Aufgaben, die noch zu lösen sind, zu lösen. Meine Damen und Herren, es ist im Kleinen wie im Großen: Wer sich selbst nicht annimmt, kann auch andere nicht annehmen. Das gilt zwischenmenschlich genauso wie gesellschaftlich.

(Beifall bei der CDU)

Auch Brücken in die Zukunft, meine Damen und Herren, kann man nur dann bauen, wenn das Fundament bewehrt ist und steht. Wer das Fundament untergräbt und infrage stellt, kann darauf zwar Brücken bauen, aber diese Brücken werden nicht halten.

Meine Damen und Herren! Der Tag der Einheit ist ein Tag der Erinnerung, ein Tag der Freude, ein Tag der Dankbarkeit. Er ist ein Tag der Erinnerung an grundlegende gesellschaftliche Veränderungen, die stattgefunden haben. Diese Erinnerung gilt es wachzuhalten, nicht nur, weil wir damit ein bedeutsames gesellschaftliches Ereignis würdigen, sondern weil dieses Ereignis exemplarisch dafür steht, wie Solidarität in der Gesellschaft, wie gemeinsames gesellschaftliches Engagement diese Gesellschaft auch verändern kann. Das haben wir damals erlebt. Das sollte – bei aller Kontroverse, die wir auch hier im Haus erleben – auch zukünftig die Grundlage einer demokratischen Verständigung zwischen uns sein.

Meine Damen und Herren! Wir haben auch Grund zur Freude. Wir alle erinnern uns an die Freude, die 1990 in Ost und West über dieses wiedervereinte Vaterland geherrscht hat. Die Freudentränen von damals sind sicherlich getrocknet und neue Probleme sind auf die Tagesordnung getreten. Dennoch, ohne die Wiederherstellung unserer nationalen Einheit wäre die erfolgreiche Entwicklung, die wir jetzt erlebt haben, nicht möglich gewesen. Das ist Grund zu ehrlicher, aufrichtiger Freude.

Ich las heute früh ganz zufällig einen Satz, den ich an dieser Stelle einfach einmal zitieren möchte und den man vielleicht ein Stück weiterdenken sollte. Dort hieß es: „Woran hängt unser Herz? An den Dingen selbst oder an der Freude, die wir erleben, wenn wir sie mit anderen Menschen teilen? Ein Stück Brot sättigt den Magen. Ein Stück Brot, das wir miteinander teilen, sättigt auch unser Herz.“ Ich denke, aus dieser Freude heraus können wir möglicherweise auch darüber nachdenken, wie wir im gesellschaftlichen Miteinander Probleme, die noch auf der

Tagesordnung stehen und die wir sehr kontrovers diskutieren, lösen können.

Der 3. Oktober, meine Damen und Herren, ist auch ein Tag der Dankbarkeit. Es geht nicht darum, dass dies eine politische Kategorie sein muss. Es geht darum, jenen zu danken, die die politischen Rahmenbedingungen geschaffen haben, damit dieser Prozess möglich war. Es geht darum, den Dank wachzuhalten für die Solidarleistungen, die dazu beigetragen haben, dass gerade bei uns in den ostdeutschen Ländern der Wiederaufbau so gelungen ist, wie er stattgefunden hat. Es gilt, auch jenen zu danken, die sich – sicherlich unter nicht unkomplizierten persönlichen Verhältnissen, unter gesellschaftlichen und beruflichen Herausforderungen und Veränderungen gestellt haben, diese angenommen haben und sie dann auch bewusst in Angriff nahmen.

Meine Damen und Herren! Wenn es uns am 3. Oktober, am kommenden Montag gelingt, in diesem Dreiklang von Erinnerung, Freude und Dankbarkeit diesen Tag zu begehen, dann geht ein gutes Signal von Sachsen aus. Es ist auch notwendig, dass ein positives Signal ausgeht, nicht nur für uns, sondern für Deutschland insgesamt. Wenn wir diesen Tag in ehrlicher, aufrichtiger Dankbarkeit und in ehrlicher Erinnerung feiern, dann ist das eine Grundlage dafür, dass wir die Herausforderungen, die noch vor uns stehen, mit Optimismus angehen können. Ich wünsche uns einen guten 3. Oktober.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Kollege Thomas Colditz hat für die einbringende CDU-Fraktion diese erste Rederunde eröffnet. Für die einbringende SPD-Fraktion schließt sich jetzt Kollegin Hanka Kliese an.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht, ich kann nicht mehr die Augen schließen, und meine heißen Tränen fließen.“

Ich sehe dem Tag der Deutschen Einheit mit Demut und mit Dankbarkeit entgegen und dennoch fallen mir in den letzten Wochen, Monaten und Tagen häufiger Heinrich Heines „Nachtgedanken“ ein. In welchen Situationen ist das so? Zum Beispiel, wenn ich Menschen sehe, die vor einer Asylunterkunft stehen und rufen „Weg mit dem Dreck“ und mit dem Dreck andere Menschen meinen. Zum Beispiel, wenn ich sehe, wie ein Mann der Kirche, der Bundespräsident, bei einem Besuch in Sachsen mit Schimpf und Schande überzogen wird, ohne Respekt vor seinem Amt, ohne Respekt vor seiner Person; auch wenn ich die Sicherheitsauflagen zum Tag der Deutschen Einheit lese, einem Tag, an dem wir freudig ausgelassen feiern sollten und ich weiß, dass es Gründe dafür gibt, weshalb diese Sicherheitsauflagen so restriktiv ausfallen.

Ich werde den Tag der Deutschen Einheit dennoch sehr gerne feiern, denn ich bin dankbar, dass es ihn gab. Die

Bedeutung des Tages der Deutschen Einheit sollte für uns alle weit über die persönliche Dimension hinausgehen. Persönliche Dimension ist in meinem Fall, dass ich mir frei aussuchen konnte, was ich studiere, in welcher Partei ich mich politisch engagiere, dass meine Tochter in einer Demokratie aufwächst. Viel wichtiger ist für mich aber die menschenrechtliche Dimension; denn mit dem Ende der DDR endete ein Regime, das seine Bürgerinnen und Bürger einsperrte, überwachte, verhörte, ihm die Kinder wegnahm und sie sogar gegen Devisen an den Westen verkaufte – ein beispielloser Menschenhandel – und bis 1987 die Todesstrafe auch aus politischen Gründen verhing. Dass es all das nicht mehr gibt, ist ein Grund zum Feiern und deswegen verbringe ich das Festwochenende genau mit den Menschen, die zu DDR-Zeiten politische Häftlinge waren und so etwas durchleiden mussten. Denn ihnen verdanke ich die Freiheit, in der ich heute lebe.

Dennoch verklärt mir dieser Blick, der freudige Blick auf den Tag der Deutschen Einheit, nicht die Sicht auf die Schattenseiten der Einheit. Wenn ich durch Städte wie Dresden, Görlitz, Leipzig oder Bautzen spaziere, sind diese Schattenseiten der Einheit für mich nicht sofort sichtbar. Doch fahre ich in meine Heimat nach Mecklenburg-Vorpommern in die kleine Stadt Pasewalk, dann sieht das schon ganz anders aus. In dem Stadtteil, in dem ich meine ersten drei Lebensjahre verbrachte, beträgt der Arbeitslosenanteil 29 %. Der größte Arbeitgeber ist dort inzwischen ein Call-Center. Die bekannte Wurstwarenfabrik, ein Markenzeichen meiner Heimatstadt, steuerte gerade in die zweite Insolvenz. Ein Arbeiter verdiente dort zwischen 5 und 7 Euro. Das ist auch für Pasewalk sehr wenig Geld.

Mir ist wichtig, dass wir nicht nur das Errungene preisen, sondern genau hinsehen, wo die deutsche Einheit ihre Ziele bisher noch verfehlt hat. Ich glaube, nur so können wir antidemokratischem Denken Einhalt gebieten. Ich kann sagen, worauf ich stolz bin, aber mit dem Stolz ist das eine schwierige Sache bei Dingen, die man nicht selber geleistet hat. Deswegen sage ich lieber, worüber ich mich freue, nämlich über die Menschen, die in Sachsen selbst ihr Leben in die Hand genommen haben und in kürzester Zeit vermocht haben, sich neu zu orientieren. Das ist eine riesengroße Leistung, wenn man bedenkt, wie viel sich in kurzer Zeit verändert hat. Ich bin auch sehr froh über den Einsatz Deutschlands im Rahmen der weltweiten Flüchtlingsbewegung, für den wir zu Recht viel Anerkennung bekommen. Damit meine ich vor allem die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Das ist ein schönes Gesicht Deutschlands, in das ich gerne blicke. Ich bin auch sehr froh, in diesen Zeiten in einem Land zu leben, in dem es eine Bundeskanzlerin gibt, die nie einen Zweifel daran gelassen hat, dass der Kurs der Offenheit der richtige Kurs ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heinrich Heines „Nachtgedanken“ wurden häufig falsch interpretiert, denn wenn Sie die weiteren Strophen des Gedichtes lesen, wissen Sie, er hat

sich viel mehr Sorgen um seine Mutter gemacht als um sein Vaterland. Auch ich mache mir nicht zu große Sorgen um mein Vaterland. Ich sehe die Demokratie nicht in einer akuten Gefahr, aber ich sehe eine Gefahr, dass die Demokratie zu selbstverständlich geworden ist. Deswegen sollte für uns der Tag der Deutschen Einheit ein Tag zum Feiern sein und ein Tag für eine Inventur.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei den LINKEN – Beifall bei der Staatsregierung)