Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Lehmann und Frau Raether-Lordieck.
Meine Damen und Herren! Gemäß § 77 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtags habe ich die 18. Sitzung für den heutigen Tag einberufen. Anlass dazu ist zum einen der als erster eingegangene Antrag der Staatsregierung zu einer gemeinsamen Regierungserklärung des Staatsministers des Innern und der Staatsministerin für Gleichstellung und Integration beim Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz zu dem Thema „Gesamtaufgabe Asyl – gemeinsam für Unterbringung, Sicherheit und Integration“.
Weiterhin liegt mir ein Antrag von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion GRÜNE auf Einberufung einer Sondersitzung nach § 77 Abs. 5 der Geschäftsordnung vor. Der Antrag trägt die nach dieser Vorschrift erforderliche Anzahl an Unterschriften. Beratungsgegenstand ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion GRÜNE in der Drucksache 6/2500 zu dem Thema „Konzept der Staatsregierung zur Gewährleistung menschenwürdiger Aufnahme sowie verlässlicher Teilhabe-, Bleibe- und Zukunftsperspektiven für Flüchtlinge in Sachsen“.
Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, wünscht der Ministerpräsident das Wort zu einer Erklärung außerhalb der Tagesordnung. Nach § 86 Abs. 1 und 4 unserer Geschäftsordnung ist dies ohne Weiteres möglich. Ich erteile daher zunächst dem Ministerpräsidenten, Stanislaw Tillich, das Wort zu dieser Erklärung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich mich mit dieser Erklärung an Sie, an die Bürger im Land und alle Menschen, die auf Sachsen schauen, wenden.
„Ein Willkommen ist nicht zu viel verlangt“ – mit diesen Worten drückt Jürgen Opitz aus, was doch eigentlich selbstverständlich sein sollte: ein Mindestmaß an Menschlichkeit.
Menschlichkeit zeichnet die überragende Mehrheit der Sachsen aus. Aber eine enthemmte Minderheit besudelt und beschämt unser ganzes Land in einer Art und in einem Ausmaß, die ich mir nicht habe vorstellen können. Sie haben Mitmenschen angegriffen, terrorisiert und verängstigt. Hier erheben sich Menschen über Menschen, ohne sich auch nur irgendwie für deren Leben und deren Schicksale zu interessieren. Gewalttätige Extremisten und alle, die sie haben gewähren lassen, die sie unterstützt haben, die – ich kann das nicht verstehen – auch mit
Kindern hinter ihnen hergezogen sind, haben vor der Unterkunft in Freital und an dem Wochenende von Heidenau unsere Grundordnung verlassen und unseren gesellschaftlichen Frieden bedroht.
Diese Personen haben sich außerhalb der sächsischen Bürgerschaft gestellt. Sie haben ihre hasserfüllten Gedanken durch konkrete Gewalt ausgelebt. Das macht mich sprachlos. Sie haben einen gefährlichen Schatten auf die Weltoffenheit Sachsens geworfen, die Weltoffenheit, von der unser aller Zukunft abhängt. Dafür gibt es kein Verständnis, keine Toleranz. Dagegen muss es den Aufstand aller in unserem Land geben.
Ich selbst werde gesellschaftliche Gruppen einladen, um die Stärke der sächsischen Demokratie mit ihnen zu besprechen. Gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern, dem Kultursenat bis hin zum Landessportbund und der Wohlfahrt will ich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht nur werben, sondern auch arbeiten. Das liegt mir am Herzen.
Was mir ein besonderes Anliegen ist: Ich möchte Lehrer einladen, um mit ihnen zu diskutieren: Wie gut bilden unsere Schulen in Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt aus? Unser Ziel muss es doch sein, dass alle Schüler überzeugte sächsische Staats- und Weltbürger werden.
(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN sowie Beifall bei der Staatsregierung)
Feinde der Demokratie und Rassisten haben das Fundament des zivilisierten Miteinanders in Deutschland verlassen. Sie haben versucht zu zerstören, was Tausende Sachsen Tag für Tag verteidigen und mit Leben erfüllen: unsere Werte von Humanismus und Nächstenliebe, Toleranz und Gewaltfreiheit. Diese Werte sollten von allen eingehalten werden und müssen gegenüber allen Menschen gelten, auch gegenüber Kommunalpolitikern und gegenüber Mitgliedern der Staatsregierung. Man kann Politik kritisieren, man kann anderer Meinung sein. Aber das Minimum ist doch Respekt – vor dem Amt, aber auch vor der Person im Amt.
(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN, vereinzelt bei den LINKEN und der AfD sowie Beifall bei der Staatsregierung)
Ich möchte Jürgen Opitz, dem Bürgermeister von Heidenau, auch hier, im Sächsischen Landtag, nochmals danken – für seinen Mut, seine Courage, seine klare Haltung. Er hat nach den unerträglichen und verstörenden Ereignissen in seiner Stadt Stellung bezogen und deutlich gemacht: Es wurden nicht verhandelbare Grenzen überschritten. Eine
Minderheit beschädigt einen Ort, der doch anders ist. Viele Heidenauer helfen den Flüchtlingen. Sie leben unsere Werte – wie Mitmenschlichkeit – durch ganz praktisches Handeln. Jürgen Opitz und sein Handeln – das ist unser Sachsen. Das ist ein Maßstab für Sachsen. Er steht für viele Bürgermeister in unserem Land. Er ist Vorbild für diejenigen, die künftig Asylbewerber in ihrer Stadt willkommen heißen werden. Das ist Jürgen Opitz.
Meine Damen und Herren! Heute ist Weltfriedenstag. Hass zerstört Frieden. Hass zerstört Freiheit. Hass zerstört Demokratie und Gemeinschaft. Hass zerstört Wohlstand. Hass macht einsam und arm. Die „geballte Wut“, wie es die Protestierer selbst nennen, schlägt der Politik in unserem Staat entgegen zu einer Zeit, in der es unserem Land und dem Durchschnitt der Menschen gut geht. Wir haben in Sachsen 40 Jahre SED-Diktatur hinter uns gelassen. Wir begehen den 70. Jahrestag des Kriegsendes. Sollte es uns nicht auch heute noch glücklich machen, in Freiheit, Frieden und Selbstbestimmung zu leben?
Wir Sachsen haben seit 1989 viel Hilfe durch Westdeutsche erfahren. Wir können doch nicht vergessen haben, dass wir unseren Wohlstand gerade auch der Unterstützung und Solidarität anderer verdanken, einer Solidarität, die uns auch in schweren Stunden – wie in den Fluten – nie alleingelassen hat.
Ich rufe uns alle hier im Parlament, aber auch Kirchen, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Vereine und Verbände – alle Bürger unseres Freistaates – auf: Schauen wir auf unser Land und bekennen wir uns noch deutlicher zu einem Sachsen mit Herz! Der Herzschlag ist da. Leipzig wehrt sich gegen dumpfe Demonstrationen. AnnabergBuchholz freut sich über Flüchtlinge. An vielen Orten werden sie willkommen geheißen. Abertausende Sachsen spenden, helfen, engagieren sich. Ich möchte, dass dieser Herzschlag stärker zu spüren ist. Er soll nicht zu überhören sein.
Flüchtlinge sind Menschen, die zu uns kommen, denen wir helfen müssen. Wenn sie bleiben dürfen, sollten wir in ihnen noch mehr sehen. Machen wir aus den Flüchtlingen unseren Nachbarn, unseren Kollegen, unseren Sportkameraden. Jedem Flüchtling, der nach einem Asylverfahren bei uns bleiben darf, sage ich: Lernen Sie unsere Sprache, finden Sie eine auskömmliche Arbeit bei uns, erleben Sie unsere Kultur und bereichern sie diese. Teilen Sie unsere Werte und werden Sie ein Bürger im Freistaat Sachsen.
Um diese Herausforderung der vielen Asylbewerber zu bewältigen, braucht es in unserem Land einen spürbaren Ruck der Barmherzigkeit, wie es der neue Landesbischof, Dr. Rentzing, am Samstag von uns gefordert hat. Es ist unsere humanitäre Pflicht, den Menschen zunächst ein
Dach über dem Kopf zu geben, und das ist nicht die Pflicht der Regierung und des Staates allein. Es geht uns alle an, wenn Menschen in unser Land kommen und Hilfe brauchen.
Die Staatsregierung ist zunächst auf die Zusammenarbeit mit unserer kommunalen Familie angewiesen, denn dort leben dann die Asylbewerber. Morgen werden Martin Dulig und ich uns wieder mit Landräten und Bürgermeistern zusammensetzen und den weiteren Weg besprechen. Die Städte und Gemeinden können sich auf unsere Unterstützung verlassen.
Ich danke ausdrücklich der Stadt Chemnitz und ihren Bürgern. In dieser sächsischen Großstadt wird seit Jahren Großartiges für die Aufnahme von Flüchtlingen geleistet. Ich danke auch der Stadt Schneeberg, in der es nach den schweren Protesten von 2013 eine breite Welle der Solidarität und Unterstützung gibt. Ich danke Böhlen, Görlitz, Meißen, Perba – allen Orten in Sachsen und allen Bürgern, die sich der Verantwortung stellen.
Ich bitte darum, dass sich alle der Verantwortung stellen: Eigentümer möglicher Immobilien, wenn wir um Unterkunft bitten, und auch die Nutzer von Turnhallen, Nachbarn einer Asylunterkunft, die Gesellschaft der Stadt, in der wir Flüchtlinge unterbringen müssen. Die neuen Zahlen des BAMF haben eines ganz deutlich gemacht: Wir stehen vor einer ungeahnt großen Aufgabe. Wir stehen vor einer Aufgabe, die Land und Kommunen nur im gemeinsamen Schulterschluss auch mit dem Bund schaffen können.
Aber wir werden das schaffen, meine Damen und Herren. Davon bin ich überzeugt. Wir werden an dieser Herausforderung wachsen müssen. Auch da sage ich: Auch das schaffen wir. Dafür sind aus meiner Sicht drei Dinge wichtig:
Erstens. Es ist jetzt die Zeit, in der wir uns um die beste Lösung kümmern müssen. Aber gewinnen wir bitte mehr Verständnis füreinander! Ich wünsche mir weniger Vorwürfe und mehr Zusammenhalt. Kommunikationszeiten, Entscheidungswege werden sich ständig den neuen Bedingungen anpassen müssen. Es ist – das haben die Bundeskanzlerin und auch ich mehrfach gesagt – kein Normalbetrieb, in dem wir uns gegenwärtig befinden. Menschen brauchen schnelle Hilfe. Wir brauchen schnelle Entscheidungen, ob die Menschen bleiben dürfen oder nicht, und schnelle Entscheidungen, wo wir die Menschen unterbringen.
Zweitens. Wir können diese Herausforderungen nur bestehen, wenn wir die Stärken unseres Landes erhalten. Zu diesen Stärken gehört die Rechtsstaatlichkeit. Daher: Neben der Demokratie gilt es auch, unseren Rechtsstaat zu verteidigen. Extremisten und Gewalttäter müssen verfolgt werden. Straftaten vor, aber auch in Asylbewerberheimen müssen konsequent geahndet und Asylverfahren schneller entschieden werden, und die Entscheidung muss konsequent und zügig umgesetzt werden. Nicht jeder, der zu uns kommt, hat ein Recht, auch hier zu bleiben.
Zum Erhalt der Stärken gehört auch: Es sind wegen der Kosten für Unterbringung und Betreuung keine Abstriche in anderen Politikbereichen geplant.
Drittens. Die Flüchtlinge aufzunehmen heißt auch, dass sie nicht nur ein Dach über dem Kopf haben, sondern sie werden auch Teil unserer Gesellschaft. Deshalb müssen wir zum einen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernstnehmen und Antworten geben. Ich erhalte viele Briefe. Viele Bürger erklären mir in ganz ruhiger und sachlicher Art, womit sie gerade hadern. Das respektiere ich, und wir müssen es in unserer Politik beachten. Ich will eine Gesellschaft, die zusammenhält, nicht nur in Hochwasserkatastrophen, sondern immer.
Meine Damen und Herren! Ich schaue besonders auch auf die Menschen, die in diesen Wochen enorm gefordert sind, weil sie bei der Aufnahme, der medizinischen Betreuung, der Bearbeitung von Anträgen, der Unterbringung oder der allgemeinen Unterstützung ihren Dienst verrichten. Das alles schaffen wir heute, das schaffen wir morgen, das schaffen wir noch im kommenden Jahr. Aber auf Dauer werden wir es kaum in dieser Größenordnung schaffen. Dabei geht es nicht um das Geld in unserem relativ reichen Land. Es geht auch nicht allein darum, wie viele Ausländer wir aufnehmen können. Die Herausforderung ist, dass die vielen Menschen, die zu uns kommen, viele helfende Hände brauchen. Die Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern wird uns an die Grenzen führen, Grenzen der Einsatzfähigkeit von Menschen, an Grenzen der Beschaffung von Materialien, wie Containern und Sanitäreinrichtungen.
Ich sage Ihnen das nach Gesprächen mit Einsatzleitern, die 30-Stunden-Schichten haben, Mitarbeitern, die Tag für Tag von 6 bis 23 Uhr Flüchtlinge aufnehmen, Ärzten, die zusammen 200 Untersuchungen am Tag bearbeiten, Polizisten, die für den Schutz ihren Kopf hinhalten und verletzt werden, Kommunalpolitikern, die bedroht werden, und Ehrenamtlichen, die sich jede freie Minute für Flüchtlinge und deren Zusammenhalt in unserem Land engagieren. Diese Menschen haben ein großes Herz, eine unglaubliche Leistungskraft und einen unbändigen Willen zu helfen. Ich denke, ich spreche auch in Ihrem Namen, wenn ich diesen Menschen an dieser Stelle herzlich danke.
Ich fühle mich auch für diese Menschen verantwortlich, die mir deutlich sagen: Irgendwann können wir nicht mehr. Ich begrüße daher, dass wir heute diese Sondersitzung haben und der Landtag eine Debatte über die Zukunft unserer Asylpolitik begonnen hat. Führen wir sie sachlich und mit humanitärer Perspektive! Führen wir sie mit Herz! Wir brauchen diese Debatte, und wir müssen mit Sicherheit noch weitere Schritte gehen, Schritte hin zu
einer wirklichen europäischen Asylpolitik mit sicheren Grenzen, fairer Verteilung und effizienten Verfahren.
Das Verhalten Ungarns hat es deutlich gemacht: Wir müssen schneller an Lösungen arbeiten, die die Situation für alle entspannen und Schritte hin zu einer erfolgreichen Integration der Menschen, die bei uns in Sachsen bleiben, gehen. Aber es gilt: ein Schritt nach dem anderen. Zuerst müssen wir die Würde aller Menschen sichern, die zu uns kommen, und ihnen ein Dach über dem Kopf sichern.
Meine Damen und Herren! Es gibt hasserfüllte Menschen, aber es gibt so viel mehr Bürger, die uneigennützig anpacken und Menschlichkeit ganz konkret werden lassen.
Dazu gehören Sachsen in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die in unseren Städten und Gemeinden zu ihrer Verantwortung stehen. Dazu gehören Sachsen, die ihren Dienst beim DRK, den Maltesern, den Johannitern, dem THW und anderen Hilfsorganisationen leisten. Und es sind die vielen ehrenamtlichen Sachsen, die hinsehen, die helfen, sich für eine menschliche Gesellschaft einzusetzen. Sie alle machen unser Sachsen zu einem Sachsen mit Herz.
In diesem Sinne wünsche ich mir: Führen wir heute und zukünftig die Debatte um die richtige Asylpolitik.
Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten. Von den Fraktionen wurde nach § 86 Abs. 4 der Geschäftsordnung eine Aussprache über die Erklärung des Ministerpräsidenten gewünscht. Ich schlage dafür die von den PGFs abgesprochene Redezeit von 10 Minuten je Fraktion in der Reihenfolge vor: DIE LINKE, CDU, SPD, AfD, GRÜNE. Da ich keinen Widerspruch sehe, verfahren wir so. Die Rednerrunde eröffnet die Fraktion DIE LINKE. Das Wort ergreift Herr Kollege Gebhardt.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Vielen Dank für die ehrlichen und zum Teil auch klaren Worte. Sie kommen aus tiefstem Herzen, und ich höre neue Töne an Nachdenklichkeit in einer Zeit, die vor allen Dingen von Verantwortungsträgern täglich neue Lageeinschätzungen, Schlussfolgerungen und Entscheidungen abverlangt.