Katrin Budde
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Last Statements
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank. - Ich gebe zu, Herr Minister, Sie haben mich nachhaltig verwirrt.
Unter dieser Überschrift der Regierungserklärung habe ich mir etwas völlig anderes vorgestellt, und habe mir gedacht: Och, machen wir in der letzten Landtagssitzung noch einmal für 90 % des Landes, für die ländlichen Regionen, für das platte Land, was Sachsen-Anhalt ausmacht, eine schöne Debatte darüber, wie wir das entwickeln können. Dann habe ich Ihre Regierungserklärung gelesen und habe für mich beschlossen, ich bleibe dabei, dass das für mich mehr ist als das, was Sie aufgezählt haben; aber natürlich gehört das zu einer lebens- und liebenswerten Heimat dazu.
Dann haben Sie mich ein zweites Mal verwirrt mit Ihrem ersten Zitat:
„Der Mensch ist nicht das Produkt seiner Umwelt, sondern die Umwelt ist das Produkt des Menschen.“
Mit Respekt auch gegenüber verblichenen britischen Konservativen, ich glaube, das war schon im viktorianischen Zeitalter falsch.
Ich glaube schon, und bin sehr davon überzeugt, dass der Mensch das Produkt seiner Umwelt ist. Unser Denken, unsere Wertvorstellungen, unsere Gesundheit, unsere Lebenserwartung, alles das und noch ganz viel mehr ist geprägt von Umwelt im umfassenden Sinne.
Natürlich sind wir geprägt von unserer Umwelt, von den familiären, von den sozialen, von den natürlichen, von den ökonomischen und politischen Faktoren der Umwelt. Ich weiß zwar, wie Sie es gemeint haben, aber trotzdem finde ich das Zitat falsch. Der Mensch ist wirklich ein Produkt seiner Umwelt, zugleich gestaltet er sie aber natürlich auch. Das war das, was Sie betonen wollten.
Ich glaube aber, dass gleiche Chancen deshalb unheimlich wichtig sind, weil der Mensch ein Produkt seiner Umwelt ist und weil er sie auch gestaltet. Gleiche Chancen, ohne die es kein liebens- und auch kein lebenswertes Sachsen-Anhalt gibt und auch keine Heimat. Gleiche Chancen für Männer und Frauen. Gleiche Chancen für Kinder, egal wo sie herkommen, unabhängig vom Elternhaus. Gleichwertige Lebensverhältnisse, aber eben in allen Regionen unseres Landes. Dazu sind wir verpflichtet nach Artikel 72 des Grundgesetzes; das ist gut.
Gleiche Chancen für die Balance von ökonomischen Interessen und Notwendigkeiten, aber auch ökologischen Zielen und der Bewahrung der Natur und der Lebensgrundlagen. Das sage ich ganz bewusst als Städterin hier: Gerade auch Chancengerechtigkeit zwischen den Zentren des Landes und dem platten Land, nämlich den ländlichen Regionen, die unser Land prägen.
Ich glaube sogar felsenfest, ob Sachsen-Anhalt ein liebens- und lebenswertes Land, eine Heimat ist und ob diese Botschaft über das Land hinaus getragen werden kann, das entscheidet sich in den ländlichen Räumen ganz elementar mit. Es entscheidet sich bei Weitem nicht nur in der Umweltpolitik, sondern auf ganz vielen Politikfeldern, zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik.
Wenn wir uns die ländlichen Räume angucken, dann ist das Rückgrat des ländlichen Raumes eine mittelständische Wirtschaft, eine kleinteilige Wirt
schaft. Neben der Land- und Forstwirtschaft sind es diese mittelständischen Unternehmen, die die ländlichen Räume prägen.
Leben und gut leben können in einer gesunden Natur, das setzt auch voraus, dass man Arbeit hat. Deshalb gehört es für mich als elementarer Bestandteil dazu, wenn man über eine lebens- und liebenswerte Heimat redet, dass es um die wirtschaftliche Entwicklung geht.
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns in der nächsten Legislaturperiode damit beschäftigen, dass es eine neugestaltete Gemeinschaftsaufgabe „ländliche Entwicklung“ gibt und nicht bloß die Verbesserung regionaler Wirtschaftsstruktur, sondern auf diese ländlichen Räume hin angepasst.
Deshalb steht auf dem Auftragszettel für uns in der Politik ganz weit oben die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, und das heißt in erster Linie eine flächendeckende Breitbandversorgung. Das ist eine Mammutaufgabe; wir wissen das. Aber ohne sie wird es nicht gehen.
Wenn jemand mit seiner Geschäftsidee online gehen will, dann kommt für ihn erst einmal jeder Standort in Betracht, Sülzetal, Halle-Neustadt oder Zabakuck, das tatsächlich in Sachsen-Anhalt liegt, bei Genthin, so habe ich mir sagen lassen. Der Name hört sich so fremdländisch an. Der schnelle Internetzugang muss vorhanden sein,
sonst kommt die Dienstleistung überhaupt nicht an und das Produkt nicht zum Kunden. Deshalb sagen wir, wenn wir über eine lebens- und liebenswerte Heimat reden, dann müssen wir das akzeptieren als Daseinsvorsorge und müssen das anerkennen.
Ein Mammutprojekt, das wir in dieser Legislaturperiode nicht geschafft haben, ist das Thema Regionalbudget. Es wäre, glaube ich, gut gewesen, es hier einzubeziehen. Um Wertschöpfungspotenziale in den Regionen zu sichern und wirtschaftliche Prozesse nachhaltig anzuschieben, brauchen wir in den Regionen selbst gestaltete Strategien, Strategien, in denen ökonomische Effizienz, soziale Balance und umweltverträgliche Nutzung sowie die Schonung natürlicher Ressourcen ihren Niederschlag finden.
Das geht nur aus der Region heraus. Hier sind wir kläglich an den Ressortinteressen der einzelnen Häuser gescheitert. Das ist fast wie bei der A 14, wir nehmen uns jedes Mal vor, in der nächsten Legislaturperiode schaffen wir das.
Kriterien wie Herkunft, Tradition und regionale Identität können nämlich zur regionalen Wertschöpfung beitragen. Das wird noch massiv unterschätzt. Wir wollen natürlich auch für regionale Lebensmittel und Produkte sensibilisieren, die aus unseren Regionen kommen. Wir wollen die Vermarktung regionaler Produkte ausbauen.
Neue Potenziale für die regionale Wertschöpfung liegen natürlich im Bereich der Veredelung in Kombination mit regionalen Produkten. Diese Potenziale müssen wir erschließen. Deshalb wollen wir eine klare Herkunftskennzeichnung regionaler Lebensmittelprodukte. Das schafft Identität und das macht unsere Heimat auch für andere liebenswert. Denn Liebe geht durch den Magen, und so könnten wir eine Lebens und lebenswerte Heimat auch nach außen vermitteln.
Landwirtschaft und Wald. Eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft bildet die Grundlage für lebendige ländliche Räume. Aber diese beiden Bereiche sind auch zunehmend Rohstoff- und Energielieferant, die Landwirtschaft natürlich in erster Linie für die Nahrungsmittelproduktion.
Die Forstwirtschaft dient nicht vorrangig der Nahrungsmittelproduktion; denn so viele Sägespäne verarbeiten wir nicht, obwohl es auch Sägemehlkeks gibt; das weiß ich. Aber die Produkte aus der Forstwirtschaft werden natürlich anderswo verbraucht.
Natürlich tragen Landwirtinnen und Landwirte sowie Forstwirte als große Flächennutzer eine hohe Verantwortung für den Klimaschutz, für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, für die Bodenfruchtbarkeit und für Umwelt- und Tierschutz. Und sie prägen das Gesicht der Flächen und der Regionen; das ist sehr entscheidend. Deshalb werden wir die Landwirtschaft darin unterstützen. Ich halte es für dringend notwendig, die Einkommensgrundlage auszubauen, zu diversifizieren und zu erweitern.
Wir werden auch die Nahrungsmittelproduktion stärker an den Wünschen qualitäts- und gesundheitsbewusster Verbraucherinnen und Verbraucher ausrichten müssen. Da haben wir große Chancen, weil wir den Bereich noch ausbauen können. Machen wir es doch in diese Richtung. Die Verbraucher und Verbraucherinnen haben heute andere Forderungen.
Da, Herr Minister, kommt wieder Ihr Satz ins Spiel. Doch, der Mensch ist das Produkt seiner Umwelt. Gerade beim Verbraucherverhalten wird das ganz deutlich. Wenn sich Sätze wie „Geiz ist geil“ im Bereich der Nahrungsmittel breitmachen, dann ist das schädlich. Das ist schädlich für die Menschen, weil die Qualität der Produkte, die sie
essen, darunter leidet. Das ist schädlich für diejenigen, die diese Produkte herstellen, und zwar an jeder Stelle der Kette.
Wir sind schon sehr stark von unserer Umwelt geprägt. Die war nicht immer lustig, vor allem nicht die Werbeumwelt, die das Bild mit prägt und das Verhalten mit auslöst. Deshalb finde ich es gut, dass sich inzwischen etwas verändert hat. Insbesondere die junge nachwachsende Generation geht damit sehr viel bewusster um.
Meine Damen und Herren! Ich finde wirklich, gutes Essen ist nicht nur abhängig vom Geldbeutel. Man kann in jeder Kategorie gutes Essen zu sich nehmen. Wir müssen das gesellschaftliche Bewusstsein dafür ändern und damit anfangen, es wieder zu tun. Wir müssen denen, die unsere Nahrungsmittel herstellen, auch das geben, was sie verdienen, damit sie etwas verdienen und damit ein Gewinn übrig bleibt. Was auf dem Milchmarkt passiert ist, ist unglaublich und auch unnötig.
Zur Bildung. Wir haben in der jetzigen Legislaturperiode ganz viel über den Erhalt kleiner Grundschulen diskutiert. Viel weniger Debatten haben wir leider über die Qualitätssicherung geführt oder zum Beispiel über das Thema „Schule im ländlichen Raum“ und über die Frage, wie in allen Regionen flächendeckend alle Abschlüsse erreicht werden können.
Ich glaube aber, dass das unter anderem eine zentrale Frage ist. Es gilt nicht nur, die Grundschulen zu erhalten. Gleichwertige Lebensverhältnisse für die nächste Generation zu schaffen heißt vielmehr, man muss alle Abschlüsse in erreichbarer Nähe machen können.
Deshalb ist es gut, dass sich eine Schulform von unten entwickelt hat, die genau das bietet, differenzierte qualifizierte Abschlüsse, gerade auch im ländlichen Raum. Ich glaube, dass die Gemeinschaftsschule eine Erfolgsgeschichte ist. Diese Erfolgsgeschichte ist noch lange nicht zu Ende geschrieben.
Da ja in so aufgeregten Wahlkampfzeiten immer ganz viel über Politik der Stabilität geredet wird, finde ich, die SPD steht nicht nur für eine solche Politik der Stabilität, sondern wir erteilen einer Instabilität und Veränderung in diesem Bereich ganz klar eine Absage.
Wir werden keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem die Gemeinschaftsschule zur einzigen Regelschule gemacht wird - das geht in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
DIE LINKE -, wir werden aber auch keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, mit dem alles zurückgedreht werden soll, schon wieder eine andere Schulstruktur aufgebaut werden und
die Gemeinschaftsschule geschwächt werden soll. Das geht in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion. Wer Stabilität will, der sollte diese Stabilität auch wählen.
- Ich glaube euch das nicht. Erst, wenn ihr es unterschrieben habt, glaube ich euch das. Ich glaube euch das nicht.
- Nein, das ist nicht unser Problem.
Zum Beispiel die Gesundheitsversorgung. Es gibt natürlich Schwarzmaler, die die ländlichen Räume abschreiben wollen, was das Thema Gesundheitsstruktur angeht. Natürlich ist nicht zu verkennen, dass insbesondere die fachärztliche und in manchen Gegenden zunehmend auch die allgemeinmedizinische Versorgung zum Problem vor allem für ältere und immobile Bürgerinnen und Bürger geworden ist.
- Ja, natürlich auch für Jüngere, eigentlich für alle. Aber die Jüngeren sind manchmal noch mobiler, weil sie Eltern haben, die mobil sind. Da gibt es schon noch einen Unterschied.
Das ist aber keine Situation, mit der sich sowohl die Selbstverwaltungsorganisationen des Gesundheitswesens - die gehören nämlich dazu - als auch die Politik abfinden dürfen. Das ist nicht nur die Aufgabe der Politik. Dazu gehören ganz klar auch noch andere.
Es gibt auch längst Konzepte. Es gibt hoch entwickelte europäische Länder, die schon immer viel dünner besiedelt waren, als wir es jemals sein werden. Die haben natürlich Konzepte für eine solche Gesundheitsversorgung. Das kann man abkupfern und an die Bedingungen anpassen.
Wir brauchen eine hochwertige medizinische Versorgung. Wir als Sozialdemokraten sagen ganz klar, es darf nicht nur sozial, sondern auch regional gesehen keine Zweiklassenmedizin geben.
Deshalb gibt es ganz verschiedene Dinge. Wir brauchen mehr Menschen, die wieder Interesse für die Allgemeinmedizin haben. Man kann auch
jungen Ärztinnen und Ärzten über die Anstellung in medizinischen Versorgungszentren gerade am Anfang der Berufstätigkeit die Möglichkeit der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf geben. Das sollten wir auch tun. Wir brauchen Praxisgründungen und Praxisübernahmen. Wir werden sie stärker fördern müssen.
Natürlich müssen wir die Krankenhausstruktur stärker für die ambulante Versorgung nutzen.
Und wir brauchen ein Netz regionaler Gesundheitszentren. Aber wir brauchen auch neue Ideen. Jeder weiß, was mit Agnes gemeint ist, der Gemeindeschwester. Aber wir brauchen darüber hinaus zum Beispiel auch die Bachelor-Krankenschwestern, die in die Fläche gehen und in gewissem Umfang Diagnosen stellen.
Es gibt ganz viele Ideen. Was braucht man wieder dafür? - Dafür braucht man das Internet. Dafür braucht man eine Digitalisierung der ländlichen Räume. Wir kommen immer wieder dahin, dass das die Querschnittstechnologie für alles ist, für Mobilität, für Gesundheit, für das Einkaufen und für die Wirtschaft.
Zur Umweltpolitik. Ich komme doch noch dazu, Herr Minister.
- Ich brauche ja nicht alles zu wiederholen, was er gesagt hat. Ich kann meine Rede für etwas anderes nutzen. Ich glaube, das ist dann in der Gesamtheit auch das, was man sich unter lebenswerter und liebenswerter Heimat vorstellt, nicht nur, aber auch Umweltpolitik.
Mit den Beschlüssen der Klimakonferenz in Paris sind wir dem Ziel der Sicherung unserer Lebensgrundlagen für unsere Enkel und Urenkel ein Stück näher gekommen, ja. In Sachsen-Anhalt sind wir mit dem bisherigen Ausbau der regenerative Energien auf einem guten Weg, ja.
Es gibt damit im Sinne der Nachhaltigkeit aber auch noch einige Aufgaben. Denn natürlich gibt es Zielkonflikte; einige hat der Minister angesprochen. Ich will noch einige mehr nennen.
Es gibt einen Zielkonflikt zwischen dem Ausbau von Windkraftanlagen und dem Vogelschutz. Wenn wir die Rotmilane schützen wollen, dann müssen wir die Abstände einhalten. Aber, meine Damen und Herren von der CDU, dann müssen sie sich natürlich bewegen und dürfen nicht so stur auf den Flächen mit dem Repowering bestehen.
Das muss man dann natürlich auch anpassen. Wenn man das Repowering will, wenn man neue Anlagen hinstellen will und wenn man der Windkraft eine Chance geben will, dann gehören zwei
Schritte dazu, sowohl der Vogelschutz als auch das andere.
- Ja. - Zur Nachhaltigkeit gehört auch die Kostenstruktur. Dazu gehört nicht nur die Produktion und die Gewinnung von erneuerbarer Energie, auf die sich in den letzten Jahren ganz viele konzentriert haben. Dazu gehören die Speicherung, der Transport an die Orte, an denen Energie verbraucht wird. Dazu gehören die Grundlastfähigkeit und die Effizienz.
Und dazu gehört auch, Herr Minister, die Wertschöpfung im Land zu lassen. Das ist völlig richtig. Das, was sich in den letzten Jahren sozusagen als Gewinnquelle entwickelt hat, ist nicht im Sinne der Nachhaltigkeit im Bereich der erneuerbaren Energien vernünftig. Vielmehr müssen wir versuchen, dafür zu sorgen, dass die Wertschöpfung hier erfolgt und das auch das Geld im Lande bleibt. Das ist völlig richtig.
Die Bilanz der Landesregierung im Umweltbereich fällt gut aus, ist aber auch gemischt. Es ist durchaus noch etwas übrig. Man ist da noch nicht ganz am Ende der Möglichkeiten. Das wird man vermutlich auch nie sein. Aber es ist ganz viel wirklich gut erledigt.
Wir sind auf einem guten Weg. Im Bereich des Hochwasserschutzes ist super viel gemacht worden. Auch ich richte meinen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft.
Und ja, die Großschutzgebiete sind die Juwelen unserer Kulturlandschaft. Der länderübergreifende Nationalpark Harz, das Biosphärenreservat Mittelelbe, die Karstlandschaft Südharz, sieben Naturparke - das liegt uns natürlich besonders am Herzen und das ist wirklich toll. Sie zeigen den besonderen Reichtum an Natur und Landschaft in unserem Bundesland.
Aber wir haben auch etwas nicht geschafft. Im Koalitionsvertrag hatten wir uns gemeinsam darauf geeinigt, für das Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz in dieser Wahlperiode die UnescoAnerkennung zu beantragen und den Drömling als Biosphärenreservat nach Landesrecht auszuweisen.
Das haben wir nicht hingekriegt. Ich glaube, wir brauchen wirklich mehr Öffentlichkeitsarbeit, wir müssen noch mehr Überzeugungsarbeit leisten, dass es nicht schädlich, sondern nützlich ist, wenn
wir dies tun. Ich glaube, da liegt noch eine große Aufgabe vor uns.
Der Umweltrahmen ist stark durch europäisches Recht geprägt. Mit der Umsetzung der entsprechenden Richtlinien tun wir uns mitunter auch etwas schwer.
Es gehört ganz sicher nicht zu den Ruhmesblättern, dass wir Natura 2000 immer noch nicht umgesetzt haben. Das ist völlig richtig. Da müssen wir in Zukunft deutlich mehr tun. Ich nenne nur das Stichwort Vertragsverletzungsverfahren. Das würde sich negativ auswirken.
Auch die Vorgaben des Verschlechterungsverbotes müssen wir erfüllen. Da fehlt noch ganz viel. Wir brauchen eine zeitnahe Aussage dazu, wie die Finanzierung bis zum Inkrafttreten der Richtlinie überbrückt werden soll.
Was die Sanierung der Altlasten angeht, sind gut 1,3 Milliarden € verbraucht worden. Unsere Landschaften haben sich super verändert. In dem Topf sind 2,5 Milliarden €. Das heißt, wir haben die Hälfte noch vor uns. Das wird zu leisten sein. Das ist keine Kritik, sondern das ist eben eine sehr langfristige Aufgabe. Daran sieht man, wie lange man braucht, um Schäden an der Umwelt wiedergutzumachen.
Also, die ländlichen Räume in Sachsen-Anhalt sind Naturorte, Lebensorte, Wirtschaftsstandorte, Wohnstandorte, Land- und Forstwirtschaftsstandorte, Erholungsräume, Tourismusstandorte und vieles mehr. Das macht unsere liebenswerte und lebenswerte Heimat aus.
Sie ist Heimat für die Bewohnerinnen und Bewohner, die dort schon leben, und sie wird es zunehmend auch für Menschen sein, die von außen als Zuwanderer zu uns kommen. Sie steht für intakte Nachbarschaften, für bürgerschaftliches Engagement und für starke kulturelle Identität. Sie ist die Basis für unsere Ernährung, für saubere Luft, für Wasser, für Energiegewinnung und Ressourcenschutz.
Ohne ländliche Räume kann die Stadt nicht überleben. Wir werden den Spagat zwischen prosperierenden und schrumpfenden Räumen nicht nur aushalten, sondern wir werden ihn gestalten müssen. Das wird eine ständige Aufgabe bleiben, nicht nur in dieser, sondern auch für die nächste Legislaturperiode, für Politik und Gesellschaft.
Wir werden ganz neue Lösungen brauchen, mit den alten brauchen wir gar nicht mehr anzufangen. Das Ob ist geklärt. Wir werden das gestalten. Über das Wie werden wir uns weiter verständigen und darüber diskutieren. Aber die Beantwortung dieser
Frage wird über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes entscheiden. Deshalb ist mein Schlusssatz, Herr Präsident: Wir schaffen das.
Das will ich ja gar nicht.
Ich kann Ihnen nicht mehr die genaue Stelle nennen, aber - -
- Ja, ja. - Ich habe das durchaus so verstanden - - Sie können das ja richtigstellen; dann ist ein Konflikt weniger da, wenn Sie das hier öffentlich richtigstellen. Das ist dann auch ein Ergebnis, und zwar ein gutes Ergebnis. Wir haben es in der Tat so verstanden, dass Sie die Gemeinschaftsschule gern zu Regelschule im ländlichen Raum machen wollen. Ich finde das Ergebnis gar nicht schlecht, aber das sollte auf freiwilliger Basis geschehen.
Und wenn Sie jetzt, genauso wie die Kollegen von der CDU, sagen, keiner habe hier eine Schulstrukturreform in Absicht - niemand hat die Absicht, dies zu tun -,
dann wäre das auch schon ein Ergebnis, und zwar von beiden Seiten. Dann wäre ein Konflikt weg und dann sind wir uns einig.
Das ist ja der Status quo des Gesetzes.
Natürlich geht das heute schon.
Gut, dann sind wir uns zumindest teilweise einig.
Ich finde, man muss den Wunsch der Eltern auch respektieren, wenn sie ein Gymnasium wählen.
Dann gibt es also einen kleineren Dissens, als wir dachten; aber auf jeden Fall wäre dann eines schon einmal geklärt. Es ist ja manchmal auch viel Unsinn in der öffentlichen Debatte, zum Beispiel steht der Vorwurf, dass die SPD das 13. Schuljahr an den Gymnasien einführen will, ebenfalls im Raum.
Das ist offensichtlich genauso falsch wie das andere, das im Raum steht.
Deshalb ist es gut, wenn es zur Bildungspolitik einen großen Konsens in diesem Raum gibt und jeder klarstellt, was er wirklich meint.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will ehrlich bleiben. Die SPD ist die Fraktion im Landtag, die nicht von Anfang an gefordert hat, dass die frei werdenden Mittel aus dem Betreuungsgeld für die Entlastung der Eltern eingesetzt werden sollen. Vielmehr ist unsere ursprüngliche Idee gewesen, das Geld in die Strukturen zu geben und damit andere Dinge, die auch notwendig sind, zu finanzieren. Das war unser Dissens mit dem Koalitionspartner, der das von Anfang an gesagt hat.
Als dann aber die Welle der Steigerungen der Elternbeiträge immer höher und breiter geworden ist, haben wir natürlich auch gesagt, es scheint tatsächlich so zu sein, dass wir erstmal einen Schwerpunkt darauf legen müssen, dass Kindergärten und Krippen überhaupt bezahlbar bleiben.
Es ist trotz allem nicht wirklich zu erklären, wie es passieren kann, dass landauf und landab quer durch das Land unterschiedliche Elternbeiträge erhoben werden, obwohl das KiFöG doch die gleichen Finanzierungsmöglichkeiten bietet.
Die Spanne reicht 120 € bis 360 € im Monat. Das zeigt, dass das grundsätzliche Problem nicht im KiFöG begründet liegt, sondern offensichtlich in der Situation vor Ort, aus der diese Kostenbelas
tung entsteht. Diese Situationen sind sehr vielfältig. Deshalb kann man das auch nicht mit einem einzigen Federstrich in einem Gesetz regeln. Es gibt dafür nicht nur eine Ursache.
Richtig ist, glaube ich - darüber sind wir uns trotz allem einig -, dass die Kinderbetreuung bezahlbar bleiben muss. Ich glaube auch, dass es eine gesellschaftspolitisch vernünftige Aussage ist, dass Eltern nicht mehr für die Kinderbetreuung in der Krippe oder im Kindergarten bezahlen sollen als das Kindergeld, das sie vom Staat bekommen.
Ich glaube, dass das eine ordentliche gesellschaftspolitische Aussage ist, für die wir, selbst wenn wir uns darauf einigen würden, momentan keine gesetzliche Lösung haben; es ist so. Aber es wäre schon mal schön, wenn wir uns darauf einigen könnten. Dann wären wir einen Schritt weiter.
Deshalb ist nicht die Forderung falsch. Herr Gallert, Sie haben gesagt, es wäre mit einem Mal die Forderung falsch. Die Forderung, auf die sich der Landtag verständigt hat, ist schon richtig. Er hat gesagt, wir wollen die Elternbeiträge auf jeden Fall begrenzen, sie sollen bezahlbar bleiben. Wir möchten, dass die Mittel aus dem Betreuungsgeld, die nun frei werden, dafür eingesetzt werden.
Die Forderung ist richtig. Aber wir haben noch keine Lösung, wie wir das Geld genau so an die Eltern bringen, dass es auch das ergibt, was wir ihnen allesamt versprechen. Da ist das Wollen manchmal schneller als das Können. Da funktioniert der Spruch „ich kann, ich will, ich werde“ auch nicht. Denn Sie brauchen dafür erstmal eine solide gesetzliche Regelung.
Klar ist, der Gesetzentwurf, den Sie heute einbringen, löst dieses Problem sowas von überhaupt nicht. Deshalb sollte das auch nicht suggeriert werden und auch nicht so getan werden, als ob das der Fall wäre. Wir sollten auch keine falschen Versprechungen machen, damit wir hier nicht in die Auseinandersetzung kommen.
Eine Entlastung von 5 €, 2,50 € oder 2,70 € steht im Verhältnis zu einem Elternbeitrag von monatlich 360 € in Barleben. Da muss man einmal ganz deutlich sagen, wir haben die Kommune Barleben in keine Zwänge gebracht.
Auch dieser Allgemeinplatz, den Sie hier angebracht haben, es wäre ausschließlich das Land, das Kommunen in finanzielle Zwänge gebracht hat, funktioniert nicht immer in Bezug auf die Frage, wie teuer ein Krippen- oder Kindergartenplatz ist. Schauen wir uns doch einmal an, wofür das Geld in der Gemeinde Barleben ausgegeben worden ist. Also, einmal langsam mit den jungen Pferden!
Dieser Gesetzentwurf löst auch nicht das Problem der sozialen Belastung der Eltern. Und er löst auch nicht das Problem der Normalverdiener.
Um den Blankenburgern einmal zur Ehre zu gereichen - sie haben nicht die Abschaffung der Ganztagsbetreuung für Kinder aus Hartz-IV-Familien gefordert, sondern sie haben auf das Problem aufmerksam gemacht, dass diejenigen, die wirklich arm sind, die Hartz-IV-Empfänger, das Problem der Finanzierung gar nicht haben, weil es von anderen bezahlt wird. Das ist auch richtig so. Aber die anderen, die Normalverdiener haben das Problem, das momentan nicht gelöst ist.
Es ist doch richtig, darauf hinzuweisen, dass das Problem bei den Normalverdienern, bei Menschen, die im Baumarkt an der Kasse sitzen, wie Siggi Borgwardt immer sagt, oder die in Callcentern oder irgendwo anders arbeiten, besteht. Es ist richtig, dass sie darauf aufmerksam machen.
Sie sagen auch in ihrem Brief, dass sie es für vernünftig halten, die Höhe des Kindergeldes als eine Obergrenze heranzuziehen. Unter dieser Bedingung könne man sich vorstellen, dass die Elternbeiträge funktionieren.
Es ist doch richtig und gut, dass der Finanzausschuss das Geld zurückgehalten hat; so ehrlich wollen wir einmal sein. Wir haben alle den Nachtragshaushalt mit verabschiedet. Ursprünglich wäre das Geld schon weg, meine Damen und Herren.
Schauen wir uns einmal in die Augen und seien wir mal ehrlich! Das Betreuungsgeld war im Nachtragshaushalt schon verwurstet. Wir haben das alle gewusst und haben trotzdem die Forderung im Landtag aufgemacht.
Das Finanzministerium hat, weil es die Auffassung teilt, dass an dieser Stelle etwas getan werden muss, und weil durch den Druck, der immer größer geworden ist, weil immer mehr Kommunen die Elternbeiträge erhöhen wollen, klar geworden ist, dass wir etwas tun müssen, Mittel aus dem Jahresabschluss zusätzlich in die Rücklage getan. Das war schon weg. Das haben wir alle mit dem Nachtragshaushalt beschlossen.
Deshalb ist es gut, dass der Finanzausschuss zusammen mit dem Finanzministerium so reagiert hat und das Geld erst einmal in die Reserve, in die allgemeine Rücklage gepackt hat, damit wir es einem vernünftigen Zweck im Bereich der Kinderbetreuung zuführen können, am besten über eine gesetzlich haltbare Regelung zum Thema Elternbeiträge.
Aber es gibt natürlich noch mehr zu regeln; und das wissen Sie alle. Es gibt noch das Thema der Pauschalen, die Frage, ob sie mit acht oder zehn Stunden berechnet werden. Es geht darum, dass wir die Tarifsteigerungen in die Pauschalen ein
arbeiten müssen. Es geht um das Thema, wie Urlaub und Weiterbildung oder auch Krankheit berücksichtigt werden, ob es dafür eine prozentuale Anrechnung bei den Pauschalen geben soll. Es geht darum, ob Schließzeiten gewollt sind.
Es geht um das Finanzausgleichsgesetz, darum, wie viel die Kommunen brauchen. Es geht um die Frage, ob man es vollständig ins KiFöG hinein nimmt. Und es geht letztlich darum, dass die Regelungen verfassungsfest sein müssen. Das alles, meine Damen und Herren, schaffen wir morgen nicht zu regeln.
Eine Entlastung von 2,70 €, die Sie heute mit Ihrem Gesetz erreichen wollen, ist einfach Beschiss an den Eltern. Das muss ich einmal so deutlich sagen. Ich finde das unerhört.
Und ja, wir haben die Evaluierung in das Gesetz hinein geschrieben. Sie soll eigentlich, wie es Frau Grimm-Benne erklärt hat, zum Ende dieses Jahres erfolgen. Aber was hindert uns denn daran, unter den veränderten Vorzeichen sofort damit zu beginnen? Ich sage ganz deutlich, ich finde, dass das KiFöG das erste Gesetz sein muss, das wir anfassen werden. Das Kinderförderungsgesetz wird das erste Gesetz sein, das wir in diesem Landtag ändern werden, wenn er sich nach der Wahl wieder konstituiert haben wird.
Wir müssen eine vernünftige verfassungsgemäße Regelung finden. Ich sage auch, ich habe keinen Königsweg. Für das, was wir wollen, gibt es noch keine Lösung. Wenn wir sie hätten, dann hätten wir sie Ihnen vorgeschlagen. Aber es gibt sie noch nicht.
Wir wissen nur, was wir wollen, was wir nicht wollen und was verändert werden muss. Um ein solides Gesetz im Landtag verabschieden zu können, das all diesen Dingen gerecht wird, brauchen wir mehr als eine Schnellsitzung am morgigen Tag. Deshalb setze ich auf die nächste Legislaturperiode. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erst wenige Woche her, da waren wir alle stolz auf ein neues Gesicht, das Deutschland zeigte, ein sympathisches, ein empathisches, ein weltoffenes Gesicht, das Gesicht der Menschen vom Münchner Hauptbahnhof und anderswo, die Flüchtlinge mit offenen Armen empfingen. Es war ein Gesicht, das die Welt von Deutschland so nicht erwartet hatte.
Heute sieht die Welt aus Deutschland auch wieder andere Gesichter, das Gesicht des Hasses von
Menschen, die auf der Straße ihre Fremdenfeindlichkeit herausschreien, das Gesicht der Panik bei Menschen, die von muslimischen Flüchtlingen das Abendland bedroht sehen, das Gesicht von Menschen, die Verschwörungstheorien nachlaufen und den Reden von Volksverhetzern lauschen.
Und die Welt sieht Taten von Menschen, die ihr Gesicht nicht zeigen, sondern die im Schutz der Dunkelheit oder der Anonymität von sozialen Netzwerken feige verbale oder tätliche Angriffe verüben auf Menschen, die vor Krieg und Terror zu uns geflüchtet sind, auf ihre Unterkünfte, auf Menschen, die sie unterstützen, und auch auf Politikerinnen und Politiker - tätlich und verbal. Ich weiß nicht, wie viele Arme hier bei der Frage hochgehen würden, wer von uns schon ähnliche E-Mails bekommen hat; wahrscheinlich sehr viel mehr als bei der Frage des Kultusministers.
Meine Damen und Herren! Dem müssen wir entschieden entgegentreten. Denn das ist ein Verfall der Sitten, ein Verfall der Sitten, der doch von eben denen vermeintlich zu beklagen ist. Versuchen wir also etwas Sachlichkeit in die Debatte zu bringen, obwohl das schwerfällt; das gebe ich zu.
Was ist in Deutschland in den letzten Wochen geschehen? - Ich denke, drei Dinge sind wichtig. Erstens. Die Flüchtlingszahlen haben sich gesteigert und das Tempo der Zuwanderung hat zugenommen. Unsere Aufnahmekapazitäten waren darauf nicht ausgerichtet. Bund, Länder und Kommunen haben lange gebraucht, um zusätzliche Reserven zu mobilisieren, die Verfahren anzupassen, die Finanzierung sicherzustellen. In diesem Prozess befinden wir uns. Das sind objektive Probleme, ohne deren Lösung die Aufnahme der Flüchtlinge tatsächlich nicht gelingt und die Integration noch blockiert ist.
Zweitens. Unter dieser Entwicklung ist die Solidarität unter den europäischen Staaten mehr oder weniger zusammengebrochen. Wir alle hatten uns daran gewöhnt, dass Grenzen verschwunden waren oder keine Bedeutung mehr hatten. Jetzt müssen wir erfahren, dass der Prozess der europäischen Einigung keineswegs so unumkehrbar ist, wie wir es immer glauben wollten.
An dieser Stelle hilft auch keine Interpretation der Verfassung. Unter welcher Auslegung gibt es keine Obergrenze? - Mit einer Interpretation der Verfassung werden wir die Situation nicht ändern.
Wir müssen allesamt, die europäischen Staaten, aber auch Deutschland, im Rahmen der internationalen Politik dafür sorgen, dass die Menschen nicht mehr flüchten müssen, dass die Zuströme geringer werden und dass die Menschen wieder
Chancen in ihren Ländern oder in der Nähe ihrer Länder haben.
Ich glaube, dass die Interpretation der Verfassung in der Öffentlichkeit zwischen uns und unter uns nur weitere Auseinandersetzungen und einen verbalen Schlagaustausch schüren wird. Ich glaube, dass das in der gegenwärtigen Situation nicht gut ist.
Beide Prozesse, administrative Schwierigkeiten im Inneren und Verwerfungen auf der europäischen Ebene, sind nun wirklich Dinge, die die Menschen zutiefst verunsichern, weit in alle Bereiche der Gesellschaft hinein.
Das dritte Problem in dieser Situation markiert keine problematische Veränderung, sondern einen bedrohlichen Stillstand. Es hat sich nämlich nichts verändert an dem Rassismus in den Köpfen mancher Menschen. Seit Jahrzehnten zeigen uns alle einschlägigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, dass ein Teil der Bevölkerung ein geschlossenes nationalsozialistisches Weltbild hat und dass Fremdenfeindlichkeit ein weit darüber hinausreichendes Potenzial hat. Das ist seit der Wiedervereinigung nicht anders, als es vorher in der alten Bundesrepublik war und, so darf man unterstellen, im Verborgenen auch in der DDR.
Das Problem Fremdenhass war latent immer da - jetzt wird es virulent. Nazis gab es in der Gesellschaft immer. Diejenigen, die sich schon lange in Kameradschaften oder in der NPD dazu bekannt haben, wittern jetzt Morgenluft. Diejenigen, die sich bislang auf ihre bürgerliche Existenz zurückgezogen hatten, gründen AfD-Landesverbände, marschieren für das Abendland oder spielen besorgte Bürger.
Niemand soll sich vormachen, dass es möglich ist, isoliert nur die Gewaltexzesse zu bekämpfen. Es wird nicht reichen, nur Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte oder Angriffe auf Büros demokratischer Parteien zu verurteilen und juristisch zu bekämpfen. Diese Delikte sind von der Hetze nicht zu trennen, die dazu angestiftet hat.
Wer gegen Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihrer Religion hetzt, der nimmt in Kauf, dass sie bedroht und angegriffen werden. Wer dafür plädiert, an der Grenze auf Flüchtlinge zu schießen, der nimmt auch in Kauf, dass Unterkünfte brennen. Was können wir dem entgegensetzen? - Zwei Dinge: einen funktionierenden Staat und eine klare Haltung.
Ja, es ist unverzichtbar, dass alle Verantwortlichen ihre Aufgaben so erledigen, dass die praktischen administrativen Probleme der Flüchtlingsaufnahme geklärt werden und wir vom Krisenmodus zum Volllastmodus übergehen, damit so etwas wie unaufgeregte Normalität entsteht. Bei der Erstaufnahme werden die Voraussetzungen dafür Schritt für Schritt geschaffen, aber mit baulichen Maßnahmen allein ist es leider nicht getan. Es darf nicht so bleiben, dass die ankommenden Flüchtlinge derzeit erst Termine im Sommer nächsten Jahres für die Antragstellung zugeteilt bekommen.
Die Beschleunigung der Verfahren darf dabei auf keinen Fall zulasten der Qualität gehen. Das gehört zusammen. Darin unterstütze ich ausdrücklich die Personalräte des BAMF, die das angemerkt haben.
Meine Damen und Herren! Wir müssen alles daran setzen, dass niemand den Eindruck von Staatsversagen bekommen oder erwecken kann. Das ist elementar wichtig.
Neben dieser praktischen Handlungsfähigkeit
kommt es zugleich auf eine klare Haltung gegen die Feinde der Demokratie und gegen den Rassismus an. Diese Aktuelle Debatte ist ein wichtiger Schritt. Es wäre noch überzeugender gewesen, wenn wir es geschafft hätten, dass alle vier Fraktionen die Aktuelle Debatte gemeinsam beantragt hätten.
Ja, meine Damen und Herren, Parteien haben unterschiedliche Ideen dazu, wie die Aufgaben zu bewältigen sind. Menschen haben unterschiedliche Auffassungen dazu, ob und wie das gelingen kann. Dass man dies sagt und darüber diskutiert, zuweilen auch darüber streitet, ist übrigens noch keine Fremdenfeindlichkeit.
Schief und unnötig - das muss ich sagen - sind manche Vergleiche dennoch. Sprache produziert Bilder. Wir, die wir in der Öffentlichkeit stehen - unsere Aussagen, unsere Ausdrücke werden noch ganz anders angesehen und gewertet -, haben eine besondere Pflicht, darauf zu achten, welche Bilder diese Sprache produziert.
Heute ist es so, dass immer, egal zu welchem Thema in der Gesellschaft, auf die Flüchtlingsproblematik Bezug genommen wird. Wenn wir uns heute die „MZ“ anschauen und zwei Kommentare darin zu zwei unterschiedlichen Themen lesen, dann sehen wir das besonders deutlich. Man sieht auch, welchen Generationenkonflikt es in der Gesellschaft gibt.
Eine Studie von Prognos, nach der die Renten nach 2016 nicht mehr steigen werden, ist Auslöser für einen Kommentar mit dem Titel „Ein Fingerzeig“. Darin heißt es: Die Rente werde zukünftig nicht mehr steigen, zu ungewiss sei die Situation am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft, zumal Auswirkungen auf Sozialsysteme vor dem Hintergrund massenhafter Zuwanderung nicht abschätzbar seien. - Das ist latent negativ und bedrohlich. Die Zuwanderung sorgt dafür, dass unsere Sozialsysteme überlastet werden.
Meine Damen und Herren! Das negiert zu 100 % - und das finde ich falsch -, dass wir einen Generationsvertrag haben und Menschen brauchen. Zudem wird unterstellt, dass alle, die hierher kommen, nicht bereit sind, zu arbeiten und ihren Beitrag zu leisten. Deshalb halte ich das für gefährlich.
Ob diese Zuwanderung die Sozialsysteme in dieser Art belasten wird, wissen wir erst, wenn wir überhaupt Integration versucht haben
und wenn wir sehen, wie viele Menschen, die zu uns kommen, hier ihre Heimat finden wollen, sich hier ausbilden lassen wollen, in die Schule gehen wollen und arbeiten wollen. Das wissen wir heute noch nicht. Deshalb halte ich es für falsch, diese Ängste zu produzieren.
Ein zweiter Kommentar trägt den Titel „Angstmacher“. Er setzt sich mit dem Schäuble-Vergleich auseinander, dass die anhaltende Flüchtlingsbewegung eine Lawine mit nicht abschätzbaren negativen Folgen sei, und sagt ganz klar, das sei so nicht in Ordnung, man müsse auf die Sprache achten; hierbei hätten Politikerinnen und Politiker eine Verantwortung; damit schüre man Ängste und das sei unangebracht.
Schaut man sich die Bilder der beiden Kommentatorinnen an, liegen zwischen ihnen, wenn ich es einschätzen sollte, 20 bis 30 Lebensjahre. Vielleicht, meine Damen und Herren, - vielleicht! - haben wir auch unter uns einen Generationenkonflikt. Vielleicht sind jüngere Mengen sehr viel offener,
weil sie in einer offeneren Gesellschaft aufgewachsen sind, weil sie auch mehr Menschen, die zugewandert sind, kennen. Bei meinen Kindern ist das so. Ich kenne viele, die Kinder in dem Alter haben, die auch sagen, dass ihre Kinder damit ganz anders umgehen.
Es besteht vielleicht die Hoffnung, dass es mehr Offenheit in einer nachwachsenden Generation gibt und dass wir so gemeinsam die Integration schaffen.
Meine Damen und Herren! In den nächsten Wochen und Monaten wird sich entscheiden, ob im März 2016 wieder Feinde der Demokratie in den Landtag von Sachsen-Anhalt einziehen können. Der Landesvorstand meiner Partei hat am Dienstag in einem Beschluss jede Zusammenarbeit mit der AfD, der NPD und anderen offen rassistischen oder rechtsextremen Parteien ausgeschlossen.
Ich würde gern alle im Landtag vertretenen Parteien dazu einladen, eine solche Haltung in dem anstehenden Wahlkampf gemeinsam zu vertreten. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Land Sachsen-Anhalt, das mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 neu erstand, hat am 14. Oktober 1990, also vorgestern vor 25 Jahren, seinen ersten neuen Landtag gewählt. Dieser Landtag hat in 25 Jahren viele Gesichter gehabt und er wurde durch sehr viele Gesichter repräsentiert.
Wenn ich in die Runde blicke, dann sehe ich nicht mehr ganz so viele Kolleginnen und Kollegen, die bereits im Jahr 1990 in das Parlament gewählt worden sind. In meiner Fraktion sind die Abgeordneten der ersten Stunde Finanzminister Bullerjahn, Thomas Felke und Tilmann Tögel. Das sind bei der CDU Detlef Gürth, der Landtagspräsident, und Jürgen Scharf. Und das ist bei der LINKEN, wenn ich das richtig sehe, Hans-Jörg Krause.
Ich selbst war damals jüngste Abgeordnete des neuen Landtages, Schriftführerin bei der Konstituierung des Landtags in Dessau, 25 Jahre jung, hatte also, von heute aus betrachtet, die Hälfte meines jetzigen Lebens hinter mir.
Ich habe ganz bestimmt nicht den Ehrgeiz, auch noch Alterspräsidentin dieses Landtags zu werden.
Im Moment, finde ich, gibt es noch einiges zu tun.
„Sachsen-Anhalt auf gutem Weg“ - so hat der Ministerpräsident seine Regierungserklärung überschrieben. Das werden ganz sicher - das stimmt auch - ganz viele zu Recht teilen, aber nicht jede und nicht jeder in unserem Land wird das unterschreiben.
Blickt man auf die Geschichte, ist jedenfalls eines sicher: Es war ein harter Weg, auf den sich Sachsen-Anhalt im Jahr 1990 gemacht hat, vor allem ein Weg mit ganz vielen Starthindernissen. Von den Stadthindernissen konnten wir, die damals da
bei waren, nur einige erahnen. Dass es drei Ministerpräsidenten geben würde, gleich in der ersten Legislaturperiode des Landes, ahnten wir zum Beispiel nicht. Dass es ein schwieriger wirtschaftlicher Strukturwandel werden würde, das konnten wir erahnen, aber sich vorstellen, was das wirklich heißt, das konnte damals niemand.
Kein Teil der ehemaligen DDR musste die Strukturbrüche mit solcher Härte durchleben wie Sachsen-Anhalt. Kein Land war so abhängig von so starken industriellen Prägungen, von regional bestimmenden Großkombinaten. In keinem Land schlugen deshalb Betriebsschließungen und Massenentlassungen mit all ihren Auswirkungen auf die Familien der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in solchem Umfang zu Buche wie in Sachsen-Anhalt.
Im Vergleich zu diesen harten ökonomischen Fakten war es das deutlich geringere Problem, dass Sachsen-Anhalt - ein Bindestrichland - ein Land mit nur kurzer gemeinsamer Geschichte und ohne gewachsene Identität war. Wie es Professor Böhmer bei seiner Ehrung am Mittwoch ausdrückte: Als die neuen Länder entstanden, waren die Sachsen schon lange Sachsen, die Thüringer schon lange Thüringer, die Mecklenburger schon Mecklenburger und die Brandenburger wären sowieso am liebsten wieder Preußen geworden, aber Brandenburg war auch ganz schön - nur die SachsenAnhalter haderten mit ihrer Landesidentität.
Gleichwohl hat sich das Land in den letzten 25 Jahren gut gefunden und es steht nicht zur Disposition. Mein Kollege Bernward Rothe hatte mit einem verschmitzten Lächeln am Dienstag angeboten, er würde den Redebeitrag heute übernehmen.
Ich habe dankend abgelehnt. Ich möchte das Land, mein Land Sachsen-Anhalt, nicht an ein anderes Bundesland anschließen. Ich möchte mehr aus ihm machen, als es jetzt schon ist.
Die harten Einbrüche in der Industrie, die hohen Arbeitslosenzahlen, die großen Strukturprobleme in den Regionen des Landes sorgten aber auch - erinnern wir uns - für Kreativität, für das Freisetzen von Kreativität für neue Ideen. Wir waren die Ersten, die neue Ideen umsetzten, die später ein Vorbild für ganz viele Regionen waren.
Mit Klaus Schucht als Wirtschaftsminister haben wir aus den großen, in der bisherigen Struktur längst nicht mehr wettbewerbsfähigen und ökologisch katastrophalen Chemiekombinaten hochmoderne und saubere Chemieparks gemacht, die am Weltmarkt agieren und auf deren Flächen sich moderne Unternehmen befinden.
Wir in Sachsen-Anhalt haben es auch geschafft, die historisch gewachsene Maschinenbaukompetenz zu nutzen, um ein hochleistungsfähiges Netz an Automobilzulieferern aufzubauen - beides keineswegs Branchen, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit durch Niedriglohnpolitik oder durch das Unterlaufen von Tarifverträgen erreicht hätten; im Gegenteil: Hier gelten schon seit Langem gute Löhne und gute Bedingungen.
Und Sachsen-Anhalt ist ganz vorn gewesen, Vorreiter bei erneuerbaren Energien, nicht nur bei der Stromerzeugung, sondern, trotz der bekannten Rückschläge, insbesondere auch beim Anlagenbau, in der Nahrungsgüterindustrie, im Bergbau, bei Glaswerken oder in der Holzverarbeitung. All das sind gute Ansätze, um die Unternehmensdichte weiter zu erhöhen; denn daran fehlt es in Sachsen-Anhalt noch.
Wir sind in den 90er-Jahren mutige Wege gegangen, von denen wir keineswegs wussten, ob sie Erfolg haben würden. Warum, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun wir das nicht wieder? - Das Gleiche zu tun, was auch andere tun, das wird langfristig nicht reichen. In der Forschung, bei der Gestaltung der Infrastruktur, in der Bildung oder in der Ansiedlungspolitik brauchen wir Ideen, die unser Land positiv aus dem Konzert der Bundesländer in der Bundesrepublik herausheben.
Ich finde, das Jubiläum „25 Jahre Sachsen-Anhalt“ ist auch ein Grund, sich einmal eine Runde positiver Spekulationen zu erlauben. Wie werden wohl die nächsten 25 Jahre verlaufen? Wie mag im Oktober 2040 zum Jubiläum „50 Jahre SachsenAnhalt“ der Rückblick ausfallen? - Wir wissen es natürlich nicht, aber wir könnten uns Ereignisse vorstellen, an die wir uns gern erinnern würden, Ereignisse, die heute selbstverständlich fiktiv sind, die es aber nicht bleiben müssen.
Ja, Herr Ministerpräsident, man muss ganz sicher wissen, woher man kommt. Man muss aber auch wissen, wohin man will. Ich nenne Ihnen ein paar fiktive Beispiele: September 2022 - Sachsen-Anhalt startet zum ersten Mal in ein Schuljahr mit flächendeckendem Ganztagsunterricht.
Von der Kita über die Grundschule, die Sekundarschule und das Gymnasium bis zur Berufsausbildung und zum Studium haben wir es geschafft, Zweisprachigkeit anzubieten, und das nicht nur als Reaktion auf die zu integrierenden Flüchtlingskinder mit ihrem Sprachengewirr, sondern weil es eine Anforderung der Wirtschaft ist, die sagt: Wir brauchen zweisprachige Schulabgängerinnen und Schulabgänger, egal ob aus der 10. oder der 12. Klasse.
Bevor ich den nächsten Punkt nenne, muss ich Ihnen sagen, dass dieser schon vor Mittwoch in meiner Rede stand.
Oktober 2023: Die Landeshauptstadt Magdeburg schließt eine Städtepartnerschaft mit dem syrischen Aleppo ab, einer Stadt im Wiederaufbau, aber befreit von Krieg und Diktatur. Wer einmal in Dubrovnik war, weiß, was ich meine: Diese Stadt war zerstört, es lebte niemand mehr dort. Heute ist sie eine blühende kleine Metropole in Kroatien. Aleppo, eine Stadt im Wiederaufbau, befreit von Krieg und Diktatur. Grundlage der Partnerschaft sind nicht zuletzt die zahlreichen familiären Bande zwischen Deutschland und Syrien.
Januar 2024: Sachsen-Anhalt verzeichnet im zehnten Jahr in Folge einen Wanderungsgewinn
- das könnte ich sogar noch erleben -, weil anhaltend mehr Menschen zuziehen als wegziehen. Verstärkt wird das durch die positive Entwicklung weiterhin steigender Geburtenraten.
Sommer 2024: Wir holen fünf Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen in Hamburg.
2030: Im Vorjahr wurden aus Sachsen-Anhalt erstmals mehr Patente angemeldet als aus Stuttgart. Möglich macht das eine aktive Gründerszene, die von einer vorbildlichen innovativen Förderstrategie des Landes profitiert.
Das wären doch gute Nachrichten aus der Zukunft, die mir schon heute gefallen würden.
Das können aber nur Nachrichten werden, wenn wir uns schon heute überlegen, wie wir sie möglich machen wollen. In möchte nicht in die Glaskugel schauen. Ich bin Realpolitikerin, Wirtschaftspolitikerin, da schaut man nicht in Glaskugeln. Ich möchte auch nicht „Wünsch dir was“ spielen. Aber wenn ich mir wirklich etwas wünschen dürfte, dann, dass wir uns an den Elan und an die visionäre Kraft erinnern, die in den 90er-Jahren bei allen Problemen unser Handeln bestimmt haben. Unser Land kann ganz sicher mehr als früh aufstehen.
Ich finde, dass das Land Sachsen-Anhalt eine gesunde Mischung braucht: einerseits neue ehrgeizige Zielstellungen für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, andererseits ein professionelles Management, das die Weichen dafür stellt, dass diese Ziele auch erreicht werden können. Die Voraussetzung dafür ist eine ehrliche Bestandsaufnahme - ehrlich, ohne die Aufgaben, die vor uns liegen, zu überhöhen und ohne zu beklagen, dass es noch viel Arbeit gibt.
Herr Ministerpräsident, ich kann Ihnen wirklich aus tiefstem Herzen bei sehr vielem, was Sie gesagt haben, zustimmen.
Dennoch müssen wir uns, wenn wir die richtigen Strategien für die Zukunft entwickeln wollen, auch Fragen stellen, vielleicht auch nur leise. Können wir wirklich sagen, dass Sachsen-Anhalt auf einem guten Weg ist, wenn wir für ein ganzes Halbjahr und länger Nullwachstum zu verzeichnen haben? Sind wir auf einem guten Weg, wenn ganze Branchen von der Tarifbindung weitgehend abgekoppelt sind,
wenn prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Leiharbeit sich breitgemacht haben?
Sind wir auf einem guten Weg, wenn junge Menschen nach einer sehr guten Ausbildung in Sachsen-Anhalt noch immer den gut bezahlten Arbeitsplatz in Bayern oder in Hamburg annehmen? Sind wir auf einem guten Weg, wenn uns Forschungsinstitute und Wirtschaftsverbände unisono einen hohen Fachkräftemangel prophezeien? Sind wir auf einem guten Weg, wenn es an Straßen und Brücken in Sachsen-Anhalt einen hohen Investitionsstau gibt, die A 14 nach Norden noch nicht fertiggestellt ist und die A 143 bei Halle noch gar keine Perspektive hat?
- Ja, es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, klar. Das kommt dann auch, meine lieben Damen und Herren von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Das ist so. Deshalb sind wir in unterschiedlichen Parteien und Fraktionen.
- Sie hätten schon beim Bergbau nicht klatschen dürfen.
Sind wir schon auf einem guten Weg für die Entwicklung der ländlichen Räume in Sachsen-Anhalt? Haben wir schon die Lösung gefunden, um gleichwertige Lebensbedingungen auch in Gegenden mit dünner Besiedlung zu garantieren?
Das sind Fragen, die sich sicherlich auch andere Regionen in der Bundesrepublik stellen. Ja, ich finde, Ehrlichkeit muss zum Geschäft gehören. Realitätssinn und Zuversicht umschreiben, glaube ich, richtig, wie wir handeln müssen.
Ich denke, die genannten Fragen umreißen schon, dass den nicht zu bestreitenden Erfolgen der letzten 25 Jahre - auf die wir zu Recht stolz sind und
von denen wir erzählen müssen, um unser Land nicht, wie es Professor Böhmer sagte, dem Selbstmitleid zu überlassen - aber auch große Baustellen und Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft gegenüberstehen.
Ich möchte auf die größte Baustelle der Gegenwart eingehen. Gestern ist im Zuge der Debatte zum Nachtragshaushalt überwiegend sehr verantwortungsvoll, wie ich finde, mit dem Thema Flüchtlinge umgegangen und diskutiert worden. Was uns unterscheidet, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ist nicht die abstrakte Frage, ob Flüchtlingsbewegungen begrenzt werden müssen. Natürlich kann keine Gesellschaft einen unbegrenzten Flüchtlingszuzug verkraften. Aber das Land Sachsen-Anhalt hat kein Machtmittel in der Hand, um darauf Einfluss zu nehmen. Das wissen wir alle.
Uns unterscheidet, dass uns das Hier und Jetzt Kopfzerbrechen bereitet und Ihnen die Zukunft. Realitätssinn und Zuversicht sind hierbei nötig, gerade hierbei. Die Anerkennung der Realität widerspricht nicht der Notwendigkeit, diesen Prozess zu gestalten. Das heißt selbstverständlich - jeder hier im Raum wird das unterschreiben -, klare Regeln aufzustellen.
Für mich gehören dazu die Akzeptanz von Religions- und Meinungsfreiheit,
die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Integration in unsere Arbeitsgesellschaft - denn das sind wir - und die deutsche Sprache und Kultur.
Für uns, die wir offen sind für gesellschaftliche Integration, heißt das aber auch: Wir müssen Bedenken, Sorgen, Ängste ernst nehmen und anerkennen. Unser Land erwartet jetzt 40 000 Flüchtlinge, lese ich heute in der Zeitung. Ich stelle einmal die Frage: Wäre es nicht besser gewesen, das ehrlich zu sagen?
79 % der jetzt Ankommenden sind Syrer, 90 % haben eine Bleibeperspektive. Ich nenne nur die Zahlen; überlegen Sie selbst, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Ich habe in den letzten Tagen gelernt, dass es, egal wie vorsichtig ich mich dabei ausdrücke, immer so geschrieben wird, wie es gerade ins Bild passt. Deshalb gebe ich Ihnen nur die Fragen mit. Mag jeder selbst überlegen, welche Herausforderungen das an uns stellt und welche Konsequenzen das hat.
Gegenwärtig sehen wir, dass die Unterbringung, sowohl die Erstaufnahme durch das Land als auch
die kommunale Unterbringung, noch nicht in geordneten Bahnen verläuft und dass sich ständig neue Probleme auftun. Wir alle wissen das von unseren Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern und wir wissen es auch selbst.
Es ist gut, dass wir bei der Lösung dieser akuten Probleme an einem Strang ziehen. Wir wollen das weiterhin tun, und zwar auch bei der Frage der Erstattung der Kosten für die Kommunen.
Herr Ministerpräsident, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich versuchen, alle Fraktionen mitzunehmen. Ich glaube, dass das eine Aufgabe ist, die alle Demokraten zusammen stemmen müssen, bei der alle Demokraten zusammenstehen müssen und bei der jeder Hinweis und jede Idee wichtig sind. Vielleicht überlegen wir einmal gemeinsam, wie nicht nur das Kabinett gemeinsam an diese Aufgabe herangeht, sondern - -
- Der Flüchtlingsgipfel wird dafür nicht ausreichen; es reicht nicht, sich alle acht Wochen allgemein zusammenzusetzen. - Ich meine das ernst: Lassen Sie uns einfach einmal überlegen, wie wir die Fraktionen so einbeziehen können, damit wir uns mit diesem Thema nicht in der Öffentlichkeit auseinandersetzen müssen, sondern gemeinsam geordnete, kluge Wege finden, wie wir die Situation hier bewältigen. Ich glaube, dass alle Fraktionen in diesem Landtag dazu bereit sind.
Realistisch und zuversichtlich zu sein, heißt aber auch: Ein Land, das einen Verlust von einer Million Menschen in 25 Jahren verkraften muss, wird auch Zuzug brauchen. Den Zuzug von einigen Tausend Menschen verkraften wir, wenn wir es klug machen und wenn die Regeln klar sind.
Heute beschäftigen uns die so nicht erwarteten Flüchtlingsströme. Wir müssen doch zugeben, dass wir alle von dieser Massivität überrascht worden sind. Vorsorge oder eine geordnete Aufnahme sind nicht die Realität. Daraus entstehen die Spannungen. Das verursacht die Probleme. Deshalb müssen wir parallel schon heute daran arbeiten, dass ein geordneter Zuzug möglich ist - schnell. Dafür brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz in der Bundesrepublik, und zwar eines, das den Übergang vom Flüchtlingsstatus oder vom Asylstatus in den Zuwanderungsstatus ermöglicht.
Wir brauchen ferner eine internationale Politik, die Flucht unnötig macht.
In Ihrem Dreiklang zur Flüchtlingspolitik aus Begrenzen, Beschleunigen, Zurückführen fehlen mir die Menschen. Es geht um die Menschen, die hier sind und hier bleiben werden. Mir fehlt auch der Mehrwert für unser Land, der Gewinn, auch wenn sich angesichts der hohen Kostenlast, die wir momentan haben, nicht alle diesen Gewinn vorstellen können.
Es gehört auch viel Fantasie dazu, das stimmt. Wenn wir uns aber nur darauf beschränken, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben, und ansonsten zuschauen, dass sie nach abgeschlossenem Verfahren nach Westdeutschland weiterziehen, dann bleiben uns nur die Kosten und die anderen haben den Bevölkerungsgewinn. Lassen Sie uns darüber einmal nachdenken.