Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne hiermit die 60. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode und begrüße Sie, meine sehr geehrten Mitglieder des Hohen Hauses, besonders herzlich sowie alle in der Johanniskirche zur heutigen Plenarberatung anwesenden Gäste.
Wir setzen nunmehr die 30. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen die heutige Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 16.
In der Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit je Fraktion zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls zehn Minuten Redezeit. Wir haben eine Debatte in der folgenden Reihenfolge vereinbart: DIE LINKE, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, formal geht es bei dieser Debatte um die Auseinandersetzung mit dem Thema Homophobie und mit der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität. Ich habe in den letzten Tagen schon häufig die Position gehört, man solle dieses Thema doch nicht so aufwerten. Es gehe doch hierbei nur um eine kleine Minderheit. Die Mehrheit dieser Gesellschaft habe doch mit diesem Thema gar nichts zu tun.
Wir haben heute diese Aktuelle Debatte unter anderem deshalb beantragt, weil wir ausdrücklich glauben, dass diese Position falsch ist.
Jede Form der Diskriminierung in einer Gesellschaft bestimmt den Charakter der gesamten Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der Menschen, weil sie homosexuell, bisexuell, transsexuell oder intersexuell sind, diskriminiert werden, bestimmt auch den Charakter der Gesellschaft für Hetero
sexuelle; denn niemand ist in einer diskriminierenden Gesellschaft frei, egal ob er diskriminiert wird oder selbst diskriminiert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir beantragen diese Debatte auch deshalb, weil sich die Schablone der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität beliebig auf jede andere Menschengruppe übertragen lässt. Wer Menschen aufgrund der sexuellen Identität diskriminiert, kann dies auch auf andere Menschengruppen übertragen. Er kann auch aufgrund von Nationalität, Rasse oder Geschlecht diskriminieren, also jedweden Merkmals.
Insofern ist eine Gesellschaft, in der Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden, eine Gesellschaft, die dazu neigt, jede andere Menschengruppe auch zu diskriminieren. Auch deswegen muss das hier Gegenstand sein; denn unser Auftrag - das ist der Auftrag des Grundgesetzes - lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar und vor dem Gesetz ist jeder gleich.
Natürlich gibt es in unserer Gesellschaft eine kontroverse Debatte. Diese kontroverse Debatte dreht sich zum Glück nicht mehr um die Frage, ob Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden dürfen. Heute beruht die Debatte auf der Aussage, dass wir uns in der Bundesrepublik Deutschland in paradiesischen Zuständen befänden; denn bei uns werde niemand diskreditiert oder aufgrund seiner sexuellen Identität diskriminiert. Die Russen in Sotschi haben ein Problem, aber wir doch nicht. Wir sind die aufgeklärten Vorbilder für Europa und für die ganze Welt. Bei uns passiert so etwas nicht.
Dazu sagen wir: Wer so herangeht, schätzt erstens die Situation falsch ein und er legitimiert zweitens die aktuelle Diskriminierung, auch bei uns in diesem Land, von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität.
Wir sagen: Nein, es gibt diese Diskriminierung auch bei uns Deutschland. Wir müssen darüber reden und wir müssen dies thematisieren, ansonsten können wir sie nicht beseitigen; und dies ist der Grund für diese Aktuelle Debatte.
Ich möchte einen Beweis dafür erbringen, nämlich das Coming-out des ehemaligen Fußballprofis Hitzlsperger. Was heißt eigentlich Coming-out? - Ein Fußballspieler ist schwul und er hat nicht nur erst nach dem Ende seiner Karriere gesagt, dass er homosexuell, also schwul sei, sondern er hat
auch gesagt, dass er beinahe sein ganzes Leben lang krampfhaft versuchen musste, diese Tatsache zu verheimlichen. Er hat alles versucht, um nicht erkannt zu werden. Er hat sogar zugegeben, selbst schwulenfeindliche Sprüche gemacht zu haben, nur um nicht erkannt zu werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie kann man ein solches Verhalten in einer diskriminierungsfreien Gesellschaft erklären? - Das ist nicht zu erklären. Es gibt kein Coming-out von heterosexuellen Jugendlichen. Daran sehen wir, dass es bei uns täglich, nämlich am Arbeitsplatz, in der Schule, im täglichen Leben und leider auch im Recht, wie die Debatte um das fehlende Adoptionsrecht von homosexuellen Paaren und gegen die Öffnung der Ehe deutlich macht, Diskriminierung gibt. Es gibt Diskriminierung und darüber müssen wir reden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dies war der Grund dafür, dass die Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE vor einem halben Jahr einen gemeinsamen Antrag eingebracht haben, nämlich einen Antrag zur Erarbeitung eines Aktionsplanes gegen Homophobie auch bei uns in Sachsen-Anhalt.
Seit einem halben Jahr ist nichts passiert. Jedes Mal nimmt die Vorsitzende des Sozialausschusses diesen Antrag auf die Tagesordnung und jedes Mal wird er von der Koalition abgesetzt. Ich glaube, über die Ursachen dieses Verhaltens der Koalition haben viele Menschen in den letzten Tagen sehr viel erfahren.
Damit kommen wir zu dem Verein Leo e. V., Bennungen. Dies ist ein Verein, der von einer ganzen Reihe hochrangiger CDU-Funktionäre massiv unterstützt wird: Herr Bergner, Herr Scharf, Herr Remmers und möglicherweise auch oder auch nicht - das bleibt im Nebel verborgen - Herr Schröder. Das kann er selber aufklären. Auch der Präsident des Landesheimatbundes fehlt nicht. Er ist Mitglied der FDP. Sie können sich gerade nicht wehren; deswegen will ich darauf nicht weiter eingehen.
Auf einmal sind folgende Äußerungen zu hören: Man sei zwar Mitglied dieses Vereins und trete als Kurator dieses Vereins auf, also als jemand, der die Botschaft dieses Vereins in die Öffentlichkeit trägt, aber man kenne diese Botschaft nicht. - Dies ist in diesem Zusammenhang eine etwas eigenartige Argumentation.
Die zentrale Botschaft ist nachlesbar. Jeder von uns wusste, wer Bernhard Ritter ist. Er hat acht Jahre lang hier im Landtag die zentrale These vertreten: Homosexualität ist heilbar, weil Homosexualität Ausdruck einer psychischen Erkrankung, einer Depression ist.
Kann man die gesellschaftliche Verantwortung für verschiedene Bereiche denn Menschen übertragen, die psychisch depressiv veranlagt sind? - Natürlich nicht. Homosexualität ist demzufolge eine Gefährdung für diese Gesellschaft. Man muss damit konzentriert umgehen. Man muss auf diese Gefahren aufmerksam machen.
Wenn Sie sich auf der Homepage des Leo e. V. die Initiative ABSiD ansehen, dann wird an dieser Stelle klar gesagt: Innerhalb der Kirche dürfen Homosexuelle keine Funktionen übernehmen; denn Homosexualität ist ein Indiz für den Verfall dieser Gesellschaft. - Ist das keine Diskriminierung? Ist das keine aktive Diskriminierung? - Es ist eine aktive Diskriminierung.
Dieser Verein hatte, als er die Theorie des Herrn Professor Aardweg als Vereinszweck festgelegt hat, einen zentralen diskriminierenden Charakter und eine diskriminierende Absicht. Das steht fest. Das sollten wir uns alle ehrlich ins Gesicht sagen, so wie wir hier sitzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Nun bekommen wir auf einmal die Information, das habe man so nicht gewusst. Aber selbst wenn man es gewusst hätte, wäre man jetzt nicht dieser Meinung. Herr Bergner meinte, darüber habe er mit Herrn Ritter schon immer eine Kontroverse gehabt.
Wir wundern uns ein wenig über diese Kontroverse; denn es war Herr Bergner, der im Jahr 2009 in einer Diskussion mit meinem Fraktionskollegen Hendrik Lange ganz klar gesagt hat, Homosexualität sei für ihn das Ergebnis einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung. Dies war seine Position. Die CDU habe sich von dieser Position in keiner Weise distanziert.
Gab es irgendwo einen Aufschrei? Gab es einen Landesvorstandsbeschluss, der feststellt, dass dies nicht die Position der CDU sei? - Den gab es nicht. Man hat es toleriert. Man hat es hingenommen. Man hat es akzeptiert. Ich sage ganz klar: Auch das ist ein Skandal.
Etwas anders und komplizierter ist die Situation des jetzigen Fraktionsvorsitzenden Herrn Schröder. Er hat es geschafft, diesen Verein zu verteidigen, diesen Verein nicht zu kennen und sich dann davon zu distanzieren. Ja, nein, Enthaltung - alle drei angekreuzt. Hervorragende Position.
Ich antworte aber ganz deutlich, wenn mir die entsprechende Frage gestellt wird: Nein, ich halte Herrn Schröder nicht für homophob. Herr Scheurell hat mir ausdrücklich gesagt, er habe ihn im Ministerium verteidigt, wenn solche dummen Sprüche
gekommen seien. Wenn Herr Schröder sagt, es gebe für ihn keine Liebe zweiter Klasse, dann ist das meine Position und wir stimmen darin vollständig überein.
Warum dann diese Herumeierei? - Warum nicht eine klare Distanzierung von diesem Verein? Warum nicht eine klare Distanzierung von diesen Inhalten? - Dazu sage ich ganz klar: Dies ist Ausdruck einer Strategie. Dies ist Ausdruck der Strategie der CDU. Sie befindet sich in einer Situation, in der sie eine Modernisierungsdebatte erlebt, in der die Menschen ausdrücklich für die zivilisatorischen Fortschritte und für die Gleichstellung aller Menschen, egal welche sexuelle Identität sie haben, kämpfen.
Sie wollten bei dieser Debatte tatsächlich nicht im Regen stehen und deshalb ist man flexibel. Frau Merkel findet das, was Herr Hitzlsperger gemacht hat, absolut hervorragend. Aber man will natürlich auch andere, konservative Wählerkreise nicht verprellen, in denen diese Vorurteile nach wie vor fröhliche Urständ feiern.
Sehen Sie sich die Homepage des MDR an. Dort sind alle Vorurteile aufgelistet. Sie sind in unserer Gesellschaft keine kleine Minderheit. Man will diesbezüglich anschlussfähig sein. Das will man bedienen. An dieser Stelle will man eine Machtposition erhalten und ausbauen. Deswegen distanziert man sich nicht eindeutig. Das ist das Problem der CDU.
Dazu sage ich: Dies trennt die CDU ganz klar von den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN. Keine andere Partei in diesem Landtag hat ein so ein zwiespältiges, ja janusköpfiges Verhalten zu dieser Frage an den Tag gelegt. Deswegen ist dieses Thema auch ein Thema der CDU, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ja, ich teile die Position des Herrn Schröder, allerdings wird sie in seiner Fraktion nicht geteilt. Der familienpolitische Sprecher dieser Fraktion hat eine völlig andere Position - ich zitiere -:
„Ich stehe nicht dafür ein, dass permanent Sondererscheinungen, wie gleichgeschlechtliche Ehen, als ‚normale Alternative’ zur Familie in den Medien fokussiert werden. Ich stehe dafür ein, dass im Land SachsenAnhalt wieder eine positive und aktive Familienpolitik, das heißt Vater, Mutter, Kind, in den Mittelpunkt gerückt wird und auch als das Normale gewürdigt wird.“
Das ist die Position des familienpolitischen Sprechers der CDU. Je nachdem in welchen Kreisen man sich bewegt und je nachdem welche Wählerklientel gerade in Gefahr ist, bedient man entweder die eine oder andere Position. Das Fatale ist nur,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Damit kommen wir im Kampf gegen die Diskriminierung keinen Schritt weiter. Damit legitimieren wir Diskriminierung und wir verstärken sie.