Protocol of the Session on September 20, 2012

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Mit Schreiben vom 12. September 2012 bat die Landesregierung, für die 17. Sitzungsperiode die Abwesenheit folgender ihrer Mitglieder zu entschuldigen:

Herr Staatsminister Robra kann aufgrund der Teilnahme an der Jahreskonferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien in Kiel an beiden Sitzungstagen des Landtages ganztägig nicht teilnehmen.

Herr Minister Webel hat seine ganztägige Abwesenheit an beiden Sitzungstagen aufgrund der Teilnahme an der 123. Sitzung der Bauministerkonferenz angezeigt.

Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff und Frau Ministerin Professor Dr. Kolb sind aufgrund der Teilnahme an der 900. Sitzung des Bundesrats am Freitag ganztägig verhindert.

Wir kommen zur Tagesordnung. Die Tagesordnung für die 17. Sitzungsperiode liegt Ihnen allen vor. Der Ältestenrat hat beschlossen, in dieser Sitzungsperiode erstmals eine Befragung der Landesregierung durchzuführen. Diese Befragung der Landesregierung findet am morgigen Tag im Rahmen der unter Tagesordnungspunkt 6 eingeordneten Fragestunde statt.

Ich möchte eingangs darauf hinweisen, dass es hierzu einen Erprobungsbeschluss gibt. Bestandteil des Erprobungsbeschlusses war der feste Wille, möglichst wenig vorab schriftlich zu fixieren und in Regeln zu gießen und sozusagen nach dem Prinzip Learning by Doing diesen Erprobungsbeschluss so umzusetzen, dass wir uns morgen in der praktischen Handhabung erst einmal an das herantasten müssen, was im Hinblick auf dieses Instrument parlamentarisch am vernünftigsten ist. Diese Erprobung bedarf dann auch der konstruktiven Mitwirkung aller. Näheres dazu werden wir morgen früh ansprechen.

Die Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE haben fristgemäß jeweils ein Thema für die Aktuelle Debatte eingereicht. Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liegt in der Drs. 6/1442, der Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/1444 vor. Die Aktuelle Debatte wird unter Tagesordnungspunkt 20 aufgerufen werden. Nach einer Vereinbarung der parlamentarischen Geschäftsführer soll die Aktuelle Debatte als erster Beratungsgegenstand am morgigen Freitag aufgerufen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das sehe ich nicht, dann können wir so verfahren.

Zu Tagesordnungspunkt 8 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung verwaltungsvollstreckungs- und verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften - wurde mir signalisiert, dass auf die vereinbarte Dreiminutendebatte verzichtet werden soll. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann können wir auch dies so handhaben. Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung so beschlossen worden und wir können wie vorgetragen verfahren.

Zum zeitlichen Ablauf der 17. Sitzungsperiode ist Folgendes zu erwähnen: Am heutigen Abend findet eine parlamentarische Begegnung mit der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft im Foyer des Schauspielhauses des Theaters Magdeburg in der Otto-von-Guericke-Straße 64 statt. Die morgige 31. Sitzung des Landtages beginnt wie üblich um 9 Uhr.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 1 aufrufe, können wir erste Gäste im Haus begrüßen. Bitte heißen Sie mit mir Damen und Herren der Schule des Zweiten Bildungsweges Halle als Gäste der Landeszentrale für politische Bildung willkommen. Herzlich willkommen im Haus!

(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Ablösung des Finanzausgleichsgesetzes und zur Änderung weiterer Gesetze

Gesetzentwurf Landesregierung - Drs. 6/1410

Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1449

Als Einbringerin wird zunächst die Landesregierung sprechen. Wir haben uns darauf verständigt, hierzu eine Debatte mit einer Redezeit von insgesamt 90 Minuten nach Struktur E zu führen. Die Fraktionen sprechen in der folgenden Reihenfolge: DIE LINKE, CDU, GRÜNE und SPD. Für die Landesregierung als Einbringerin nimmt Herr Minister der Finanzen Jens Bullerjahn das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, ich werde die Redezeit ausfüllen, aber nicht überschreiten. Für den Fall, dass es eine Minute mehr werden sollte, sage ich schon jetzt, dass ich mich beim Nachtragshaushalt sehr kurz fassen werde. Ich bitte das zu berücksichtigen.

Zu Beginn der heutigen Sitzung debattieren wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, über einen Gesetzentwurf, der weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklung der Kommunen und - das sage ich ausdrücklich - damit natürlich auch auf Sachsen

Anhalt hat. Die bisherigen Debatten darüber, etwa bei den finanzpolitischen Dialogen, waren - das möchte ich ganz offen sagen - fair, sie waren sachlich - dass dazu manchmal das eine oder andere laute Wort gehört, liegt, denke ich, in der Natur der Dinge - und sie waren offen mit dem Blick nach vorn.

Viele der an diesen Beratungen Beteiligten haben sich die Frage gestellt, wie es vor allen Dingen in den nächsten fünf bis zehn Jahren weitergehen wird, und haben gemerkt, dass kurzfristige Debatten an keiner Stelle wirklich helfen. Auch wir im Landtag sind uns sicherlich darüber einig, dass im Landtag in diesen Wochen und Monaten wichtige Weichen für die Entwicklung unseres Landes bis 2020 und darüber hinaus gestellt werden.

Wir wissen, dass das Geld bis dahin knapper werden wird. Wir müssen dann spätestens im Jahr 2019 - das können Sie derzeit in jeder Zeitung lesen - auf eigenen Füßen stehen. Wir müssen die Weichen stellen mit dem Ziel, bis dahin das Land noch attraktiver zu machen für die, die hier leben, für andere, die herkommen wollen, und auch für die Wirtschaft, die hier investieren soll und will.

Diese Weichen für Sachsen-Anhalt stellen wir mit solchen Themen wie Kinderförderung - das Thema ist derzeit in der Diskussion -, mit dem Schulgesetz und dem Nachtragshaushalt, aber auch mit den Finanzierungskonzepten, etwa bei den Stark-III-Programmen. Ich denke aber auch an wichtige Veränderungen beim Landespersonal - dieses Thema wird uns in den nächsten Wochen beschäftigen - und in den Bereichen Polizei, Justiz und IT. Letzteres haben wir in den letzten Monaten im Zusammenhang mit dem Thema Dataport und wie es damit weitergehen soll auf dem Tisch gehabt.

Eines der wichtigsten Vorhaben - nicht weil ich jetzt hier vorn stehe - ist natürlich das FAG. Die Aufzählung der Projekte, aber auch die vielen öffentlichen Debatten und Foren rund um das FAG in den vergangenen Wochen haben eines deutlich gemacht: Es macht keinen Sinn, diese Projekte einzeln zu betrachten. Am Ende bedingen sie sich gegenseitig. Gerade für den kommunalen Bereich ist es wichtig, diese Projekte zusammen zu durchdenken.

Deshalb am Anfang einige grundsätzliche Bemerkungen. Viele von Ihnen waren bei diesen Dialogen dabei. Es ging natürlich um das FAG, aber es ging auch um die Kinderbetreuung - heftig diskutiert, auch schon damals, vor Monaten -, um den Brandschutz und um die finanziellen Spielräume und Engpässe bei den Kommunen, aber auch beim Land. Die Debatten drehten sich darüber hinaus um Vorschriften, Auflagen und Regeln. Das hat meist viel Zeit in Anspruch genommen; denn die Umsetzung von Politik beschäftigt auch viele vor Ort.

Deshalb wird es auch darauf ankommen - hierin bin ich mir mit dem Innenminister einig -, dass bis zum Ende des Jahres neben dem FAG ein Kommunalentlastungsgesetz vorgelegt wird, das auch den Kommunen Spielräume eröffnet, um zusätzliches Geld zu organisieren oder bestimmte Leistungen schlichtweg billiger zu machen.

Bei den Foren sind recht unterschiedliche Leute aufgestanden, die sozusagen eines einte: den Blick immer mehr auf das Land zu richten. Es ging um Faktoren, Belastungen, Entlastungen, Zuschüsse, finanzielle Risiken, Bedarfe. Letztlich aber - ich kann mich noch gut daran erinnern; Herr Erben hat das ins Zentrum seiner ersten Rede hierzu gestellt - ging es um die Grundsatzfrage der Angemessenheit.

Flapsig gesagt, es ging um die Frage: Was brauchen wir eigentlich und wer kann von wem was fordern, ohne zuzulassen, dass derjenige, von dem etwas gefordert wird, überfordert wird? - Diese Angemessenheit ist ein schwierig Ding. Der jeweilige Blickwinkel dabei beeinflusst natürlich auch die Sichtweise.

Diese Frage nach der Angemessenheit sollte übrigens ein Grundprinzip der Politik werden. Es ist durchaus richtig, dass auch in Ostdeutschland ein Mentalitätswechsel voranschreiten muss. Es muss - auch aus kommunaler Sicht - Schluss damit sein, jedes Mal nach Geld vom Land oder vom Bund zu rufen, wenn es Probleme gibt, und seien es nur vermeintliche Probleme.

Auch in den Diskussionen war es wichtig, dass man ein Gespür, ein Verständnis füreinander entwickelt. Alle sagen zwar: Ja, ich weiß, dass es weniger wird; aber wenn es um die Forderungen geht, spielt das meistens gar keine Rolle.

Deshalb werbe ich immer wieder für ein gemeinsames Bündnis von Land und Kommunen in Sachsen-Anhalt, das die Prinzipien der Angemessenheit zur Grundlage hat und sie im täglichen Miteinander beachtet, das fair, solidarisch und vor allen Dingen in die Zukunft gerichtet ist. Übrigens ist es jetzt das Grundprinzip des Fiskalpaktes, dass die Kommunen und die nationalen Staaten - im Falle Deutschlands sind es die Bundesländer - immer als Einheit betrachtet werden.

Eckpfeiler dieses Bündnisses sind neben dem jetzt zur erarbeitenden FAG die Stark-Programme, der Stabilitätsrat und der kommunale Finanzmonitor; darauf gehe gleich noch ein. Klar ist aber auch, dass die Leitlinien der Kommunalpolitik vom Landtag und vom Kabinett definiert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die bisherigen Diskussionen über das FAG haben gezeigt, dass dieses Bündnis funktionieren kann und dass auch das Miteinander immer besser wird. Dafür gilt mein ausdrücklicher Dank den Spitzenverbänden; das

sage ich, das wissen Sie, nicht jedes Mal; das ist sozusagen keine Zwangsläufigkeit. Es war eine sehr wohltuende Art des Miteinanders. Mein Dank gilt auch den Oberbürgermeistern, den Landräten und den Kommunalpolitikern, egal ob haupt- oder ehrenamtlich. Dass diese ihre Sicht aus ihrer jeweiligen Gemeinde heraus entwickeln, ist klar. Dabei ging es jedoch sachlich zu.

Ich erinnere mich auch an Zeiten, als Traktoren und Hänger vor dem Landtag standen. Es gab auch so manchen Abgeordneten aus dem Landtag, der sich dort oben gegen das FAG produzierte. Es gab also schon andere Zeiten.

Das Wichtigste für mich ist, dass das neue FAG noch näher am kommunalen Leben ist. Grundlage für den Gesetzentwurf war das Gutachten von Professor Deubel. Sie haben es selbst miterlebt: Professor Deubel hat noch während der Diskussionen der Foren seine Konzepte weiterentwickelt. Er hat Überlegungen und Anregungen aufgenommen. Letztlich hat er ein unabhängiges Gutachten ohne politische Vorgaben vorgelegt.

Deshalb kann ich hier ganz klar sagen: Diese Vorlage zum FAG ist kein Gesetz nach Kassenlage.

(Zustimmung bei der SPD)

Professor Deubel hat umfangreich analysiert - manchen war es fast schon zu viel -, er hat kommunale und Ländervergleiche herangezogen. Das ist auf Bundesebene ein ganz normales Mittel, Länder und Kommunen miteinander zu vergleichen. Er hat auch bei dem Thema der Angemessenheit eine Systematik für das FAG entwickelt. Diese Systematik ist, glaube ich, am Ende des Prozesses von niemandem grundsätzlich angezweifelt worden, weil - das muss man auch dazu sagen - niemand ein anderes und besseres System auf den Tisch legen konnte. Eine gefühlte Angemessenheit in die Betrachtung aufzunehmen, reicht, glaube ich, nicht aus. Es muss schon die Frage erlaubt sein, warum es anderen Ländern bzw. Kommunen möglich ist, mit weniger Geld gleiche Aufgaben vielleicht sogar besser zu erfüllen.

Insofern muss man aufpassen, ob es - wenn man meint, man hätte ein anderes System oder man könnte es lax ändern - nicht noch größere Kritik auf sich zieht oder vielleicht den Gerichten noch mehr Möglichkeiten gibt, dieses System anzugreifen.

Viele Vorschläge von Professor Deubel sind in den Gesetzentwurf meines Hauses aufgenommen worden. Auch in den Ministerien wurde lange darüber diskutiert, was und wie wir es vorschlagen sollten. An dieser Stelle möchte ich - das auch aus großer Überzeugung - Frau Assmann mit ihrem Referat Dank sagen für die Mühen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und von Herrn Gallert, DIE LINKE)

Ich habe das FAG in meinem Ressort sozusagen neu hinzubekommen. Das ist wirklich ein sehr komplexes Gebilde, sodass ich schon sagen kann: Es ist das, was nach dem Haushalt die höchsten Anforderungen an einen stellt. Ich denke, das wissen auch diejenigen, die mit dem FAG schon länger zu tun haben als ich.

Auch ich musste dem Deubelschen System folgen und mit Vorschlägen und Ergebnissen leben, die einen Finanzminister nicht jubeln lassen. Im FAG stellen wir im Jahr 2013 mehr als 1,6 Milliarden € bereit. Diese Schallmauer - das sage ich ganz ehrlich - wollte ich eigentlich nicht durchbrechen.

Nach dem Mitzeichnungsverfahren im Kabinett und Gesprächen vor allem mit den Regierungsfraktionen - die sehr ausführlich und fair waren -, und auch nach Gesprächen mit allen anderen Fraktionen, die mich eingeladen haben, und nach der Anhörung der kommunalen Spitzenverbände stellen wir jetzt mit der Vorlage des FAG zusätzlich zu den bisherigen Grundlagen im Haushalt 91 Millionen € für das Jahr 2013 und 82 Millionen € für das Jahr 2014 zur Verfügung.

Zu der letzten Erhöhung ist es deshalb gekommen, weil wir auf Vorschlag und letztlich auch aufgrund der guten Argumentation der Spitzenverbände die kompletten Inflationsprognosen des Bundes zugrunde gelegt haben. Das hat noch einmal zu einer enormen Erhöhung geführt. Klar ist aber auch, dass in diese Inflationsprognose die Tarifentwicklungen eingepreist sind. Ich denke, dass das nachvollziehbar ist.

Das Gesetz selbst ist dynamisch an den Aufgaben orientiert. Erwartete Steuerschwankungen müssen vom Land im Verhältnis 1 : 1 in Zukunft ausgeglichen werden. Der Ansatz und das Ergebnis der Finanzausgleichsmasse sind völlig frei von konjunkturellen Entwicklungen. Das ist einmalig in Deutschland, birgt aber sowohl Vorteile als auch Risiken. Man muss wissen, wie das System gerade für den Landeshaushalt funktioniert.

Auf einige Punkte möchte ich etwas detaillierter eingehen. Zunächst bleibt anzumerken, dass das Land - das interessiert hoffentlich einige hier im Haus - mit dem neuen Finanzausgleichsgesetz auf die letzte Rate, die aus der Überzahlung der Finanzzuweisungen aus dem Jahr 2009 beruht, in Höhe von 26,6 Millionen € verzichtet. Ab dem Jahr 2014 verzichtet das Land auf der Grundlage des Gesetzentwurfes auf die von den Landkreisen und den kreisfreien Städten zur Krankenhausfinanzierung zu leistende Umlage von 9 Millionen €.

Bei allen meinen Vorschlägen und Überlegungen ging es um eine Systematisierung dessen, was wir vorlegen. Diesbezüglich gab es einige Sachen, die bisher sachfremd waren bzw. dieser Logik nicht folgten.

Neu im FAG ist auch der Blick nach vorn. Sie haben es oft gehört, die Schlagworte Heck- und Frontscheibe. Ich will das jetzt gar nicht weiter ausführen. Das heißt, dass aktuelle Gesetzesänderungen mit der Folge von Mehr- oder Mindereinnahmen für die Kommunen ab einem relevanten Wert von 5 Millionen €, ein Promill der kommunalen Einnahmen, in die Berechnung einbezogen werden. Das Asylbewerberleistungsgesetz liegt unter den 5 Millionen €.