Protocol of the Session on December 15, 2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit etwas Verspätung eröffne ich die 15. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt.

Ich möchte Sie herzlich begrüßen. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Für die Landtagssitzung liegen uns Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung vor. Mit Schreiben des Staatsministers vom 7. Dezember 2011 bat die Landesregierung für die 9. Sitzungsperiode am 15. Dezember 2011 darum, die Abwesenheit von Herrn Ministerpräsidenten Dr. Haseloff und Herrn Staatsminister Robra aufgrund ihrer Teilnahme an der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bzw. der vorbereitenden Konferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien und Besprechungen mit der Bundeskanzlerin in Berlin zu entschuldigen. Auf der Tagesordnung dieser Beratungen steht unter anderem die abschließende Beratung des Glücksspielstaatsvertrages, bei dessen Erarbeitung das Land Sachsen-Anhalt federführend war.

Darüber hinaus wird darum gebeten, die Abwesenheit von Ministerpräsident Herrn Dr. Haseloff und Ministerin Frau Professor Dr. Kolb am 16. Dezember 2011 aufgrund ihrer Teilnahme an der Sitzung des Bundesrates in Berlin zu entschuldigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 9. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Mit Blick auf die parlamentarischen Geschäftsführer frage ich, ob es Anträge, Änderungswünsche oder Bemerkungen zur Tagesordnung gibt. - Herr Kollege Dr. Thiel, bitte.

Herr Präsident, die Fraktionen haben sich noch einmal über den Ablauf dieser Sitzungsperiode verständigt. Wir schlagen die folgenden Änderungen vor:

Erstens. Die Reihenfolge der Behandlung der Tagesordnungspunkte 17 und 13 soll getauscht werden. Das heißt, das Thema „Betreuungsgeld verhindern - § 16 Absatz 4 SGB VIII streichen“ soll heute Abend und das Thema „Aktuelle Probleme bei der Umsetzung des SGB II in Sachsen-Anhalt“ soll am morgigen Tag behandelt werden. Der Änderungswunsch hängt damit zusammen, dass der Bundesrat morgen über die Thematik Betreuungsgeld berät und es deshalb sinnvoll wäre, dass wir uns dazu vorher im Landtag austauschen.

Zweitens soll die Fragestunde, die für den heutigen Tag geplant ist, auf den morgigen Tag verlegt werden. Drei Fragen sind durch den Chef der Staats

kanzlei zu beantworten. Herr Staatsminister Robra hat sein Interesse signalisiert, dies persönlich zu tun. Deswegen bitten wir darum, diesen Tagesordnungspunkt morgen nach der Einbringung der beiden Vergabegesetze im Landtag zu behandeln.

Drittens. Wenn es der zeitliche Rahmen heute noch zulässt, sollten wir Tagesordnungspunkte, zu denen am morgigen Tag keine Debatte vorgesehen ist, am Ende dieses Tages behandeln.

Vielen Dank. - Ich versuche zusammenzufassen. Ich gehe davon aus - so habe ich es verstanden -, dass darüber unter den parlamentarischen Geschäftsführern Konsens herrscht. - Herr Kollege Striegel.

Es gibt noch ein Problem: Mir ist soeben signalisiert worden, dass zu einer Fragestellung Gäste im Landtag sind, die auf die Beantwortung dieser Frage warten, sodass ich ein technisches Problem sehe.

(Frau Budde, SPD: Wir machen das nicht für die Gäste, sondern für den Fragesteller!)

Ich würde nun über den Antrag abstimmen lassen. Herr Kollege Dr. Thiel hat erstens beantragt - inwieweit dies Konsens ist, werden wir sehen -, die Reihenfolge der Behandlung der Tagesordnungspunkte 13 und 17 zu tauschen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das sehe ich nicht. Dann machen wir das so.

Zweitens sollen, sofern wir aufgrund einer straffen Sitzungsführung und angesichts des Zeitablaufs dazu in der Lage sind, die Tagesordnungspunkte 14 und 20, zu denen keine Debatte vorgesehen ist, heute behandelt werden. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Wir verfahren so.

Drittens ist beantragt worden, den Tagesordnungspunkt 5 - Fragestunde - auf den morgigen Tag zu verlegen, damit Staatsminister Herr Robra die an ihn gerichteten Anfragen von Abgeordneten persönlich beantworten kann. Der Tagesordnungspunkt 5 soll dann am morgigen Freitag als dritter Beratungsgegenstand behandelt werden. Darüber lasse ich jetzt abstimmen. Das ist ein Antrag der Fraktion DIE LINKE. Wer dem stattgeben möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Gegenstimmen? - Das ist der überwiegende Teil der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Gibt es weitere Änderungswünsche zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann kann die Tagesordnung so abgearbeitet werden, wie sie jetzt beschlossen wurde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir können Gäste begrüßen. Es sind Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen Halberstadt als Gäste der Landeszentrale für politische Bildung im Haus. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte sieht als Einstieg eine Regierungserklärung vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige wenige Worte vorweg.

Wir haben in diesem Jahr aus sehr ernstem Anlass wiederholt die Rechtsstaatlichkeit, die Verteidigung von Menschenrechten, der Demokratie und der Freiheitswerte, die die Basis unserer Gesellschaft darstellen, auf der Tagesordnung. Wir haben erneut Anlass, ernsthaft darüber zu reden.

Das, was in jüngster Zeit hinsichtlich rechtsextremer und rechtsterroristischer Organisationen mit schlimmsten Folgen zutage getreten ist, übersteigt selbst das, was sich die Fachleute vorstellen konnten. Es ist eine Schande für Deutschland, dass sich eine solche Ideologie in so vielen Köpfen breit machen und so schlimme Folgen hervorbringen konnte.

Wer Freiheit, wer Demokratie und wer Rechtsstaatlichkeit nicht verteidigt, läuft Gefahr, sie zu verlieren. Wer heute wegschaut, sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus Feigheit, der lädt, ohne dass es vielleicht jedermann bewusst ist, Schuld auf sich, weil er nicht mithilft, das zu verteidigen, was viele Menschen mit ihrem Leben erstritten haben: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die Wahrung der Menschenwürde für jedermann.

Wir brauchen heute - ich gehe davon aus, dass es ein deutliches Signal aus allen Fraktionen geben wird - auch deutliche Worte in der Sache selbst. Aber den Worten müssen auch Taten folgen. Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat in einem gänzlich anderen Zusammenhang in seiner berühmten Berliner „Ruck-Rede“ davon gesprochen, dass ein Ruck durch Deutschland gehen müsse; er wollte wachrütteln.

Ich glaube, wir brauchen nunmehr bei einem ganz anderen, bei einem viel schlimmeren und ernsteren Thema einen solchen Ruck in unserer Gesellschaft. Wir können heute als Verfassungsorgan ein Zeichen nach außen setzen, dass wir Ideologien nicht tolerieren werden, die die Freiheit des Einzelnen und die Menschenwürde auch nur antasten. Wir können davon ausgehen, dass die anderen Verfassungsgewalten, die Exekutive und die Judikative, genauso ihren Beitrag leisten und ihre Zeichen setzen werden.

Es wird aber nicht reichen, wenn es nicht die gesamte Zivilgesellschaft erfasst. Demokratie kann nicht nur von Amtsinhabern verteidigt werden; des

sen Pflicht ist es ohnehin. Demokratie, Freiheit und Menschenwürde - Rechtsstaatlichkeit also - müssen von jedermann verteidigt werden; das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Ich hoffe, dass es uns heute mit der Debatte um die Regierungserklärung und mit dem gemeinsamen Antrag, den wir beraten werden, gelingen wird, genau dieses Zeichen nach außen zu setzen und das Bewusstsein wachzurütteln, dass jedermann in der Verantwortung ist, für Freiheit, für Menschenwürde, für Rechtstaatlichkeit, für Demokratie einzutreten.

Vielleicht gelingt es uns auch zu vermitteln, dass sich jedermann und jede Frau bewusst sein muss, dass dies nicht unbedingt mit schwerwiegenden Taten, sondern schon mit der täglichen Praxis zu tun hat. Das beginnt mit Intoleranz und Gleichgültigkeit im täglichen Leben.

Wir können verfassungsfeindliche Organisationen oder Parteien verbieten lassen; dies wird sogar, wenn es rechtsstaatlich ordentlich gemacht wird, auch Bestand haben. Mit dem Verbot von Organisationen haben wir allerdings noch in keinem Kopf eine Gesinnung verändert, und genau darum geht es in diesem Zusammenhang.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 a auf:

Regierungserklärung des Ministers für Inneres und Sport Herrn Holger Stahlknecht zum Thema: „Die Werte von Freiheit und Demokratie“

Wir werden anschließend - so wurde es auch im Ältestenrat vereinbart und heute Morgen beschlossen - zwei weitere Beratungsgegenstände mit einpflegen: die Entschließung des Landtags zu den Verbrechen der Neonazi-Bande „Nationalsozialistischer Untergrund“ und zur Arbeit der Sicherheitsbehörden, einen Antrag der Fraktionen CDU, DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, also aller Fraktionen des Hauses, in der Drs. 6/641, sowie einen weiteren Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 6/632.

Ich erteile nunmehr dem Minister für Inneres und Sport Herrn Holger Stahlknecht das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass zu diesem so wichtigen Thema auch einer meiner Amtsvorgänger oben auf der Tribüne anwesend ist. Ich begrüße Sie, lieber Herr Dr. Püchel.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Ich bin dankbar, dass das Hohe Haus heute die Mordtaten und das rechtsextremistische Umfeld auf das Entschiedenste verurteilt. Auch mein Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer, die geliebte Menschen verloren haben.

Sehr geehrte Damen und Herren! Vor 78 Jahren, am 30. Januar 1933, wurde die erste deutsche Republik ihren unversöhnlichen Gegnern ausgeliefert: Adolf Hitler und der NSDAP. Mit diesem Tag begann die Barbarisierung eines zivilisierten Landes. Den sogenannten Staatsfeinden - Juden, Zigeunern, Homosexuellen oder Lebensunwerten - wurde erst die Würde abgesprochen und dann den für würdelos Erklärten das Leben planvoll, organisiert genommen. Die Nationalsozialisten verstießen gegen Menschenrechte und tiefste christliche, humanitäre Überzeugungen, und sie versündigten sich nicht nur an der Welt, sondern auch an der eigenen Nation.

Die Nazis spiegelten den Deutschen vor, ihre Herrschaft sei die vollkommene Idee der Nation. Sie verordneten Zufriedenheit und einen pervertierten Nationalstolz, und sie schafften es durch Indoktrination, perfide Täuschung und Drohung, große Teile des Volkes dazu zu bringen, für das Böse unter dem Deckmantel einer scheinbaren Bürgerlichkeit zu arbeiten.

Sie zerstörten die individuelle Freiheit des Einzelnen, indem der Einzelne nichts, das Volk alles war. 12 Jahre Barbarei sind unauslöschlich in die deutsche Geschichte eingebrannt und hinterlassen uns seither eine immerwährende Aufgabe. Das Erinnern ist die verabredete Ewigkeitsgarantie einer humanen, demokratischen Gesellschaft, damit das Unvorstellbare nicht wieder vorstellbar wird.

Es ist die Unerlässlichkeit von Bildung, historischem Wissen, der gedeihliche Umgang miteinander und ein Leben in einem freien Land, in welchem jeder Einzelne in seiner individuellen Würde und Freiheit durch unsere Verfassung geschützt ist. Dazu gehört es auch, eindeutig Flagge zu zeigen, Flagge zu zeigen gegen rechtsextremistische Taten, gegen rechtsextremistische Propaganda und gegen rechtsextremistische Parteien und sich zu den unveräußerlichen Werten von Freiheit und Demokratie zu bekennen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die deutsche Geschichte zeigt, dass es sich Deutschland nicht leicht gemacht hat, die Werte von Freiheit und Demokratie für ihre Bürger zu verwirklichen. Ich erinnere an die Paulskirchenverfassung von 1849, die die Grundrechte - die ersten des deutschen Volkes - formulierte und für die damalige Zeit durchaus fortschrittlich war. Ein erster Versuch, aber dieser Grundrechtskatalog wurde schon wenige Jahre später wieder aufgehoben.

Auch die Weimarer Republik bekannte sich zu Grundrechten, versäumte es aber, sie machtvoll zu schützen. Die Weimarer Republik krankte schon

an der Weimarer Reichsverfassung selbst, denn diese gewährte dem Reichspräsidenten auch das Notverordnungsrecht, mit dem Freiheitsrechte vorübergehend zum Teil oder auch in vollem Umfang außer Kraft gesetzt werden konnten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wehrhaft war die deutsche Demokratie in der Weimarer Zeit nicht. Als die Nazis in Deutschland die Macht übernahmen, mussten sie noch nicht einmal die Weimarer Reichsverfassung aufheben, es reichte, dass die Verfassung materiell schlicht nicht mehr angewandt wurde. In der Realität war die Verfassung somit beseitigt. In der Realität war das Tor geöffnet für die dunkelsten Stunden Deutschlands.

Die Artikel der Weimarer Reichsverfassung waren nur Buchstaben auf dem Papier, ohne einen wirklichen Plan für den Fall, dass eine politische Gruppierung sie abschaffen wollte. Die Nazis haben gar keine eigene schriftlich niedergelegte, zusammenhängende Verfassung geschaffen. Aus ihrer Sicht brauchten sie eine solche auch nicht. Eines war ohnehin klar: Nicht Grundrechte, nicht Freiheit, nicht Demokratie waren ihr Anliegen, sondern die völlige Unterwerfung der Persönlichkeit unter eine Diktatur, die sogenannte Gleichschaltung und Entrechtung des Individuums bis hin zu seiner Vernichtung.

Die Weimarer Zeit lehrt uns noch heute einiges, insbesondere dass eine Demokratie wehrhaft sein muss, dass sich auch eine Demokratie ihrer Feinde erwehren muss. Ich sage Ihnen: Das gilt auch gerade heute, da wir Freiheit und Demokratie als so selbstverständlich ansehen. Es gibt Menschen und Gruppierungen, die rassistische und fremdenfeindliche Parolen zu politischen Kernaussagen machen und dafür bei einem Teil der Bevölkerung Zuspruch erhalten. Dies ist letztlich der Nährboden für extremistische und terroristische Gruppierungen, die auch vor Gewalt und Mord nicht zurückschrecken.

Meine Damen und Herren! Ich sage dies in aller Deutlichkeit: Diese Menschen und Gruppierungen sind Feinde von Freiheit und Demokratie, und es gilt, ihnen geschlossen und entschlossen entgegenzutreten. Es ist Zeit, Flagge zu zeigen.

(Beifall im ganzen Hause)