Protocol of the Session on March 27, 2014

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Mitglieder des Hohen Hauses und Gäste! Ich eröffne die 64. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der sechsten Wahlperiode und darf alle nochmals herzlich willkommen heißen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Somit können wir die 32. Sitzungsperiode fortsetzen. Heute beginnen wir die Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 9. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 10, 11 und 12.

Am heutigen Abend wird es eine parlamentarische Begegnung mit der Arbeitsgemeinschaft Fernsehen für Sachsen-Anhalt e. V. geben. Die Einladungen hierzu sind herausgegeben und die Veranstalter freuen sich über die Aufmerksamkeit der Mitglieder des Hauses.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung

Erkenntnisse und Handlungsbedarf nach dem Hochwasser 2013

Große Anfrage Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2364

Antwort der Landesregierung - Drs. 6/2736

Für die Aussprache zu der Großen Anfrage wurde die Debattenstruktur D, also eine 45-Minuten-Debatte, vereinbart. Die Reihenfolge der Fraktionen ist SPD, DIE LINKE, CDU und GRÜNE.

Gemäß § 43 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung erteile ich zunächst der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte sehr, Herr Weihrich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Hochwasserkatastrophe im Jahr 2013 sind Deiche gebrochen, Dörfer und Städte wurden überflutet, Häuser wurden zerstört und viele Menschen haben ihr Hab und Gut verloren. Dennoch haben die Menschen nicht resigniert, sondern haben alle Kräfte mobilisiert, um die Schäden, die das Hochwasser verursacht hat, zu beseitigen und um Häuser und Infrastruktur wieder aufzubauen.

Das, meine Damen und Herren, ist eine Leistung, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, wofür ich an dieser Stelle im Namen meiner Fraktion Respekt bekunde und Dank ausspreche.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Fraktion hat unmittelbar nach der Hochwasserkatastrophe im Jahr 2013 eine Große Anfrage zu diesem Ereignis formuliert. Wir haben 110 Fragen gestellt, um die Hochwasserereignisse der letzten Jahre zu bilanzieren und um für die Zukunft die richtigen Lehren ziehen zu können. Die Landesregierung hat die Fragen Ende Januar 2014 beantwortet.

An dieser Stelle sei gesagt, dass wir durchaus die gewissenhafte und umfangreiche Beantwortung der Fragen schätzen. Die Antworten sind nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger von Interesse, sie sind auch für die Auswertung des Hochwassers insgesamt unverzichtbar. Alle Informationen werden so oder so ähnlich in dem abschließenden Bericht der Landesregierung zum Hochwasser wieder auftauchen.

Der Titel der Großen Anfrage lautet „Erkenntnisse und Handlungsbedarf nach dem Hochwasser 2013“. Ganz pauschal möchte ich feststellen: Ja, es hat Erkenntnisse gegeben und der Handlungsbedarf ist an vielen Stellen sehr deutlich geworden.

Eine erste Erkenntnis: Hochwasserschutz in Sachsen-Anhalt ist nicht ohne die personelle Untersetzung möglich. Hochwasserschutz braucht Man- und Womanpower. Daher war es wichtig und richtig, zusätzliches Personal beim LHW einzustellen.

(Zustimmung von Herrn Herbst, GRÜNE)

Es wird aber auch deutlich, dass es Defizite beim Hochwasserschutz gibt. Deswegen werde ich im Folgenden genau auf diese Defizite eingehen.

Damit bin ich bei der Antwort auf die Fragen 1 und 2. Die Landesregierung hat seit 2002 etwa 500 Millionen € für die Beseitigung der Hochwasserschäden und für die Verbesserung des Hochwasserschutzes ausgegeben, aber die Landesregierung kann nicht beziffern, wie hoch die Mittel für Deichrückverlegungen waren. - Kein Wunder! Denn es hat kaum Deichrückverlegungen gegeben.

Die Deichrückverlegung im Lödderitzer Forst ist das Leuchtturmprojekt und als solches das einzige, das derzeit in Sachsen-Anhalt durchgeführt wird. Es hat ein Projektbudget von 28,8 Millionen €. Das Land ist aber hieran nur zu 15 % beteiligt.

Ich halte fest: Es hat praktisch keine Mittel für Deichrückverlegungen gegeben. Fast alles ist in technische Maßnahmen, sprich Deichbau, geflossen, und im Oktober 2013 hat das Hohe Haus gar beschlossen, geschädigte Deiche auf den vorhandenen Linien wiederherzustellen.

Das alles, meine Damen und Herren, ist mehr als kontraproduktiv. Wir fordern hierbei ein Umdenken. Wir haben deshalb den Ihnen vorliegenden Antrag gestellt, den ich im Rahmen der Be

ratung unter dem nächsten Tagesordnungspunkt vorstellen werde.

Sehr aufschlussreich waren die Antworten zur Verzögerung von Hochwasserschutzprojekten. Die Regierung Haseloff hat schon während des Hochwassers den Naturschutz bzw. das Vorkommen geschützter Arten als Ursache für Verzögerungen ausgemacht und hat damit eine unsägliche und vor allem sachlich falsche Diskussion angestoßen.

Fakt ist nämlich - das hat die Antwort auf die Große Anfrage gezeigt -: Es hat nur bei einem einzigen kleinen Verfahren Verzögerungen durch eine Klage gegeben. Damit steht fest, dass es nicht redlich war, diese Behauptung in den Raum zu stellen, und dass ganz andere Gründe für die Verzögerungen maßgeblich waren.

Neben dem Personalmangel ist vor allem ein weiterer Grund zu nennen. Den hat bekanntlich noch Matthias Platzeck als Ministerpräsident von Brandenburg selbstkritisch ausgesprochen. Ich zitiere: „Manchmal fehlt es uns an dem Mut, eine Entscheidung zu treffen.“

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nun könnte man einwenden, dass die Verpflichtungen, die aus dem Naturschutzrecht resultieren, im Vorfeld der Genehmigungen zu Verzögerungen führten. Tatsächlich reklamiert die Landesregierung, dass Vorkommen geschützter Arten bei den Planungen von Hochwasserrückhaltebecken zu erhöhtem Aufwand führten und dass damit zeitliche Verzögerungen einhergingen.

Zeitliche Verzüge hätten sich bei langen technischen Planungen auch ergeben, wenn artenschutzfachliche Erhebungen nach dem Ablauf einer Frist von vier Jahren nochmals über eine komplette Vegetationsperiode erstellt werden mussten.

Bei diesen Antworten wird überdeutlich, dass bei allen erwähnten Planungen ausreichend Zeit gewesen wäre, alle Anforderungen zu berücksichtigen. Wenn kurz vor dem Ende eines fünfjährigen Planungszeitraumes nachgearbeitet werden muss, nenne ich das schlicht „schlechte Vorbereitung“ und „schlechte Planung“, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Kritisch angemerkt wird in der Antwort auf die Große Anfrage auch, dass Kartierungen in den FFH-Gebieten nachgeholt werden mussten. Ich möchte das positiv als Selbstkritik an den Versäumnissen bei der Umsetzung der FFH- und Vogelschutzrichtlinie werten.

Wenn nämlich die Inventarisierung der streng geschützten Arten vorliegen würde und die Ausweisung der Gebiete schon erfolgt wäre, dann lägen damit auch alle Grundlagen für die Planverfahren

vor. Da dies aber bekanntlich nicht erfolgt ist, muss nun in den jeweiligen Projekten nachgearbeitet werden. Wer seine Hausaufgaben nicht macht, meine Damen und Herren, der muss eben nachsitzen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Teilweise, wie bei dem viel zitierten Schöpfwerk an der Rossel, sind die Vorkommen der geschützten Arten bereits jahrelang - im Fall des Schöpfwerkes an der Rossel schon seit dem Jahr 2002 - bekannt.

Dass dennoch gerade dieses Beispiel von Ministerpräsident Haseloff und Staatsminister Robra herhalten musste, um Verzögerungen dem Naturschutz in die Schuhe zu schieben, ist vollkommen abwegig. Ich halte fest: Die von Ihnen, Herr Staatsminister Robra, in der Bundesratsdebatte vom Juni 2013 erwähnte Blaue Keiljungfer existiert nicht.

Verzögerungen durch Vorkommen geschützter Arten entstehen, wenn Genehmigungsanträge schlecht vorbereitet werden. Hierbei muss schlicht in Zukunft sorgfältiger darauf geachtet werden, dass die beauftragten Ingenieurbüros diese Aufgaben besser im Blick haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nun zu den Ursachen des Hochwassers. Das Hochwasser im Juni 2013 war das Resultat überdurchschnittlicher Niederschläge. Gleichzeitig waren die Böden so durchfeuchtet, dass sie kein zusätzliches Niederschlagswasser mehr aufnehmen konnten.

Die Gebietsniederschläge an Elbe, Mulde und Saale waren nicht so hoch wie im Jahr 2002. Aber die Scheitelabflüsse in Mulde und Saale waren bedeutend höher als im Jahr 2002. Das heißt, dass der Niederschlag sofort abflusswirksam wurde, weil in den Böden nichts mehr gespeichert werden konnte. Das hat letztlich das Hochwasser zu einem sehr extremen Hochwasser werden lassen.

Damit komme ich zu einem Grundproblem: die Art und Weise der Bodennutzung. Diese muss verändert werden. Die Flächenvorsorge ist ein wesentliches Element des modernen Hochwasserschutzes. Dabei ist aber nicht nur die anhaltende Bodenversiegelung in den Blick zu nehmen, sondern auch die landwirtschaftliche Bodennutzung. Zum Beispiel durch Vermeidung von Bodenverdichtung und durch eine bessere Bodenstruktur können die Böden mehr Wasser aufnehmen und zurückhalten. Damit bauen sich Hochwasserscheitel weniger schnell auf.

In Sachsen-Anhalt werden zudem 227 000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche entwässert und 147 000 ha Fläche dräniert. Auch das trägt dazu bei, dass sich die Hochwasserscheitel so schnell aufbauen und die Hochwasserscheitel mehrerer

Flüsse zusammentreffen, was dann zu den extremen Ereignissen wie im Jahr 2013 führt.

Ich halte fest: Auch die Bodennutzung muss künftig stärker in den Blick genommen werden. Neuversiegelungen von Böden müssen ausgeschlossen werden und auch die landwirtschaftliche Bodennutzung muss zur Hochwasservorsorge beitragen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Es kann keinen 100prozentigen Schutz vor Hochwasser geben. Deshalb gehören zu einem integrierten Hochwasserschutzkonzept auch Strategien, um Schäden möglichst gering zu halten.

Damit komme ich zu einem weiteren fatalen Ergebnis der Großen Anfrage: Seit dem Jahr 1990 wurden 103 Baugebiete ausgewiesen, die ganz oder teilweise in Überschwemmungsgebieten liegen.

Nach dem verheerenden Hochwasser im August 2002 wurden immerhin noch 48 Baugebiete in Überschwemmungsgebieten ausgewiesen, darunter Gebiete in Dessau und Zeitz. Beim Hochwasser im Juni 2013 waren von diesen Baugebieten 22 Gebiete durch das Hochwasser betroffen. Meine Damen und Herren! Das ist nicht akzeptabel.