Protocol of the Session on February 27, 2014

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Hiermit eröffne ich die 61. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode.

Ich darf alle willkommen heißen und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Mir liegen Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung vor. Mit Schreiben vom 19. Februar 2014 bat die Landesregierung für die 31. Sitzungsperiode folgendes Mitglied zu entschuldigen: Herr Minister Bullerjahn entschuldigt sich für die heutige Sitzung bis ca. 16 Uhr wegen der Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrates mit anschließender Finanzministerkonferenz in Berlin.

Mit Schreiben vom 25. Februar 2014 bat Minister Herr Möllring, seine Abwesenheit für die heutige Sitzung ab 12.45 Uhr wegen der Besprechung zur EEG-Reform im Bundeskanzleramt zu entschuldigen.

Sehr verehrte Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 31. Sitzungsperiode liegt Ihnen vor. Die Fraktion DIE LINKE hat fristgemäß einen Antrag auf Aktuelle Debatte eingereicht. Der Antrag zum Thema „Aktuelle Auseinandersetzung um die Schulentwicklungsplanung“ liegt in der Drs. 6/2835 vor.

Die Aktuelle Debatte ist als Tagesordnungspunkt 19 aufgenommen worden. Nach einer Vereinbarung der parlamentarischen Geschäftsführer soll die Beratung am Freitag an erster Stelle erfolgen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das sehe ich nicht. Dann können wir so verfahren.

Ich frage nunmehr: Gibt es noch Anmerkungen oder Änderungswünsche zur Tagesordnung? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann können wir wie vorgestellt verfahren.

Ich darf zum Ablauf der 31. Sitzungsperiode noch Folgendes bekannt geben: Am heutigen Abend findet eine parlamentarische Begegnung mit dem BUND statt. Die morgige Sitzung beginnt wie üblich um 9 Uhr.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Beratung

Ausbau der Übertragungsnetze voranbringen

Antrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/2824

Änderungsantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2836

Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/2840

Für die Einbringerinnen erteile ich Frau Abgeordneter Budde das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben als Koalition mit dem vorliegenden Antrag ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, das sehr wichtig ist und uns sicherlich noch lange begleiten wird - vermutlich über diese Legislaturperiode hinaus - und deswegen in seiner Dimension so viele Fassetten hat, dass es enormer und vor allem aber auch ausdauernder Anstrengungen bedarf, um es umzusetzen.

Das Thema heißt - abgekürzt - Energiewende. Dieses Schlagwort ist allerdings ein wenig missverständlich. Man könnte auch sagen: Fortentwicklung der Energieerzeugung und -verteilung, Sicherstellung der Energieversorgung für Unternehmen, aber auch für uns Private, Modernisierung der Energieerzeugung in ihrer Gänze. Es ist nicht nur eine Wende, sondern es geht schlichtweg um eine Fortentwicklung und Anpassung an neue Gegebenheiten.

Zu dieser Energiewende gehören vier ganz einfache Wahrheiten.

Die erste Wahrheit lautet: Die Energiewende ist unumgänglich. Ich glaube, das ist inzwischen unumstritten. Wir hatten schon andere Situationen im Landtag, in denen wir in dieser Hinsicht nicht ganz einer Meinung waren. Ich glaube, über diesen Satz herrscht inzwischen Konsens im Hause. Die Energiewende ist unumgänglich.

Wir wissen, dass der Energiebedarf auf der Erde unaufhaltsam zunimmt und dass ein Ende dieses Anstiegs noch lange nicht in Sicht ist. Dies zeigt sich, wenn man andere Länder und andere Kontinente in den Blick nimmt. Wir wissen, dass die fossilen Brennstoffe zur Neige gehen - die einen früher, die anderen später.

Wir wissen, dass die Atomenergie keine Alternative ist, zum einen weil sie gefährlich ist - das hat Fukushima gezeigt -, zum anderen weil sie mehr kostet, als heute auf den Stromrechnungen steht. Man könnte sagen, die Atomenergie ist volkswirtschaftlich gesehen eine Hypothekenenergie. Die Hypothek müssen aber andere zurückzahlen.

Die Atomenergie wird auch dann noch gesellschaftliche Kosten verursachen, wenn wir alle lange nicht mehr leben und wenn die Firmen, die heute ihr Geld damit verdienen, gar nicht mehr existieren. Noch in Jahrhunderten werden sich unsere Urururenkel und Urururenkelinnen mit der Frage der Endlagerung herumschlagen müssen. Damit ist endgültig klar: Die Energiewende ist unumgänglich.

(Zustimmung bei der SPD)

Die zweite Wahrheit ist, dass die Energiewende eine lebenserhaltende Notwendigkeit ist, und zwar für uns alle auf diesem Planeten. Selbst wenn wir über unendliche Ressourcen an fossilen Energieträgern verfügen würden, würde die Erde am Ende kollabieren, wenn wir sämtliche fossilen Energieträger verbrennen würden. Kohle, Öl und Gas sind viel zu schade, um sie nur zu verbrennen; denn das sind Stoffe, die man durchaus auch anders nutzen kann und muss.

Stellen Sie sich eine Erdatmosphäre vor, bei der die gesamten Ressourcen an Öl, Gas und Kohle verbrannt wären, was dann alles um uns herumfliegen würde. Ich glaube, das würde uns allen und auch unserem Planeten nicht guttun. Insofern ist es eine lebenserhaltende Notwendigkeit, dass die Energiewende vernünftig gestaltet wird.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Die dritte Wahrheit ist, dass die Energiewende auch eine soziale Notwendigkeit ist. Wir haben in der Bundesrepublik einen Standard des täglichen Lebens, der in hohem Maße von der Verfügbarkeit bezahlbarer Energie abhängt. Das gilt für die Wohnung. Das gilt für das Heizen. Das gilt für das Kühlen und das Kochen. Das gilt für die Mobilität. Das gilt aber auch für das reale soziale Leben jeder und jedes Einzelnen.

Wir sind immer mehr auf die Segnungen der modernen Telekommunikation angewiesen. Wer kann heute noch vollumfänglich am sozialen Leben teilnehmen ohne Handy, ohne Internet und ohne Stromversorgung? - Die meisten können das nicht. Es werden auch immer weniger, die das können.

Wenn wir es also nicht schaffen, die Energiewende zu meistern, wird die Frage des Zugangs zu Energie eine knallharte Frage der sozialen Teilhabe sein.

Deshalb lautet die erste sozialpolitische Formel der Energiewende: „Keine Energiewende“ träfe vor allem sozial Schwache dieser Gesellschaft. Die zweite sozialpolitische Formel der Energiewende lautet: „Keine Energiewende“ träfe vor allem Familien; denn je mehr Köpfe im Haushalt, umso höher der Verbrauch. Selbst wenn man effizientere Geräte nutzt, selbst wenn man im privaten Umfeld auf Energieeffizienz setzt, steigt der Verbrauch dennoch an, weil die Verfügbarkeit immer stärker genutzt wird und weil es immer mehr Geräte gibt, die mit Strom betrieben werden.

Die gesellschaftliche Teilhabe kann doch nicht am Strompreis bzw. am Energiepreis scheitern. Es kann auch nicht sein, dass man sich überlegen muss, ob man sich noch ein weiteres Kind leisten kann, weil der Verbrauch dann steigt, dass also die Familienplanung davon abhängt, ob man die Stromrechnung bezahlen kann.

Die vierte Wahrheit, die ich normalerweise an die erste Stelle gesetzt hätte, ist, dass die Energiewende eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist. Wir leben in einem Hochindustrieland mit einer hohen Arbeitsproduktivität. Das ist gut so, darauf sind wir zu Recht stolz. Unsere Arbeitsproduktivität ist unter anderem deshalb hoch, weil wir einen hohen Automatisierungsgrad in den Betrieben haben. Das bedeutet einen großen Energieeinsatz.

Schauen wir uns einmal die bestimmenden vorhandenen und sich entwickelnden produktiven Bereiche in Sachsen-Anhalt an. Wenn man diese aufzählt, denkt man immer sofort an den Energieverbrauch. Dies gilt für die chemische Industrie, die Ernährungswirtschaft, die Automobilzulieferer mit ihrem Maschinenbau und den Gießereien, die Glasindustrie, die Papierindustrie usw. All das sind Unternehmen, die verfügbare, bezahlbare und sichere Energie brauchen. Und wir brauchen diese Unternehmen für den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt.

Damit ist klar: Ein Hochindustrieland ist auch ein Hochenergieverbrauchsland. Bei allen Einsparmöglichkeiten, die es gibt, wird es das immer bleiben. Wer den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt, aber auch Deutschland erhalten will, der muss auch in Zukunft dafür sorgen, dass es sichere und bezahlbare Energie für die Unternehmen gibt.

Damit sind wir bei der Energiewende zum Erfolg verdammt. Sie selbst ist - das sage ich sehr selten - alternativlos. Es muss sie geben. Die Gestaltung ist aber nicht alternativlos.

Es gilt der Grundsatz, dass jeder, der heute bei der Energiewende auf die Bremse tritt, ein Entwicklungsrisiko nicht nur für die Wirtschaft von morgen, sondern auch für die Wirtschaft von heute ist. Das ist ein Risiko für den Wohlstand. Meine Damen und Herren! Das gilt nicht nur für uns, sondern das gilt auch für unseren Kollegen Seehofer in Bayern.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben die CSU ja nicht im Landtag.

Bleiben wir also zunächst bei den sogenannten erneuerbaren Energien. Zur Umsetzung dieser Energiewende gibt es eine Reihe von Bauteilen, die nur gemeinsam funktionieren können. Dazu gehören die technologische Entwicklung und die Produktion von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien. Hierbei nimmt Sachsen-Anhalt unbestritten einen Spitzenplatz ein. Dazu gehört der Betrieb solcher Anlagen. Auch dabei nimmt Sachsen-Anhalt unbestritten einen Spitzenplatz ein.

Wir sind sogar mehr als vorbildlich. Rekapitulieren wir einmal, dass die erneuerbaren Energien in Sachsen-Anhalt einen Anteil von 41 % an der Nettostromerzeugung haben. Daher übersteigt heute schon die installierte Leistung aus Wind- und

Sonnenenergie in Sachsen-Anhalt die konventionelle Kraftwerksleistung um den Faktor 2,5.

Dazu gehört natürlich die Forschung in Speichertechnologien. An dieser Stelle muss man einen traurigen Smiley daneben malen; denn wir reden schon seit vielen Jahrzehnten darüber, und es ist nicht viel passiert. Es muss noch einiges passieren, damit dieser Baustein vorhanden ist. Hier haben wir noch großen Nachholbedarf sowohl in der Forschung als auch im praktischen Einsatz.

Dazu gehört aber auch die Frage der Verteilung und des Transports der erzeugten Energien. Damit sind wir bei der politischen Debatte über die Frage des Netzausbaus. Ja, wir brauchen auch dezentrale Netze. Genauso brauchen wir aber auch große Stromtrassen. Wir wissen, dass die Gegenden mit großem Energiebedarf nicht die Gegenden sind, in denen die erneuerbaren Energien effektiv produziert werden können. Deshalb gibt es einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag. Es gibt ein gesamtgesellschaftliches Interesse und ein industriepolitisches Interesse, auch dieses Bauteil der Energiewende einzufügen.

Ich finde, wir können es uns in Sachsen-Anhalt nicht leisten - deshalb müssen wir jetzt drängeln -, dass in Bayern im Jahr 2030 die Fabriken stillstehen, weil Seehofer im März 2014 die Kommunalwahlen gewinnen will.

(Beifall bei der SPD)

Das hört sich vielleicht genauso populistisch an, wie Herr Seehofer gegen die Stromtrassen vorgeht. Aber es ist viel existenzieller und damit auch nicht populistisch; denn das muss uns wirklich wütend machen. Das muss uns zu Widerspruch antreiben. Jeder, der heute bei der Energiewende auf die Bremse tritt, ist ein Entwicklungsrisiko - ich wiederhole es - für die Wirtschaft von heute und die Wirtschaft von morgen und damit ein Risiko für den Wohlstand von heute und den Wohlstand von morgen in diesem Land.

Damit setzt Herr Seehofer die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Sachsen-Anhalt, aber auch Deutschlands insgesamt aufs Spiel, nur weil in Bayern Kommunalwahlen sind. Vielleicht könnte er sein Landesmotto abwandeln von „Laptop und Lederhose“ auf „Lederhose und Schiefertafel“. Dann wäre er wieder in der Generation angekommen, die dazu passen würde.

(Zustimmung bei der SPD)

Für Bayern und die Energiewende muss man deutlich sagen: Wer wie Bayern als Hochindustriestandort dessen Vorteile genießt, der trägt auch eine industriepolitische Verantwortung, und die endet eben nicht an der bayerischen Landesgrenze, und die endet auch nicht an der Außengrenze der Bundesrepublik. Eigentlich müssen wir noch weiterdenken und ein europäisches Modell der

Energiewende aufbauen, was natürlich noch viel schwieriger wird, wenn wir selbst noch nicht genau wissen, wie wir das Ganze in der eigenen Republik hinkriegen sollen.

Im vorliegenden Antrag spricht sich der Landtag von Sachsen-Anhalt klar für die Energiewende und die Notwendigkeit des Ausbaus der Übertragungsnetze als elementaren Bestandteil dieses Projekts aus. Die Landesregierung wird gebeten, sich deutlich gegen ein Stromtrassenmoratorium zu positionieren und sich dafür einzusetzen, dass der Ausbau der Übertragungsnetze zügig geplant und umgesetzt wird.