Protocol of the Session on February 22, 2013

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 40. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Ich heiße die Mitglieder des Hohen Hauses sowie alle Gäste herzlich willkommen und stelle zugleich die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Bevor wir die 21. Sitzungsperiode fortsetzen und mit der Beratung über den Tagesordnungspunkt 32 - Aktuelle Debatte - beginnen, sei mir erlaubt, an einen bedeutenden und zugleich tragischen Tag der deutschen Geschichte zu erinnern.

Nahezu auf den Tag genau vor 80 Jahren in der Nacht vom 27. Februar auf den 28. Februar 1933 fand der Reichstagsbrand statt. Am Tag danach, am 28. Februar 1933, wurde vom Reichskabinett die sogenannte Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat verabschiedet. Dies war zugleich die Verabschiedung von sämtlichen Grundrechten im damaligen Deutschen Reich.

Alle Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger wurden damit außer Kraft gesetzt. Polizei und ihren Hilfsorganen war es nunmehr möglich, Verhaftungen ohne die Nennung von Gründen vorzunehmen und den Betroffenen von solchen Maßnahmen jeglichen Rechtsschutz zu verweigern. Weder die Unversehrtheit der Wohnung, des Eigentums noch des Lebens waren mehr gewährleistet. Das Post- und Fernmeldegeheimnis wurden ebenso wie die Meinungs-, Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit aufgehoben.

Gleichzeitig waren in dieser sogenannten Notverordnung stärkere Eingriffsmöglichkeiten des Reiches in die Angelegenheiten der Länder geregelt, die bis dahin eine starke Position hatten.

§ 2 der Reichstagsbrandverordnung erlaubte der Reichsregierung Eingriffe in die Länderrechte. Damit erhielt die Beseitigung der bundesstaatlichen Strukturen und die einsetzende Gleichschaltung der Länder eine scheinbare rechtliche Legitimation. Diese Verordnung war gleichbedeutend mit dem Ende des Rechtsstaates.

Die Folge war, dass nur wenige Wochen, man kann fast sagen, Tage später bis Mitte Mai 1933 mehr als 100 000 Menschen - nur im damaligen Preußen - auf der Grundlage dieser Notverordnung verhaftet und in die Folterkeller gebracht wurden.

Dieser tragische Jahrestag sollte uns mahnen und wachrufen, dass alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes - egal ob sie im Parlament sitzen oder in einer anderen Form in der Gesellschaft in unserem Land tätig sind oder lediglich hier leben - dafür

in der Verantwortung stehen, dass auch nur die geringsten Anfänge von solchen Tendenzen in der Verbreitung von solchem Gedankengut - das reicht schon aus - keine Chance bekommen.

(Beifall im ganzen Hause)

Wenn nicht eine breite Mehrheit der Bevölkerung, ja selbst die sogenannte Mitte, vielleicht sogar die relativ unpolitische Mitte der Bürgerinnen und Bürgern in diesem Teil Europas dies geduldet oder dem gar zustimmt hätte, dann wäre es der Bande von Nationalsozialisten nicht möglich gewesen, so etwas durchzusetzen.

Es waren damals nicht nur die Extremen, sondern es waren viele, die durch Nichtstun oder gar Zustimmung diesen Terror und den millionenfachen Tod möglich gemacht haben. Dieser Reichstagsbrand sollte uns eine Mahnung sein. Daran wollte ich erinnern.

Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 32:

Aktuelle Debatte

Konsequenzen des Entwurfes der Richtlinie der Europäischen Kommission zur Konzessionsvergabe für die Trinkwasserversorgung in SachsenAnhalt

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/1812

Die Redzeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: DIE LINKE, SPD, GRÜNE und CDU.

Zunächst hat die Einbringerin das Wort. Für die Einbringerin wird Herr Dr. Köck sprechen. Die Landesregierung wird nach dem Einbringer das Wort nehmen.

Ich rufe für die einbringende Fraktion nunmehr Herrn Abgeordneten Dr. Köck auf.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt nach diesen mahnenden Worten nicht ganz leicht, zur Tagesordnung überzugehen. Ich will es aber trotzdem versuchen.

Der Landtag von Sachsen-Anhalt kann für sich reklamieren, eher als andere Landesparlamente die Problematik der Konzessionsvergabe für die Trinkwasserversorgung auf die Tagesordnung gesetzt zu haben.

Bereits vor einem Jahr, am 24. Februar 2012, hat Herr Czeke von unserer Fraktion das Wesentliche zur Problematik der Konzessionsvergabe im Bereich Trinkwasserversorgung gesagt. Ich will das nicht wiederholen.

Der Landtag beauftragte damals die Landesregierung, diese Kritik am vorliegenden Richtlinienentwurf in die Stellungnahme des Bundesrates einfließen zu lassen. Das ist auch so geschehen. Der Bundesrat hat den Richtlinienvorschlag eindeutig abgelehnt und damit auch bei der EU keine Wirkung erzielt.

Unbeeindruckt von mehr als 750 Änderungsanträgen haben der EU-Wettbewerbsfähigkeitsrat und vor vier Wochen schließlich auch der Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments die Konzessionsrichtlinie angenommen.

Letzterer lehnte dabei auch vier Anträge auf Herausnahme des Wassersektors aus der Richtlinie ab, beschloss aber noch einige Veränderungen, wie zum Beispiel, dass bestehende Verträge unberührt bleiben, dass es eine Übergangsfrist für kommunale Wasserversorgungsbetriebe mit privater Beteiligung bis zum Jahr 2020 gibt und dass sie auch auf 100-prozentige kommunale Eigenunternehmen keine Anwendung finden soll. Auch die Schwellenwerte für den Vertragsumfang wurden angehoben.

Die Messen scheinen gesungen. Weshalb also heute noch einmal eine Aktuelle Debatte?

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Die Begründung ist einfach: Es ist ein Novum in der Geschichte der EU, dass mehr als eine Million Bürgerinnen und Bürger aus sieben EU-Ländern mit ihrer Unterschrift das Europäische Parlament zwingen, sich nochmals mit einem bestimmten Sachverhalt zu befassen.

Diese Unterschriften können auch als Aufforderung an die nationale Politik verstanden werden, ihren politischen Einfluss in Brüssel geltend zu machen, um nicht einer weiteren Privatisierung der Trinkwasserversorgung in Europa Vorschub zu leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Bewegung der Bürgerinnen und Bürger hat auch die Landespolitiker aller Bundesländer beeindruckt und nicht unerheblich zu einer parteiübergreifenden Ablehnung der Konzessionsrichtlinie beigetragen. Von den Freien Wählern, Piraten und GRÜNEN über LINKE, SPD bis hin zur CDU/CSU und FDP herrschte Einmütigkeit in den Landtagen.

Das hat zu einer Vielzahl parlamentarischer Initiativen geführt, unter anderem zu einigen sehr grundsätzlichen, teilweise von mehreren Fraktionen gemeinsam eingebrachten Anträgen, wie beispielsweise in Bayern, Nordrhein-Westfalen, SchleswigHolstein, Baden-Württemberg oder im Saarland.

Der Landtag von Sachsen-Anhalt sollte sich mit einer aktuellen Stellungnahme - wobei die Betonung auf „aktuell“ liegt - in diesen Chorus einbringen.

Wir haben uns bei der Formulierung des Antragstextes, den nachher Herr Lüderitz vertreten wird, bewusst auf die Entschließungen der anderen Landtage gestützt. Ich freue mich, dass sich die CDU-SPD-Regierungskoalition entschlossen hat, sich mit einzureihen.

Es gilt, noch einmal ein Zeichen an die Parlamentarier des Europaparlaments zu senden und sie zu einem entsprechenden Votum aufzufordern. Das habe ich hiermit für meine Fraktion getan.

Wir brauchen in Sachsen-Anhalt diese Richtlinie nicht. Wir haben auch ohne Zutun der EU vernünftige Strukturen bei der Trinkwasserversorgung herausgebildet. Es gibt sowohl rein kommunale Wasserversorger unterschiedlichster Rechtsform als auch rein Private sowie Wasserversorger mit privater Beteiligung.

Paradebeispiel für eine gute Zusammenarbeit ist die Fernwasserversorgung. Negative Erfahrungen haben insbesondere einige Abwasserzweckverbände machen müssen. Verwiesen sei nur auf die Kläranlage in Rollsdorf am Süßen See oder den ehemaligen AZV Bodeniederung.

Probleme mit privaten Dienstleistungen ergeben sich vor allem dann, wenn Kommunen eine Rekommunalisierung anstreben. Dabei streitet man sich regelmäßig, wenn es um die Wertermittlung des Anlagevermögens geht.

Die neue Richtlinie erzeugt neben mehr Bürokratie für längere Zeit auch eine beträchtliche Rechtsunsicherheit. Es finden sich darin unbestimmte Rechtsbegriffe zuhauf und zahlreiche Textstellen sind rechtlich sehr dehnbar. Sind zum Beispiel Abwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung als eine Sparte oder als zwei Sparten anzusehen?

Es können Jahre vergehen, ehe alle Aspekte höchstrichterlich ausgeurteilt worden sind. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Sachsen-Anhalt durch zwei Grundsatzurteile des Europäischen Gerichtshofes, das sogenannte Stendal-Urteil zum ÖPNV und das Halle-Urteil aus dem Abfallbereich, bereits zu zweifelhaftem Ruhm gelangt ist. Auch dabei ging es um die Problematik der Vergabe von Aufträgen.

Meine Damen und Herren! Auch wenn der zuständige EU-Kommissar Barnier sich gegen den Vorwurf wehrt, er wolle die Wasserversorgung privatisieren, untergräbt er mit dieser Richtlinie objektiv die kommunalwirtschaftliche Infrastruktur.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir reden die ganze Zeit nur über die Trinkwasserversorgung, doch die Richtlinie betrifft auch weite Bereiche der Daseinsvorsorge, unter anderem Bankdienstleistungen, also unsere Sparkassen, Gas-, Wärme-, Stromerzeugung sowie -versorgung, das Gewässermanagement, die Abwasser

beseitigung, ÖPNV und SPNV, Kabelnetze, Häfen, Luftlandeplätze, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen.

Die Richtlinie zielt auf die multifunktionalen leistungsfähigen Stadtwerke ab. Die Kommunen und die Bürger werden vor die Alternative gestellt, entweder rein öffentliche, auf die Kommune beschränkte Wasserversorgung ohne jegliche weitere Geschäftsfelder zu betreiben oder Konzessionen zu vergeben.

Ich kann Ihnen aus langjähriger Erfahrung aus den Aufsichtsgremien der halleschen Stadtwerke prophezeien, dass die Richtlinie trotz der vom Regionalausschuss vorgenommenen Korrekturen den Bestand der Stadtwerke infrage stellt. Das ist kein Horrorszenario.

Wird das auf der EU-Ebene billigend in Kauf genommen oder ist es sogar gewollt? - Dazu der zuständige EU-Kommissar Barnier, nachzulesen in der „Volksstimme“ vom 15. Februar:

„Außerdem besteht auf mittlere Sicht die Notwendigkeit, multifunktionale Stadtwerke, die auf anderen offenen Märkten im Wettbewerb stehen, zu restrukturieren, damit der Wettbewerb bei einer direkten Konzessionsvergabe an diese Stadtwerke nicht verzerrt wird.“

Während die Konzernstrukturen, zum Bespiel von Veolia, niemand hinterfragt, werden kommunale Mehrspartenstadtwerke zur Umstrukturierung gezwungen. Alle diese Vorteile, wie steuerlicher Querverbund und wirtschaftliche Synergien, fallen weg. Eine zweifelhafte Wiederauferstehung von Eigenbetrieben wäre die Folge. Mit Transparenz und Fairness hat das alles nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Aus diesen Gründen habe auch ich persönlich den Aufruf der Bürgerinitiative unterschrieben. Auch Sie können das noch tun. Im Internet ist das möglich. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.