Protocol of the Session on March 28, 2014

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 65. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt. Ich begrüße alle Anwesenden recht herzlich und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen die 32. Sitzungsperiode des Landtages der sechsten Wahlperiode fort. Wir beginnen mit der Beratung zu Tagesordnungspunkt 13 - Aktuelle Debatte. Dazu haben die Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU jeweils ein Thema eingereicht. Hiernach folgt die Behandlung des Tagesordnungspunktes 23.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Aktuelle Debatte

Es liegen drei Beratungsgegenstände vor. Von der Fraktion der SPD wurde das Thema „Betriebsratswahlen in Sachsen-Anhalt als Chance zur Stärkung der Demokratie in den Unternehmen nutzen“, von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde das Thema „Unterrichtsversorgung sicherstellen“ und von der Fraktion der CDU wurde das Thema „Linksextremismus nicht verharmlosen“ eingereicht. In der Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit zehn Minuten je Fraktion.

Ich rufe das erste Thema der Aktuellen Debatte auf:

Betriebsratswahlen in Sachsen-Anhalt als Chance zur Stärkung der Demokratie in den Unternehmen nutzen

Aktuelle Debatte Fraktion SPD - Drs. 6/2936

Für die Debatte ist die folgende Reihenfolge vereinbart worden: SPD, DIE LINKE, CDU und Grüne. Zunächst erhält die Antragstellerin das Wort. Frau Kollegin Budde, bitte sehr.

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das 25-jährige Jubiläum der friedlichen Revolution und der Maueröffnung begehen wir in diesem Jahr, im nächsten Jahr das 25-jährige Jubiläum der Wiedervereinigung.

Die meisten von Ihnen wissen, dass ich seit Oktober 1989 politisch aktiv bin. Viele wissen vielleicht nicht, dass ich im Jahr 1990 eine der ersten freien Betriebsratswahlen in dem Betrieb, in dem ich damals gearbeitet habe, mit geleitet habe. Es war im FER - Forschung, Entwicklung, Rationalisie

rung. Der Chef war der spätere Chef der Industrie- und Handelskammer Herr Dr. Hieckmann.

Das war eine besondere Situation damals in diesem Betrieb. Die ersten freien Betriebsräte wurden 1990 gewählt. Es war klar, dass die Aufgaben für die Betriebsräte und für die Gewerkschaften in einem starken Wandel begriffen waren und dass sich alles verändern würde, die ganze Arbeitswelt. Aber davon, wie sehr sich alles verändern würde, hatten wir damals noch keine Vorstellung.

Die etwas Älteren unter uns - das sage ich einmal etwas despektierlich -, zu denen ich auch gehöre, kennen sicherlich noch den Spruch, den man vorbrachte, wenn man zu DDR-Zeiten zu Hause etwas entscheiden wollte, das noch nicht entschieden war: Da frage ich erst einmal meine BGL. Damit waren meistens wir Frauen gemeint. Die Betriebsgewerkschaftsleitung hatte nämlich bei allem etwas mitzureden. Das umschreibt als DDR-Synonym sehr gut, was die Aufgabe der BGL, der Betriebsgewerkschaftsleitung in den Betrieben, war.

Es war auch selbstverständlich, dass in dem Umstrukturierungsprozess, der durch die Treuhand begleitet wurde, und bei den Privatisierungen - da war es unumgänglich - Betriebsräte und Gewerkschaften dabei waren. Das war noch eine Art von Normalität. Damals waren flächendeckend Betriebsräte vorhanden, die in der Regel auch gewerkschaftlich organisiert waren.

Nach der Privatisierung, mir der Privatisierung und im Zuge der Neugründungen verschwand dieses flächendeckende Vorhandensein von Betriebsräten. Man lebte in einer Umgebung, in der gesagt wurde, dass das nicht mehr nötig sei und dass man sich schon einigen werde: Wir werden uns schon einig; irgendwie kriegen wir das hin. Wir alle wollen doch nur das Beste. Ich will doch für euch alle nur das Gute.

Aber, meine Damen und Herren, dadurch, dass diese flächendeckend vorhandenen Betriebsräte verschwanden, dass die Bindung an Arbeitgeberverbände verschwand und dass die Bindung an die Gewerkschaften verschwand, verschwand auch ein großes Stück an Demokratie. Das war ein sehr schleichender Prozess. Damit verschwand auch ein Stück Mitbestimmung und ein Stück Chance auf Unternehmensentwicklung.

Denn eines ist klar: Unternehmen, die über eine organisierte Mitbestimmung verfügen, gehen besser an die Lösung von Problemen heran, weil sie die Probleme, die durch Markt- und andere Gegebenheiten entstehen, gemeinsam lösen können. Sie sind erfolgreicher. Sie haben oft ein besseres Betriebsklima. Sie haben oft die engagierteren Mitarbeiter. Sie haben ein gutes Verhältnis zum Nachwuchs; in der Regel bilden sie auch aus. Sie finden in der Regel auch gemeinsam gute Lösungen in Krisensituationen, selbst bei kritischen The

men, die wir in der Vergangenheit oft hatten, beispielsweise bei dem Thema Lohnverzicht.

Deshalb lassen Sie mich Folgendes kurz zusammenfassen: Betriebsräte sind unverzichtbar für eine gute und gesunde Unternehmensentwicklung und vor allem für eine gesunde Unternehmenskultur. Dass das unumstritten ist auch unter uns im Parlament, zeigen das Bekenntnis, das ich zumindest von der CDU, von der LINKEN und von uns kenne, und Aufrufe, die Gründung von Betriebsräten zu unterstützen. Das findet sich auf den diversen Homepages, in Erklärungen oder in Vereinbarungen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN umarme ich einmal mit. Ich gehe davon aus, dass ich das bei diesem Thema darf. Ich habe dazu nichts gefunden, aber ich gehe davon aus, dass Sie der gleichen Auffassung sind.

Auch die Landesregierung wirbt dafür. In einer gemeinsamen Erklärung des Sozialministers Norbert Bischoff und des DGB wird dazu aufgerufen, in dem Zeitraum, der jetzt ansteht, nämlich vom 1. März bis Ende Mai, Betriebsräte zu wählen.

Ich finde es wichtig, dass dieses Signal heute auch vom Landtag ausgeht. Deshalb haben wir diese Aktuelle Debatte beantragt. Wählt in unseren Unternehmen in Sachsen-Anhalt Betriebsräte. Macht auch in den Betrieben Gebrauch von eurem demokratischen Recht. Holt euch aber auch die Unterstützung von Gewerkschaften. Macht die Unternehmen damit auch etwas krisenfester.

Übrigens findet in Krisenzeiten oft ein Umdenken in den Unternehmen statt. Ich möchte einmal etwas unverdächtig mit einem Unternehmen außerhalb Sachsen-Anhalts anfangen, mit A.T.U. Wer kennt den großen Namenszug des Unternehmens am Straßenrand nicht? - Im Januar 2013 wollte die IG Metall im Logistikzentrum Werl einen Betriebsrat gründen. Es fand eine Versammlung statt, die durch Zwischenrufe und anderes gestört wurde. Letztlich wurde alles daran gesetzt, dass kein Betriebsrat gewählt wurde. Es wurde verhindert.

Heute, nachdem, wie wir den Überschriften in den Zeitungen entnehmen können, A.T.U. in Schwierigkeiten war und ist, gibt es einen neuen Chef und einen neuen Investor und es gibt Verhandlungen mit der IG Metall über das Einsetzen eines Betriebsrates, übrigens auf Initiative der Arbeitgeberseite hin.

Die neuen Chefs und die neuen Eigentümer von A.T.U. haben erkannt, dass es ohne einen funktionsfähigen Betriebsrat nicht funktionieren wird und das Unternehmen selber auch nicht zu retten sein wird. Ich drücke die Daumen, dass es gemeinsam klappt und dass man das Unternehmen nach vorn ausgerichtet entwickeln kann. Ich hoffe, dass es nicht zu spät ist.

Ein Schelm, der dabei Parallelen in SachsenAnhalt erkennt. Wir haben hier zum Beispiel einen

großen Windkraftanlagenhersteller, der es seit Jahren verhindert, dass die IG Metall dort einen Betriebsrat wählen lässt, weil er die Gewerkschaft nicht leiden kann. Ich glaube, dort ist man inzwischen ein gutes Stück weiter gekommen. Das hat einen Kampf von drei, vier, fünf Jahren gekostet. Das ist schwierig, finde ich.

Nun will ich nicht per se differenzieren in gute und schlechte Betriebsräte und sagen, dass nur diejenigen Betriebsräte, die mit einem gewerkschaftlichen Hintergrund gewählt worden sind und die Gewerkschaft in Rücken haben, gute Betriebsräte sind. Es gibt sicherlich auch gute andere Betriebsräte. Aber jeder Betriebsrat, der mit gewerkschaftlichem Hintergrund gewählt wird, der eine Gewerkschaft im Rücken hat, kann auf die Unterstützung dieser Organisation bauen. Das ist ein völlig anderer Rückhalt, als wenn man allein im Unternehmen steht. Deshalb finde ich genau dies wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Wir Parlamentarier wissen das. Wir haben auch starke Organisationen im Rücken, nämlich unsere Parteien. Es wäre auch hier nicht so einfach, als Alleinkämpfer oder Alleinkämpferin zu stehen. Deshalb finde ich es richtig, dass wir insbesondere darauf setzen, Betriebsratswahlen mit gewerkschaftlicher Initiative und Unterstützung in Sachsen-Anhalt zu haben.

Ich persönlich halte es auch für eine extrem fatale Entwicklung, dass zum Beispiel durch gezielte Firmenaufspaltungen Betriebsräte quasi außer Kraft gesetzt und zerstört werden. Ich halte das für eine fatale Fehlentscheidung von Unternehmen, für einen falschen Weg.

Auch da - es ist vielleicht nicht ganz ungefährlich, das hier anzusprechen, weil wir immer wieder mit den Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten, die in diesen Strukturen tätig sind - muss man den Finger insbesondere auf die Medienwelt und auf die Verlagswelt richten. Das, was dort gegenwärtig passiert, ist sehr ungesund, und es ist das Gegenteil von Mitbestimmung.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Gallert, DIE LINKE)

Die Kolleginnen und Kollegen in der Verlagswelt müssen sehr oft zu nicht gerade lustigen Arbeitsbedingungen arbeiten. Das tut nicht gut. Demokratie darf nirgendwo am Werkstor aufhören. Deshalb ist es richtig, dass wir dieses Thema heute im Landtag debattieren.

Demokratie darf nicht am Werkstor enden, nicht in der Chemieindustrie, nicht im Maschinenbau, nicht im Handwerk und im Bergbau, in der Gesundheitswirtschaft, im öffentlichen Dienst, wo es einen guten Organisationsgrad gibt und das selbstverständlich ist, aber auch nicht im Handel, im Gaststättengewerbe, in Callcentern, nicht bei Zeitungsver

lagen und, meine Damen und Herren, auch nicht bei Parteien und Gewerkschaften selbst.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt auch völlig andere Beispiele, positive Beispiele, wie zum Beispiel die Handwerkskammer Magdeburg, die schon zum zweiten Mal mit den Gewerkschaften verhandelt. Gestern haben sie wieder über der Frage zusammengesessen, dass man gemeinsam dazu aufruft, Betriebsräte in den Unternehmen des Handwerks zu wählen. Herr Keindorf, ich nehme an, das macht Halle auch. Oder?

(Herr Keindorf, CDU: Wir sind schon viel weiter!)

- Sie sind schon viel weiter, Sie haben schon überall Betriebsräte. Aber es kommen immer neue Unternehmen dazu. Insgesamt ist es im mitbestimmten Handwerk, das eine Tradition von Arbeitnehmervertretungen hat, selbstverständlich, dass dort zu Betriebsratswahlen aufgerufen wird.

Fazit: Betriebsräte sind wichtig in guten und in schlechten Zeiten. Betriebsräte stärken unser demokratisches System insgesamt. Betriebsräte helfen in der Arbeitswelt in Zeiten, in denen die globalen Wirtschaftsstrukturen immer stärker werden, diese zu gestalten. Betriebsräte verhandeln mit über Arbeitszeiten, über Löhne, achten auf Arbeitsschutz, bringen die Gleichstellung voran, sichern den Wirtschaftsstandort Deutschland mit, sind Produktivitäts- und Innovationstreiber in den Unternehmen, also rundum eine gute Sache.

Ich finde, es tut uns gut, als Landtag gemeinsam dazu aufzurufen, dass es mehr - in Klammern - gewerkschaftlich organisierte, aber auch andere Betriebsräte in Sachsen-Anhalt gibt und dass Sachsen-Anhalt zu einem komplett mitbestimmten Land wird. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Frau Kollegin Budde. - Für die Landesregierung spricht Minister Bischoff. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis Ende Mai dauern die Betriebsratswahlen noch an. Von daher ist das Thema aktuell. Ich finde es auch wichtig und freue mich darüber, dass es im Landtag debattiert wird, dass darauf aufmerksam gemacht wird und dass - hoffe ich jedenfalls - alle Fraktionen ihren Beitrag dazu leisten werden.

Man denkt manchmal, Betriebsräte sind selbstverständlich. Man kennt Personalvertretungen, man kennt ein paar Betriebsräte. Man hat manchmal nicht den genauen Überblick, wo es diese nicht

mehr gibt, wenn man die kleinen und mittelständischen Unternehmen anschaut, die wir im Land haben.

Was Frau Budde eben gesagt hat, dass wir im Jahr 1990 tatsächlich einen Aufschwung zu verzeichnen hatte, hatte ich fast vergessen. Es gab viele Gewerkschaften, es gab neue Möglichkeiten mitzumachen. Da war - das merkte man bei den Wahlen - noch Euphorie vorhanden. Diese ist relativ schnell verschwunden.

Dann stand der Kampf um Arbeitsplätze im Vordergrund, Arbeitslosigkeit, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Ich glaube, es hat die Zeit geprägt, dass Menschen eher mit sich zu tun hatten und die Bindung an Gewerkschaften, an Vertretungen an die zweite Stelle getreten ist.

Heute kämpfen wir darum - deshalb finde ich es wichtig, dass das Thema im Landtag beraten wird - nicht nur mit Appellen, sondern unterstützen es, dass sich Menschen bereit finden, in Personalvertretungen, in Betriebsräten mitzuarbeiten. Heute ist es umso notwendiger, weil es wieder neue Möglichkeiten gibt, weil der Arbeitsmarkt sich verändert.

Zum Thema Arbeitskräftemangel/Arbeitskräftesicherung. Ich habe diesbezüglich noch nie so viel erlebt wie in den letzten Monaten. Ich bin von Betrieben angesprochen worden - das Fraunhofer-Institut in Halle hat mich eingeladen zum Bereich Kunststoffindustrie -, dass Qualifizierungsmöglichkeiten gesucht werden, weil dort ein großer Mangel an Arbeitskräften herrscht.