Protocol of the Session on March 23, 2012

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 23. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nunmehr die 13. Sitzungsperiode des Landtages fort. Wir beginnen die heutige Beratung mit den Aktuellen Debatten unter den Tagesordnungspunkten 22 c und 22 b.

Ich möchte eingangs daran erinnern, dass sich für heute Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff wegen der Vereidigung des Bundespräsidenten in Berlin von der Teilnahme an der Sitzung entschuldigt hat.

Wie gestern angekündigt, behandeln wir jetzt die beiden soeben genannten Tagesordnungspunkte.

Ich rufe erneut den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Aktuelle Debatte

Ich rufe zuerst das dritte Thema der Aktuellen Debatte auf:

Justizstrukturreform transparent gestalten

Aktuelle Debatte Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/941

Die Redezeit pro Fraktion beträgt zehn Minuten, wie es allen in diesem Hohen Hause bekannt ist. Der Ältestenrat hat sich auf die folgende Redereihenfolge verständigt: Einbringer, CDU, DIE LINKE, SPD. Zunächst hat die Antragstellerin das Wort. Ich erteile Herrn Abgeordneten Herbst für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 21. Februar 2012 hat das Kabinett den umfassendsten Umbau der Strafvollzugslandschaft in Sachsen-Anhalt seit der Gründung des Landes beschlossen. Der Kernpunkt des Beschlusses lautet - ich zitiere -:

„Die Landesregierung beschließt, den Justizvollzug in Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2018 in nur noch drei Justizvollzugsanstalten in Burg, Raßnitz und in Halle (Saale) zu konzentrieren.“

Sie, Frau Justizministerin, geben mit diesem Beschluss vor, wo es hingehen wird. Sie machen Nägel mit Köpfen und Sie beschließen eine Reform, die es in der Tat in sich hat. Sie entscheiden über

die Schließung von fünf Standorten von Justizvollzugsanstalten, über einen Neubau einer Justizvollzugsanstalt im halleschen Stadtteil „Frohe Zukunft“ mit einem Investitionsvolumen von 158 Millionen € und in diesem Paket gleich noch über die Zukunft der Sicherungsverwahrung und über den Frauenvollzug. Alle Bestandteile dieses Beschlusses sind Teil eines Projektes dieser Landesregierung.

In fünf Varianten, die Sie uns aber leider niemals zur Abstimmung gestellt haben, war jede Maßnahme auf die andere abgestimmt. Sie rechnen mit dem Personalentwicklungskonzept. Darin haben Sie jede einzelne Stelle dargestellt und in die Planungen mit einbezogen.

Jede einzelne Maßnahme funktioniert in Ihrer Logik nur, wenn alle anderen Variablen jeweils auch so eintreten, wie Sie sich das vorstellen. Das ist auch das Problem an der Sache: dass Sie bereits vorwegnehmen, dass der Landtag allen Schließungen und allen weiteren Maßnahmen in den Folgejahren zustimmen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie diesen Beschluss gefasst haben, dann gibt es keine Entscheidungsspielräume mehr, über die irgendjemand zu diskutieren braucht, dann gibt es kein Zurück mehr. Ich glaube, genau das ist auch das Kalkül dieses weitgehenden Beschlusses.

Sie scheuen sich heute, diese wirklich heiklen Fragen im Parlament anzusprechen, die auch in Ihrer eigenen Koalition höchst umstritten sind. Wenn die Standorte dann dran sind und der Zug abgefahren ist - das ist genau der Effekt, auf den Sie setzen -, dann kann man eben nichts mehr verändern.

Ihrer Regierung mag es im Moment unbequem erscheinen, die Justizstruktur in Gänze ins Parlament zu bringen. Vielleicht ist das ja auch unbequem. Deswegen mogeln Sie sich mit diesem Kabinettsbeschluss durch und wollen das Ganze dann scheibchenweise zur Abstimmung bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen aber Folgendes: Sie sollten es tun. Sie sollten das Parlament nicht umgehen und Sie sollten den ganzen Beschluss selbstbewusst hier zur Debatte stellen.

Dafür gibt es zwei gewichtige Gründe. Der erste Grund ist unsere Verfassung. Nach Artikel 62 der Landesverfassung hat die Regierung die Pflicht, den Landtag rechtzeitig über die Vorbereitung von Gesetzen über wichtige Angelegenheiten der Landesplanung - das ist es ja wohl - und den geplanten Abschluss von Staatsverträgen zu unterrichten. Gleich alle drei Kriterien treffen hier zu. Staatsverträge sind angedacht, wichtige Angelegenheiten der Landesplanung und Gesetzesbeschlüsse.

Dies muss nach herrschender Meinung eben geschehen, bevor formale Verfahren eingeleitet wer

den und bevor Sie Entscheidungen treffen, die im Nachhinein vom Parlament überhaupt nicht mehr veränderbar sind. Die wesentlichen politischen Sachentscheidungen haben in der Hand des Parlamentes zu verbleiben, in der Hand des demokratisch unmittelbar legitimierten Parlamentes.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ansonsten bleibt das Parlament wirklich auf die bloße Ratifikation von Regierungshandeln beschränkt. So ist es von der Verfassung nicht vorgesehen.

(Herr Leimbach, CDU: Danke!)

Das führt uns zu dem zweiten Grund. Der zweite Grund heißt Legitimation. Ein Vorhaben dieser Tragweite braucht eine starke Legitimation, und zwar unabhängig von unterschiedlichen inhaltlichen Vorstellungen. Diese Legitimation ist wichtig; denn die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass die wichtigen Entscheidungen der Landesplanung von den von ihnen gewählten Volksvertretern im Parlament getroffen werden und eben nicht nur von der Regierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich muss sagen, liebe Frau Ministerin, ich verstehe Sie da überhaupt nicht. Ich meine, wir sind ja in unserem Bundesland nun wirklich nicht mit Erfolg verwöhnt, wenn es um die Justiz geht. Da würde ich doch alles tun, um mich bei so einem Vorhaben von Anfang an nicht in die Nesseln zu setzen. Stattdessen nehmen Sie in Kauf, dass das wichtigste Bauvorhaben im Justizbereich bereits bei seinem Zustandekommen viele Zweifel nährt.

Wie wollen Sie denn dann erreichen, dass vor diesem Hintergrund so etwas wie Vertrauen in das Handeln der Regierung entsteht? Wenn schon nicht das, dann dürfen doch wenigstens alle Beteiligten erwarten, dass hier nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt wird. Das sind wir den Leuten schuldig. Das Thema wird doch auch im Land diskutiert.

Wenn ich mir den Umgang und die Genese dieser Reform ansehe, dann habe ich so meine Zweifel. Das empfinde ich umso bitterer, als die Notwendigkeit einer Neuordnung in diesem Bereich doch unumstritten und offensichtlich ist.

Ich glaube, hierin sind sich alle Fraktionen einig. Ich weiß, dass sich die Kolleginnen und Kollegen nicht nur im Rechtsausschuss, sondern im ganzen Parlament mit Verantwortungsbewusstsein und dem Ziel, das Beste in der Sache zu erreichen, damit auch auseinandersetzen möchten.

Wir alle sind uns dessen bewusst, dass die personelle Situation im Justizvollzug unsere Handlungsmöglichkeiten stark einschränkt. Ich denke auch, dass Einigkeit darüber besteht, dass Standortschließungen unumgänglich sind. Aber neben den

finanziellen Zwängen muss doch die Reform im Kern von der Frage geleitet sein, wie wir in Sachsen-Anhalt zu einem Behandlungsvollzug kommen, der Resozialisierung überhaupt möglich macht.

Meine Damen und Herren! Der Vollzug in Sachsen-Anhalt ist in großen Teilen ein bloßer Verwahrvollzug. Das ist leider die Realität. Das wissen Sie auch. Dementsprechend schreiben Sie auch in Ihrem eigenen Kabinettsbeschluss als Zielvorgabe, es müsse geprüft werden - Zitat -, „welche Strukturveränderungen erforderlich sind, um sich den im Strafvollzugsgesetz für einen erfolgreichen Resozialisierungsvollzug normierten Vorgaben wenigstens so weit wie möglich anzunähern.“ Dieses Ziel ist auch völlig richtig definiert.

Mit der Einsetzung einer Projektgruppe haben Sie diesen Prozess in Gang gesetzt, um Antworten auf diese Frage zu finden. Die Projektgruppe hat auch eine ganz gute Arbeit geleistet. Gerne hätten wir diese Vorschläge der Projektgruppe im Detail diskutiert, hätten sie abgewogen und hätten als Rechtsausschuss dem Parlament eine Empfehlung gegeben.

Umso verwunderter mussten wir wenige Tage oder, ich glaube, sogar einen Tag nach der Vorstellung der Varianten im Rechtsausschuss aus der Presse zur Kenntnis nehmen, dass sich das Justizministerium offenbar bereits festgelegt hatte.

Mit dieser Entscheidung ist der Wagen, den Sie auf den Weg gebracht haben, dann völlig aus der Spur geraten. Er ist aus der Spur geraten - zumindest ist das ein Grund dafür -, weil der Fahrer berauscht war, und zwar berauscht von den Verlockungen und Verzückungen einer Sichtweise, die nur den zu erzielenden Einsparungen Rechnung trägt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Es ist auch längst kein Geheimnis mehr, wer in diesem Wagen eigentlich am Steuer sitzt und wer nur noch die Karte hält.

(Zurufe von Herrn Miesterfeldt, SPD, und von Frau Niestädt, SPD)

Der Fahrer lässt das Steuer eben auch nicht los, weil er natürlich weiß, dass auf dem Siegertreppchen nachher nur für einen Platz ist. Er freut sich sogar so sehr darüber, dass er damit zuweilen kokettiert.

Ich weiß nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob Sie die Debatte gestern Morgen hier verfolgt haben. Herr Bullerjahn hat ja in seiner Rede, ich glaube, fünf- oder sechsmal von der Justizstrukturreform als finanzpolitischem Exempel gesprochen.

Herr Bullerjahn, ich war neulich auf einer Veranstaltung mit Ihnen. Darin ging es noch nicht mal am Rande um Justizpolitik. Da hat sich der Finanz

minister des Landes hingestellt und hat in seiner Rede als erstes Beispiel für Einsparungen die Justizstrukturreform genannt. Das finde ich schon ziemlich krass, muss ich ganz ehrlich sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bin ja schon darauf eingegangen, dass eine weitere Bündelung der Struktur des Justizvollzugs auch im Hinblick auf die Personalentwicklung und die Anzahl der Haftplätze geboten erscheint und nötig ist. Aber über das Wie und Wo muss doch eine Debatte stattfinden. Nach all dem, was ich von den Kollegen, aber auch von der interessierten Öffentlichkeit höre, wird diese Debatte dringend gewünscht. Wir müssen uns doch auch über Standorte unterhalten können.

Sie, Frau Ministerin, werden nicht müde zu wiederholen, dass Ihre Justizstrukturreform die Resozialisierungschancen verbessern soll. Sie verweisen immer wieder auf die Therapiemöglichkeiten und darauf, dass die in größeren Haftanstalten besser seien.