Protocol of the Session on January 20, 2012

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 18. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und die Mitglieder der Landesregierung auf das Herzlichste.

Ich darf bekannt geben, dass wir heute ein Geburtstagskind haben, das leider noch immer erkrankt ist. Daher möchten wir aus dem Saal Geburtstags- und Genesungswünsche zugleich übermitteln. Wir wünschen unserem Kollegen Hendrik Lange zu seinem heutigen Geburtstag von dieser Stelle aus alles Gute, vor allem Gesundheit.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nunmehr die 10. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen die heutige Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 8:

Beratung

Rechtssicherheit von Gebietsänderungsverträgen gewährleisten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/722

Für die Fraktion DIE LINKE bringt der Abgeordnete Herr Grünert den Antrag ein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach nunmehr fast genau zwölf Jahren seit der Verabschiedung des ersten Leitbildes zur Gemeindeneugliederung im Dezember 1999 und rund einem Jahr nach der Umsetzung der Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt zum 1. Januar 2011 ist es aus unserer Sicht an der Zeit, zu hinterfragen, wie es um die dadurch gewonnene kommunale Leistungsfähigkeit tatsächlich bestellt ist und inwieweit die politisch motivierte Eile im Gesetzgebungsverfahren diesem Prozess geholfen oder geschadet hat.

In zahlreichen Presseveröffentlichungen hat die Landesregierung versucht, die Gemeindegebietsreform in der Gesamtbilanz positiv darzustellen. Mittlerweile mehren sich die Protestresolutionen aus dem kommunalen Bereich, da die getroffenen Gebietsänderungsverträge offensichtlich nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben worden sind.

Gestatten Sie daher, diesen Prozess seit dem Jahr 2008 ein klein wenig näher zu beleuchten.

Unter der Aufgabenstellung der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung sollte aufgrund von Wahlversprechen eine Gemeindegebietsreform in Angriff genommen werden, die sicherstellt, dass die neuen Strukturen geeignet sind, den künftigen Anforderungen an die öffentliche Daseinsvorsorge hinsichtlich der Verwaltungskraft gerecht zu werden.

Natürlich wurde von der Freiwilligkeit als hohem Gut der kommunalen Selbstverwaltung gesprochen. Man schloss Vorgaben von Mindestgrößen, von staatlichen Zwangsphasen sowie von einengenden zeitlichen Abläufen aus.

Das von den Koalitionsfraktionen der CDU und der SPD getragene Credo bestand in Freiwilligkeit hinsichtlich der Größe der Gemeinden und Gestaltungsspielräumen für die Kommunen sowie Verlässlichkeit und Vertrauen.

Eine umfangreiche und grundlegende Funktionalreform sollte Grundlage dieser Kommunalreform sein. Nur mit der Umsetzung dauert es offensichtlich ein bisschen länger.

Trotz all dieser Beteuerungen waren sie im Zuge der Schaffung der gesetzlichen Grundlage wieder da: die Mindestgrößen, die zeitlichen Einengungen, die Einschränkung der Gestaltungsspielräume, die zu erreichende höhere Verwaltungskraft und Einwohnerzahl.

Nahezu wöchentlich tagte damals der Koalitionsausschuss. Da wurde das Ende der Koalition beschworen, um eine Position durchzubringen. Da wurden Gutachten zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Gemeindemodelle in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse jedoch politisch motiviert umgedeutet oder nicht zur Kenntnis genommen wurden.

Eine Evaluierung der gerade erst getroffenen Änderungen bei den Verwaltungsgemeinschaften wurde verworfen, das Auslaufmodell Verbandsgemeinde neu kreiert. Das Leitbild der Landesregierung wurde dann folgerichtig ohne das Vorhandensein von Kriterien der Landesplanung und Raumordnung erarbeitet. Die Ergebnisse sehen wir teilweise heute.

Sehr geehrte Damen und Herren! Auch das Gesetz über die Grundsätze der Neugliederung der Gemeinden im Land Sachsen-Anhalt - Gemeindeneugliederungs-Grundsätzegesetz - vom 14. Februar 2008 und das Gesetz zur Fortentwicklung der Kommunalverfassung vom 14. November 2008 reihen sich in dieses Durcheinander der letzten Jahre ein.

Nunmehr stellt man fest, dass wichtige Regelungen im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens - in Anführungszeichen - nicht weiter verfolgt wurden. Hiermit meine ich insbesondere die Regelung zum Verbot von Investitionen, die sich nachteilig auf die künftige Gemeinde auswirken - ich glaube, das

Beispiel von Steinitz ist leider keine Ausnahme - oder die fehlenden Regelungen zur möglichen Änderung von Gebietsänderungsverträgen im Rahmen eines geordneten Verfahrens.

In § 2 des Gemeindeneugliederungs-Grundsätzegesetzes hätten hierzu Regelungen getroffen bzw. für das Verfahren eröffnet werden können.

In zahlreichen Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände und der betroffenen Kommunen wurde dargestellt, dass die Potenzierung von Schulden nicht gleichzeitig Schuldenfreiheit bedeute. Es wurde auf die ernsthafte Situation bezüglich der Kommunalfinanzen hingewiesen.

Eine Tatsache und Erkenntnis in anderen Bundesländern, dass eine Gemeindegebietsreform zunächst Geld kostet, bevor sie mittel- bzw. langfristig Entlastung bringt, wurde offensichtlich nicht ernst genommen.

Auch mehren sich die kritischen Stimmen, die der Landesregierung unterstellen, dass die Gemeindegebietsreform in erster Linie für eine Entlastung des Landeshaushalts zu sorgen hätte, indem durch die Verrechnung der noch vorhandenen gemeindlichen Rücklagen mit den aufgelaufenen Schulden ein Zugang zu Leistungen aus dem Ausgleichsstock „Bedarfszuweisungen“ verhindert werden sollte.

Der Finanzminister sprach permanent von Jammern auf hohem Niveau, von Konsolidierungspartnerschaft und noch mangelnder Kommunalisierungsquote.

Nicht zuletzt die Pressemitteilung des Landesverwaltungsamtes vom 14. Januar 2012 zu den hohen Zinsrisiken bei hohem Stand der Kassenkredite spricht deutlich eine andere Sprache. Nur die Schlussfolgerung ist wieder typisch verwaltungsintern, das heißt Schuldenabbau - natürlich im freiwilligen Bereich.

Meine Damen und Herren! Damit wären wir beim eigentlichen Thema. Im Zuge der freiwilligen Phase der Gemeindegebietsreform konnten die Gemeinden ihre wichtigsten Forderungen und Vorhaben durch Festlegungen in den Gebietsänderungsverträgen fixieren.

Dabei ging es um die Sicherung der Verwendung der vorhandenen Rücklagen für investive Maßnahmen, die Beibehaltung der Hebesätze, die Ausschöpfung der durch das Land bestimmten Übergangsfristen für die Angleichung kommunaler Satzungen, um nur einige Inhalte zu nennen.

Gerade bei den Übergangsvorschriften zur Angleichung des kommunalen Satzungsrechts gibt es eine weitere gesetzgeberische Unzulässigkeit. Nach Artikel 28 des Grundgesetzes ist die Aufgabenallzuständigkeit der Kommunen im Rahmen der Gesetze garantiert: kommunale Selbstverwaltung.

Wenn dies so zutrifft, dann ist das Vorgehen des Landes überhaupt nicht nachvollziehbar, dass der Grundsatz „ein Gemeindegebiet - ein einheitliches Satzungsrecht“ durch einen Beschluss der Landesregierung - Ministerialblatt Nummer 33 vom 17. September 2007 - und nicht durch ein Gesetz von den durchaus üblichen maximal fünf Jahren - Ministerialblatt für das Land Sachsen-Anhalt vom 12. Februar 2001, Seite 151 - auf eine zehnjährige Übergangsphase verlängert wurde.

Damit hat die Landesregierung aus meiner Sicht rechtlich unzulässig signalisiert, dass in diesem Zeitraum ein unterschiedliches Satzungsrecht toleriert wird. Im Übrigen war bereits zum damaligen Zeitpunkt die chronische Unterfinanzierung der Kommunen aufgrund der jährlichen Kommunalfinanzberichte der Landesregierung bekannt.

Vor diesem Hintergrund haben sich viele Gemeinden in der freiwilligen Phase dazu durchgerungen, die Gebietsreform durchzuführen. Sie konnten sich scheinbar darin sicher sein, dass auf ihre Bürgerinnen und Bürger zumindest für den Übergangszeitraum von zehn Jahren keine erheblichen Mehrbelastungen zukommen. Dies umso mehr, da die vorliegenden Gebietsänderungsverträge nach § 18 Absatz 1 der Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt durch die Kommunalaufsicht zu genehmigen waren bzw. sind.

Der Kommunalaufsicht obliegt nach § 133 Absatz 3 der Gemeindeordnung Sachsen-Anhalts die Zielsetzung, die Gemeinden in ihren Rechten zu schützen und die Erfüllung ihrer Pflichten zu sichern, das heißt sicherzustellen, dass die Verwaltung der Gemeinden im Einklang mit den Gesetzen erfolgt.

Dies betrifft auch und insbesondere die Regelungen der Gemeindeordnung zum Haushaltswirtschaftsrecht. Wäre dieser Grundsatz nicht gegeben, hätten die Gebietsänderungsverträge durch die jeweilige Kommunalaufsicht nicht genehmigt werden dürfen.

Nunmehr soll nach dem Runderlass des Ministeriums für Inneres und Sport vom 14. Oktober 2011 bewirkt werden, dass die bestandskräftigen Gebietsänderungsverträge durch Beschlüsse der neuen Gemeinderäte verändert werden, da die Bedingungen, die den Gebietsänderungsverträgen zugrunde lagen, sich innerhalb nur eines Dreivierteljahres grundsätzlich verändert hätten und im Rahmen der Haushaltskonsolidierung die Pflicht nach § 90 Absatz 3 der Gemeindeordnung höherrangig eingeschätzt wird als das Vertragsrecht oder der Grundsatz nach Treu und Glauben entsprechend dem Grundgesetz. Diesem Verfassungsgrundsatz stellt man den Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes, den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, gegenüber.

Weder der Umstand, dass sowohl die alte aufnehmende Gemeinde als auch die aufgegangenen

Gemeinden, also die vertragschließenden Seiten, nicht mehr existent sind, noch die damit eingestandene Rechtsunwirksamkeit der Genehmigung der Gebietsänderungsverträge durch die Kommunalaufsichten scheinen offensichtlich die Landesregierung in ihrem Tun ernsthaft zu behindern.

Grotesk wird es dann, wenn die Landesregierung selbst, das heißt ohne Zutun der Kommunen, wesentliche Bedingungen für eine geordnete Haushaltswirtschaft zuungunsten der Kommunen verändert.

Wir haben gestern den Haushaltsplan beschlossen, der eine weitere Absenkung der Kommunalfinanzen um 18 Millionen € im Jahr 2012 gegenüber dem Jahr 2011 bzw. um 180 Millionen € gegenüber dem Jahr 2009 vorsieht. Diese Differenzen sollen durch den Verzehr der allgemeinen Rücklagen, die weitere Reduzierung der Ausgaben für freiwillige Aufgaben sowie durch eine höhere Belastung der Bürgerinnen und Bürger ausgeglichen werden.

Dies wiederum steht in krassem Gegensatz zu der Verpflichtung der Gemeinderäte nach § 91 Absatz 2 Satz 2, auf die wirtschaftlichen Kräfte ihrer Abgabepflichtigen Rücksicht zu nehmen, und fordert sie in diesem Ton zu rechtswidrigem Handeln auf.

Vor diesem Hintergrund ist die eingangs getroffene Vermutung, das Land konsolidiere sich auf Kosten der Kommunen, nur schwer zu entkräften.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die in der „Volksstimme“ vom 19. Dezember 2011 zitierte Äußerung des Innenministers, Steuererhöhungen seien nur die Ultima Ratio, der Erlass vom 14. Oktober 2011 sei kein Freibrief, die Verträge außer Kraft zu setzen, hier dürfe niemand ohne Schaum rasiert werden, wird durch zahlreiche Anordnungen bzw. Aufforderungen von Kommunalaufsichtsbehörden Lügen gestraft, die eine Genehmigung von Haushalten an der Erhöhung der Hebesätze der Grundsteuer A und B sowie der Gewerbesteuer entgegen den in den Gebietsänderungsverträgen vereinbarten Vertragsinhalten festmachen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu diesen Regelungen waren die beteiligten Gemeinden berechtigt, da die Gesetze, etwa das Gemeindeneugliederungs-Grundsätzgesetz, keine zwingenden Vorgaben machen, die Aufsichtsbehörden bestehende kommunale Beurteilungen der Ermessensspielräume zu respektieren haben und keine pauschalen Weisungen erteilen dürfen.

Kein Wort findet sich in den Meldungen zur Verantwortung der Genehmigungsbehörden, sprich der Kommunalaufsicht. Nur durch deren Handeln wurden die Gebietsänderungsverträge rechtswirksam.

Werte Damen und Herren! Auch die LINKE will nicht leugnen, dass es gegebenenfalls Gründe geben kann, die eine Modifizierung oder eine Änderung von Festsetzungen in Gebietsänderungsverträgen notwendig erscheinen lassen. Dafür bedarf es jedoch klarer gesetzlicher Eingriffsbefugnisse unter Berücksichtigung bestehender Rechtsnormen. Die derzeit gewählte Praxis entspricht aus der Sicht meiner Fraktion eher nicht diesen Erfordernissen des Handelns.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und danke für Ihre Aufmerksamkeit.