Protocol of the Session on July 7, 2011

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Für die 4. Sitzungsperiode des Landtages liegen mir folgende Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung vor:

Der Ministerpräsident Herr Dr. Haseloff entschuldigt sich aufgrund der Teilnahme an der Sitzung des Bundesrates in Berlin für die heutige Sitzung ab 18 Uhr und für die Sitzung am Freitag ganztägig.

Ministerin Frau Professor Dr. Kolb entschuldigt sich am Freitag ganztägig aufgrund der Teilnahme an der Sitzung des Bundesrates in Berlin.

Herr Staatsminister Robra entschuldigt sich am Freitag ganztägig aufgrund der Teilnahme an Gesprächen mit der Europäischen Kommission in Brüssel zur Notifizierung des Glücksspielstaatsvertrages.

Ministerin Frau Professor Dr. Wolff entschuldigt sich am Freitag bis 15 Uhr aufgrund der Teilnahme der Sommersitzung des Wissenschaftsrates in Berlin.

Minister Herr Stahlknecht entschuldigt sich für die heutige Sitzung ab 18 Uhr aufgrund der Eröffnung des 19. Sparkassen-Cups und für die Sitzung am Freitag von 13.30 Uhr bis 15 Uhr aufgrund der Teilnahme an einer Urnenbeisetzung eines Personenschützers.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 4. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Die von der Fraktion DIE LINKE nach der Aufstellung der Tagesordnung angemeldete Aktuelle Debatte zu dem Thema „Verfassungsrechtliche Stellung des Landtages verteidigen“ liegt in der Drs. 6/188 vor und wird als Tagesordnungspunkt 1c eingeordnet. Dieses Thema der Aktuellen Debatte soll, wie im Ältestenrat avisiert, als erster Beratungsgegenstand am zweiten Sitzungstag, also am Freitag, behandelt werden. Der ursprünglich als erster Beratungsgegenstand am Freitag vorgesehene Tagesordnungspunkt 6 wird somit als zweiter Beratungsgegenstand am Freitag beraten.

Mir ist außerdem signalisiert worden, dass sich die parlamentarischen Geschäftsführer darauf verständigt haben, die Tagesordnungspunkte 5 und 8 in der Reihenfolge zu tauschen sowie die Tagesordnungspunkte 19 und 23 am heutigen Tag zu be

handeln, das heißt im Anschluss an den Tagesordnungspunkt 12.

Mir ist des Weiteren signalisiert worden, dass der Tagesordnungspunkt 10 - Erledigte Petitionen - ohne Debatte behandelt werden soll.

Gibt es weitere Anmerkungen zu der Tagesordnung? - Kollege Borgwardt.

Herr Präsident, die regierungstragenden Fraktionen haben sich darauf verständigt - wir haben gestern Gelegenheit genommen, die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darüber zu informieren -, den Tagesordnungspunkt 7 - Medienrechtsänderungsgesetz - im Benehmen mit der Landesregierung von der Tagesordnung abzusetzen und diesen Punkt im September zu behandeln.

Gibt es weitere Anmerkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Ich kann Einvernehmen feststellen. Dann ist die Tagesordnung in der so geänderten Fassung beschlossen und wird so abgearbeitet.

Zum zeitlichen Ablauf der 4. Sitzungsperiode. Am heutigen Abend findet um 20 Uhr im Innenhof des Landtagsgebäudes der parlamentarische Abend statt, zum dem ich Sie nochmals herzlich einladen möchte.

Die morgige 7. Sitzung des Landtages beginnt wie üblich um 9 Uhr.

Wir können somit in die Tagesordnung einsteigen. Für die Aktuelle Debatte liegen drei Beratungsgegenstände vor. Wir beraten heute wie vereinbart die Themen a und b. Wir beginnen mit dem Tagesordnungspunkt 1 a - 50 Jahre Bau der Berliner Mauer -, Aktuelle Debatte auf Antrag der Fraktion der SPD. Dann folgt der Tagesordnungspunkt 1 b - Demokratie stärken, Radikalenerlass verwerfen -, Aktuelle Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Morgen früh werden wir dann die dritte Aktuelle Debatte - Verfassungsrechtliche Stellung des Landtags verteidigen - auf Antrag der Fraktion DIE LINKE durchführen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 a auf:

Aktuelle Debatte

50 Jahre Bau der Berliner Mauer

Aktuelle Debatte Fraktion SPD - Drs. 6/183

In der Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit zehn Minuten je Fraktion. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Es wird fol

gende Reihenfolge vorgeschlagen: SPD, LINKE, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Zunächst hat die den Antrag stellende Fraktion der SPD das Wort. Für die Fraktion der SPD wird Herr Miesterfeldt das Wort nehmen. Während er nach vorn kommt, wozu ich ihn herzlich einlade, begrüßen wir ganz herzlich Gäste der Landeszentrale für politische Bildung unter der Leitung von Herrn Breitenfeld. Herzlich willkommen hier im Haus!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 12. April 1961 startet Juri Alexejewitsch Gagarin seinen spektakulären Raumflug. Der Menschheit öffnen sich unvorstellbare Räume und Weiten.

Vier Monate später werden die Straßen und Gleiswege nach Westberlin abgeriegelt. Ein in jenen Tagen noch ungeahntes Eingrenzen von Räumen in Deutschland und in Europa nahm seinen Lauf.

Gut 14 Tage später wurde ich eingeschult. 13 Jahre sozialistische Schule hinter der Mauer lagen vor mir.

Der 13. August 1961 hatte natürlich eine Vorgeschichte. Der von Deutschland verbrochene Zweite Weltkrieg endete mit der Aufteilung Deutschlands nach der Konferenz von Jalta in vier Besatzungszonen. Es begann der Kalte Krieg, der seinen ersten Höhepunkt 1948 in der Berlin-Blockade erfuhr. Im Jahr 1949 gründeten sich die Bundesrepublik Deutschland und die DDR. Berlin blieb eine VierSektoren-Stadt.

Seit 1949 flüchteten 3,5 Millionen Menschen in den Westen, obwohl es bereits seit 1952 Grenzsicherungen gab. Trotzdem fand die Abstimmung mit den Füßen gegen Stalinismus und Planwirtschaft statt.

Am 15. Juni 1961 sagte Walter Ulbricht: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Knapp zwei Monate später beginnen 14 500 Angehörige der deutschen Grenzpolizei, der Schutz- und kasernierten Volkspolizei und Betriebskampfgruppen mit der Einzäunung und Einmauerung Westberlins. Hauseingänge werden zugemauert, Gleise und Straßen unterbrochen, Familien und Freunde getrennt, nur weil sie auf unterschiedlichen Straßenseiten wohnen.

Von 1961 bis 1964 gibt die DDR 1,8 Milliarden Mark der DDR für die Grenzsicherungsanlagen aus, davon allein 400 Millionen Mark der DDR für die Einschnürung Berlins.

Ich kann jedem empfehlen, sich dieses in Berlin und insbesondere in unserem Bundesland, in Hötensleben, anzusehen und zu verinnerlichen.

Die Reaktionen auf den 13. August 1961 waren: erschütterte Menschen, großmäulige DDR-Funktio

näre, waghalsige Fluchten und - was sich mir als Kind am meisten einprägte - die Angst vor einem neuen Krieg.

John F. Kennedy, der amerikanische Präsident, sagte: „Keine sehr schöne Lösung, aber tausendmal besser als Krieg.“ - Harold Macmillan, der britische Premierminister, formulierte: „Die Ostdeutschen halten den Flüchtlingsstrom auf und verschanzen sich hinter einem noch dichteren Eisernen Vorhang. Daran ist nichts Gesetzwidriges.“

Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister von Westberlin, bezeichnete solcherlei Äußerungen und das Verhalten der Westmächte, zum Teil auch das Verhalten der Bundesregierung, als Untätigkeit und reine Defensive.

Der so genannte antifaschistische Schutzwall war ausschließlich eine Grenze und eine Einmauerung nach innen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Er konnte niemanden am Eindringen hindern. Er war keine Abwehr von Eindringlingen. Er war ausschließlich eine Abwehr von Flüchtenden. Er war das frühe Eingeständnis der damaligen DDRFührung der Niederlage der Planwirtschaft gegen die soziale Marktwirtschaft, der Diktatur gegen den Rechtsstaat und der Unfreiheit gegen die Freiheit.

Mauer und Stacheldraht bedeuteten aber nicht nur Grenzenanlagen und ein Sperrgebiet von 5 km. Dazu gehörten auch die Kontrollen im Zug. Wer häufig zwischen Berlin und Gardelegen oder Oebisfelde hin- und hergefahren ist, der kam fast nie ohne eine solche Kontrolle aus. Es war die Angst der Mütter vor flüchtenden Kindern. Es war das Einsperren von so genannten Mitwissern von Republikflüchtlingen. Ich habe mit einem Bausoldaten gedient, der für ein, ich würde sagen, vages Mitwissen nach einer Bierrunde ein Jahr im Gefängnis saß.

Es war das Verbot von West-Radio und WestFernsehen. Es waren die Tränen in der S-Bahn in Berlin, die ich bei vielen Menschen gesehen habe, wenn man von der Schönhauser Allee mitten durch die Grenzanlagen hindurchfuhr. Es waren die 35 über die ganze DDR verteilten Isolierungs- und Internierungslager, die bereit waren, 84 500 Kritiker und Oppositionelle aufzunehmen. Und es waren die insgesamt 250 000 Jahre Haftstrafen, die gegen Kritiker und Oppositionelle verhängt wurden.

Die Mauer, meine sehr geehrten Damen und Herren, war nur denkbar und gab nur einen Sinn mit dem Schießbefehl. Ohne Schießbefehl keine Mauer. Ohne Schießbefehl war die Mauer sinnlos. Wir wissen nicht, wie viele Menschen zwischen der flüchtenden Ida Siekmann am 22. August 1961 und dem flüchtenden Winfried Freudenberg am

8. März 1989 bei einem Fluchtversuch ums Leben gekommen sind. Aber jeder Einzelne war und ist einer zu viel. Das beziehe ich sowohl auf die Flüchtenden als auch auf die zu Tode gekommenen Soldaten.

(Beifall im ganzen Hause)

Das Gestottere des Mitgliedes des SED-Politbüros Günter Schabowski reißt am 9. November 1989 die größte Gefängnisanlage der Welt ein. - Nein, natürlich war das nicht so. Es waren die Menschen in Deutschland, die sich mit der Trennung nie abgefunden haben. Es war insbesondere die sozialliberale Koalition, die mit dem Prinzip „Wandel durch Annäherung“ - Egon Bahr prägte dieses Wort - die Grenzen durchlässiger machte. Es war auch das Verdienst der darauf folgenden konservativen Regierung, die diesen Wandel durch Annäherung nicht zurücknahm.

Die Mauer wurde eingerissen durch die Ausreisenden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich im Sommer 1989 meine Schwester und ihre Familie auf dem Bahnhof in Freiberg verabschiedete. Es waren am Ende die Rufenden: Wir sind das Volk! - Wir sind ein Volk!

Heute kann man die Mauer als Museum betrachten und teilweise als Souvenirstück kaufen. Viel wichtiger ist aber: Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird die Gegenwart nicht verstehen. Eine der großen Lehren aus der Einmauerung eines ganzen Volkes ist die Antwort der Demokratie: Man muss das Volk fragen. - Es hätte 1961 dieselbe Antwort gegeben wie 1989: Nein, die Mauer darf erst gar nicht gebaut werden. Dann hieß der Ruf: Die Mauer muss weg!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zu- stimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ein ehemaliges SED-Mitglied sagte mir Anfang der 90er-Jahre, sie hätten uns nicht einsperren dürfen. Er vergaß dabei ein bisschen seinen eigenen Anteil, aber den hat manch einer vergessen. Richtig ist es trotzdem: Man darf ein Volk nicht einsperren. Die Völker der Welt müssen in Freiheit leben.

(Beifall im ganzen Hause)

Aber Freiheit ist eben nicht Zuschauen, wie wir es jetzt auch wieder vor dem Fernseher oder auf den Zuschauertribünen tun, sondern Freiheit ist Mitspielen. Voltaire hat uns Folgendes ins Stammbuch geschrieben: „Die Freiheit ist das einzige Gut, welches sich durch Nichtgebrauch abnützt.“