Protocol of the Session on May 13, 2011

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es könnte heute der entspannteste Tag des Jahres werden, weil überhaupt nichts passieren kann. Und wenn etwas passiert, dann haben wir einen Schuldigen, nämlich Freitag, den 13. Daher ist es egal, was passiert, wir haben immer schon eine Entschuldigung parat. Das wird nicht jeden Tag geboten.

Für diejenigen, die diesem Datum dennoch nicht ganz trauen, haben wir auch einen glücklichen Umstand hier im Hause; denn wir haben mit dem Präsidenten der Handwerkskammer einen Bezirksschornsteinfegermeister, der nach allen Umfragen höchstes Glücksmoment an Tagen wie diesem sein kann. Man kann ihm etwa die Hand schütteln. - So viel vor dem eigentlichen Einstieg.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich eröffne hiermit die 3. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir beginnen die heutige Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 2. Danach folgt der Tagesordnungspunkt 11. Im Anschluss daran wird der Tagesordnungspunkt 10, der vom gestrigen Tag übernommen wurde, eingeschoben.

Da sich der Zeitplan hierdurch etwas verändert, bitte ich die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen, sich vielleicht während der Aktuellen Debatte darüber zu verständigen, ob wir in eine Mittagspause eintreten oder ob wir die Sitzung ohne Mittagspause durchführen wollen. Ich bitte um eine Verständigung hierzu und um die Mitteilung an das Präsidium.

Wir steigen in den Tagesordnungspunkt 2 ein:

Beratung

Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets in Sachsen-Anhalt

Aktuelle Debatte Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/42

Die Redezeit für die Aktuelle Debatte beträgt zehn Minuten je Fraktion. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: Es beginnt die Fraktion DIE LINKE. Danach sprechen die Fraktionen der CDU, der GRÜNEN und der SPD.

Zunächst hat Frau Dirlich für die Antragsstellerin, die Fraktion DIE LINKE, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gedenke allerdings nicht, den ganzen Tag für alles Freitag, den 13., verantwortlich zu machen. Ein paar Fragen habe ich dann doch noch an die Regierung, sowohl an die Landesregierung als auch an die Bundesregierung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Februar 2010 der Bundesregierung unter anderem aufgetragen, die Berechnung der Regelsätze transparenter zu gestalten, dauerhafte atypische Sonderbedarfe anzuerkennen und das Grundrecht auf Teilhabe insbesondere für Kinder zu gewährleisten.

Darauf hat der Bundestag reagiert und einen Gesetzentwurf verabschiedet, der das so genannte Bildungs- und Teilhabepaket beinhaltet.

Ich sage kurz etwas zu dessen Inhalt, weil es immerhin sein kann, dass Abgeordnete, die sich mit diesem Thema nicht intensiv befassen, darüber noch keinen Überblick haben.

Das Bildungs- und Teilhabepaket umfasst folgende Leistungen:

erstens Schul- und Kita-Ausflüge sowie mehrtägige Klassenfahrten nach Maßgabe der schulrechtlichen Bedingungen und Bestimmungen - in Sachsen-Anhalt ist die Bereitstellung von Mitteln für eine solche Klassenfahrt alle zwei Jahre vorgesehen; hierzu muss man einen Antrag stellen -,

zweitens den Schulbedarf in einem Umfang von insgesamt 100 € pro Schüler - diese Regelung ist nicht neu; neu ist nur, dass die Auszahlung des Betrages gesplittet wird: 70 € im August und 30 € im Februar; diese Mittel werden ohne Antragstellung gewährt und mit der Regelleistung ausgezahlt -,

drittens die Schülerbeförderung für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsganges - hierfür muss man einen Antrag stellen -,

viertens die Lernförderung, die über schulische Angebote hinausgeht - hierfür ist eine Antragstellung notwendig -,

fünftens das Mittagessen bei Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung, deren Kosten einen Eigenanteil von 1 € übersteigen - auch hierfür muss man einen Antrag stellen - und

sechstens die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben - auch hierfür muss man einen Antrag stellen.

Anspruchsberechtigt in Bezug auf diese Leistungen sind Schülerinnen und Schüler, die unter 25 Jahre alt sind bzw. bei der Inanspruchnahme der Teilhabeleistungen unter 18 Jahre alt sind, die

eine allgemein- oder berufsbildende Schule besuchen und die keine Ausbildungsvergütung erhalten.

Voraussetzung für die Leistungsgewährung ist der Bezug von Leistungen, und zwar der Bezug von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II, geregelt im SGB II, der Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII, der Bezug von Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII, der Bezug eines Kinderzuschlags nach dem Bundeskindergeldgesetzes oder der Bezug von Wohngeld nach dem Bundeskindergeldgesetz.

Sind Sie mitgekommen, meine Damen und Herren? - So richtig einfach und übersichtlich ist das wohl nicht. Das macht übrigens einen Teil der Schwierigkeiten und der Kritik aus. Aber dazu später mehr.

Zunächst muss ich die grundsätzliche Kritik wiederholen, die diesem Hause nicht ganz neu ist, weil wir diese Kritik schon in der Entstehungszeit des Bildungs- und Teilhabepakets formuliert haben.

Grundsätzlich kritisieren wir die Auslagerung eines Teils der Bildungsverantwortung aus der Schule.

(Beifall bei der LINKEN)

Ist es nicht eher deren Aufgabe, das Sitzenbleiben, das Zurückbleiben von Kindern zu verhindern? Wäre es nicht zielführender, wenn das Ziel dieses Bildungspaketes die Erreichung einer höheren Schulform wäre?

(Beifall bei der LINKEN)

Noch dazu vor dem Hintergrund, wie sehr in Deutschland der Bildungsabschluss und die soziale Herkunft zusammenhängen.

Grundsätzlich kritisieren wir, dass Familien im Harz-IV-Bezug unter den Generalverdacht gestellt werden, dass entsprechende Leistungen nicht die Adressaten erreichen, also nicht die Kinder, sondern die Eltern.

Grundsätzlich kritisieren wir das Stigmatisierungspotenzial, das in diesem Bildungspaket steht. Zum Beispiel kann es durch ein Gutscheinwesen entstehen.

Wir kritisieren auch, dass in dieses Stigmatisierungspotenzial jetzt noch mehr Kinder einbezogen werden, nämlich auch noch die Kinder der Empfängerinnen des Kinderzuschlages und von Wohngeld.

Grundsätzlich kritisieren wir die mangelnde Ausfinanzierung dieses Pakets. Für den Grundsicherungsbereich sind Mittel in Höhe von 626 Millionen € und noch einmal Mittel in Höhe von 150 Millionen € für die Bezieherinnen des Kinderzuschlages und von Wohngeld veranschlagt. 136 Millionen € soll allein die Verwaltung des Pakets kosten.

Um den genauen Bedarf festzustellen, müsste übrigens bekannt sein, wie viele das Angebot eigentlich wirklich annehmen werden. Eine solche Erfassung existiert bisher nicht. Das wird sicherlich noch ein Weilchen dauern.

Eines ist jetzt schon klar: Wenn alle den Antrag stellen, reichen die Mittel nie im Leben. Aber auch die einzelnen Regelungen sind oftmals unklar. Sie lassen Fragen offen oder sind rechtlich ungeklärt.

Dazu einige Beispiele:

Die Kommunen kritisieren vor allem den neu entstehenden hohen Bürokratieaufwand. Dieser entsteht im Übrigen allein schon aufgrund der Splittung der Auszahlung der Mittel für den Schulbedarf. Allein schon dadurch entsteht ein neuer Aufwand. Selbst wenn keine Anträge gestellt werden müssen, müssen doch jedes Mal neue Bescheide verschickt werden, bisher nur einmal im Jahr, jetzt zweimal im Jahr.

Schwierig zu überschauen ist die Frage, wo ein Antrag überhaupt gestellt werden muss. Für Hartz-IV-Empfängerinnen ist es das Jobcenter. Für Empfängerinnen von Hilfe zum Lebensunterhalt oder von Grundsicherung bei Erwerbsminderung ist es das zuständige Sozialamt. Für Empfängerinnen des Kinderzuschlags oder von Wohngeld muss bei der Familienkasse nachgefragt werden.

Vielleicht liegt es ja auch daran, dass sich die Antragstellung bisher noch schwer in Grenzen hält. Es ist von bundesweit 5 % die Rede. Wenn ich es richtig gehört habe, sind es in Sachsen-Anhalt immerhin 20 %. Das ist eine gute Zahl. Da sind wir unter den Blinden sozusagen die Einäugigen.

Die Bundesregierung ist übrigens der Meinung, dass nur eine Stelle für die Antragstellung ausreicht und sich nicht verschiedene Stellen damit befassen müssen, sodass nicht unbedingt Doppelstrukturen entstehen müssen.

Was würde das allerdings bedeuten? - Das würde bedeuten, dass entweder alle Menschen, die einen Antrag stellen wollen, zum Jobcenter müssen. Das heißt aber, dass dort Leute auflaufen würden, die sonst in dem System gar nicht bekannt und nicht erfasst sind. Deren Vita ist gar nicht klar. Von ihnen gibt es dort überhaupt keine Daten. Empfängerinnen von Wohngeld oder des Kinderzuschlages sind dort nicht bekannt.

Oder aber es bedeutet, dass die Hartz-IV-Empfängerinnen zusätzlich zum Sozialamt gehen müssten, was den Anspruch des SGB II, Leistungen aus einer Hand anbieten zu wollen, nun wirklich endgültig konterkarieren würde. Kennt die Bundesregierung ihre eigenen Gesetze?

Nach wie vor ist die Situation bei der Schülerbeförderung unklar. Laut Gesetz werden die tatsächlichen Kosten der Schülerbeförderung übernommen, sofern die Kosten nicht von Dritten ge

tragen werden. Demnach werden zunächst die Kosten für die Schülerinnen bis zum 10. Schuljahrgang vom Landkreis getragen. Darüber hinaus werden nach der letzten Schulgesetzänderung auch die Kosten für die Sekundarstufe II erstattet, bis auf den bekannten Eigenanteil von 100 €, von dem ja gestern in einer Kleinen Anfrage bereits die Rede war.

In den Ländern, die eine solche Regelung wie Sachsen-Anhalt nicht haben - das sind unseres Wissens alle Länder außer Sachsen-Anhalt; irgendein Westland soll noch eine Regelung haben, die dem ähnlich ist; ich kenne sie jetzt aber nicht, wenn ich ehrlich bin -, werden im Wesentlichen die tatsächlichen Kosten übernommen. Das wäre eine Ungleichbehandlung gegenüber den Schülerinnen in anderen Bundesländern.

Der Minister argumentiert, dass die im Regelsatz für Mobilität veranschlagte Summe unterschritten wird und deshalb der Eigenanteil zumutbar ist.