Protocol of the Session on November 13, 2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist 9 Uhr, lassen Sie uns beginnen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Nehmen Sie Platz, und dann geht es gleich los.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hiermit eröffne ich die 101. Sitzung des Landtags von SachsenAnhalt der sechsten Wahlperiode. Ich begrüße Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Jetzt kommen wir zu den freudigen Ereignissen des Tages, auch wenn die Ursprünge schon etwas zurückliegen. Zuerst gratulieren wir ganz herzlich Frau Angelika Hunger zum Geburtstag.

(Beifall im ganzen Hause)

Bleiben Sie gesund und frohgemut!

Wir haben ein weiteres Geburtstagskind, auch das politische Spektrum ausnutzend. Der Abgeordnete und Minister Herr Holger Stahlknecht hat heute ebenfalls Geburtstag. Auch ihm unsere besten Wünsche

(Beifall im ganzen Hause)

und viel Kraft für Ihre Aufgaben.

Wir setzen die 48. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen mit dem Tagesordnungspunkt 21, der Aktuellen Debatte. Wir haben gestern Abend noch den Punkt 19 der Tagesordnung abgearbeitet, sodass wir nach der Mittagspause

(Unruhe)

nur noch den Tagesordnungspunkt „Fragestunde“ hätten. Ich schlage deshalb vor, dass wir die Mittagspause nach der Fragestunde machen und die Pause weglassen.

(Heiterkeit und Zustimmung bei allen Frak- tionen)

Dann rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Aktuelle Debatte

Keine Toleranz gegenüber rassistischer und rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt

Antrag Fraktionen DIE LINKE - Drs. 6/4542 neu

Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Es wurde folgende Reihenfolge

vereinbart: DIE LINKE, SPD, GRÜNE und CDU. Als Erster spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Gallert. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist ein trauriger Anlass, weshalb wir diese Aktuelle Debatte heute Morgen beantragt haben, er ist aber einer, der uns dazu zwingt, uns im Landtag über dieses Phänomen zu unterhalten. Wir haben es in den letzten Wochen, eigentlich aber schon in den letzten zwei, drei Jahren mit einem gewaltigen Anstieg von rassistischer und rechtsextremer Gewalt zu tun.

Nur einige wenige Zahlen ganz am Anfang. Offizielle Zahlen gehen davon aus, dass in diesem Jahr allein auf Flüchtlingsunterkünfte bundesweit 438 Anschläge vollführt worden sind, bei uns im Land Sachsen-Anhalt sind es 22. Davon waren es bundesweit 96 Brandanschläge, bei uns im Land sieben. Offizielle Zahlen sprechen von 212 Verletzten im Bundesbereich und von sechs in Sachsen-Anhalt. Aber das ist bei Weitem nicht die ganze Wahrheit, und das wissen wir alle in diesem Raum.

Ich will diesen Angaben nur einmal die Zahlen der mobilen Opferberatung aus Sachsen-Anhalt gegenüberstellen, die in diesem Zusammenhang die Angriffe auf Flüchtlinge, auf deren Helfer und Unterstützer sowie auf Politiker registriert haben. Sie sagen, dass es in diesem Bereich allein in den ersten drei Quartalen dieses Jahres 120 Gewalttaten gegeben hat mit 189 Betroffenen. Wir reden offiziell von sechs registrierten Verletzten, aber auf der anderen Seite von 189 Betroffenen nur in Sachsen-Anhalt in den ersten drei Quartalen. Das zeigt die Dramatik der rassistischen und rechten Gewalt in den letzten Monaten und das zeigt das Massenphänomen.

Auch in den Zahlen der mobilen Opferberatung sind ausdrücklich nur erfasste Gewalttaten enthalten. Die täglichen Pöbeleien, Angriffe und Beleidigungen, die vor zwei, drei Jahren möglicherweise noch juristisch verfolgt worden sind, zum Beispiel das öffentliche Zeigen eines Galgens für die Kanzlerin und für den Vizekanzler, werden schon gar nicht mehr erfasst. All diese scheinen schon unseren Alltag zu prägen. All das sind Dinge, an die wir uns anscheinend leider gewöhnen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, daran dürfen wir uns nicht gewöhnen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Natürlich ist das alles auch ein Problem der Polizei und der Justiz. Die bisherige Bilanz der Erfolge

beim Verfolgen solcher Straftaten ist außerordentlich gemischt, um es sehr vorsichtig zu sagen, und das vor dem Hintergrund, dass die Masse der Dinge wahrscheinlich schon gar nicht mehr zur offiziellen Anzeige kommt. Das ist aber nicht der Anlass für die Aktuelle Debatte.

Politische Gewalt zur Durchsetzung von politischen Zielen ist nie, zu keiner Zeit und unter keiner Bedingung in irgendeiner Art und Weise zu tolerieren.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Das trifft auf Gewalt mit dem Hintergrund von Rassismus und Rechts zu, das trifft natürlich auch auf Gewalt zu, die linksideologisch motiviert sein mag, und das trifft genauso auf Gewalt aus der politischen Mitte zu, wie sie zurzeit bei den sich konstituierenden Bürgerwehren Raum greift.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

All diese Dinge sind gleichzeitig zu verurteilen, natürlich. Nur, das ist nichts Neues. Dafür brauchen wir keine Aktuelle Debatte. Wofür wir die Aktuelle Debatte brauchen, ist etwas anderes. Und zwar haben wir es mit dem Phänomen zu tun, dass rassistische und rechte Gewalt inzwischen eben nicht mehr auf einen Konsens in der Gesellschaft trifft, dass diese Gewalt zu verurteilen ist. Wir haben es inzwischen mit der Situation zu tun, dass Gewalt in diesem Bereich bis hinein in die Mitte der Gesellschaft entschuldigt und akzeptiert wird. Das ist der neue Skandal und das ist unser Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Die Gewalt trifft alle, die sich für Weltoffenheit, Humanismus und Solidarität einsetzen, und sie trifft vor allen Dingen diejenigen, die sich mit der Ideologie des Rassismus, des Nationalismus und der rechter Gewalt offensiv auseinandersetzen.

Ich will nur einige wenige Beispiele nennen. Dieser Satz „Eine Regierung, die sich nicht an Recht und Gesetz hält, trägt Mitschuld, wenn sich Bürger gegen illegale Einwanderung wehren“, ist kein Satz eines Wutbürgers bei der Pegida-Demo, sondern die Einschätzung des stellvertretenden Chefs der sächsischen Gedenkstättenstiftung. Jemand, der als politischer Bildner für die Werte unseres Grundgesetzes verantwortlich ist, entschuldigt und begründet in einer Phase massiver Gewalt gegen Flüchtlinge und gegen ihre Unterstützer diese sogenannte Selbstverteidigung und ihre Legitimität.

Das ist der Skandal, der verurteilt gehört, und zwar von allen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Wir wissen, wie darauf reagiert wird: Man wird ja wohl noch einmal seine Meinung sagen dürfen. - Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Und ja, es ist so, auch rassistische Hetze ist ein Stück weit vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. Aber rassistischer Hetze muss deswegen umso lauter von Demokraten widersprochen und sie muss von ihnen zurückgewiesen werden. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung von Herrn Kurze, CDU)

Ich will ein weiteres Zitat bringen. Natürlich ist es so, dass die Politik in dieser Stimmung, in der wir zurzeit leben, Verantwortung hat. Sie kann Gewalt, rassistische Gewalt, motivieren, indem sie die ideologischen Grundlagen dafür liefert, sie kann aber auch ein deutliches Stoppzeichen setzen.

Ich will hier nur einmal anführen, was der Spitzenkandidat der AfD bei uns im Land Sachsen-Anhalt bei der gemeinsamen Demonstration mit dem Kollegen Höcke aus Thüringen gesagt hat. Er sprach dort vor den Leuten, begleitet von tosendem Beifall von der links-grünen Sippschaft, diesen verlogenen Lumpen, die jeden bei uns in die Sozialsysteme hineinholen wollten, die wir uns erarbeitet hätten, und die uns damit in die Armut führten. „Diese verlogenen Lumpen“ - das sind die Worte des vermeintlich bürgerlichen Spitzenkandidaten der AfD. Das ist geistige Brandstiftung und ideologische Begründung für Gewalt gegen Menschen in unserem Land.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Bullerjahn)

Nein, formaljuristisch hat er nicht dazu aufgerufen. Den Satz, dass man diese verlogenen Lumpen an die Wand stellen müsse, hat dann ein Parteikollege von ihm geschrieben. Davon kann man sich distanzieren. Es bleibt ohnehin folgenlos, weil es genug Menschen in diesem Land gibt, die diesen Satz verstehen und von allein übersetzen, wenn man ihnen nur die ideologische Rechtfertigung für Gewalt, Hass und Mord gibt. Das ist die Grenze, die wir gemeinsam ziehen sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von der Regierungsbank)

Wen wundert es dann, dass nach solchen Äußerungen von vermeintlich bürgerlichen Politikern Morddrohungen gegen Sören Herbst oder Ro

bert Fitzke ausgesprochen werden. Genau das ist die Zielgruppe, die Herr Poggenburg gemeint hat, und genau das ist die politische Konsequenz seines Tuns.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Unsere gemeinsame Pflicht geht aber weiter. In einer solch aufgeheizten Situation kann man die Stimmung von Bedrohung und Angst als Futter für Hass und Gewalt entweder unterstützen oder verhindern. Ich sage mit aller Deutlichkeit, der Leitartikel des Chefs des Philologenverbandes hat mit ganz klaren Worten und Begriffen Hass und Gewalt ideologisch unterstützt. Deswegen müssen wir uns damit auseinandersetzen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung bei der SPD)

Deswegen ist es richtig, dass sich viele in diesem Land und auch der Kultusminister kritisch und eindeutig von diesen Äußerungen distanziert haben. Aber die Logik rassistischer Gewalt führt eben dazu, dass er, weil er das getan hat, jetzt selbst zur Zielscheibe von Morddrohungen wird.