Protocol of the Session on December 12, 2013

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 57. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode.

Es ist eine erfreuliche Nachricht bekanntzugeben. Damit möchte ich gar nicht länger warten. Ein Kollege von uns hat sich extra diese Plenarsitzung gewünscht, weil er heute Geburtstag hat: Herr Jürgen Weigelt. Ich gratuliere ihm im Namen des Hohen Hauses. Ich wünsche alles Gute, Gottes Segen und einen besonderen Tag heute.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir setzen die 29. Sitzungsperiode des Landtags fort und beginnen heute mit dem Tagesordnungspunkt 3. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 4 bis 10.

Ich darf noch daran erinnern, dass Ministerpräsident Herr Dr. Haseloff und Staatsminister Herr Robra heute ganztägig wegen ihrer Teilnahme an der Konferenz der Regierungschefinnen und -chefs der Länder entschuldigt sind.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 a auf:

Regierungserklärung des Ministers für Inneres und Sport Herrn Holger Stahlknecht zum Thema: „Wege zu einer Willkommenskultur in Sachsen-Anhalt“

Nach der Regierungserklärung folgt die Aussprache. Dafür haben wir folgende Reihenfolge festgelegt: Fraktion DIE LINKE, Fraktion der SPD, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Fraktion der CDU.

Ich erteile nunmehr Herrn Minister Stahlknecht das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Deutschland braucht Zuwanderinnen und Zuwanderer. Die Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland und die Integration der Zugewanderten werden zu den wichtigsten politischen Aufgaben der nächsten Jahrzehnte gehören. Die Bewältigung dieser Aufgabe erfordert eine langfristig ausgerichtete Politik und ein Gesamtkonzept, das klare Ziele enthält: humanitärer Verantwortung gerecht werden, zur Sicherung des Wohlstands beitragen, das Zusammenleben von Deutschen und Zuwanderern verbessern und Integration fördern.“

Mit diesen Sätzen beginnt der Abschlussbericht der Unabhängigen Kommission Zuwanderung aus dem Jahr 2001. Der Bericht dieser sogenannten Süssmuth-Kommission basierte auf der Arbeitshypothese, dass sich Deutschland, wenn auch ungewollt, faktisch zu einem Einwanderungsland entwickelt hat und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels auf absehbare Zeit weitere Zuwanderung benötigen wird.

Wurde diese Feststellung damals durchaus noch kontrovers diskutiert, so ist sie heute nahezu unbestritten; denn die Lage in Deutschland ist eindeutig: Deutschland schrumpft und altert. Nach aktuellen Prognosen wird die Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2050 auf ca. 63 Millionen und das Arbeitskräftepotenzial von ca. 45 Millionen Menschen auf ca. 27 Millionen Menschen zurückgehen. Im Jahr 2060 wird ein Drittel der Bevölkerung älter als 65 Jahre und jeder Siebente sogar älter als 80 Jahre sein.

Die ostdeutschen Länder und damit auch Sachsen-Anhalt sind von dieser Entwicklung besonders stark betroffen. Anders als im Westen schrumpft hier die Bevölkerung insbesondere jener Menschen im erwerbsfähigen Alter bereits seit mehr als 20 Jahren.

Auch weil es durch eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik von Bund und Land gelungen ist, die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt zunächst zu stabilisieren und dann auf Wachstumskurs zu bringen, wird es auch bei uns in den nächsten Jahren zunehmend schwieriger werden, den Fachkräftebedarf zu decken.

Für mich liegt es auf der Hand, bei der Lösung dieses Problems neben der verstärkten Nutzung der inländischen Fachkräftepotenziale etwa von hier schon lebenden Zugewanderten und der stärkeren Einbindung ganz allgemein von Frauen auch in Führungspositionen und von Älteren auch auf qualifizierte Zuwanderung zu setzen.

Bei der Gewinnung gut qualifizierter Zugewanderter stehen wir allerdings in einem nationalen und globalen Wettbewerb. Das heißt, wir brauchen attraktive Rahmenbedingungen, damit sich der Verfahrenstechniker aus Barcelona, die Ärztin aus Kiew und der IT-Experte meinetwegen aus einem afrikanischen Land entscheiden, sich in unserem Land und nicht in England, in den USA oder anderswo eine Beschäftigung zu suchen. Dabei beginnen wir hier nicht bei null; im Gegenteil.

Vergleicht man die heutige Situation mit der vor zwölf Jahren, ist festzustellen, dass durch eine Fülle von Initiativen und Maßnahmen zwischenzeitlich viel erreicht wurde. So ist Integration mittlerweile als ein Querschnittthema sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene konzeptionell verankert.

Hierfür stehen der auf Initiative des Bundes zustande gekommene Nationale Integrationsplan und der Nationale Aktionsplan Integration ebenso wie das von der Landesregierung im Jahr 2009 beschlossene Aktionsprogramm Integration. Nicht zuletzt hierdurch ist es gelungen, in den Fachressorts das Bewusstsein dafür zu schaffen, die integrationspolitischen Erfordernisse in ihr fachspezifisches Handeln einfließen zu lassen.

Auch zahlreiche Förderprogramme, die Schaffung von speziellen Beratungsdiensten und die Einführung von Integrationskursen haben dazu beigetragen, Zuwanderern den Einstieg und die Verwurzelung hierzulande zu erleichtern.

Auch der Gesetzgeber ist gerade in den letzten Jahren immer wieder mit dem Ziel aktiv geworden, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Zuwanderer weiter zu verbessern. Ich will nur beispielhaft an zwei bundesrechtliche Initiativen aus der letzten Zeit erinnern.

Durch das im August 2012 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie wurde insbesondere hochqualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten der Zuzug durch die Einführung der neuen Blauen Karte EU erleichtert. Es hat bisher aber zu wenig Beachtung gefunden, dass dieses Gesetz ein ganzes Bündel weiterer Regelungen enthält, welche die legale Zuwanderung auch für andere gut qualifizierte Drittstaatsangehörige deutlich einfacher und attraktiver machen. Hierzu gehören etwa die Einführung eines auf sechs Monate befristeten Aufenthaltstitels zur Arbeitsplatzsuche und Regelungen, die Studierenden aus dem Ausland den Wechsel zu einem Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung vereinfachen.

Mit der Neufassung der Beschäftigungsverordnung und der Änderung der Aufenthaltsverordnung wurden zum 1. Juli 2013 weitere Hürden im Zusammenhang mit der Arbeitsmigration beiseite geräumt. Hiervon profitieren nicht nur hochqualifizierte Akademiker.

So wurde zum Beispiel in der Beschäftigungsverordnung eine Zuwanderungsmöglichkeit für Ausländer in Ausbildungsberufen, also Fachkräfte, geschaffen, die in einer von der Bundesagentur für Arbeit geführten Positivliste mit Mangelberufen aufgenommen worden sind. Zu dieser Liste gehören derzeit etwa Gesundheits- und Pflegeberufe sowie Mechatronik- und Elektroberufe und damit Berufe, bei denen sich auch in Sachsen-Anhalt teilweise schon ein Fachkräftemangel abzeichnet.

Die Vielzahl der gesetzgeberischen Maßnahmen hat sicher entscheidend dazu beigetragen, dass die OECD im Februar 2013 festgestellt hat, dass die Reformen seit dem Jahr 2011 Deutschland zu einem jener Staaten mit den geringsten Beschränkungen, meine Damen und Herren, für die Zuwan

derung von qualifizierten Fachkräften weltweit gemacht haben.

Betrachtet man die Entwicklung der Zuwanderungszahlen, scheinen diese Reformen zu wirken anzufangen. Es ist jedenfalls festzustellen, dass die Zuwanderung nach Deutschland in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist. Allein im Jahr 2012 sind rund 966 000 Ausländerinnen und Ausländer nach Deutschland gekommen und damit mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2010. Berücksichtigt man die Ausländer, die in der gleichen Zeit aus Deutschland wieder abgewandert sind, ist für das vergangene Jahr ein positiver Saldo von 390 000 Menschen zu verzeichnen.

Diese Entwicklung hat sich nach noch vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes im ersten Halbjahr 2013 fortgesetzt. Danach sind in dieser Zeit 555 000 Personen nach Deutschland zugezogen. Der Wanderungssaldo hat sich gegenüber dem ersten Halbjahr 2012 nochmals von 182 000 auf 206 000 Personen und damit um 13 % erhöht.

Deutschland ist damit aktuell der Migrationsmagnet in Europa. Es lohnt sich allerdings, diese Zahlen etwas genauer in den Blick zu nehmen. Dann ist festzustellen, dass deutschlandweit 70 % der Zuwanderer aus der EU kommen, und zwar vor allem aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten und aus den Krisenländern Südeuropas. Bei Drittstaatlern spielt die gesteuerte Arbeitsmigration dagegen bislang nur eine geringe Rolle. Die größte Gruppe der Drittstaatler stellen vielmehr die Asylsuchenden, und dies gerade auch in SachsenAnhalt.

Vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfs in Deutschland einerseits und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in einer Reihe von EU-Staaten andererseits ist es sicherlich richtig, Arbeitsuchenden aus diesen Regionen Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten. Allerdings stellt sich die Frage, wie nachhaltig diese Zuwanderung ist.

Die Bertelsmann-Stiftung spricht in einer aktuellen Studie von der akuten Gefahr einer Zuwanderungsblase, die zu platzen drohe, sobald der krisenbedingte Zuwanderungsboom aus Ost- und Südeuropa wieder abflaut. Dieses Risiko ist in der Tat nicht zu verkennen, zumal diese EU-Staaten dieselben demografischen Probleme haben wie wir.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist die Ausgangssituation. Welche Schlussfolgerungen sind aus ihr zu ziehen?

Für mich ist klar, dass wir schon aus ureigenem Interesse noch mehr dafür zu tun haben, gerade gut qualifizierte Zuwanderer auf Dauer in Deutschland bzw. in Sachsen-Anhalt zu halten. Wir brauchen hierfür eine Politik, die allgemein mit dem Wort „Willkommenskultur“ verbunden wird. Bei

allen Unschärfen, die dieser Begriff hat, geht es mir dabeivor allem um zweierlei: erstens um die Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas, in dem sich jeder Mensch - unabhängig von seiner Herkunft - von Beginn an als wertgeschätztes Mitglied der Gesellschaft wahrnehmen kann.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Schaffung eines solchen Klimas ist unser aller Aufgabe. Eltern, Lehrern, Erziehern und auch den Medien kommt eine wichtige Rolle dabei zu, Ängste und Vorurteile abzubauen.

Gefragt ist aber auch die Bereitschaft jedes Einzelnen, auf den neuen Nachbarn, Kollegen oder Mitschüler offen zuzugehen. Das Land unterstützt diesen Prozess seit Langem, zum Beispiel durch die Förderung von Projekten, die interkulturelle Begegnungen ermöglichen.

Ein besonders geeigneter Ort, um Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenzubringen, ist der Sport. Sport kann Werte vermitteln und Gemeinsamkeiten schaffen. Er ist daher seinem Wesen nach integrativ. Die Bedeutung des Sports für interkulturelle Begegnungen wollen wir im kommenden Jahr durch ein Sportfest der Integration deutlich machen, das mein Haus in Kooperation mit dem Landessportbund ausrichten wird.

Willkommenskultur benötigt zweitens ein materielles Fundament im Sinne einer Willkommensstruktur. Damit meine ich Strukturen und Angebote, welche den Integrationsprozess von Menschen mit Migrationshintergrund stützen und vorantreiben.

Wenn sich nur relativ wenige Fachkräfte aus Drittstaaten in Deutschland und insbesondere in Sachsen-Anhalt auf Dauer niederlassen, obwohl hier die aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen für ihre Zuwanderung, wie die erwähnte OECD-Studie belegt, im internationalen Vergleich bereits überdurchschnittlich gut sind, so liegt das meines Erachtens auch daran, dass sich in der Zielgruppe offensichtlich noch nicht genug herumgesprochen hat, wie attraktiv unser Land mittlerweile für qualifizierte Zuwanderer geworden ist.

Offensichtlich generieren verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen allein noch keine Zuwanderung; vielmehr müssen diese auch in geeigneter Weise kommuniziert werden. Ich halte es dabei für sinnvoll, insbesondere solche Personengruppen gezielt anzusprechen, die für die Fachkräftesicherung in Sachsen-Anhalt von besonderer Bedeutung sind.

Mein Haus plant daher in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern, wie der Bundesagentur für Arbeit, solchen ausgewählten Personengruppen zielgruppenspezifische Informationen zur Verfügung zu stellen. In einem ersten Schritt wollen wir im kommenden Jahr eine Broschüre für Studierende aus dem Ausland herausgeben, die insbeson

dere über die aufenthaltsrechtlichen Bedingungen des Studiums und Möglichkeiten, nach dem Studium in Sachsen-Anhalt zu bleiben, informieren soll.

Eine Schlüsselrolle bei der Etablierung einer Willkommenskultur spielen die Ausländerbehörden; denn die Ausländerbehörden sind für Drittstaatsangehörige in der Regel die erste und auch im weiteren Verlauf ihres Aufenthalts die wichtigste behördliche Anlaufstelle im Land. Für Neuankömmlinge sind sie so etwas wie die Visitenkarte des Landes Sachsen-Anhalt. Sie vermitteln nämlich den ersten Eindruck unseres Landes. Der erste Eindruck ist - wie wir alle aus unserem persönlichen Erleben wissen - oft derjenige, welcher die weitere Entwicklung einer Beziehung grundlegend prägt.

Gegenwärtig sind die Ausländerbehörden - nach ihrem Selbstverständnis wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung - noch primär hoheitlich handelnde Ordnungsbehörden, die ihre Entscheidungen durch Anordnung treffen und - soweit erforderlich - zwangsweise durchsetzen.

Dass ihnen auch eine Beratungsfunktion zukommt und sie das Potenzial haben, wichtige Beiträge im Integrationsprozess zu leisten, hat in der praktischen Arbeit eine bislang eher untergeordnete Bedeutung. Dies belastet das Verhältnis der Ausländerbehörden zu ihren Kunden und kann sich insgesamt nachteilig auf die Qualität ihrer Arbeit auswirken.

Mein Ziel ist es daher, die Ausländerbehörden des Landes darin zu unterstützen, sich zu „Willkommensbehörden“ weiterzuentwickeln, das heißt zu Behörden, die Serviceorientierung in ihrem Selbstverständnis verankern und in eine kundenfreundliche Praxis umsetzen.

Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich mein Haus entschlossen, in einem ersten Schritt in einem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge initiierten Modellprojekt mitzuarbeiten, in dem in zehn Modellkommunen aus zehn Bundesländern Instrumente zur Etablierung einer behördlichen Willkommenskultur erprobt werden sollen. Das auf zwei Jahre ausgelegte Projekt hat im Oktober 2013 begonnen.

Auf kommunaler Ebene ist aus Sachsen-Anhalt die Landeshauptstadt Magdeburg dabei. Wichtig ist, dass alle Ausländerbehörden von den Ergebnissen des Modellprojekts profitieren. Bei der Teilnahme des Landes an dem Modellprojekt soll es daher nicht bleiben. Vielmehr wollen wir das in dem Modellprojekt gewonnene Know-how nutzen und in einem Anschlussprojekt allen Ausländerbehörden im Land Hilfestellungen bei der Weiterentwicklung zu Willkommensbehörden anbieten.

Ein Baustein dieses Angebots soll es sein, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbe

hörden praxisnah zu schulen. Im Kern geht es dabei um die Vermittlung eines professionellen Umgangs mit kultureller Vielfalt und Heterogenität im Arbeitsalltag und um eine Haltung, welche Zuwanderer nicht als Bittsteller sieht, sondern als Kunden behandelt.