Joachim Paul
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Last Statements
Vielen Dank. – Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Was wäre ein gutes Musikstück ohne Kontrapunkt? Der Kontrapunkt macht die Sache erst richtig rund.
Aber bevor ich dazu komme, möchte ich mich bei den Ausschusskollegen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit, für die harte – teilweise sehr harte – Auseinandersetzung in den Sachen und bei Frau Ministerin und den Mitarbeitern für ihr stetes Ringen um die Transparenz der Darstellung, gerade auch was diesen Prozess angeht, ganz herzlich bedanken.
Gleichwohl sind wir Piraten der Ansicht, dass wir uns heute nur deshalb über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unterhalten müssen, weil sich der Bologna-Prozess als eine der Grundursachen für die Verschulung von Studiengängen herausgestellt hat.
Die im Antrag von Rot-Grün hervorgehobene Kritik der Unstudierbarkeit und der fehlenden Mobilität teilen wir ausdrücklich. Die Umstellung auf das Bachelor-/Mastersystem ist in keinem anderen europäischen Land so angegangen worden wie in Deutschland. Man kann jetzt sagen, das mag ein Stück weit an der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit liegen; jedoch wurde eine komplette Generation als Versuchsobjekt für feuchte neoliberale Ranking- und Messbarkeitsträume verschlissen.
Die Überfrachtung von Studiengängen war über Jahre hinweg ein Teil der Kritik von Studierenden. Auch wenn diese Kritik leiser geworden ist, da sich die Studierenden mit dem System arrangieren mussten, ist die grundsätzliche Kritik immer noch allgegenwärtig; denn ein Studium ist immer auch ein weiterer Persönlichkeitsfindungsprozess – jetzt eben in der Adoleszenzphase eines Menschen –, und das nicht nur berufsbezogen.
Wir alle wissen das nur zu genau. Die meisten von uns Älteren haben die nötige Zeit gehabt, um ihren Horizont im Studium zu erweitern. Ob alle von uns davon Gebrauch gemacht haben, fragen Sie mich bitte nicht. Das vermag ich nicht zu beurteilen.
Wir verknappen heute diese Zeit auf Regelstudienzeiten und messen die Qualität anhand von Kriterien wie Credit Points und Employability. Das ist ein massiver innovationsfeindlicher Anschlag auf die Bildungs- und Wissenschaftsfreiheit. Wir verlangen jungen Menschen ab, dass sie sich nach drei Jahren Studium im Alter von 20 bis 21 Jahren auf so viele Erfahrungen berufen können wie Menschen, die bereits seit zehn Jahren im Beruf sind.
Wie soll das, bitte schön, funktionieren? Das ist absurd und grenzt an verordnete Bulimie, an den alten Trichter aus Nürnberg. So kommentierte Jürgen Kaube bereits 2015 in der „FAZ“ – ich zitiere:
„Heute aber verlässt nach Zahlen des Deutschen Hochschulverbandes jeder dritte Student vor dem ersten Abschluss die Universität. Zwei von fünf, die für Mathematik oder Naturwissenschaften eingeschrieben sind, bleiben ebenfalls ohne Bachelorabschluss. In den Sozialwissenschaften sowie in Jura und Ökonomie schließt jeder Vierte nicht ab. Politik bedeutet ja auch, sich auf keinen Fall mit den eigenen Entscheidungen blamieren zu wollen. Folglich mussten die Hochschulen für das Scheitern von Bologna verantwortlich gemacht werden. Man habe, heißt es seit einiger Zeit, wenn die Mängel nicht mehr weggeredet werden können, vielerorts Bologna schlecht umgesetzt. Dass die völlig überflüssigen und noch dazu teuren Akkreditierungsagenturen überall all die Studiengänge offiziell für gut und ‚studierbar‘ befunden haben, die jetzt von so vielen Studenten abgebrochen werden, passt dazu allerdings nicht.“
Und das vor dem Hintergrund, dass uns Intelligenzforscher bescheinigen, dass der durchschnittliche IQ in den letzten Jahren weiter gestiegen ist. Hier liegt für uns der Knackpunkt. Diese Agenturen sind unserer Meinung nach überflüssig. Die Qualitätssicherung kann die Wissenschaft selbst übernehmen, und zwar unter maßvoller Aufsicht des Landes.
Dass dieser Webfehler trotz – ich sag es mal so – Klatsche durch das Bundesverfassungsgericht nach unserer Auffassung jetzt nicht wirklich korrigiert worden ist, zeigt dieser Antrag. Er gehört ein bisschen in die Kategorie wie die Ihrer Haltung zu G8 und G9. Fehler können nur dann wirklich korrigiert werden, wenn man auch den Mut dazu hat.
Wir lehnen diesen Antrag ab. Befreien Sie sich doch mal und sprechen mir einfach mal nach, was viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Par
lamentarier aller Fraktion seit Jahren hinter vorgehaltener Hand immer wieder sagen. Sprechen Sie mit mir mit: „Bologna ist Mist!“ – Vielen Dank.
Lieber Herr Präsident! Danke für die netten einleitenden Worte. Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich hoffe, ich werde gegen Ende meiner Rede noch ein paar versöhnliche Worte finden. Ich möchte mich auch ganz persönlich bei Reiner Priggen bedanken. Damals als frischgebackener Fraktionsvorsitzender im Ältestenrat hat er es mir ein Stück weit leicht gemacht.
Die Landesregierung hat heute Auskunft darüber gegeben, wie sich Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren wirtschaftlich entwickelt hat. Der Wirtschaftsminister hat Zahlen genannt, auf Indikatoren hingewiesen, die Initiativen der Landesregierung in der Vergangenheit aufgezählt und darauf abgestellt, was man in Zukunft tun sollte.
Richtig ist, dass sich Nordrhein-Westfalen in einem Wandlungsprozess befindet – „wieder einmal“ kann man sagen, oder besser: immer noch. Denn NRW ist fast schon ein Synonym für Wandel. Es gab die Kohle- und Stahlkrise in den 60ern und 70ern, und auch die Textilindustrie hat sich aus dem Bergischen Land und anderen Regionen zurückgezogen. Auch der Fahrzeugbau, die Elektrotechnik und die Chemieindustrie haben heftige Einbrüche erlebt.
Das ist alles nicht neu. Die betroffenen Regionen leiden aber noch immer unter den verloren gegangenen Arbeitsplätzen. Und nun kommt auch noch die Digitale Revolution, die alte Qualifikationen entwertet, neue Kompetenzen einfordert und manchmal disruptiv die Strukturen im Land auf den Kopf stellt.
Richtig ist außerdem, dass die Industrieproduktion entgegen dem Bundestrend in NRW seit dem Jahr 2011 gesunken ist. Auch der Auftragseingang der Industrie ist rückläufig. Das zeigen die offiziellen Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts 2017. Der Anteil
des verarbeitenden Gewerbes in Nordrhein-Westfalen liegt inzwischen unter dem Bundesdurchschnitt, und damit hat unser Land zu kämpfen.
Das ist die Realität, der wir uns stellen müssen. Da hilft auch keine Schönrednerei. Das sind schmerzhafte Einsichten, aber umso wichtiger ist es, dafür Verantwortung zu übernehmen. Aber das wollen Sie anscheinend nicht. Ich sage stattdessen: Wir müssen endlich die Ärmel hochkrempeln; denn gerade in Zeiten der Digitalisierung brauchen wir dringend eine Runderneuerung der Wirtschaft. Dabei helfen ganz sicher keine megaherzigen Regierungserklärungen.
Kein anderer Wirtschaftsbereich steht besser für den Wandel als die Start-ups. Was ist da die Bilanz von Rot-Grün nach fünf Jahren? – Ich zitiere den Jahreswirtschaftsbericht 2017:
„Mehr als 400 junge Unternehmen im Bereich der Internetwirtschaft sind ein Beleg für das positive Gründerklima.“
An diesem Beispiel zeigt sich wieder einmal, wie unterschiedlich die Zahlen bewertet werden. Sie sagen: 400 Start-ups sind gut. – Wir sagen: Wenn fast 18 Millionen Bürger gerade einmal 400 Start-ups gründen – also rechnerisch nur ein Start-up auf 40.000 Bürger kommt –, dann läuft etwas so nicht ganz richtig in unserem Land. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass die tollen Menschen in Nordrhein-Westfalen noch viel mehr gute Ideen haben und das brachliegende Potential noch größer ist – aber auch, dass die Hürden größer sind als gedacht. Hier muss die zukünftige Landesregierung noch stärkere Akzente setzen als bisher.
Wenn wir schon über Wirtschaft reden, müssen wir auch über die Kreativen reden. Die Kultur- und Kreativwirtschaft erwirtschaftet eine Bruttowertschöpfung von 18,5 Milliarden € – so viel, wie der Kraftfahrzeugbau und die chemische Industrie zusammen in Nordrhein-Westfalen. Dabei sind in der Kultur- und Kreativbranche mehr Erwerbstätige beschäftigt als im Kraftfahrzeugbau, in der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft zusammengerechnet. Da ist noch sehr viel mehr möglich.
Der wichtigste Teilmarkt der Kultur- und Kreativwirtschaft ist die Softwareindustrie inklusive der GamesIndustrie. Obwohl Nordrhein-Westfalen mit der Gamescom jedes Jahr Magnet für das internationale Fachpublikum ist, liegt das Umsatzvolumen der Branche weit unter dem Bundestrend. Das kann nicht sein, das muss sich ändern! Wir Piraten haben deshalb in der Vergangenheit Haushaltsänderungsanträge gestellt, um hier das Potenzial besser auszuschöpfen.
Meine Damen und Herren, wie gehen wir die wirtschaftspolitischen Probleme in unserem Land an? – Brauchen wir etwa möglicherweise – ich habe da so
etwas läuten hören – mehr nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik? Muss der Umweltschutz zurückgeschraubt, müssen Standards gesenkt, Unternehmen entlastet werden, damit es Nordrhein-Westfalen wieder gutgeht, wie es die CDU und die FDP immer wieder suggerieren? – Die Antwort ist ein klares „Nein“. Die Lösung im Klein-Klein zwischen Landeswassergesetz und Tariftreuevergabegesetz zu suchen, geht völlig an der Realität vorbei.
Da gibt es weltweit die Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts. Die müssen von der Politik gesehen und konstruktiv umgesetzt werden – auch in Nordrhein-Westfalen.
Die politische Bildsprache auf Wahlplakaten ist ja manchmal unfreiwillig verräterisch. Ich bin vor Kurzem an einem FDP-Plakat vorbeigefahren, auf dem der Kollege Lindner frisch beflaumt und gefotoshopt so angestrengt-engagiert schräg nach links unten blickt. Ein Küchentisch-Psychologe hat einmal versucht, mir zu erklären, dass zwanghafte Ordnungsfanatiker beim Nachdenken so dreinblicken würden. Bei „Raumschiff Enterprise“ war es immer Scotty, der so geguckt hat, wenn der Warp-Antrieb kaputt war. Aber da macht Herr Lindner ein Gesicht, als hätte man ihm gerade die wirtschaftspolitische Glaskugel geklaut.
Es geht wirtschaftspolitisch aber nicht um Glaskugeln und Marktesotherik, lieber Kollege Brockes, sondern darum, den aktuellen Rahmenbedingungen unserer Welt auch in Nordrhein-Westfalen konstruktiv zu begegnen. Die aktuellen Rahmenbedingungen sind aktuell gut: Die Zinsen sind niedrig, der Ölpreis auch – noch. Woran es mangelt, sind Investitionen – nicht zuletzt öffentliche. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Bundeswirtschaftsministerium.
Es war ein Fehler der letzten zwei Jahrzehnte, von der Substanz zu leben und nicht mehr ausreichend in die Infrastruktur zu investieren. Die Brücken bröckeln, die Schulen sind marode, Datenpakete werden durch Kupferleitungen aus den Achtzigern gepresst. Das müssen wir ändern. All diese Versäumnisse der letzten Jahre gilt es aufzuholen. Gleichzeitig muss das Land fit gemacht werden für die Digitalisierung. Das gibt es aber nicht zum Nulltarif. So ehrlich müssen wir den Menschen gegenüber schon sein.
Es gibt viele Beispiele für volkswirtschaftlich lohnende Investitionen, zum Beispiel in die Bildung, nicht zuletzt um Schulen – auch berufsbildende Schulen sowie Hochschulen – für die Digitalisierung fitzumachen. Aber auch eine wirkliche Investitionsoffensive in Glasfasernetze bringt das Land voran. Da die geförderten Netze in kommunaler Hand verbleiben, werden sie verpachtet und refinanzieren sich selbst.
So geht doch eine vorausschauende Wirtschaftspolitik. Denn wie sich früher Wohlstand und Arbeitsteilung entlang der Flüsse und Handelsstraßen ausgebreitet haben, sind es heute die Datenströme, die zählen. Bislang aber durchziehen nur kleine, extrem zähfließende Datenadern das Land: Bits und Bytes auf dem Feldweg. Das muss sich ändern.
Wir Piraten haben dazu ausgiebige Vorschläge vorgelegt. Die digitale Spaltung in Stadt und Land muss überwunden werden, und es müssen ultraschnelle Glasfaserleitungen verlegt werden. Insbesondere weil NRW im Strukturwandel steht, müssen wir hier der Impulsgeber sein. Während Wirtschaftsminister Duin noch oft von marktgetriebenem Ausbau redet, ist Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, schon weiter und drängt zur Eile. – Zitat aus der „FAZ“ vom 14. März 2017:
„Wir können den Breitbandausbau nicht vertagen, bis Nachfrage und Zahlungsbereitschaft für die Investitionen ausreichen. Dann würden wir das Kostbarste aufs Spiel setzen, was in der digitalen Welt gibt, nämlich Zeit.“
Sie sehen: Da ist ein Paradigmenwechsel notwendig. Machen Sie den Breitbandausbau zur Aufgabe einer öffentlichen Daseinsvorsorge.
Im Übrigen wurden die Kosten für ein flächendeckendes Glasfasernetz in NRW in einer Studie der NRW.Bank auf rund 8,6 Milliarden € beziffert. Das hört sich, wenn man in kurzen Zeiträumen denkt, so an, als sei das recht viel. In einem Abschreibungszeitraum von 20 Jahren sind das 2 € pro Bürger und Monat. Das ist also machbar.
Aber überall, wo wir mehr Geld fordern, muss es auch sauber zugehen. Auch der Wirtschaftsminister muss das im eigenen Haus tun und gut wirtschaften. Wir Piraten haben eine parlamentarische Initiative angestoßen, damit mit all den politischen Leuchtturmprojekten, mit unter Verschluss gehaltenen Gutachten, mit den Auftragsevaluierungen, die komischerweise immer positiv ausfallen, und mit den Rügen des Landesrechnungshofes endlich Schluss ist.
Wir wollen eine transparente Wirkungsanalyse, damit die Menschen in unserem Land sehen können, ob ihre Steuergelder sinnvoll eingesetzt wurden. Das haben Sie verhindert. Warum Ihnen die Transparenz da unangenehm ist, werden Sie wohl selbst am besten wissen. Wir verstehen das nicht.
Wir müssen also investieren – im Gegensatz zur Politik dieser Landesregierung, die nur 2,2 % der Gesamtausgaben in investive Projekte leitet und damit den vorletzten Platz im Bundesländervergleich belegt. Politik soll gestalten und Probleme lösen. Das ist unser Grundverständnis.
Wer aber den Gestaltungsspielraum der Politik im Namen einer Austeritätspolitik gefährlich einschränkt
und die Schuldenbremse beschließt – das will die politische Mehrheit hier im Parlament ja heute Nachmittag machen –, der stärkt die Politikverdrossenheit und damit den Rechtspopulismus in unserem Land. Das ist unverantwortlich.
Wir sollten uns einmal ganz ehrlich anschauen, was für Töne da inzwischen auch von intelligenteren Mitbürgern angeschlagen werden. Ich zitiere einmal aus Heribert Prantls Aufsatz „Gebrauchsanweisung für Populisten“, und zwar aus einem Absatz, der mit „Die schwarze Null und die braune Kloake“ betitelt ist:
Also sagen Sie den Menschen hier einmal im Klartext, was es heißt, wenn das Land keine Schulden machen darf.
Da Bundesländer kaum Möglichkeiten haben, Steuern zu erhöhen, werden die öffentlichen Investitionen von dem heute schon niedrigen Niveau noch weiter absinken. Damit wird die Landespolitik ihrem Auftrag gegenüber den Bürgern, nämlich Vorsorge zu betreiben, zu investieren und Probleme zu lösen, nicht mehr nachkommen können. Das halten Sie vielleicht für einen Fortschritt. Ich aber sage: Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch ist das ein Rückschritt, der uns sehr, sehr teuer zu stehen kommen wird; denn das führt 2020 direkt in die Unregierbarkeit.
Bereits heute haben wir in Nordrhein-Westfalen mit einer extremen Missbalance zu kämpfen. Übrigens weist im Jahreswirtschaftsbericht 2017 auf dieses Problem auch eine Person hin, die nicht im Verdacht steht, mein wirtschaftspolitischer Freund zu sein, nämlich der Präsident der Industrie- und Handelskammern NRW, Ralf Kersting. Ich zitiere:
„In kaum einem anderen Bundesland liegen prosperierende und schrumpfende Regionen so nahe beieinander. So liegt die Landeshauptstadt Düs
seldorf als Ort mit dem höchsten BIP pro Einwohner in Nordrhein-Westfalen – mit 215 % des Bundesdurchschnitts – keine 50 km entfernt von der Stadt Bottrop, die mit 63 % den niedrigsten Wert in Nordrhein-Westfalen aufweist.“
Ich muss Herrn Kersting kritisieren. Das Zitat hinkt etwas. Düsseldorf hat einen Flughafen: Ziehen wir also von den 215 % 75 % ab; trotzdem ist das immer noch wesentlich mehr als in Bottrop.
Wollen wir und können wir uns diese gesellschaftliche Disruption – diese Verwerfung – in der Zukunft weiterhin leisten? Ich sage Nein. Lassen Sie uns gemeinsam in die Zukunft – hier: in die digitale technologische Revolution – investieren.
Lassen Sie mich zum Abschluss ein paar persönliche Worte finden. Als ich 2015 nicht mehr für den Vorsitz meiner Fraktion angetreten bin und der Kollege Schwerd zu den ewig gestrigen Klassenkämpfern nach links gewechselt ist, wie die Jungfrau zum Kinde als Sprecher in den wirtschaftspolitischen Ausschuss gekommen. Ich möchte mich bei Ihnen allen, stellvertretend besonders bei Herrn Fortmeier, der den Vorsitz innehat, für die sehr freundliche und kollegiale Aufnahme in diesen Ausschuss bedanken.
Ich glaube, wir haben einiges voneinander gelernt. Ich hatte viel Spaß mit Ihnen; ich hoffe, Sie hatten manchmal keinen mit mir.
Es gab auch einige unvergessene Momente. Wir haben über sehr viele spannende Themen, wie Industrie 4.0, diskutiert – auch sehr kontrovers. Wir haben auch über die Wirtschaftspolitik diskutiert, die eher angebotsorientiert sein soll.
Ein Moment wird mir in Erinnerung bleiben. Das war, als die von uns bestellte Sachverständige Frau Prof. Mechthild Schrooten aus Bremen über nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik und die Forderung danach gesprochen hat: Das Gesicht des Kollegen Brockes wurde während der Anhörung länger und länger. Das ist für mich ein unvergessener Moment. Trotzdem, lieber Dietmar, sind wir kollegial miteinander umgegangen, und wir hatten auch Spaß miteinander. Ich sage Ihnen allen noch einmal vielen Dank.
Ich werde weiterhin wirtschaftspolitische Reden halten; ich hoffe, es wird hier sein, und wenn es nicht hier ist, wird sich vielleicht Herr Duin freuen; ich weiß es nicht. Aber ich werde sie weiterhin halten, egal wo. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen lieben Dank, Herr Präsident. – Frau Dr. Bunse, wenn ein neues Fach mit dem Titel „Informatik“ irgendwann mal eingerichtet würde – ich meine das jetzt nur hypothetisch –, würde es erst in der Praxis ausgestaltet werden können.
Was wäre denn die mögliche Position der CDU, wenn man sagte: „Das Fach Informatik“ – Mathematik, was als zweites Fach hinzukäme, liegt, weil sie sich mit der Methodenkompetenz befasst, eher quer zu den Inhaltsfächern – „würde sich mit wesentlich mehr als nur mit der digitalen Welt beschäftigen, nämlich generell mit der Frage, wie man Probleme strukturiert und zu einem Lösungsansatz kommt“? Ich würde mit Ihnen stante pede eine Stunde Informatik nur mit der Tafel, aber ohne den Computer machen. Wie würde die Union darüber denken, wenn man das Fach Informatik quasi auf den analogen Problemlösungsbereich ausweitete? – Vielen Dank.
Vielen Dank, lieber Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! – 2017 markiert das Jubiläumsjahr der Römischen Verträge, das Fundament der heute so viel gescholtenen Europäischen Union. Schon damals, 1957 – übrigens mein Geburtsjahr –, wurde der Grundstein für das Europäische Parlament, einer weltweit einmaligen Institution der Demokratie, gelegt. Das sollte man nicht vergessen.
Auch nicht vergessen darf man – bei aller angebrachten Kritik an den europäischen Institutionen –, dass die EU weltweit als eines der erfolgreichsten Demokratie- und Freiheitsprojekte der jüngeren Geschichte angesehen wird. Doch trotz ihrer Verdienste haben die Verantwortlichen in der Kommission, im EU-Parlament und vor allem die Staats- und Regierungschefs das Einlösen zahlreicher zentraler Versprechen sträflich vernachlässigt, und das viel zu häufig einzig und allein aufgrund mangelnden politischen Willens, dem undemokratischsten aller möglichen Gründe.
Der wohl gravierendste Konstruktionsfehler der EU ist ihr Defizit an demokratischer Legitimation. Das besteht seit ihrer Gründung. Der Einigungsprozess konzentrierte sich vornehmlich auf wirtschaftliche Integration mit guten, aber teils auch verheerenden Resultaten, wie die Finanzkrise 2007/2008 zeigte. Politischen Entscheidungen auf europäischer Ebene müssen europaweite öffentliche Debatten vorausgehen, an denen sich alle Menschen angemessen beteiligen können. Ohne eine gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Kommunikation ist das unmöglich.
Mit dem Internet steht uns heute ein Werkzeug zur Verfügung, das den Menschen in der EU politische Entfaltungschancen eröffnen kann. Wir Piraten wissen das: Zur Überwindung des Demokratiedefizits brauchen wir eine echte europäische Öffentlichkeit auf der Basis eines freien Internets. Daran arbeiten wir jeden Tag.
Auch die EU muss hier einen eigenen Beitrag leisten. Im Zuge der digitalen Revolution muss beispielsweise ein Recht auf digitale Teilhabe an der Gesellschaft in der europäischen Grundrechtecharta verankert werden.
Ich möchte aber auch auf die tagesaktuellen und dringenden Herausforderungen Europas zu sprechen kommen – weg von den wichtigen und teilweise sehr abstrakten Langzeitproblemen.
Der Brexit ist die Mutter aller Lose-lose-Situationen. Die verantwortlichen politischen Entscheider müssen nun Antworten auf diesen bedauernswerten Zustand finden – das wurde hier schon mehrfach erwähnt –, unter anderem Antworten in den Bereichen Bildung,
Wissenschaft und Forschung, Handel und Arbeitnehmermobilität, Wahlrecht und Medien. Das sind nicht nur Landesinteressen, sondern das betrifft auch Kompetenzen. Deshalb war es richtig, dass sich der Bundesrat im März in einer Entschließung für eine enge Einbeziehung der Länder in die Brexit-Verhandlungen ausgesprochen hat. Warum NordrheinWestfalen nicht auch Mitantragsteller der Entschließung war, wird uns sicherlich Herr Minister LerschMense erklären können.
Auch ein ganz eigenes Anliegen Nordrhein-Westfalens ist vom Brexit betroffen: Die heute in London ansässige Europäische Arzneimittel-Agentur EMA braucht demnächst einen neuen Standort innerhalb der EU. Hier muss die Bundesstadt Bonn positioniert werden, um die EU-Agentur nach Nordrhein-Westfalen zu holen – ein idealer Standort sowohl für NRW als auch für die EU.
Ein weiteres Thema, das endlich konsequent angegangen werden muss, ist die Situation der Geflüchteten in der EU. Die europäische Flüchtlingspolitik muss endlich auf ein nachhaltiges, humanes und dezentrales System umgestellt werden. Was für den landespolitischen Integrationsplan gilt, gilt auch für die europäische Flüchtlingspolitik: Wir müssen weg von der Abwehrhaltung und dem Aussitzen der Flüchtlingssituation.
Ich möchte zusammenfassend einen Blick auf die Zukunft der EU werfen, denn die Frage lautet ja – das wurde von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern bestätigt –: Wo wollen wir als Europäische Union eigentlich hin? Die Antwort der Piraten ist eindeutig: Wir brauchen ein Update des politischen Systems der EU und eine grundlegende Reform der Beziehungen zu den Mitgliedstaaten und Regionen – kurzum: eine demokratischere Basis.
Der Dialog mit den Menschen muss unmittelbar in den Regionen, Gemeinden und Kommunen passieren, in den Town-hall-Meetings und Bürgermeistersprechstunden, in den Landesforen und Landtagsausschüssen. Hier kommt Nordrhein-Westfalen als einem aktiven europapolitischen Player eine ganz besondere Verantwortung zu. Dies drückt sich auch in der Fortführung der wichtigen Arbeit des Europaausschusses des Landtags von Nordrhein-Westfalen aus.
Meine Damen und Herren, ich hatte es bereits in einer der letzten Europadebatten gesagt: Wir brauchen eine positive Vision für unseren Kontinent. – Diese Vision beleuchten wir in unserem Entschließungsantrag. Denn oftmals bedeutet die EU für die junge Generation nur noch einen leblosen Binnenmarkt oder ein chancenvernichtendes Spardiktat. Was wir brauchen, ist ein Europa des sozialen Ausgleichs, der politischen Transparenz, der Bildung in der digitalen
Welt und der fairen Unternehmensbesteuerung. Ein Systemupdate für Europa ist verfügbar. Lassen Sie uns das bitte gemeinsam installieren.
Herr Wolf, Sie haben gerade die Globalisierung und den Wettbewerb in Europa angesprochen. Ich glaube, man darf an der Stelle nicht vernachlässigen, dass Europa eigentlich als Mannschaft auftreten sollte, und dann muss man gucken, dass die Mannschaft insgesamt und nicht nur einige wenige gut aufgestellt sind. Das ist meiner Meinung nach wesentlich.
Die vier Anträge der Fraktionen legen eigentlich so etwas wie einen gemeinsamen Antrag nahe. Ich möchte allerdings auch zum Ausdruck bringen, dass die vier Anträge zeigen, dass man sich dem Thema „Europa“ auf unterschiedlichste Weise nähern kann, aber trotzdem ist das grundsätzliche Bekenntnis zu Europa dabei nicht infrage gestellt. Das ist eben auch Element einer klaren Haltung aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen und dem Europaausschuss.
Lassen Sie mich abschließend den scheidenden Kolleginnen und Kollegen auch noch persönlich danken. Liebe Ilka, lieber Markus, lieber Ingo, bei allem Streit, den wir im Ausschuss – manchmal auch recht heftig – geführt haben, denke ich, dass ich als Jungparlamentarier
ein bisschen von euch gelernt habe. Das war gut. Ich sage jetzt noch nicht „Auf Wiedersehen!“; denn ich kandidiere noch einmal, und da halte ich es mit Katja Ebstein: Wunder gibt es immer wieder. – Vielen Dank.
Vielen Dank. – Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Anfang Januar 2017 legte die Europäische Kommission das sogenannte Dienstleistungspaket für reglementierte Berufe vor, das – wir haben es ja bereits gehört, und es wurde in Details ausgeführt – weitreichende Auswirkungen auf das Handwerk und die Freien Berufe haben wird.
Kern des Pakets ist ein Richtlinienvorschlag, mit dem die Kommission sich eine Art eine Vetorecht bei nationalen Neuregelungen einräumt. Die Rechtsgrundlage gewährt der Kommission aber nur Kompetenzen bei der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen und räumt die Koordination entsprechender Vorschriften ein.
Diese Kompetenzüberschreitung der EU
Kommission wurde zu Recht durch den Bundesrat
mit einer Subsidiaritätsrüge beantwortet. Auch deshalb, weil die Fraktion der Piraten damals, 2012, die erste Subsidiaritätsrüge im Landtag Nordrhein-Westfalens eingebracht hat, unterstützen wir den Beschluss des Bundesrats ausdrücklich.
Doch trotz der geäußerten Kritik am Vorgehen der Europäischen Kommission ist das übergeordnete Ziel, das damit verfolgt wird, nicht falsch: Wir wollen ja ein Europa, in dem qualifizierte Menschen ihren Beruf über Ländergrenzen hinweg ausüben können, und das auch im Dienstleistungssektor.
Insbesondere Nordrhein-Westfalen, dessen Bürger die offenen Grenzen zu den Nachbarstaaten Belgien und den Niederlanden zu schätzen wissen, stünde es sehr gut zu Gesicht, sich für diesen offenen und richtigen Ansatz einzusetzen; denn wenn eine Qualität vorhanden ist, sollte die Bürokratie keine unnötigen Hürden in die Welt setzen. Das gilt nicht nur im Inland, sondern natürlich auch in der europäischen Staatenfamilie.
Nur eins ist mit uns nicht zu machen: Wir sprechen uns klar und deutlich gegen einen Abwärtswettlauf, gegen einen „Race to the Bottom“ der Qualitätsniveaus in Europa aus. An der Qualität sparen hieße, am falschen Ende zu sparen. Diese Botschaft müssen wir gemeinsam an die Europäische Kommission senden.
Lassen Sie mich als letzten Punkt noch auf die Form der Qualifikationsnachweise vor dem Hintergrund langfristiger gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen und Veränderungen eingehen – denn durch die kürzer werdenden Innovationszyklen und die Digitale Revolution reduziert sich auch die Halbwertszeit des erlernten Fachwissens.
Wir Piraten setzen uns daher dafür ein, dass in den Berufen, in denen Fachwissen auf dem neusten technischen Stand wichtig ist, auch aktuelle Kompetenznachweise in Form von Zertifikaten eingefordert werden. Diese sollten für den Verbraucher vergleichbar angegeben werden. Das schafft Transparenz, und letztendlich resultiert das in einem Vertrauen zwischen Leistungserbringer und Kunde.
Wir fordern mit unserem Entschließungsantrag die Landesregierung auf, den weiteren europäischen Prozess zum Dienstleistungspaket kritisch, aber eben auch konstruktiv zu begleiten. In jetziger Form darf es nicht angenommen werden. Die Subsidiarität in der EU-Gesetzgebung ist ein hohes Gut.
Wir haben uns in der Fraktion entschlossen – da es ja in diesem Fall um Europa geht, und Europa verlangt immer so etwas wie gemeinsame Signale –, uns zu den anderen Anträgen zu enthalten. – Vielen lieben Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Es ist wirklich auch eine ehrenhafte und vornehme Pflicht der Opposition, immer wieder Alternativen zur Politik der Landesregierung aufzuzeigen. Das versucht die CDU-Fraktion auch mit dem vorliegenden Antrag. Statt aber ein Feuerwerk aus 16 Punkten abzubrennen, wird daraus im Antrag billiger Theaterdonner und in der Rede schlechte Rhetorik von Herrn Wüst.
Was hier wiederholt wurde, ist die politische Debatte der 80er-Jahre: komplette Mottenkiste. Die Gegenwart hat euch längst überrollt. Ihr nährt wieder mal den alten Mythos, man könne entweder Industrie haben oder Umweltschutz. Ihr seid so gefangen in eurer Entweder-oder-Logik. Denkt doch mal „sowohl als auch“ oder „weder noch“. Das wäre vielleicht mal spannend. Aber nein, ihr klebt in diesem eindimensionalen Schema fest.
Die Vorstellung ist so etwas von out. Natürlich brauchen wir beides: Industrie und Umweltschutz. Und das ist auch möglich gerade durch moderne, innovative Technologien. Aber mit der Innovation hat die Union es ja nicht so.
Ich möchte die versammelten digitalen Inkompetenzen der Union einmal fragen:
Wir lesen unter Punkt 2 im Forderungsteil des Antrages: „Mit Hilfe digitaler Anwendungen … Bürokratie …“. Und am Schluss steht noch etwas von „Mittelstand“. Werdet doch mal konkret. Was soll das denn sein? Faustkeile aus dem 3D-Drucker? Ernsthaft.
Da muss ich die Partei meiner Eltern wirklich fragen: Wie seid ihr aufgestellt? Müsst ihr gestern zu einem eindeutig wirtschaftspolitischen Thema jemanden ins Rennen schicken, der mit einem Schild auf der Stirn mit der Aufschrift „Ich habe mal vorgegeben, Pirat zu sein“ herumrennt und nicht mal im Wirtschaftsausschuss ist?
Das ist doch armselig!
Ähnliches gilt auch für die Hygieneampel oder das Tariftreue- und Vergabegesetz.
Hört doch einfach auf, den Leuten vorzugaukeln, der Wirtschaft ginge es spürbar besser, wenn wir niedrigere soziale oder Verbraucherschutzstandards hätten. Das ist doch Quatsch!
Das sind im 21. Jahrhundert auch nicht mehr die entscheidenden Fragen. Entscheidend sind ganz andere Indikatoren. Ich frage einmal die Landesregierung: Wie viel Prozent der Schüler bekommen heute einen guten Informatikunterricht, der junge Leute motiviert, sich mit modernen Technologien auseinanderzusetzen? – Die Antwort: zu wenige. Wie viele öffentliche Institutionen, Unternehmen und Haushalte haben Zugang zum Gigabit-Netz? – Die Antwort: zu wenige. Was tut die Landesregierung, um den täglichen Verkehrsinfarkt auf den Straßen NRWs endlich aufzulösen? – Die Antwort ist: zu wenig zu spät.
Dabei haben wir Piraten längst Lösungen ausgearbeitet, die das Land voranbringen würden – Stichwort „Fahrscheinfrei“.
Ihr könnt meinen Kollegen Oliver Bayer nachts um 3 Uhr wecken und entscheiden, ob ihr einen 15-minütigen Impulsvortrag oder eine zweistündige Vorlesung wollt. Das macht der stante pede.
Welche Zukunftsindustrien und welche Forschungsabteilung hat die Landesregierung in den letzten fünf Jahren nach NRW geholt? Und ja, da muss ich versöhnlich werden – ich kriege das im Hochschulausschuss ja mit –: Da ist ein ehrliches, echtes Bemühen, das teilweise auch von Erfolg gekrönt ist, am Werk.
Ich bin aber der Auffassung, dass man noch mehr machen kann.
Und zuletzt: Wann wird die Landesregierung endlich ihre Verwaltungsabläufe digitalisieren und damit effizienter gestalten? – Die Antwort ist: bis in das Jahr 2031. Weiter kann man den Nutzen der Digitalisierung nicht in die Zukunft verschieben. Was für eine schlechte Symbolik!
Meine Damen und Herren, die letzten fünf Jahre waren durchaus auch eine Zeit der verpassten Chancen, aber mit der Hygieneampel oder der Rechtssicherheit für die vier verkaufsoffenen Sonntage hat das rein gar nichts zu tun. Wir lehnen daher den Antrag der Union ab. – Danke.
Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Minister, ich möchte noch einmal ausdrücklich sagen: Es ist Ihnen und auch der Ministerpräsidentin im Bereich Wirtschaft durchaus gutzuschreiben und anzuerkennen, dass Sie sich im Bereich Innovation, Weiterentwicklung der Wirtschaft hier im Lande sehr stark engagiert haben.
Aber Sie haben gerade – das kann ich mir jetzt nicht verkneifen – noch einmal aus der Rede von Frau Ministerpräsidentin Kraft im Januar 2015 die sogenannte digitale Agenda erwähnt. Ich habe da immer noch dieses „MegaBits. MegaHerz. MegaStark.“ im Kopf. Können wir uns vielleicht gemeinsam für eine bessere Sachlichkeit in der politischen Sprache einsetzen? Im ersten Moment habe ich, als ich diesen Titel gesehen habe, gedacht: Was haben die Texter in der Staatskanzlei geraucht? – Danke.
Vielen Dank. – Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir befinden uns in der Endphase der Legislaturperiode. Das ist eine gute Zeit, um ein Fazit zu ziehen und gleichzeitig einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Es hat kaum eine Plenarsitzung und kaum eine Wirtschaftsausschusssitzung in den letzten drei Jahren gegeben, die den Breitbandausbau nicht zum Inhalt hatten. Egal, ob politischer Antrag, Aktuelle Stunde, Haushaltsantrag oder Berichtswunsch im Ausschuss – das schnelle Internet war Ziel vieler parlamentarischer Initiativen.
Wir Piraten, aber auch die Kollegen von CDU und FDP haben es der Landesregierung nicht leicht gemacht, haben kritisch nachgefragt und immer wieder auf mehr Engagement, auf mehr Tempo gepocht. Das zeichnet eine gute Oppositionsarbeit auch aus.
Und unsere Debatten haben sich gelohnt. Auch wir Piraten haben dazugelernt und unsere Anträge weiterentwickelt, haben vor Vectoring gewarnt und echte Glasfasernetze eingefordert.
Inzwischen hat sich auch die Landesregierung zu einem Glasfaserziel bekannt, und das ist gut so. Dennoch: Die grundlegenden Herausforderungen des Breitbandbaus in Nordrhein-Westfalen sind noch immer nicht bewältigt. Sie sind im Grunde die gleichen wie zu Anfang der Legislaturperiode.
Zum einen gibt es immer noch die digitale Spaltung, also viel langsamere Netze auf dem Land als in der Stadt. Damit werden Regionen von der Digitalisierung abgehängt und damit auch von wirtschaftlichen und sozialen Teilhabechancen der modernen Wissensgesellschaft ausgeschlossen.
Zum anderen sind die sehr schnellen Gigabit-Anschlüsse für neun von zehn Haushalte, für die meisten Schulen und Unternehmen bis jetzt die absolute Ausnahme. Daran ändern leider auch die am Dienstag veröffentlichten Ausbauzahlen nichts.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und Eckpfeiler einer effektiven und ehrlichen Breitbandpolitik für die Zukunft setzen. Nur so kann der Landtag sicherstellen, dass die grundlegenden Herausforderungen auch wirklich angepackt und bewältigt werden.
Wichtig ist erstens, dass die Förderung und Regulierung auf Glasfasernetze bis ins Haus setzt. Dieses Infrastrukturziel hat sich in Brüssel noch nicht durchgesetzt und bedarf daher unser aller politischen Unterstützung.
Zweitens müssen wir von politischen Sonntagsreden wegkommen und stattdessen realistische Ziele und auch Instrumente benennen. Das geht nur, indem Zwischenziele gesetzt und überprüft werden.
Ein Beispiel: Das Ziel auszugeben, bis ins Jahr 2026 ein flächendeckendes Glasfasernetz haben zu wollen, ist das eine. Dann muss man aber auch von 25 % Versorgungsgrad im Jahr 2019 und 50 % Versorgungsgrad im Jahr 2020/21 sprechen und diese Ziele zunächst anvisieren. Da fängt das Problem an: Wie ist es möglich, innerhalb von zwei Jahren von 7 auf 25 % zu springen? Das geht nicht. Sie sehen: Zwischenziele machen eine realistische Betrachtung überhaupt erst möglich.
Drittens muss die Versorgung mit schnellem Internet als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge definiert werden, da sie einen wichtigen Baustein für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse darstellt. Anders werden vor Ort, in den Kommunen keine flächendeckenden Netze ausgerollt werden können, ist unsere Überzeugung.
Viertens brauchen die lokalen Akteure – egal ob Stadtwerke, Unternehmen oder Bürgernetze –, die Glasfaser bis in die Wohnungen bringen wollen, noch viel, viel mehr politische Unterstützung. Es muss Schluss sein mit dem Rosinenpicken gewisser Unternehmen, die mit dem Ausbau von Vectoring im
Ortskern nachhaltige Glasfaserprojekte unwirtschaftlich machen.
Meine Damen und Herren, im Gigabit-Zeitalter können wir uns ein reines Durchwursteln nicht leisten. Lassen Sie uns gemeinsam Eckpfeiler einer effektiven Politik setzen, die einen echten Durchbruch im Breitbandausbau bewirken können.
Zum Entschließungsantrag der Union muss ich leider sagen, dass wir ihn ablehnen werden. Dort ist von Fördergutscheinen für Unternehmen die Rede. Das erinnert ein bisschen an Lebensmittelgutscheine nach dem Krieg. Das korrespondiert auch ein bisschen mit dem, was in Zeile 2362 des Wahlprogramms der Union steht. Darin stellt man sich nämlich vor, dass die Studenten demnächst am Eingang der Universität eine einheitliche Matrikelnummer aus dem Automaten ziehen. Das kann nicht die digitale Zukunft sein.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. Er stellt ein Resümee und einen Ausblick in die Zukunft dar. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Herr Kollege Vogt, ich habe eigentlich eine Frage, wollte aber Ihre Ausführungen nicht unterbrechen. Deswegen habe ich mich zu einer Kurzintervention gemeldet.
Nach Auffassung der Piraten gibt es einen generellen Punkt. Wir sprechen immer von „Netzen in Bürgerhand“. Ich würde gerne von Ihnen als netzpolitischem Aktivisten der Sozialdemokratie wissen: Was wird zu dem Thema „Netze in Bürgerhand“ in Ihrer Partei debattiert? Gibt es dort möglicherweise Positionsentwicklungen? – Vielen Dank.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Dieser Antrag der FDP ist in mancherlei Hinsicht durchaus bemerkenswert. Im Titel und auch weiter im Text ist von ideologischen Blockaden die Rede. Das ist ein deutlicher Ausdruck einer eher postfaktischen Empörung, was im Folgenden zu begründen sein wird.
In der wirtschaftspolitischen Rationalität und Argumentationslogik der FDP gelangt eine ausgeprägte Nähe zur neoklassischen Wirtschaftstheorie zum Ausdruck –
zugegeben mit gelegentlichen kleineren Abmilderungen, die dann aber an Schwammigkeit in den Aussagen nichts zu wünschen übrig lassen.
Ich referenziere hier konkret auf einen Beitrag in „DIE ZEIT“ vom 6. Januar 2017 mit dem Titel „Lindners Weg ins Ungefähre“. So ziemlich das Einzige, was nicht ungefähr ist, ist die Ausrichtung der FDP an der Neoklassik. Das hat sie mit dem SVR, den Sachverständigen aus dem Wirtschafts-Waisen-Haus, gemeinsam. Gewissermaßen als Adepten, also als Individuen, denen im Spätmittelalter in der Alchemie unterstellt wurde, den Stein der Weisen gefunden zu haben und somit die Herstellung von Gold zu beherrschen, interpretieren die FDPler die neoklassische Schule der Volkswirtschaftslehre als wissenschaftlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, lieber Herr Brockes, einmal eine Frage: Ist Ihnen folgende Zahl bekannt?
5,974 x 1024. Das ist die Masse unserer Erde in Kilogramm – natürlich mit Ihnen und Herrn Lindner darauf und mit allem Drum und Dran. Zugegeben: Die Zahl ist sehr groß. Aber sie ist eben endlich, und sie ist auch die Marke für eine Grenze.
Auch. – Solche Grenzen kennt die Neoklassik aber nicht. Denn es heißt: Oh, Vater unser; Wachstum, Wachstum, Wachstum.
Obwohl – das muss man zugestehen –: Die Ökonomik war verführt von den Erfolgen der Naturwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, den Erfolgen von Physik und Chemie. Und sie trat an mit dem Ziel, eine Art Physik der Wirtschaft zu etablieren – ein Triumph der Messbarkeit und Vorhersagbarkeit für die Ökonomie. Was herauskam, war ein verkürztes System von Vorausannahmen, von sogenannten Axiomen, deren Hinterfragung man sich bis heute konsequent verweigert.
Hier sind einmal fünf herausgegriffen: Erstens der Homo oeconomicus, das wirtschaftlich rational handelnde Individuum, mit zweitens voller Information über einen drittens idealen freien Markt, viertens das marktwirtschaftliche Gleichgewicht eines idealen
Marktes und fünftens die Substitution. Geht ein Rohstoff zu Ende, wird substituiert. Es gibt einen neuen Stoff, wo auch immer.
Ich frage mich, wie Sie in Zukunft in 19 Jahren zum Beispiel Silber ersetzen wollen. Dann ist das nämlich vorbei.
Der Homo oeconomicus mutierte zu einem Homo postfacticus, dessen Verhalten in der soziologischen Gruppe selbst den Pavianhügel übertrifft. Die Information unterliegt dem Overload. Man kann ja von einer Rosine schließlich nicht erwarten, dass sie die volle Information über den Kuchen besitzt. Und der freie Markt ist eine Fiktion.
Die Naturwissenschaft sagt heute, dass 99,9 % der Realität – das heißt gerade für die Ökonomie, dass letztlich immer alles an materielle Prozesse gekoppelt ist – einer Nichtlinearität, einer Nichtgleichgewichtsthermodynamik gehorcht.
Wir wissen heute: Die Natur kennt keine Deals. Sie ist weder bösartig noch gnädig, weil das gar nicht ihre Kategorien sind.
Die neoklassische Theorie entpuppt sich damit als eine schlechte Heilslehre, die es zudem noch nicht einmal geschafft hat, die Brücke zur Mikroökonomie, zur Spieltheorie, diesem Schnick-Schnack-Schnuck für Ökonomen, zu schließen.
Das wäre sie also, die Begründung für die postfaktische Empörung der FDP. Und die wissenschaftliche Rationalität der FDP löst sich in ein Logik-Wölkchen auf: Huhu, 42! – Aber ich mag euch von der FDP. Ihr seid manchmal einfach schnucklig.
Ich schließe mit einem fröhlichen „quod erat demonstrandum“ und bin durchaus bereit, der FDP als Partei eine deutlich größere Kompetenz als uns Piraten zuzugestehen, und zwar in Glaubensfragen. Also: Gute Nacht – oder besser: Live long and prosper, wenn ihr gelassen werdet!
Liebe Piratenfraktion, Antrag ablehnen. – Danke.
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Also, das ist
schon irgendwie krass hier. Um es gleich einmal vorweg zu sagen: Wir werden diesem Antrag zustimmen. Wir sind froh, dass die Studiengebühren in den bildungspolitischen Diskussionen deutschlandweit laufend an Relevanz verlieren, auch wenn die neoliberale FDP mit ihrem Entschließungsantrag wieder einmal eine Blendgranate zündet, indem von nachgelagerten, sozial gerechten Studienbeiträgen
schwadroniert wird.
Es darf – Dank an Frau Freimuth – natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass Herr Kretschmann in BadenWürttemberg, der sich in einer schwarz-grünen Koalition befindet, ausländische Studierende zur Kasse bitten möchte. Herr Berger, vielleicht möchten Sie umziehen. Sie sind ja eigentlich auch für Studiengebühren. Es muss Ihnen ja – das kann ich mir vorstellen – wehtun, hier vorne gegen Studiengebühren zu sprechen. – Aber sei es drum. Wir Piraten wollen eine gebührenfreie Bildung von der Kita über die Hochschule bis zur beruflichen Weiterbildung.
Ich werde mich im Folgenden grundsätzlich an der Argumentation des „Krefelder Aufrufs“ – des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren aus dem Jahr 1999 – entlanghangeln; denn dort ist in selten klarer Sprache ausgeführt, was es eigentlich mit Studiengebühren auf sich hat:
„Studiengebühren sind aus gesellschafts-, sozial- und bildungspolitischen Gründen abzulehnen. Sie lösen kein einziges Problem, sondern verschärfen“
im Gegenteil –
„die Krise des Bildungssystems.“
„1. Studiengebühren befördern die Privatisierung sozialer Risiken. Bildung wird nicht mehr als ein öffentliches Gut“
vielmehr als Ware –
„gesehen, dessen Nutzung als allgemeines Recht gilt, sondern“
eher –
„als zu erwerbende und zu bezahlende Dienstleistung, mit der jedeR Einzelne in sein/ihr ‚Humankapital‘ investiert.
In diesem Sinne sind Studiengebühren integraler Bestandteil des neoliberalen Politikmodells, dessen Ziel es ist, außer Bildung auch z. B. Beschäftigung, Gesundheit und Altersvorsorge sowie andere gesellschaftliche Aufgaben auf den/die einzelne/n abzuwälzen.
Deswegen betrifft die Studiengebührendebatte eben nicht nur Studierende. Sie hat vielmehr eine gesellschaftliche Stellvertreterfunktion, um die Akzeptanz einer generellen privaten Kostenbeteiligung für alle weiterführenden Bildungswege … durchzusetzen.
2. Die sozialen Wirkungen und Steuerungseffekte von Studiengebühren sind gesellschaftlich schädlich.
Studiengebühren fördern ein antisoziales und entsolidarisierendes,“
eher auf Konkurrenz ausgerichtetes –
„persönliches Bildungsverhalten und verstärken die gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit des Wissenschaftssystems.“ Sogenannte bildungsferne Schichten werden noch stärker von weiterführender Bildung abgeschreckt.
3. Sozialverträgliche Studiengebühren kann es nicht geben!
Das ist ein Widerspruch in sich. Jede Verkoppelung von Bildungschancen mit der – strukturell ungleichen – privaten Einkommens- und Vermögensverteilung in der Gesellschaft reproduziert die entsprechende Ungleichheit in der Bildung.“
Und Bildung ist ein Grundrecht, das wissen wir alle. –
„4. Die Behauptung, Studiengebühren würden die Entscheidungsposition von Studierenden innerhalb der Institution Hochschule stärken, ist falsch.
Das Gegenteil ist der Fall. Studiengebühren ersetzen Rechts-, Beteiligungs- und Mitwirkungsansprüche durch ein privates Marktverhältnis zwischen Verkäufern und Kunden. Die neue Freiheit der Studierenden wäre daher lediglich negativer Natur. Sie würde sich auf die Möglichkeit beschränken, zwischen Angeboten wählen zu können, auf deren Zustandekommen sie nicht den geringsten Einfluß haben.“
Dem wäre insoweit nichts hinzuzufügen.
Zu den Entschließungsanträgen: Den der FDP könnt ihr sowieso vergessen; das wisst ihr. In dem Antrag der Union wird sehr deutlich, dass sie zum Thema „Studiengebühren“ aktuell „Nachlaufen mit sich selbst“ spielt.
Ich bitte meine Fraktion, beide Anträge abzulehnen. Im Folgenden möchte ich mit euch zusammen wieder zu wichtigen Themen kommen. – Danke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten – das ist ein stetiger, nie endender Prozess – weltweit an der Beantwortung der vier großen Fragen des Aufklärers Immanuel Kant – ich habe mir die Freiheit herausgenommen, dabei das „ich“ durch ein „wir“ zu ersetzen –: Was können wir wissen? Was können wir tun? Was dürfen wir hoffen? Was ist der Mensch?
Das geschieht zur Vermehrung des Wissens und Verstehens der Welt und von uns selbst. Diese oft sehr anstrengende und grenzenverschiebende Arbeit sollte im Dienste von uns allen geschehen, im Dienst der Gesellschaften und im Dienst aller Menschen. Dafür ist die individuelle Freiheit der wissenschaftlich Tätigen unabdingbar – im Denken und Handeln, im Erkennen und Wollen. Dazu gehört auch die Freiheit der Kommunikation. Denn Wissenschaft ist Kommunikation – einerseits innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaften und andererseits zwischen diesen Gemeinschaften und den Gesellschaften auf dieser Welt.
Dieser Freiheit und der Kommunikation sind jüngst Feinde und Bedrohungen erwachsen. In der Türkei sitzen Hochschullehrer im Gefängnis. In den USA soll die Wissenschaft auf einmal zur Regierungsmeinung passend gemacht werden. In Großbritannien ist durch den Brexit die gesamte akademische Landschaft gefährdet. Denn unter den Mitgliedern der EU war die britische Wissenschaft wie keine andere von Fördermitteln aus Brüssel abhängig.
Das ist längst nicht alles. In vielen anderen Ländern der Welt gibt es ebenfalls Bedrohungen und Gängelungen für wissenschaftlich Tätige, für die Wissenschaftsfreiheit insgesamt – und das zu einer Zeit, in der sich Probleme global zu Bergen aufgetürmt haben und in der wir zur Bewältigung vielleicht auf nichts so sehr angewiesen sein werden wie auf unsere wissenschaftliche Rationalität.
So diagnostiziert der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski in einem Werk zur Kritik der globalen Vermögensverteilung am Rande einen Wandel unseres Weltbildes, der – so sagt er – die Ausmaße der Kopernikanischen Wende erreiche. Mit dem Apollo-17Foto des Blauen Planeten aus dem Jahr 1972 sei im kollektiven Bewusstsein ein anderes Bild von Globalität entstanden, sagt er. Und zu dem Blick ins Universum, den das Hubble-Teleskop eröffnet habe, bemerkt der Soziologe, dass er noch kaum verarbeitet sei. Er spricht hier generell eine Überforderung durch die Maschine an – hier in diesem Fall die Maschine Weltraumteleskop –, die die Reichweite unserer optischen Wahrnehmung quasi ins Unendliche ausgedehnt hat. Das führt zunächst zu einer mentalen Schockstarre, zum Schreck einer Einsamkeit kosmischen Ausmaßes, regt aber auf der anderen Seite auch positiv unsere Phantasie an.
Als Ausweg, als Weiterentwicklung, gewissermaßen als Update der Aufklärung gelangt der in England geborene US-Philosoph Stephen Toulmin zu dem Schluss, dass es einer neuen Humanisierung der Moderne bedarf. Die gegenwärtige Aufgabe bestehe darin, Wege zu finden, die von der herkömmlichen Auffassung der Moderne, die die exakten Naturwissenschaften – die scheinbar exakten – und die Geisteswissenschaften voneinander trennt, zu einer gewandelten Auffassung führen, die Philosophie und Wissenschaften befreit, indem sie wieder mit der humanistischen Hälfte der Moderne in Verbindung gesetzt wird.
Die Zukunft, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und Herren, ist unbestimmt, aber sie ist voller Hausforderungen und Chancen. Schützen wir unsere Wissenschaft, entwickeln wir sie weiter – gemeinsam und demokratisch!
Der Landtag kann mit diesem Antrag ein deutliches Signal setzen. Bitte stimmen Sie zu. – Danke.
Vielen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich
muss hier noch einmal das Wort ergreifen, weil es offensichtlich eine völlige Verkennung der Tatsachen gegeben hat.
Ich selber habe um die 90er-Jahre herum in EUgeförderten Forschungsprojekten im IT-Bereich gearbeitet. Dabei schließt man auch Freundschaften. Mir persönlich, Frau Freimuth, reicht es zur Genugtuung, dass meine Freunde Charles Taylor, Alistair Sutherland und Bob Henery vom Turing Institute in Glasgow mir für diesen Antrag persönlich Danke sagen werden.
Wenn man den Brexit als schlechtes Momentum für die Wissenschaft erwähnt, zusammen mit anderen Dingen, die so auf der Welt passieren, dann ist das zunächst einmal eine Aufzählung von unterschiedlichen Dingen und keine Gleichmacherei.
Was für eine Logik ist das denn überhaupt? – Das ist unglaublich! – Danke.
Vielen Dank. Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Industrie 4.0, die Idee der webbasierten vernetzten Fabrik feiert in diesem Jahr den fünften Geburtstag. Wir müssen aber leider auf fünf weitgehend verlorene Jahre zurückblicken, in denen weder die Bedeutung des Themas erkannt wurde noch die Zielgruppe von Industrie 4.0, der produzierende Mittelstand, wirklich adressiert worden ist.
Industrie 4.0, diese nur in Deutschland vorhandene Marketingsprechblase – woanders heißt es Internet of Things –, wird vornehmlich von zwei Gruppen vorangetrieben, nämlich den Fabrikausrüstern und der Forschung. Für die Fabrikausrüster ist Industrie 4.0 ein willkommenes Konjunkturprogramm, und die Forschung freut sich über Zuwendungen aus der öffentlichen Hand. Diese Protagonisten treiben in ihrer Rolle als Experten die Politik vor sich her und beeinflussen maßgeblich die Agenda und die Mittelverwendung. Hier liegt ein basaler Konstruktionsfehler der Förderung vor. Die Experten sind auch gleichzeitig die Nutznießer dieser Gelder. Es besteht zweifelsfrei ein Interessenskonflikt.
Fokussiert wird dabei lediglich die Automation. Das erzeugt wenig wirklich Innovatives. So erscheint Industrie 4.0 als eine Fortführung der Automation, die wir bereits seit 70 Jahren haben. Industrie 4.0 kommt aus der Fabrik nicht heraus. Das Denken endet am
Werkstor. Dabei wird fast ausschließlich mit Effizienzgewinnen argumentiert. Fragen von Nachhaltigkeit und guter Arbeit werden allenfalls am Rand diskutiert, wobei ich mich über die Rede von Frau Dr. Beisheim gerade wirklich gefreut habe.
Industrie 4.0 spricht nur von Chancen und von Vorteilen. Gegenüber dem Mittelstand wird mit Angst vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit argumentiert und das Gefühl der Alternativlosigkeit vermittelt. Vertrauensbildung geht anders. Deshalb fühlt sich der Mittelstand von Industrie 4.0 nicht so recht angesprochen. Er ist skeptisch und abwartend.
Es ist die Rede davon, dass die Arbeit in den Fabriken hochwertiger wird und der Mitarbeiter zum Dirigenten der Wertschöpfung wird. Das ist nicht richtig. Vielmehr verschiebt sich die Macht in den Fabriken grundlegend und zum Nachteil des Mitarbeiters. Der Mitarbeiter wird seine Anweisungen künftig von Maschinen, Algorithmen oder direkt vom Material erhalten und nur noch einfache Hilfstätigkeiten ausführen. Ein eigenartiges Verständnis von Dirigententum!
Anders als heute sind die Mitarbeiter auch nicht mehr länger eingeladen, dieses System mitzugestalten. Dies wird wieder nur die alleinige Aufgabe der Ingenieure sein und ist damit ein ganz klarer Schritt in die längst überwunden geglaubte Zeit der Massenfertigung. Von guter Arbeit also keine Spur! Die Macht hat derjenige, der sich zwischen Produzent und Kunde schiebt. Dies gelingt den Internetmultis in den Sektoren wie Freizeitverhalten, Handel und Mobilität bereits jetzt hervorragend. Warum sollten sie nicht auch versuchen, die Kontrolle über die industrielle Wertschöpfung zu erlangen? Konzepte, wie dem zu begegnen ist, sucht man bei Industrie 4.0 allerdings vergebens. Stattdessen feiern sich die Protagonisten für Detaillösungen der Fabrikautomation.
Deutschlands Antwort auf diese Herausforderungen besteht im Ertüfteln von technischen Schnittstellen, während man in den USA Geschäftsmodelle entwirft. Deutschland will wissen, wie Industrie 4.0 technisch geht. Die USA will wissen, wie man damit Geld verdient.
Das Internet der Dinge ist eine Technologie, die weit über die Fabrikgrenzen hinaus unsere Welt verändern wird. Industrie 4.0 beschäftigt sich hierzulande aber nur mit der Perfektionierung des Bestehenden. Sie kommt nicht über die fabrikfixierte Nabelschau im Rahmen herkömmlicher Geschäftsmodelle mit dem ausschließlichen Ziel der Effizienzverbesserung hinaus. Es sollte Aufgabe der Industriepolitik sein, dies zu ändern. Es kann nicht darum gehen, die klassische Industrie mittels Automation zu ertüchtigen, sondern es muss darum gehen, Modelle für die Industrie der Zukunft zu entwickeln.
Wir haben mit dem Internet der Dinge eine mächtige Technologie in den Händen. Sie gibt uns die histo
risch einmalige Chance, zu bestimmen, wie wir zukünftig leben, wirtschaften und arbeiten wollen. Deshalb muss das Thema endlich von den Menschen und der Gesellschaft her gedacht werden. Eine gute Industriepolitik muss genau hier ansetzen.
Der Antrag von Rot-Grün enthält ein paar gute Ansätze. Wir werden uns daher bei der Abstimmung enthalten.
Der Antrag des Kollegen Schwerd enthält viele richtige Beobachtungen im Analyseteil, spricht jedoch vom Erhalt der sozialen Errungenschaften, statt von ihrer Erweiterung, was ein Piratenziel ist. Als Adresse an die Linken: Wir werden den Antrag ablehnen. Ihr springt da immer zu kurz.
Der CDU-Antrag möchte durch die Hintertür wieder einmal in Berufskollegs bestimmte Software und Hardware von Herstellern einführen. Das hatten wir hier schon einmal. Das wollen wir nicht. Auch an die Adresse der CDU: Seid ihr wirklich so schlecht aufgestellt, dass ihr den Kollegen Stein ins Rennen schicken müsst? Der ist nicht einmal im Wirtschaftsausschuss.
Ich kann nur sagen: Digitale schwarze Null! – Danke.
Vielen Dank, Herr Präsident! Lieber Herr Keymis, ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass Sie sich, wenn Sie den Begriff „Mainstream“ so verwenden, wie Sie es gerade getan haben, damit vielleicht unbewusst der AfD-Logik unterwerfen.
Denn „Mainstream“ meint im Prinzip „Quotenrenner“ und „auflagenstärkste Zeitungen“. Dazu gehört die „FAZ“ genauso wie die „TAZ“, die „ZEIT“ und andere. Und in der Scientific-Community gibt es MainstreamÜberzeugungen, wie beispielsweise in der Physik,
wo man an den Urknall glaubt. Ein Fünftel der Physiker sieht das aber anders. Die sind nicht „Mainstream“, und trotzdem verträgt man sich. Die sind „Underground“. Das sind die beiden Pole. „Mainstream“ per se ist kein despektierlicher Begriff.