Protocol of the Session on March 15, 2017

Guten Morgen! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zur heutigen Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen; es handelt sich um unsere 138. Sitzung in dieser Wahlperiode. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich bislang zehn Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Wir dürfen gleich einer Kollegin und einem Kollegen zum Geburtstag gratulieren, die beide im Plenarsaal sind.

Frau Kollegin Annette Watermann-Krass von der Fraktion der SPD feiert heute ihren Geburtstag. Ganz herzlichen Glückwunsch, Frau Kollegin,

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

zumal es sich um einen besonderen Geburtstag handelt!

Auch Herr Kollege Bernhard Tenhumberg von der Fraktion der CDU feiert heute seinen Geburtstag. Auch Ihnen, Herr Kollege, alles Gute!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Die Glückwünsche der Kolleginnen und Kollegen an Sie beide sind natürlich verbunden mit dem Wunsch an uns alle, dass wir irgendwann heute Abend vielleicht mit Ihnen auf Ihre Geburtstage anstoßen können. Aber die Tagesordnung verspricht, dass das zu einem relativ späten Zeitpunkt passieren wird.

Vor Eintritt in die Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich Sie alle darauf aufmerksam machen, dass die fünf im Landtag vertretenen Fraktionen sich zwischenzeitlich darauf verständigt haben, den für Freitag den 17. März vorgesehenen Tagesordnungspunkt 1 „Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen“, Drucksache 16/13314 – Neudruck –, zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten, mit dem heutigen Tagesordnungspunkt 2 „NRW steht für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie“, Drucksache 16/14395, ein Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, zu tauschen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so, und die Tagesordnungen für den heutigen Tag und im Vorgriff damit auch für den kommenden Freitag sind geändert.

Ich mache noch einmal darauf aufmerksam – das wissen die Fraktionen aber auch –, dass zu einzelnen Tagesordnungspunkten schon namentliche Abstimmungen beantragt worden sind.

Mit diesen Vorbemerkungen treten wir in die Bearbeitung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Drei Mal so viele entflohene Häftlinge im offe

nen Vollzug wie in allen anderen Bundesländern zusammen – Was unternimmt die Landesregierung zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger?

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/14477

Die Fraktion der CDU hat mit Schreiben vom 13. März dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt. – Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner für die antragstellende Fraktion der CDU hat Herr Kamieth das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! 270 Häftlinge flohen nach einem Bericht der „Rheinischen Post“ vom 10. März 2016 in NordrheinWestfalen aus dem offenen Strafvollzug. In den übrigen Bundesländern lag diese Zahl 2016 insgesamt bei nur 93. Nordrhein-Westfalen zählt also dreimal so viele Entweichungen wie alle anderen Bundesländer zusammen – eine traurige Spitzenposition.

(Beifall von der CDU)

Diese alarmierende Situation

(Michael Hübner [SPD]: Oh, oh!)

ordnet sich in eine ganze Reihe von Vorkommnissen, Alarmmeldungen und Skandalen im Justizvollzug von NRW ein. Juni 2016: Tod eines Häftlings nach einer Auseinandersetzung in der JVA Duisburg. Mai 2016: gewaltsamer Tod eines Jugendlichen in der JVA Wuppertal-Ronsdorf. April 2016: Verlust von 1.000 Schuss Munition in der JVA Wuppertal-Ronsdorf. April 2015: Flucht eines verurteilten Mörders aus der JVA Rheinbach. Mai 2014: spektakuläre Flucht aus der JVA Herford. März 2012: Ausbruchserie in der JVA Bochum.

Dazu kommen die strukturellen Probleme des Vollzuges: Die Warnung im Dezember 2016: Gewalt gegen JVA-Bedienstete nimmt zu; das ungelöste Problem mit Inhaftierten aus dem Maghreb; 180 offene Stellen im NRW-Strafvollzug – Planstellen müssen besetzt werden; das Schaffen neuer Stellen allein

bringt nichts –; fehlende Haftraumkapazitäten in den Justizvollzugsanstalten: Auslastungsquoten von

mehr als 105 % der Bruttobelegung, zum Beispiel in Gelsenkirchen, Dortmund, Hamm und Kleve; Hin und Her bei der JVA-Planung: drei geschlossene Anstalten, die teilweise seit der Räumung der JVA Münster wieder genutzt werden. Trotz Einschalten des Ministers konnte nach jahrelanger Suche noch kein Standort für die JVA in Münster gefunden werden.

Es gibt ein Justizmodernisierungsprogramm in Höhe von 750 Millionen €, doch in Luftschlössern kann man keine Gefangenen unterbringen. Mängel im Strafvollzugsgesetz: Der Vorrang des geschlossenen Vollzuges hätte, genauso wie ein konsequenter Prüfungsmaßstab für Vollzugslockerungen, normiert werden müssen, um die oben erläuterten Fälle zu verhindern. Suizide im Strafvollzug: Es gab 18 Suizide im Jahr 2016 im NRW-Strafvollzug; die Schutzpflicht des Staates wurde vernachlässigt.

Und nun: 126 Personen aus dem offenen und geschlossenen Vollzug sind flüchtig.

Hier werden eklatante Mängel und fehlende Konsequenz des Justizministers offenkundig. Sein Glück ist eigentlich nur, dass diese Verfehlungen unter dem Radar der Öffentlichkeit laufen, damit nicht neben seinem Ministerkollegen Jäger ein noch größerer Pannenminister auf der Regierungsbank sitzt. Die Versäumnisse in der Innenpolitik dürfen aber die Versäumnisse des Justizministers nicht verdecken.

(Beifall von der CDU)

Die Schwächen des Justizvollzuges, welche die Bediensteten ausbaden müssen, sind hausgemacht. Wir als CDU fragen uns, wie es zu dieser besorgniserregenden Entwicklung kommen konnte. Wie will der Justizminister bis Mai in Nordrhein-Westfalen den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor entflohenen Straftätern wieder sicherstellen?

Gegenüber der „Rheinischen Post“ teilte das Justizministerium nicht nur mit, dass es 270 Entweichungen von Inhaftierten des offenen Vollzuges im Jahr 2016 gab, sondern auch, dass sich derzeit 126 Insassen aus nordrhein-westfälischen Gefängnissen auf der Flucht befinden. Bei den Flüchtigen soll es sich um Häftlinge aus dem offenen Vollzug handeln, die abends nicht mehr in das Gefängnis zurückkehrten.

Es wird nicht bei jedem der 126 Fälle eine Gefahr für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger bestehen. In vielen Fällen wird es sich nur um Kleinkriminelle handeln. Ich möchte dennoch an die Flucht eines Häftlings aus dem offenen Vollzug aus der JVA Euskirchen im Jahr 2016 erinnern. Da floh ein zu lebenslanger Haftstrafe verurteilter Mörder aus dem offenen Vollzug. Wer will da bestreiten, dass es eine Gefährdungslage gab?

Schutz und Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger erreichen wir, indem wir Taten von vornherein verhindern. Das wird einerseits durch eine reaktionsfähige und gut ausgestattete Polizei sichergestellt, andererseits durch einen behandlungsorientierten und sicheren Strafvollzug. Doch dazu müsste der Strafvollzug organisatorisch, baulich und personell in der Lage sein. Aber die Realität sieht anders aus. Die Probleme im Vollzug häufen sich.

Die aktuellen Zahlen geben Anlass zur Sorge und zeigen: Der Justizminister hat den Strafvollzug nicht im Griff. Darüber können auch seine verbindlichen und netten Worte nicht hinwegtäuschen.

(Beifall von der CDU)

Zu viele Häftlinge, denen Lockerungen gewährt werden, begehen Straftaten und kehren nie wieder zurück. Es ist dringend eine konsequente Ahndung von Lockerungsverstößen notwendig.

Klarstellen möchte ich, dass es hier nicht um eine grundsätzliche Kritik an der Form des offenen Vollzugs geht. Resozialisierung dient der Vermeidung hoher Rückfallquoten. Qualifizierte Täterarbeit ist der beste Opferschutz.

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Aha!)

Auch das Bundesverfassungsgericht betont, dass mit jeder Vollzugslockerung naturgemäß ein Risiko der Entweichung aus der Haft oder eines Missbrauchs verbunden ist. Entscheidend ist vielmehr, ob dieses Risiko unvertretbar erscheint; denn der gesetzliche Auftrag besteht eben nicht nur in der individuellen Resozialisierung, sondern auch in dem sicherzustellenden Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.

Der Vergleich mit anderen Bundesländern macht deutlich, dass es der politische Wille dieses Justizministers ist, dass in Nordrhein-Westfalen der Vollzug deutlich schneller gelockert wird. Sind denn in NRW mehr Gefangene für den offenen Vollzug geeignet? Klar ist jedenfalls: Es darf nicht dazu kommen, dass Gefangene in den offenen Vollzug gelangen, um Versäumnisse im geschlossenen Vollzug auszubügeln.

Unzureichende Haftraumkapazitäten in NordrheinWestfalens Strafvollzug dürfen niemals dazu führen, dass ungeeignete Personen in den offenen Vollzug kommen.

(Beifall von der CDU)

Wenn Personen ihre Strafe im offenen Vollzug absitzen, dann erwarten wir, dass dagegen vorgegangen wird, wenn sie die Regeln des Vollzugs nicht einhalten. Eine Strafe muss auch vollzogen werden. Warum klappt das in NRW nicht?

Der Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen muss nachhaltig gestärkt werden. Nur dann können Instrumente wie der offene Vollzug verantwortungsvoll eingesetzt

werden. Hoffen wir, dass die Versäumnisse der rotgrünen Landesregierung bis Mai nicht noch schlimme Folgen haben werden. – Danke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kamieth. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Ganzke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich heute zum Plenartag aufgebrochen bin, habe ich kurz am Frühstückstisch mit meinem elfjährigen Sohn gesprochen. Er hat nämlich einen Test geschrieben. Ich habe ihn gefragt: Lieber Raphael, hast du denn die Sachen auch gelernt, die deine Lehrerin gesagt hat? – Da hat er mir gesagt: Ja, das habe ich gemacht. – Ich habe ihm gesagt: Das ist auch gut so, dass man die Sachen lernt, die vorgegeben wurden.

Ich habe mich ein bisschen daran erinnert gefühlt, denn ich habe mich auch ein bisschen auf diese Rede vorbereitet, Herr Kollege Kamieth. Sie haben diese Aktuelle Stunde angemeldet. In der Anmeldung steht: Wir wollen etwas zu dem offenen Vollzug sagen. – Ich habe gerade den Kollegen Wolf gefragt, ob wir hier in einer Generaldebatte sind, um zu diskutieren, wie die Justiz in Nordrhein-Westfalen insgesamt ist.

Ich glaube, Herr Kollege Kamieth, Ihr Beitrag wird leider Gottes dieser Aktuellen Stunde nicht gerecht. Denn wir sprechen in dieser Aktuellen Stunde – das haben Sie angemeldet – über die Fragen des offenen Vollzugs in Nordrhein-Westfalen. Ich gebe zu, zum Schluss Ihrer Rede haben Sie auch ein paar Sätze zum offenen Vollzug in Nordrhein-Westfalen gesagt und das wichtige Resozialisierungsinteresse sowie das Resozialisierungsgebot des Bundesverfassungsgerichts angesprochen. Da dürften wir auf einer Ebene sein.

Wir sind uns auch einig, dass eine Strafe, die von Gerichten ausgesprochen wird, irgendwann beendet ist. Dann ist es für einen guten Vollzug wichtig zu sehen: Wie kann man den Menschen, der diese Strafe bekommen hat, resozialisieren?