Protocol of the Session on November 9, 2012

: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 13. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen.

Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne, insbesondere der Schulklasse, die heute an unserer Landtagssitzung teilnimmt, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir vor Eintritt in die Tagesordnung einige Worte zur Bedeutung des 9. November in Deutschland.

Der 9. November gehört in Deutschland zu den Tagen, wo Freude und Leid, Jubel und Scham unmittelbar zusammentreffen. Immer wieder ist der 9. November als „Schicksalstag“ der Deutschen bezeichnet worden, zumal auf dieses Datum eine Reihe von Ereignissen fallen, die in der Geschichte Deutschlands Wendepunkte markieren. Auf zwei Ereignisse will ich hinweisen.

Wir haben heute früh mit der Eröffnung der Zeitzeugenausstellung „Heimatsucher“ an die Pogrome des 9. November 1938 erinnert. Zur Stunde findet im Rathaus der Landeshauptstadt Düsseldorf eine Gedenkfeier statt, an der auch die Landtagspräsidentin teilnimmt.

Als „Tag der Schande“ und als „unerklärliche Verirrung eines Kulturvolkes in Mord und Lynchjustiz“ hat der Bochumer Historiker Hans Mommsen den von den Nazis initiierten Massenpogrom treffend bezeichnet.

Eine Schande, die mit dem Boykott jüdischer Geschäfte 1933 ihren Anfang nahm. Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der Juden zur systematischen Verfolgung, die bald darauf in den Holocaust mündete.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die deutsche Bevölkerung auf die Probe gestellt. Die übergroße Mehrheit versagte kläglich.

„Sie alle hätten an diesem 9. November 1938 die Chance gehabt, dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten und eine Rückkehr zu einem zivilisierten Miteinander von Juden und Nichtjuden in Deutschland zu ermöglichen. Wie wir wissen, geschah genau das Gegenteil.“

So hat der unvergessene Paul Spiegel diesen Tag beschrieben.

Und dann, ein halbes Jahrhundert danach, der 9. November 1989! Wie unermesslich groß waren

Glück und Freude, als die Menschen aus Ost und West am 9. November 1989 auf der Mauer tanzten, als sie gemeinsam die Grenze überschritten und sich nach vielen Jahren der Trennung in die Arme fielen. Die Bilder vom Fall der Mauer, vom ersten Öffnen der Grenztore durch die verunsicherte Volkspolizei bis zur Wiedervereinigung zählen wohl zu den emotionalsten Bildern der jüngeren deutschen Geschichte.

In jedem Fall ist der 9. November in unserer deutschen Geschichte Jahr für Jahr ein Tag der Erinnerung. Er ist als Gedenktag zugleich Mahnung für den kompromisslosen Eintritt für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und für ein mutiges Nein gegen jede Form von Antisemitismus, Willkür und Diskriminierung. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Wir treten nun in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Schwarz-gelber Kuhhandel: Betreuungsgeld

wider besseres Wissen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1309

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 5. November 2012 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktionen Herrn Kollegen Jörg von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schönen guten Morgen zusammen! Nach der Ansprache ist es schwierig, das Thema zu wechseln, wir müssen es gleichwohl tun.

Niemand will es: kein Elternverband, kein Wohlfahrtsverband, kein Pädagoge, kein Wissenschaftler, die Mehrheit der Deutschen nicht, die SPD nicht, die Grünen nicht und auch die Piraten nicht. Nur einer will es: ein politischer Hallodri aus Bayern. Der will es, und deshalb wird es gemacht: Das Betreuungsgeld wird eingeführt.

Das ist deshalb unfassbar, weil damit wieder ein Familienbild ins Zentrum der Diskussion gerückt wird, das wir schon längst überwunden sahen:

Kinder, Kirche, Küche. – Das ist das Familienbild der CSU in Bayern.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])

Ich komme gleich zur CDU in NordrheinWestfalen. Darunter scheinen ein paar ganz vernünftige Menschen zu sein. Deshalb: Regen Sie sich nicht auf!

Es wird also versucht, dieses Familienbild aufrechtzuerhalten nach dem Motto: Koste es, was es wolle.

Der nächste Schritt wäre, jedem Kirchgänger pro Kirchgang 10 € zu geben. Das ist ungefähr vergleichbar mit dem, was da heute in Berlin passiert. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zuruf von der CDU: Das ist unter der Grenze!)

Nein, das ist nicht unter Grenze. Unter der Grenze ist das, was Sie in Berlin machen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich kann Ihnen auch sagen, warum: Das Betreuungsgeld ist verfassungsrechtlich problematisch. Zum einen verletzt es das Nichteinmischungsgebot bei der Familienförderung. Zum anderen läuft es dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz entgegen.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Das ist in diesem Fall aber anders, Herr Laschet. Sie als ehemaliger Familienminister müssten das eigentlich wissen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP – die FDP hat ja ein gespaltenes Verhältnis zum Betreuungsgeld – sagt: Die Frage wird sein, ob die Grundsätze der Gleichbehandlung verletzt werden. Man muss sehen, ob das Betreuungsgeld dem Verfassungsgericht überhaupt standhält. Wahrscheinlich eher nicht.

Das Betreuungsgeld ist Geldverschwendung. Es läuft diametral zu dem, was die FDP will. Es ist auf Pump gemacht. Das Geld bräuchten wir in Deutschland an anderer Stelle dringend. Christian Lindner zum Beispiel sagt: Die CSU zwingt die Koalition nun dazu, mit Geld, das wir nicht haben, eine Sozialleistung einzuführen, die niemand will. – Sehr wohl, Christian! Recht hast du!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich finde, das ist einen Applaus wert. Von mir auch, Christian.

(Der Redner spendet ebenfalls Beifall.)

Das hast du gut gesagt!

Das Betreuungsgeld verhindert frühkindliche Bildung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Geld,

das da jetzt verschwendet wird, bräuchten wir dringend in der frühkindlichen Bildung. Sozial Schwachen wird hier ein unsolides Angebot gemacht, ihre Kinder aus der Einrichtung fernzuhalten. Das muss man sich überlegen.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

International ist das Betreuungsgeld von ein paar Staaten schon eingesetzt worden. Sie schaffen es jetzt wieder ab, weil nur zwei partizipieren: die ganz Reichen, die ihre Kinder ohnehin nicht in die Einrichtung bringen wollen, und die sozial Armen, die das Geld dringend brauchen.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Zwei Drittel in Nordrhein-Westfalen haben keinen Betreu- ungsplatz!)

Nur diese beiden Gruppen partizipieren davon, aber nicht die Kinder und Familien, die dringend einen Betreuungsplatz haben wollen. Das ist ein unmöglich.

Natürlich wirkt das Betreuungsgeld auch der Gleichstellung von Männern und Frauen entgegen: weil die Frauen eine Belohnung dafür bekommen, bei ihren Kindern zu bleiben. Was für eine Politik ist das? Eine Politik aus dem Mittelalter! Das hält keiner modernen Familienpolitik mehr stand.

(Beifall von der SPD)

Herr Laschet, Sie wissen es genauso wie ich: Das Betreuungsgeld hält Frauen vom Arbeitsmarkt fern und erhöht damit ihr Risiko, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein. Sie nehmen die 150 € und haben dadurch ein erhöhtes Risiko.