Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen Sitzung des Landtags von NordrheinWestfalen. Wir werden heute gemeinsam die 86. Sitzung des Landtags bestreiten. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 18. Mai 2015 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin vonseiten der antragstellenden Fraktion der FDP hat jetzt Frau Kollegin Gebauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Der eine bedarf der Hilfe des anderen.“ Das ist ein Zitat von Gaius Sallust, einem römischen Politiker und Geschichtsschreiber.
Vielleicht waren das tatsächlich schon die ersten Gedanken zur Gestaltung des Inklusionsprozesses nicht nur in Nordrhein-Westfalen, aber auch hier, 2.000 Jahre später. „Bedarf“ und „Hilfe“ sind zwei Begriffe, die untrennbar mit diesem Inklusionsprozess verbunden sind. Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse. Genau um diese individuellen Bedürfnisse geht es in der heutigen Debatte. Es geht um die Bedürfnisse der Kinder – aller Kinder, egal ob mit oder ohne Handicap. Aber es geht auch um die Bedürfnisse der Lehrerinnen und Lehrer.
Was der VBE am vergangenen Montag in Bezug auf die Bedürfnisse an Zahlen, Daten und Fakten im Rahmen des Inklusionsprozesses und zu den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort der Öffentlichkeit im Rahmen einer Pressekonferenz dargelegt hat, das ist mehr als erschreckend. Es ist zudem auch
noch traurig, dass das, was wir als FDP-Fraktion immer befürchtet haben, nunmehr eingetreten ist. Mehr noch: Es ist eine Bestätigung dessen, was uns – meiner Fraktion und mir – landauf, landab aus den Schulen von den Lehrerinnen und Lehrern, aber auch von den betroffenen Eltern berichtet wird.
In Hunderten von Schreiben beklagen Lehrkräfte, Schulleitungen, Eltern, Fachverbände oder Kommunen die völlig unzulänglichen Inklusionsbedingungen. Ich habe vor einigen Wochen an einer Veranstaltung in Köln teilgenommen. Dort hat sogar der Verein mittendrin e. V., ein Verein, der sich seit Jahren für die ausschließliche Beschulung der Kinder mit Handicaps an Regelschulen einsetzt, davon gesprochen, dass die Rückmeldungen aus den Schulen in Köln, aber auch im Land schlichtweg verheerend seien.
Frau Ministerin Löhrmann trägt permanent die steigende Inklusionsquote wie eine Monstranz vor sich her. Im Gegensatz dazu bezeichnet die Schulgemeinde mittlerweile verbandsübergreifend die rotgrüne Inklusion in NRW nur noch als eine politische und menschliche Zumutung.
Meine Damen und Herren, es war schon sehr bezeichnend, wie Frau Löhrmann auf die Zahlen des VBE reagiert hat. Angeblich nimmt man ja die Kritik in der Landesregierung und im Ministerium ernst. Aber bisher hat Frau Löhrmann sich gegenüber den Hinweisen, den Sorgen, den Nöten und den Ängsten von der Opposition, von der Wissenschaft, von den Kirchen, von den Fachverbänden schlicht und ergreifend taub gestellt.
Somit ist es kein Zufall, wenn in der Umfrage des VBE viele Bewertungen der Lehrkräfte in NordrheinWestfalen noch kritischer als im Bundesschnitt sind.
Meine Damen und Herren, ich habe es wiederholt gesagt, und ich tue es an dieser Stelle noch einmal: Inklusion kann nur gelingen, wenn man alle Menschen mitnimmt.
Aber darum hat man sich seitens der Landesregierung weder in der Vergangenheit noch heute bemüht. Die anfangs überall spürbare Unterstützung schlägt leider immer mehr von Ernüchterung in Empörung um. Es müssen alle Alarmsirenen schrillen, wenn Herr Beckmann vom VBE erklärt, dass durch die rot-grüne Politik die Unterstützung in NordrheinWestfalen ab- statt zunimmt.
Rot-Grün hat als Erstes für einzelne Förderschwerpunkte die Schüler-Lehrer-Relation deutlich verschlechtert. An den Ersatzschulen ziehen Sie ebenfalls massiv die Fachkräfte ab. Das gilt auch für die von Ihnen immer wieder gelobten Leuchtturmschulen, die Gesamtschulen.
Ich fordere Sie auf: Sprechen Sie mal mit den Schulleitungen der Gesamtschulen! Denn dort wird Ihnen klar und deutlich erklärt, dass die Qualität der bisherigen Förderung mit diesen rot-grünen Vorgaben in keiner Weise mehr zu halten ist.
Es muss allen Beteiligten klar sein, dass Inklusion an Schulen ohne sonderpädagogisches Fachpersonal nicht möglich ist. Zwei Stunden Sonderpädagogen-Hopping sind keine individuelle Förderung, meine Damen und Herren. Sie haben, obwohl Sie wussten, dass kein ausreichendes Fachpersonal vorhanden ist, völlig überstürzt einen grundsätzlichen Rechtsanspruch zum Besuch der allgemeinen Schulen eingeführt.
Rund 2.000 Schulen sind jetzt Schulstandorte des gemeinsamen Lernens, obwohl die personellen und sächlichen Voraussetzungen nicht vorhanden sind. Viel zu spät ist eine – wohlgemerkt: vorläufige – Übereinkunft mit den kommunalen Spitzenverbänden getroffen worden.
Wäre all das nicht schon schlimm genug, werfen Sie jetzt auch noch gezielt Nebelkerzen. Diese Woche war wieder einmal zu lesen, Rot-Grün schaffe für die Inklusion 3.200 zusätzliche Lehrerstellen.
Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen – wie sicherlich alle andern auch –, wenn dem so wäre. Aber Sie schaffen keine zusätzlichen Stellen, Sie schichten lediglich um. Das muss man der Presse und der Öffentlichkeit an dieser Stelle ganz deutlich zu verstehen geben.
Frau Ministerin Löhrmann, meine Fraktion und ich fordern Sie auf – auch die Landesregierung fordern wir zum wiederholen Male auf –: Nehmen Sie endlich die seit Beginn unveränderte Kritik ernst!
Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht! Schaffen Sie endlich die notwendigen Voraussetzungen zum Gelingen des Inklusionsprozesses, nämlich klare Standards zur sächlichen Ausstattung, zu multiprofessionellem Personal, und sorgen Sie für klare Vorgaben, was den Umfang der Fortbildungen an den Schulen anbelangt – und das, bevor diese
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im März dieses Jahres legte das Deutsche Institut für Menschenrechte seinen Bericht über die Umsetzung der UN-Konvention zur Inklusion im Bundesgebiet vor. Die Berichterstattung hat in der Presse längst nicht die Aufmerksamkeit gefunden wie die ForsaUmfrage des VBE, deren Repräsentativität man durchaus infrage ziehen kann.
Vielleicht liegt es daran – aber natürlich hat die Opposition dazu keine Aktuelle Stunde beantragt; das muss ich wohl nicht ausdrücklich erwähnen –, dass NRW aus Sicht des Instituts auf einem guten Weg ist und die Umsetzung der Inklusion dort durchaus gelobt wird. Anders als der VBE dies sieht, ist es nicht etwa so, dass sich die Inklusion in NordrheinWestfalen im Widerspruch zur UN-Konvention befindet. Meine Damen und Herren, das stimmt einfach nicht. Lesen Sie den Bericht über die Umsetzung der UN-Konvention!
Richtig ist, dass der VBE versucht, seine Forderungen nach mehr Lehrerstellen, was für einen Lehrerverband legitim ist, über eine Forsa-Umfrage zu untermauern. Es ist nicht das erste Mal, dass der VBE eine Forsa-Umfrage bemüht, um seine Forderungen umzusetzen, und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Aber es ist natürlich ein durchsichtiges Manöver.
Die Forsa-Umfrage ist aber auch eine bundesweite Umfrage und ergibt keine spezifischen Ergebnisse für Nordrhein-Westfalen. Auch dieses muss an dieser Stelle gesagt sein. Die Ergebnisse zeigen, dass die Umsetzung der Inklusion im gesamten Bundesgebiet ähnlich kritisch von der Bevölkerung gesehen wird. Das hat etwas damit zu tun, dass wir in einem Transformationsprozess des Schulsystems sind und es immer Skeptiker gibt, wenn sich Veränderungen ergeben. Die Skeptiker muss man natürlich erst einmal überzeugen. Was die Forsa-Umfrage aber ganz bestimmt nicht tut, ist, eine versagende Inklusionspolitik für Nordrhein-Westfalen zu formulieren.
Ich habe das Gefühl, er ist schnell runtergeschrieben worden. Er drückt ein bisschen auf die Tränendrüsen. Das entspricht natürlich der Oppositionsdramatik. Aber von den 1.003 telefonisch befragten Lehrern kommen ganze 225 aus NordrheinWestfalen. Denen stehen 176.857 Lehrerinnen und Lehrer aus Nordrhein-Westfalen gegenüber. Ganze 90 der befragten Lehrerinnen und Lehrern haben eigene Erfahrungen mit der Inklusion. Insofern kann man diese Forsa-Umfrage für die Beurteilung der Umsetzung der Inklusion getrost zur Seite legen.
Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen setzt die Inklusion behutsam um. Auch die Aussagen der FDP über eine Schließungswelle der Förderschulen entbehren jeder Grundlage. Ebenso wie für alle anderen Schulen gelten auch für Förderschulen Mindestgrößen. Der Landesrechnungshof hat das noch einmal erheblich angemahnt, weil es in Nordrhein-Westfalen nämlich nicht umgesetzt war. Die Schulträger können in eigener Verantwortung Teilstandortlösungen wählen, um möglichst lange auch Förderschulangebote vor Ort vorzuhalten.
Man kann aber – auch das kann man in der UNBehindertenrechtskonvention nachlesen – nur dann von einem inklusiven System sprechen, wenn die sonderpädagogische Förderung in die allgemeine Schule strukturell einbezogen wird und man gleichzeitig die trennenden Strukturen überwindet. Genau das ist der Prozess, vor dem wir auch in NordrheinWestfalen stehen. Das bedeutet aber auch, dass die sonderpädagogische Förderung systematisch in die allgemeine Schule verlagert wird und gesonderte Strukturen der Förderung schrittweise auslaufen werden.