Protocol of the Session on May 15, 2014

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 59. Sitzung des Landtags von NordrheinWestfalen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit großer Bestürzung, Sorge und Trauer haben wir alle am Dienstag von dem Grubenunglück in der Türkei gehört, dem weltweit schwersten Unglück dieser Art seit 1975. Mittlerweile wissen wir, dass über 270 Bergleute ihr Leben verloren haben. Über 100 Bergleute werden noch vermisst; die Hoffnung, sie lebend bergen zu können, schwindet stündlich.

Unsere große persönliche und parlamentarische Anteilnahme und unser tiefes Mitgefühl gelten den Familien und Freunden der verstorbenen Bergleute.

Gerade Nordrhein-Westfalen als Bergbauland weiß, was Bergwerksunglücke bedeuten und welches große Leid damit verbunden ist. Gerade NordrheinWestfalen als Land mit den meisten türkeistämmigen Mitbürgern fühlt sich den Familien und der Region um Soma in tiefer Trauer und Anteilnahme verbunden. Das habe ich bereits gestern in Ihrem Namen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem türkischen Botschafter in Berlin und den Generalkonsulen mitgeteilt.

Lassen Sie uns mit den Familien in der Türkei und in Nordrhein-Westfalen trauern, gedenken und dort, wo wir noch hoffen können, auch hoffen. Ganz bewusst, weil die eigentliche Bedeutung des Grußes in Tagen wie diesen überaus deutlich wird, sagen wir ein „Glückauf“ nach Soma.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank für die große Stille, die deutlich gemacht hat, dass wir alle gemeinsam betroffen sind und alle gemeinsam voller Sorge und voller Hoffnung in die Türkei blicken.

An Tagen, an denen das Plenum tagt, gibt es auch immer andere Grüße auszurichten. Grüße gehen heute an die Geburtstagskinder des Tages. Frau Regina van Dinther aus der Fraktion der CDU feiert ihren Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall)

Ebenso feiert Herr Kollege Manfred Krick aus der Fraktion der SPD seinen Geburtstag. Auch Ihnen herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen beiden alles Gute für das neue Lebensjahr, viel Glück, Gesundheit, Kraft, persönlichen und politischen Erfolg. Für uns alle zusammen hoffe ich, dass die Geburtstagskinder heute nicht bis Mitternacht hier ausharren müssen, sondern et

was früher zu ihren Familien und ihren Feiern können.

Für die heutige Sitzung haben sich sieben Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Ich begrüße auch ganz herzlich die Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Medien.

Damit können wir in die Abarbeitung unserer heutigen Tagesordnung einsteigen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

1 Folgen des Atomausstiegs für NRW – NRW

braucht Transparenz bei den Zukunftslasten in Milliardenhöhe

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/5843

Die Fraktion der Piraten hat mit Schreiben vom 12. Mai dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der Piraten Herrn Kollegen Schulz das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ihnen gebührt zu Beginn der Aktuellen Stunde mein persönlicher Dank für Ihre Worte Richtung Soma. Auch ich und meine Fraktion teilen das Mitgefühl gegenüber den Angehörigen und den sonstigen Betroffenen.

Nun zur Aktuellen Stunde:

Die Milliardenlasten der Atompolitik, Milliardenlasten, die die Energiekonzerne durch die Errichtung von Atomanlagen für die Folgezeit – für Jahrzehnte, möglicherweise für Jahrhunderte – geschaffen haben, sind durchaus ein gesellschaftliches Problem. Um es gleich vorwegzunehmen: Es geht uns als Antragsteller der Aktuellen Stunde nicht darum, die Landesregierung bei diesem Thema infrage zu stellen. Es geht uns auch nicht darum, zu monieren, die Landesregierung habe nicht im Blick, dass bei den Energieversorgern Rücklagen gebildet worden sind, um die Folgekosten der Atompolitik vergangener Jahrzehnte zu schultern. Es geht hier und heute um die Sorge, dass Wege gefunden werden müssen – ich sage bewusst „müssen“ –, die den großen Energiekonzernen den Weg verbauen, die Kosten des Atomausstiegs zu sozialisieren.

(Beifall von den PIRATEN)

Diesem Vorstoß der Atomkonzerne aus der letzten oder vorletzten Woche gilt es in einer Weise zu be

gegnen, dass wir sagen müssen: Die Stromkonzerne dürfen sich nicht – auch nicht teilweise – aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung herausstehlen.

(Beifall von den PIRATEN)

Demgegenüber steht die Politik nun im Zugzwang – auch in NRW als Sitz der Verwaltungen von zwei der größten Energiekonzerne Deutschlands: E.ON und RWE. Insofern geht es keineswegs nur um Hamm-Uentrop, was die Regierungsfraktionen vielleicht mutmaßen, weil wir das schon häufiger thematisiert haben – natürlich geht es auch darum –, sondern auch um die Urananreicherungsanlage in Gronau, den Forschungsreaktor Jülich, das Kernkraftwerk AVR Jülich, das Kernkraftwerk Würgassen, das Transportbehälterlager Ahaus, das Zwischenlager für die Thoriumkugeln aus dem THTR300 in Hamm-Uentrop und die Pilotkonditionierungsanlage in Duisburg, um die wesentlichen Anlagen einmal zu nennen. Es geht also keineswegs nur um Hessen, Baden-Württemberg, SchleswigHolstein – wo auch immer die Atomkraftwerke angesiedelt sind –, sondern auch um NRW.

Und es geht um die Beurteilung der Rückstellungsfrage. Wir wissen, die Energiebranche befindet sich in einer Krise – auch infolge des Atomausstiegs. Das zeigen insbesondere die Milliardenverluste von RWE. Die Krise bedroht die Milliardenrückstellungen der Konzerne. Es wäre vonnöten, dass die Rückstellungen quasi mündelsicher zur Verfügung stünden. Das tun sie aber nicht. Die Rücklagen stecken überwiegend in Anlagegeschäften der Konzerne, die sich wiederum vor allem auf Kraftwerke beziehen.

Man muss sagen: Krankt das Kraftwerksgeschäft, kranken auch die Sicherheit und die Entwicklung der Rücklagen. Geschieht dies, läuft die Gesellschaft Gefahr, für die von den Konzernen übernommenen Pflichten aus dem Atomgeschäft, das jahrzehntelang gewinnbringend war, geradestehen zu müssen. So ist es nur allzu verständlich, dass die Konzerne heute versuchen, die Folgelasten auf die Gesellschaft abzuwälzen. Das haben sie schon immer gut gekonnt: Gewinne einstreichen, Verluste sozialisieren. Dem setzen wir Piraten mahnend entgegen, dass es zu einer Vergesellschaftung der Folgelasten nicht kommen darf.

(Beifall von den PIRATEN)

Weder durch die Abwälzung der immensen Kosten der Endlagerung und der Einlösung der Rückbauverpflichtungen der Konzerne noch etwa durch eine heutige oder künftige Abwälzung der Kosten auf die Verbraucher von Energie darf dies geschehen. Eines muss man sagen: Wenn sich die Energiekonzerne verzockt haben – und danach sieht es aus –, werden sie heute oder auch künftig für Managementfehlleistungen geradezustehen haben.

Der weder bestätigte noch dementierte Vorschlag aus der Atomindustrie, die Atomkraftwerke in eine

bundeseigene Stiftung zu überführen, zeigt daher zum Beispiel auch, wie dringend und aktuell unser Antrag Drucksache 16/5477 „Finanzierung der Entsorgung von Atomanlagen durch die Eigentümer sicherstellen“ vom Februar dieses Jahres, also aus der letzten Plenarsession, war. Wir hatten gefordert, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für die Bildung eines aus den Rückstellungen vor allem durch die Stromkonzerne zu bestückenden Fonds einsetzt.

Noch in der letzten Plenarsitzungsphase sagte Herr Minister Schneider in Vertretung von Minister Duin:

„Somit ist die Forderung der Piraten, die Landesregierung solle in der Sache tätig werden, längst überholt.“

Die Landesregierung bezog sich dabei auf einen Beschluss der Umweltministerkonferenz aus dem Juni 2013. In diesem Beschluss wird die Bundesregierung aufgefordert, sich die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes aus dem Jahre 2010 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes zu eigen zu machen, die Prüfergebnisse zum Thema „Rückstellungen im Bereich Kernenergie“ weiterzuverfolgen und sich für eine intensivierte staatliche Prüfung der Rückstellungen einzusetzen.

Nach demselben Bericht wissen wir, dass die Prüfung außerordentlich kompliziert ist und dass die Landesregierung und die entsprechenden Finanzverwaltungen, die nämlich mit dafür zuständig sind, dazu technisch, sachlich, fachlich überhaupt nicht in der Lage sind. Die Risiken, die mit den Rückstellungen verbunden sind, werden nicht ordnungsgemäß eingeschätzt. Dies geht ebenfalls aus dem Bericht hervor.

Der Beschluss der Umweltministerkonferenz, auf den man sich hier bezog, wird im Juni ein Jahr alt. Er beinhaltet einen Arbeitsauftrag. Was ist bisher geschehen? – Aus unserer Sicht nichts.

Der Bundesrechnungshof kommt indessen zu dem bemerkenswerten Schluss, dass die Bewertung der Rückstellungen – das sagte ich gerade – durch die Länder und den Bund unqualifiziert ist. Die deutsche Atomindustrie hat aber nicht geschlafen. Sie hat ein Konzept erarbeitet, das sie den Presseberichten zufolge mit der Bundesregierung verhandeln will. Dieses Vorhaben ist nicht nur nicht tot oder vom Tisch, es ist brandaktuell, auch in NRW, insofern, als zahlreiche Kommunen Beteiligungen an Stromkonzernen haben …

Die Redezeit.

… und dementsprechend die Bevölkerung in die Sozialisierungsabsichten der Konzerne einbezogen sein werden.

Wir fordern die Landesregierung, nein, am besten auch die regierungstragenden Fraktionen auf, Herr Priggen, Herr Römer, den ich gerade nicht sehe: …

Die Redezeit.

… Schließen Sie sich noch heute unserem Antrag mit der eben genannten Drucksachennummer aus dem April an.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich habe den Antrag auf meinem Tisch liegen. Sie brauchen ihn nur zu unterschreiben, und die Landesregierung wird aufgefordert, …

Herr Kollege Schulz.

… das umzusetzen, was die Sozialisierung der Folgelasten und möglicherweise der Managementfehlleistungen der

Energiekonzerne verhindern hilft. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)