Protocol of the Session on July 4, 2012

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, der fünften Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie natürlich den Vertreterinnen und Vertretern der Medien.

Ich hoffe nicht nur, dass sich der Plenarsaal noch etwas füllt – wir werden nämlich in aller Regel immer pünktlich beginnen –, sondern auch, dass der Geräuschpegel wieder etwas nach unten geht, was uns die Sitzungsleitung sehr viel unkomplizierter gestalten lässt.

Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit können wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung eintreten.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

1 Verlässliche Rahmenbedingungen für den

Chemiestandort Nordrhein-Westfalen schaffen – Landesregierung darf CO-Pipeline nicht weiter behindern

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/129

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 2. Juli 2012 gemäß § 90 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der FDP Herrn Kollegen Brockes das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Duin, das ist heute die erste Gelegenheit seit Ihrer Ernennung, bei der wir uns mit Ihnen über die Wirtschaftspolitik austauschen dürfen. Vorweg möchte ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg für die vor Ihnen liegende Arbeit wünschen. Das ist für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen auch notwendig; zuletzt hatte die Wirtschaft ja leider keine Stimme in der Landesregierung.

Meine Damen und Herren, dass die Wirtschaftspolitik in den vergangenen 20 Monaten aus anderen Ressorts diktiert wurde, findet sich in der Tagesord

nung für den heutigen und den morgigen Plenartag wieder: „Rauchverbot“, „Klimaschutzgesetz“ oder auch das „Verhinderungsgutachten“, über das wir jetzt diskutieren. Das alles sind Themen, die den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen gefährden.

(Beifall von der FDP)

Herr Minister, wir geben Ihnen – wie es Brauch ist – natürlich 100 Tage, um in der Wirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen anzukommen.

(Minister Johannes Remmel: Sehr großzü- gig!)

Aber die Kollegen auf der Regierungsbank geben Ihnen diese Zeit nicht; denn sie haben heute bereits viele Punkte auf der Agenda, die Ihrem Ressort, die der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen nachhaltig schaden.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, wir reden heute über die Chemieindustrie in Nordrhein-Westfalen. Ich glaube, allen dürfte klar sein, wie wichtig diese für unser Land ist. Auch der Umweltminister hat am vergangenen Mittwoch in einer Sonntagsrede bei der VCI den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen gelobt. Auch viele Kolleginnen und Kollegen der Piraten waren dort und haben gezeigt, dass das Thema „Chemie“ für sie wichtig ist. Die Chemie ist eine Schlüsselindustrie für Nordrhein-Westfalen. Viele Innovationen in anderen Bereichen, in anderen Branchen basieren gerade auf der Entwicklung in der Chemie.

Meine Damen und Herren, wir diskutieren hier oft über die Energiewende und den Klimaschutz. Auch diese wären ohne die Chemieindustrie, ohne ihre Innovationen nicht erreichbar. Solarzellen, Stromspeicher, Wärmedämmung, Batterien für Elektrofahrzeuge – all dies basiert auf Entwicklungen in der Chemieindustrie.

Und: Die Chemie hat auch enorme Anstrengungen gemacht, um gerade den CO2-Ausstoß und den Energieverbrauch deutlich zu reduzieren: Von 1990 bis 2009 gab es in der Chemieindustrie eine CO2Minderung von 48 %. Das ist ein ganz gewaltiger Batzen, und das noch bei gleichzeitigem Produktionsausbau um 42 %.

Meine Damen und Herren, Sie sehen daran, dass die Chemie nicht das Problem ist, sondern dass die Chemie die Lösung für viele Probleme bedeutet. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sie hier optimale Produktionsbedingungen vorfindet. Nur so sind solche Einsparungen erreichbar.

Deshalb hat der Landtag im Jahr 2005 das Rohrleitungsgesetz in diesem Hohen Haus einstimmig verabschiedet. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass es für Liberale nicht gerade leicht ist, auch einer etwaigen Enteignung Raum zu geben. Aber wir haben dem zugestimmt, und auch der damalige

Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Herr Johannes Remmel, hat dem Gesetz seine Zustimmung gegeben – weil wir alle die wirtschaftliche Notwendigkeit für dieses Projekt gesehen haben. Dies ist durch das Verwaltungsgericht in Düsseldorf am 25. Mai letzten Jahres ausdrücklich bestätigt worden. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

Bei dem Vorhaben musste der Gesetzgeber auch keine eigene Einschätzung des wirtschaftlichen Nutzens vornehmen und damit quasi seine eigene betriebswirtschaftliche Einschätzung an die Stelle der Vorhabenträger setzen. Es ist eine zulässige politische Willenserklärung, zum Beispiel im Rahmen von Wirtschafts- und Technologieförderung, Rahmenbedingungen zugunsten von betroffenen Unternehmen zu schaffen und damit den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen zu stärken.

Sie sehen, meine Damen und Herren: Unsere damalige Entscheidung ist absolut gerichtsfest.

Nun hat es bei der Realisierung der CO-Pipeline gravierende Mängel gegeben. Ich muss ganz ehrlich sagen: Das hat mich sehr geärgert. Vonseiten der ausführenden Firma wurde da wirklich – das muss ich jetzt so sagen, erlauben Sie den Ausdruck – schlampig gearbeitet.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Bayer wird diese Mängel nun durch ein Planänderungsverfahren beheben. Das ist gut, und das ist notwendig.

Meine Damen und Herren, auch für uns gilt: Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hat oberste Priorität.

(Beifall von der FDP)

Aber dafür bedarf es nicht des Gutachtens, das der Umweltminister nun in Auftrag gegeben hat. Dieses Gutachten, das im Übrigen auch gegen Ihren eigenen Koalitionsvertrag verstößt, hat nur ein Ziel: Es torpediert das Projekt, und es soll es verhindern.

Seit wann ist es Aufgabe der Politik, die betriebswirtschaftliche Entscheidung für Unternehmen zu treffen? Das kann nicht richtig sein. Das macht man nur, wenn man das Projekt komplett verhindern will.

Herr Wirtschaftsminister, wenn Sie sich das Ziel gesetzt haben, den Industriestandort NordrheinWestfalen zu erhalten und auszubauen, dann haben Sie die FDP-Fraktion an Ihrer Seite. Der Gegner bei solchen Maßnahmen sitzt woanders. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Schmeltzer das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Duin, Sie haben bei dem Redebeitrag des Kollegen Brockes festgestellt, dass großer Lernbedarf nicht nur bei der Aussprache von Namen besteht, sondern auch in wirtschafts- und industriepolitischen Fragen.

Herr Brockes, seien Sie gewiss, die Agenda, die wir uns in der Wirtschafts- und Industriepolitik vorgenommen haben, ist eine Agenda, die wir gut durchgehen werden, mit der wir gute Lösungen sowohl für die Wirtschaft als auch für die Menschen in diesem Land treffen werden.

Die Auseinandersetzung um die CO-Pipeline beschäftigt uns hier im Landtag schon seit mehr als fünf Jahren. Es gab in der 14. Wahlperiode unzählige Debatten über den Pipeline-Verlauf, die Sicherheitsstandards und die administrative Begleitung des Projekts.

Die SPD-Landtagsfraktion hat an dieser Stelle immer erklärt, dass die CO-Pipeline für NordrheinWestfalen bedeutend ist und zur Stärkung des Chemiestandorts beiträgt. Sie verbessert unseres Erachtens die Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen in den Bereichen Chemie, Kunststoff und neue Werkstoffe. Mit der Pipeline wird eine Vielfalt unterschiedlicher Produktionsprozesse verbunden, die mehr umfassen als die Arbeitsplätze bei Bayer. Deshalb haben wir dem Rohrleitungsgesetz zugestimmt.

Wir haben aber zugleich immer erklärt, dass die Sicherheit der Menschen an erster Stelle steht. Wir haben die damalige schwarz-gelbe Landesregierung vielfach aufgefordert, die Sorgen und Nöte der Menschen ernst zu nehmen und beim Bau auf hohe Sicherheitsstandards und gute Bauausführung zu achten. Dies gelang aufgrund sehr ungeschickten und unsensiblen Handelns aber selten. Wir beschäftigen uns deshalb heute mit Fehlern, die noch unter Ihrer Landesregierung gemacht wurden.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Oh!)

Ja, das ist bedauerlich, Herr Hovenjürgen, aber das Bedauern geht in Ihre Richtung, nicht in unsere.

2006 wurde das Enteignungsgesetz vom Landtag einstimmig beschlossen. Die Landesregierung hatte den Auftrag, für eine reibungslose und transparente administrative Realisierung des Projektes zu sorgen. Dies gelang ihr bekannterweise nicht.

Die damalige schwarz-gelbe Landesregierung hat hier auf ganzer Linie versagt – wie an vielen anderen Punkten auch –, indem sie sich fortwährend einer konstruktiven Diskussion mit den Menschen vor Ort verweigerte. Ich erinnere an die Diskussion im März 2010, als Frau Thoben hier sinngemäß äußerte: Wenn die Menschen aufgeklärt werden wollen, dann geben Sie ihnen meine Rede, das ist Aufklärung genug.

Zugleich hat der Projektträger Bayer MaterialScience AG mit einer Vielzahl von Planungs-, Ausführungs- und Kommunikationsfehlern dazu beigetragen, dass Vertrauen verloren ging und der Widerstand gegen das Projekt CO-Pipeline anstieg.

Dass in einer solchen Situation die Gerichte herangezogen werden, ist nur selbstverständlich. Das Oberverwaltungsgericht Münster und das Verwaltungsgericht Düsseldorf haben in verschiedenen Beschlüssen und Urteilen auf verschiedene Mängel hingewiesen und die damalige Landesregierung und Bayer zur Behebung der Mängel aufgefordert.

Aus dieser Entwicklung heraus hat sich für die SPD die Meinung verstärkt, dass eine Betriebsgenehmigung der CO-Pipeline von Dormagen nach Krefeld erst nach Klärung der gerichtlichen Auseinandersetzung ausgesprochen werden darf. Weiterhin gilt für uns, dass vor Inbetriebnahme der Pipeline alle Zweifel an deren Sicherheit ausgeräumt sein müssen und die höchstmöglichen Sicherheitsstandards gelten müssen.

Meine Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel: Die CO-Pipeline ist ein höchst umstrittenes Projekt in Nordrhein-Westfalen. Besonders bei den Menschen, die an dieser Trasse wohnen, stößt diese Pipeline auf Ablehnung und Widerstand. Und der Widerstand ist bekannterweise sehr groß.

Unsere Kritik war immer, dass die schwarz-gelbe Landesregierung damals keinen eigenen Beitrag geleistet hat, um den berechtigten Sorgen und Ängsten der betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu begegnen.

Auch der Projektträger Bayer hat sich nie mit Ruhm bekleckert. Bayer machte peinliche und schlimme Fehler bei der Prüfung und Planung und musste letztendlich feststellen, dass Flyer-Drucken alleine nicht ausreicht. Das Ergebnis ist uns allen bekannt.