Protocol of the Session on September 14, 2016

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 120. Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen. Auch wenn der parlamentarische Alltag schon lange wieder Einzug gehalten hat, ist es gleichwohl die erste Sitzung nach der Sommerpause. Daher freue ich mich, dass alle Kolleginnen und Kollegen – hoffentlich bei allerbester Gesundheit – wieder am Start sind. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich zwölf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Ohne weitere Vorbemerkungen treten wir in die Abarbeitung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Gelingende Integration von Flüchtlingen. Ein

Integrationsplan für NRW.

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/11229

Beschlussempfehlung und Bericht des Integrationsausschusses Drucksache 16/12382

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/12915

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/12916

Entschließungsantrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/12918

Hierzu gibt es allerdings ein paar Vorbemerkungen:

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wurde nach Beratung vom Plenum federführend an den Integrationsausschuss überwiesen – mit der Maßgabe, dass ausnahmsweise eine weitere Aussprache und die Abstimmung nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen soll. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Integrationsausschusses liegen als Drucksache 16/12382 vor, und wir haben den Punkt heute auf der Tagesordnung.

Weiterhin möchte ich Sie alle auf einen Änderungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/11318 –

Neudruck – hinweisen. Die Fraktion der Piraten hat diesen Antrag aber zwischenzeitlich zurückgenommen. Hierzu ist bereits die Unterrichtung Drucksache 16/12917 verteilt worden.

Darüber hinaus möchte ich Sie alle gerne darüber informieren, dass im Ältestenrat einvernehmlich vereinbart wurde, zunächst eine allgemeine Aussprache zur Integration mit einer Redezeit von zehn Minuten pro Fraktion und für die Landesregierung und danach eine fachliche Aussprache zur Integration mit ebenfalls einer Redezeit von jeweils zehn Minuten pro Fraktion und für die Landesregierung zu führen.

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich einvernehmlich darauf verständigt, über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/12915 bereits im Anschluss an die allgemeine Aussprache abzustimmen. Die Abstimmung über alle weiteren Anträge und damit auch über Entschließungsanträge erfolgt nach Abschluss der fachlichen Aussprache. – So weit herrscht Einvernehmen.

Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Römer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 5. September jährte sich die Entscheidung der Bundeskanzlerin, die Grenzen für Frauen, Männer und Kinder zu öffnen, die in Deutschland Schutz vor Krieg, Terror und Verfolgung finden wollten. Das war eine weitreichende Entscheidung; sie war von Anfang an hochumstritten und ist es heute noch – sogar mehr als vor einem Jahr. Dennoch, meine Damen und Herren, war es eine richtige Entscheidung.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU, den GRÜNEN, der FDP und den PIRATEN)

In jenen Spätsommertagen des vergangenen Jahres stand nicht weniger auf dem Spiel als die Freizügigkeit des Schengen-Raums und damit eine tragende Säule der europäischen Integration.

Um die Freizügigkeit in der Europäischen Union zu retten, musste eine Blockade des Schengen-Raums durch Ungarn verhindert werden. Sie hätte übrigens auch eine dramatische Überforderung der Balkanstaaten und Griechenlands bedeutet. Gleichzeitig musste mit der Türkei ein Abkommen geschlossen werden, das die Kontrolle der Außengrenzen der Europäischen Union erleichtert und die sichere, solidarische und kontrollierbare Aufnahme von Flüchtlingen ermöglicht – so wie es die Genfer Flüchtlingskonvention von Europa verlangt.

Selbstverständlich kann trefflich darüber gestritten werden, inwieweit das alles gelungen ist. Und doch

hat der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler recht, wenn er schreibt: „Deutschland übernahm eine Verantwortung für das Europaprojekt, die weit über die aller anderen europäischen Länder hinausgeht.“

Ja, die Bundesrepublik Deutschland ist ihrer Verantwortung für Europa gerecht geworden.

Und mehr als das: Die Deutschen insgesamt – und nicht nur ihre Regierung – haben auch ihre Verantwortung für Menschen in Not, für Humanität und Mitmenschlichkeit erkannt und angenommen. Die Deutschen haben die Welt in Staunen versetzt; denn sie waren und sie sind, meine Damen und Herren, bereit, den Menschenrechten Geltung zu verschaffen, auch wenn es ihnen unglaublich viel Kraft, Geld und Geduld abverlangt. Das Gleiche lässt sich übrigens auch von Schweden und Österreichern sagen.

Die Entscheidung der Bundesregierung vom 5. September 2015 war eine Entscheidung für die Menschenrechte, und es bleibt eine Entscheidung für Europa und seine Werte, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und Armin Laschet [CDU])

Das – ich will es ausdrücklich herausstellen – wird auch der bleibende Wert der Kanzlerschaft Angela Merkels sein – ganz gleich, wie lange diese noch dauert.

Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin wird mit ihrem Satz „Wir schaffen das“ zu Recht in die Geschichtsbücher eingehen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie es versäumt hat, zu erklären, was wir schaffen müssen, wie wir es schaffen können und welche Vorteile alle Menschen in Deutschland von einer erfolgreichen Integration der Flüchtlinge haben werden.

Einwanderungsgesellschaften sind innovativer, stärker und erfolgreicher als Länder, die glauben, sich abschotten zu müssen. Niemand weiß das besser als wir Nordrhein-Westfalen. Unser Land ist seit mehr als 100 Jahren ein Einwanderungsland. Bei uns leben mehr Menschen mit Migrationshintergrund, als andere Bundesländer Einwohner haben. Wir haben aus unserer Geschichte, aus unseren Erfolgen und auch aus unseren Fehlern gelernt.

Wir wissen, wie Integration gelingt und woran sie scheitern kann. Wir wissen auch: Der Weg zur Integration ist lang; aber die Zeitspanne, um sie auf einen erfolgreichen Weg zu bringen, ist nur kurz.

Mit dem Integrationsplan, den die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen heute für Nordrhein-Westfalen vorlegen, begeben wir uns auf diesen Weg. Er beinhaltet Sprach- und Integrationskurse, frühkindliche Bildung, Kinderbetreuung, Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, Gesundheitsfürsorge, sozialen Wohnungsbau und nicht zuletzt

auch Projekte für das Zusammenleben in der Gemeinschaft, im Quartier, in der Nachbarschaft.

Erfolgreiche Integration in die Gesellschaft, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, beruht immer auf der erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt. Die Chancen sind übrigens weitaus besser, als oft behauptet wird. Die meisten Flüchtlinge sind jung, unter 25 Jahre, sind ehrgeizig und wollen produktiv sein. Sie haben das Potenzial, durch eine Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung die Qualifikationen zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind.

Und sie werden dann niemandem einen Arbeitsplatz wegnehmen. Im Gegenteil, jede Einwanderin und jeder Einwanderer, die auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, werden uns ein Stück Wirtschaftskraft zurückgeben, die uns durch den demografischen Wandel genommen wird – vorausgesetzt, wir ebnen ihnen jetzt den Weg.

Doch wir müssen mehr tun, meine Damen und Herren. Die Flüchtlinge – ich wiederhole das gern – sind nur der Anlass für Zukunftsinvestitionen, von denen alle Menschen in unserem Land profitieren werden. Sie sind der Anlass, nicht der Grund. Wenn wir jetzt in bessere Schulen, Kitas sowie gute und bezahlbare Wohnungen für alle investieren, dann werden Nordrhein-Westfalen und Deutschland in zehn Jahren stärker und gerechter sein als heute. Wir sind dazu bereit.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Unser Integrationsplan ist deshalb immer auch und zugleich ein NRW-Plan. Er kommt allen Menschen in unserem Lande zugute.

Integration verlangt, dass wir Einwanderern den Weg in ein selbstbestimmtes Leben ebnen. Integration verlangt nicht, dass wir unsere Werte infrage stellen oder relativieren. Individuelle Freiheit und Selbstbestimmung kombiniert mit Demokratie, Solidarität und Gerechtigkeit sind die stärksten und attraktivsten Ideen, die je in eine politische Ordnung gegossen wurden.

Wir können Migranten und Migrantinnen nicht ihre religiösen Überzeugungen vorschreiben, und wir verlangen von ihnen auch nicht, dass sie vergessen, woher sie kommen. Was wir aber verlangen, ist die Akzeptanz aller politischen Grundwerte, also ein klares Bekenntnis zu dem, was wir Verfassungspatriotismus nennen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, wir werden von jeder und jedem, die bei uns bleiben wollen, die Einhaltung aller Regeln einfordern, die sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes durch Wahlen und Abstimmungen selbst gegeben haben, und wir werden das Recht auf individuelle

Selbstbestimmung eines jeden Menschen verteidigen, wenn es durch Fanatismus oder gar durch Rassismus bedroht wird. Da bleiben wir klar, da bleiben wir eindeutig.

Meine Damen und Herren, unser Integrationsplan steht in der Tradition einer Integrationspolitik, die seit mindestens 15 Jahren von allen Mehrheiten in diesem Landtag verwirklicht worden ist, sowohl von rotgrünen Mehrheiten als auch von schwarz-gelben.

Wir wissen, dass CDU und FDP nicht mit allem einverstanden sind, was wir heute auf den Weg bringen, und dass sie deshalb unserem Integrationsplan nicht zustimmen wollen. Daraus mache ich Ihnen keinen Vorwurf, meine Damen und Herren; denn wir streiten uns ja nicht über das Ziel der Integration, sondern über die Wege dorthin, über die Maßnahmen für eine gelingende Integration. Und ein demokratischer Streit über Ideen und Konzepte ist immer produktiv, niemals falsch.

Ich bin Ihnen – das will ich allerdings deutlich herausstellen – vielmehr dankbar dafür, dass wir heute hoffentlich eine gemeinsame Resolution verabschieden können – eine Resolution, die zeigt, dass wir uns über die Werte und Ziele der Integrationspolitik einig sind; denn darauf kommt es an.

Wir alle wissen: Die große Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen ist stolz auf die Vielfalt, auf die Weltoffenheit unseres Landes. Auf diese große Mehrheit, meine Damen und Herren, können wir vertrauen, und wir vertrauen auch darauf.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir in Nordrhein-Westfalen – da bin ich ganz zuversichtlich – werden beweisen, dass die offene Gesellschaft und ihr Sozialstaat stärker, erfolgreicher und gerechter sind als alles, was ihre Feinde zu bieten haben. Deshalb wird die große Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen uns und unserer gemeinsamen Integrationspolitik auch zukünftig vertrauen.

Lassen Sie uns deshalb – das ist meine große Bitte – dieser Resolution mit einer großen Mehrheit zustimmen, ganz in der Tradition dieses Hauses.