Protocol of the Session on November 29, 2013

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn wir noch auf Kolleginnen und Kollegen warten, die den Weg in den Plenarsaal noch finden müssen, möchte ich Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 45. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen heißen. Mein Gruß gilt den bereits anwesenden Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich elf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Heute dürfen wir mit zwei Kollegen Geburtstag feiern. Beide werden 53 Jahre alt, nämlich die Kollegen Falk Heinrichs und Rüdiger Weiß von der SPD-Fraktion. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute im Namen des gesamten Parlaments!

(Allgemeiner Beifall)

Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1 US-Militärforschung an NRW-Hochschulen

aufklären

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/4482

Die Fraktion der Piraten hat mit Schreiben vom 25. November dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zur genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion der Piraten Herrn Dr. Paul das Wort.

Guten Morgen, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und daheim! Erst einmal zum Sachstand: Nach Recherchen des „Norddeutschen Rundfunks“ und der „Süddeutschen Zeitung“ hat das US-Verteidigungsministerium seit dem Jahr 2000 mit mehr als 10 Millionen Dollar Projekte an 22 deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen unterstützt. Darunter sind auch Universitäten, die sich ausschließlich der friedlichen Forschung verpflichtet haben. In Nordrhein-Westfalen haben die Universitäten in Aachen, Bochum und Wuppertal Geld vom Pentagon erhalten.

Das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium bewertete die Forschung zu militärischen Zwecken an Universitäten grundsätzlich kritisch. „Wir fördern und fordern diese Art von Forschung nicht“, sagte ein Ministeriumssprecher, wie in „ZEIT ONLINE“ vom 25. November 2013 zu lesen war. Das ist schön.

Überhaupt nicht schön ist jedoch, dass unser Ministerium weiter erklärt, es habe keine Kenntnis über eine mögliche Zusammenarbeit von Hochschulen mit dem US-Verteidigungsministerium. Die Hochschulen müssten solche Kooperationen nicht anmelden. Diese Militärforschung ist rein zufällig über ausländische Quellen ans Tageslicht gekommen. Allein das ist schon skandalös.

(Angela Freimuth [FDP]: Das steht doch seit 2010 in der „Süddeutschen Zeitung“!)

Universitäten sind die geistigen Werkbänke der Gesellschaft. Da grundfinanzieren die Steuerzahler, also wir alle, Personal und Werkbänke an den Hochschulen und erfahren noch nicht einmal, was dort geforscht wird. Für eine moderne Demokratie des 21. Jahrhunderts ist das ein untragbarer Zustand.

(Beifall von den PIRATEN)

Dual Use hin oder her: Wir Piraten fordern das ein. Wir alle haben ein Recht darauf zu erfahren, was an Hochschulen und Forschungseinrichtungen geforscht wird und wer die Auftraggeber bei Drittmittelforschungen sind – ohne Wenn und Aber.

(Beifall von den PIRATEN)

Bochum ging hier mit sehr gutem Beispiel voran. Dabei geht es unter anderem um hitzebeständige Materialien.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN] hält ein Doku- ment hoch.)

Das kann man im Netz finden. Ich muss dazu sagen: Mit Open Access ging das noch ein bisschen besser. Wir finden auch, dass neben der USAirforce die europäische Aerospace mit an der Förderung dieser Projekte beteiligt ist.

Wenn aber die Forschungen im Verborgenen betrieben werden wie im Fall der RWTH Aachen, schürt das Misstrauen, wo vielleicht gar keines nötig wäre. So äußerte sich der Rektor der RWTH Aachen, Prof. Schmachtenberg, in den „Aachener Nachrichten“ vom 26.11.2013 sinngemäß, dass grundsätzlich keine Informationen zur Auftragsforschung herausgegeben werden und die Veröffentlichungen der Forschung den Richtlinien des Auftraggebers obliege. Des Weiteren würde es eine Schwächung der Position am Markt der Auftragsforschung bedeuten und Hunderte Arbeitsplätze in Aachen sehr gefährden, wenn freimütig über Auftraggeber und Inhalte der Forschungen gesprochen würde.

Es werden also noch nicht einmal Informationen an den zuständigen Ausschuss des Parlaments erwogen. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, rufe ich als Anwalt Herrn Edsger W. Dijkstra, einen niederländisch-amerikanischen Informatiker, auf, der in bahnbrechenden Arbeiten dafür gesorgt hat, dass unsere Betriebssysteme nicht in Verwirrung geraten. Sie können ihn auch gerne „Mr. Multitasking“ nennen. Ich zitiere aus seinem Vortrag „The strengths of the academic enterprise“ vom 7. Februar 1994 vor dem Industrieforum in Austin, Texas:

Eine Universität, die betrügt oder verheimlicht, kann ihre Türen schließen. Die essenzielle Rolle der Offenheit ist etwas, an das wir uns erinnern sollten, wenn wir über akademisch-industrielle Kooperationen beraten. Wir sollten uns auch daran erinnern, wenn eine Regierung Gründe der nationalen Sicherheit oder des Wohlstands erfindet, um eine freie Publikation akademischer Forschung zu unterbinden. Universitäten sind nicht Teil des nationalen Sicherheitssystems. Sie sind noch nicht einmal nationale Forschungslabore. Sie sind nationale Universitäten. – Soweit das Zitat.

Bemerkenswert daran ist, dass das nicht ein Soziologe ist, sondern ein Informatiker und Ingenieur, der sehr genau weiß, unter welchen Randbedingungen Innovationen am besten entstehen können.

Klar sind wir Freunde von internationalen Forschungskooperationen. Wissenschaft ist schließlich Begegnung, und Begegnung ist Bildung. Bildung ist Dünger und Nährboden für Innovationen. Aber umso mehr gelten Dijkstras Worte, wenn es sich bei dem Partner um das Militär eines befreundeten Landes handelt. Nicht der Krieg, sondern der Friede ist der Ernstfall.

Wissenschaft und Hochschulen sowie die an ihnen Tätigen haben sich der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung zu stellen. Wir sollten die Hochschulen finanziell so ausstatten, dass sie dem Lockruf des Geldes der Rüstungsindustrie widerstehen können. Gerade wir Deutsche sollten auf zivile Stärke statt auf militärische Scheinstärke setzen.

(Beifall von den PIRATEN)

Kriege sind schließlich keine Naturereignisse. Jeder Krieg ist erst ein wirtschaftlicher, politischer und sozialer Krieg, bevor er militärisch wird. Das heißt, er ist Ausdruck dafür, dass die Gesellschaften versagt haben, Probleme zivil zu meistern: Ausdruck eines pathologischen Zivilversagens.

Darüber hinaus haben wir Menschen das grundlegende Problem – man denke dabei zum Beispiel an die Kernenergie oder die Gentechnik –, dass wir ganz offensichtlich weiter werfen als gucken können. Wir haben also ganz andere Herausforderungen zu bewältigen, für die Wissenschaft und Hochschulen tätig werden sollten und eben nicht für die Rüstungsforschung für ein anderes Land. Der jetzige Widerstand gegen die Militarisierung unserer Bil

dungseinrichtungen ist ein wichtiger Beitrag einer glaubwürdigen Friedenspolitik.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine generelle Bemerkung zu den USA, denen gerade wir Deutsche so viel zu verdanken haben. Deutsches Duckmäusertum gegenüber den USA, wie jüngst auch bei den Snowden-Enthüllungen, haben unsere amerikanischen Freunde wahrlich nicht verdient. Wirkliche Freundschaft geht anders. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Schultheis das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Anlass dieser Aktuellen Stunde ist in der Tat die Berichterstattung in den Medien zu Rüstungs- oder Militärforschungsprojekten in den Hochschulen Nordrhein-Westfalens.

Man muss nur die Relationen deutlich klarstellen. Das hätte beim Wortbeitrag von Dr. Paul etwas in die Schieflage geraten können. Mit den Dimensionen, um die es hier geht, kann man nicht den Beweis dafür antreten, dass die NRW-Hochschulen sozusagen Kaderschmieden der Rüstungsindustrie sind. Das, was hier an Forschungsprojekten auf den Weg gebracht worden ist, bewegt sich in einem viel kleinteiligeren Spektrum.

Kurzum, es geht um die Zulässigkeit und Verantwortlichkeit militärischer Forschung an unseren Hochschulen oder von Forschung, die militärischen Zwecken dient, dienen kann oder dienen könnte. Ich bitte, in der Debatte darauf zu achten und das auch festzuhalten, dass man hier nicht nach einem Schwarz-Weiß-Schema vorgehen kann und dass diese Fragen so auch nicht beantwortet werden können. Es gilt die grundsätzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre, und es gilt, dabei die Interessen unseres Landes, auch im Hinblick auf die Entwicklung von Sicherheitstechnologien, zu beachten.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das lange umstrittene Projekt Galileo. Dieses Projekt ist gerade auf den Weg gebracht worden, um Europa bei den Navigationssystemen von US-amerikanischer Technologie unabhängig zu machen. Jeder von uns weiß, dass man die Navigationssysteme sowohl zu militärischen als auch zu zivilen Zwecken – was wir in der Zwischenzeit alle tun – nutzen kann. Aber wir wissen natürlich auch, dass GPS zunächst einmal unter militärischen Gesichtspunkten entwickelt worden ist.

Die SPD-Fraktion legt Wert darauf, dass wir über Technologien verfügen, auch im Bereich der Informationstechnologien, für die wir selbst die grundle

genden Voraussetzungen geschaffen haben. Damit stellen wir auch die Verfügbarkeit sicher.

Damit sind wir bei dem Thema „Dual Use“, also der doppelten Anwendungsmöglichkeit solcher Forschungsergebnisse sowohl für den militärischen als auch für den zivilen Bereich, also sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke. Damit sind wir auch direkt bei dem Thema, mit welcher ethischen Verantwortung unsere Hochschullehrerinnen und

Hochschullehrer diese Themen angehen und mit welcher Transparenz dieses eigene Handeln in unseren Hochschulen dargestellt wird.

Ich darf darauf hinweisen, dass wir, wenn es um die Transparenz im Umgang mit Drittmitteln geht, also insbesondere der Auftragsforschung nicht nur von öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Drittmittelforschung, mit dem neuen Hochschulzukunftsgesetz, mit dem Referentenentwurf, auch die Debatte hierüber eröffnen. Die Ministerin hat einen Referentenentwurf vorgelegt, in dem gerade in § 71 a eine Regelung getroffen wird für die Transparenz im Umgang mit Auftragsforschung. Es gibt auch einen Hinweis auf die zivile Ausrichtung unserer Hochschulen, wiewohl – ich habe das eingangs gesagt – das ein gewisser Spagat ist, bei dem man bestimmte Rahmenbedingungen beachten muss.

Ich kann Sie nur alle auffordern, dass wir im Rahmen der Anhörungen zu diesem Gesetzentwurf gerade auch diese Aspekte, die hier eine Rolle spielen, mit besonderer Beachtung diskutieren. Ich glaube, dass wir dann auch zu guten Ergebnissen kommen.

Wie gesagt, Herr Dr. Paul, wir sollten die Ereignisse, die jetzt beschrieben worden sind, in ihrer Bedeutung richtig einordnen.

Man muss zusätzlich auch noch beachten, dass die Forschungsförderung in den Vereinigten Staaten durch diejenigen, die Geld bereitstellen, einer anderen Struktur folgt als in der Bundesrepublik Deutschland. Das Verteidigungsministerium in den Vereinigten Staaten – das kann man jetzt gut finden oder nicht – ist sehr stark in der Forschungsförderung unterwegs, wie auch das NIH, das den gesamten Gesundheitsbereich und die Biotechnologie und alles, was damit zusammenhängt, fördert. Das ist in unseren Strukturen so nicht möglich. Insofern ist das Departement of Defense in den USA auch sehr stark im Bereich der Grundlagenforschung unterwegs. Da waren ja solche Projekte, wie wir jetzt hier feststellen konnten, an unseren Hochschulen auch mit beteiligt.

Also: Eine Bewertung, die objektiven Maßstäben folgt, wäre sehr, sehr hilfreich. Nochmals: Wir laden Sie ein, mit uns über die Transparenzregeln für die Drittmittelforschung im Rahmen der neuen Gesetzgebung zu diskutieren. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Berger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ und des Norddeutschen Rundfunks haben 22 deutsche Hochschulen und Forschungsinstitute seit Beginn des Jahrtausends mehr als 10 Millionen $ erhalten. Das scheint so zu sein. 90.000 $ sind nach Aachen gegangen, 108.000 nach Bochum, 7.000 nach Wuppertal für einen Mathematikworkshop.

Darüber hinaus berichten die Medien auch, dass in Marburg an Drohnen geforscht wird und dass in München an Sprengstoff geforscht wird.